Das war der 14. Prozesstag im Fall Mouhamed Lamine Dramé

Aufregung im Landgericht Dortmund: Verteidigung wirft Zeugin Falschaussage vor

Erstmals äußerte sich die angeklagte Polizistin (rechts) zu den Vorwürfen. Julius Obhues | Nordstadtblogger

Ein neuer Prozesstag, eine neue Einlassung. Zum 14. Mal kamen die Angeklagten im Dortmunder Landgericht zusammen – nach dem Dienstgruppenleiter, dem mutmaßlichen Todesschützen und einem weiteren Polizisten äußerte sich erstmals eine Beamtin, die sich für den unrechtmäßigen Einsatz von Pfefferspray verantworten muss. Ärger gab es auch um zwei Zeug:innen.

Angeklagte Polizistin: „So lange gepfeffert, bis ich eine Reaktion gemerkt habe“

Für den 14. Prozesstag im Fall des von der Polizei erschossenen Mouhamed Dramé stand einiges auf dem Plan. Im Vorfeld ließ eine angeklagte Polizistin mitteilen, dass sie aussagen wolle. Auch zwei Mitarbeiterinnen aus der Jugendhilfeeinrichtung, in der der 16-Jährige bis kurz vor seinem Tod untergebracht war, beschrieben ihre Erlebnisse des Tattages.

Der Tatort in der Missundestraße (Archiv). Foto: Julius Obhues

Die junge Beamtin gab an, sich auf dem Weg zu einem Einsatz nach Eving befunden zu haben, ehe die Leitstelle den Einsatzauftrag abbrach und die Einheit zu einer suizidgefährdeten Person in der Nordstadt schickte. Bei ihrem Eintreffen seien andere Kolleg:innen bereits vor Ort gewesen. Der mutmaßliche Todesschütze soll zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Maschinenpistole ausgerüstet gewesen sein.

Der ebenfalls angeklagte Dienstgruppenleiter befahl der Beamtin, das Reizstoffsprühgerät (auch Pfefferspray genannt) gegen Mouhamed Dramé einzusetzen – ein „geeignetes Mittel“, wie sie erklärt. Ziel sei es gewesen, dass er das Messer fallen ließe und sich die Augen reibe. Dabei habe sie „so lange gepfeffert, bis ich eine Reaktion gemerkt habe“. Wie sich das anfühle, habe sie am eigenen Leib erfahren: In der Ausbildung sei sie zu Übungszwecken selbst „gepfeffert“ worden.

Für die Nebenklage von besonderer Bedeutung: Sie gab selbst an, das Messer in der Hand Dramés nicht gesehen zu haben, sondern nur über ihre Kolleg:innen über diesen Umstand informiert worden zu sein. Trotzdem setzte sie das Gerät gegen den suizidalen Jugendlichen ein.

Verteidigung wirft Sozialarbeiterin aus Jugendhilfeeinrichtung Falschaussage vor

Neben der Aussage der Polizistin waren für diesen Prozesstag auch die Vernehmungen von Mitarbeitenden der Jugendhilfestelle geplant. Die erste Zeugin gab an, aus der Einrichtung heraus gesehen zu haben, wie eine Polizistin Pfefferspray gegen Dramé einsetzte. Dieser habe sich daraufhin aufgerichtet und sei in Richtung der Beamt:innen gelaufen – für den 16-Jährigen der einzige Ausweg aus der Situation, wie die Erkenntnisse bis dato zeigen.

Rechtsanwalt Lars Brögeler machte der Zeugin in einer Prozesserklärung schwere Vorwürfe. WICKERN

Für Zündstoff im Gerichtssaal sorgte die Aussage der 29-Jährigen über die Schnelligkeit von Mouhamed Dramé. So gab sie in ihrer polizeilichen Vernehmung an, er sei langsam los gegangen und dann minimal schneller geworden.

Diese Aussage bestätigte sie ebenfalls vor Gericht. Anschließend sagte sie: „Ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, er sei gerannt“, so die Sozialarbeiterin.

Staatsanwaltschaft und Verteidigung wollten das so nicht stehen lassen. „Es geht hier nicht darum, was sie möchten“, so Oberstaatsanwalt Carsten Dombert.

Lars Brögeler, Verteidiger der zuvor gehörten Polizistin, wurde noch deutlicher: Sie habe „absichtsgeleitet“, möglicherweise auf Grundlage einer bestimmten Gesinnung ihre Aussage getätigt. Außerdem habe sie von ihrer Position aus den Pfeffersprayeinsatz gar nicht sehen können, warf Brögeler der 29-Jährigen Zeugin vor.

Beim nächsten Prozesstag will sich nun die Fünfte und damit letzte Polizistin äußern. Richter Thomas Kelm zeigte sich zuversichtlich: Die Beweisaufnahme neige sich langsam dem Ende zu.


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