Der umstrittene Dortmunder Polizeieinsatz am 8. August 2022, bei dem ein 16-jähriger Senegalese von vier Kugeln aus einer Maschinenpistole getötet wurde, sorgte deutschlandweit für großes Entsetzen – und hat eine erneute Debatte um die Verhältnismäßigkeit von Polizeieinsätzen verursacht. „Wie viel Vertrauen haben wir in die Polizei?“ war die Leitfrage des Stadtgesprächs bei WDR 5 an der auch der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange teilnahm.
Der Vorwurf Polizeigewalt: jüngste Ereignisse in Dortmund
Wache Nord: willkürliche Gewalt an zwei Frauen – Im Juni diesen Jahres berichtete der WDR über zwei Frauen, die unabhängig voneinander schwere Vorwürfe gegen denselben Polizeibeamten der „Wache Nord“ erhoben. Beide Frauen sollen von dem Beschuldigten Malte F. widerholt geschlagen und als „Fotze“ beleidigt worden sein – im Beisein von anderen Beamt:innen. Neben Prellungen am Körper und im Gesicht wird bei einer der beiden Frauen auch ein Bruch des Bodens der linken Augenhöhle festgestellt. Der Satz „Halt mal den Ball flach, ich habe kein Problem damit, auch Frauen zu schlagen, Fotze“, soll im Rahmen der polizeilichen Maßnahmen gegen eine der beiden Frauen gefallen sein.
Mouhamed D. stirbt nach Polizeieinsatz – Am 8. August diesen Jahres rief ein Betreuer einer Jugendeinrichtung in der Nordstadt die Polizei, aus Angst, der junge Bewohner Mouhamed D. wolle sich etwas antun. Dieser hielt sich im Innenhof der Einrichtung mit einem Messer auf. Als die Polizei kurze Zeit später eintraf, eskalierte die Situation. Mouhamed soll die Beamt:innen angegriffen haben, nachdem Kommunikationsversuche gescheitert waren – der Senegalese sprach kein Deutsch.
Laut Polizeibericht habe Mouahemed D. am Boden gesessen, ein Messer gegen sich gerichtet. Weil er auf die Ansprache der Polizei nicht reagiert habe, ordnete der Einsatzleiter den Einsatz von Tränengas an. Anschließend – der Junge hatte das Messer noch immer gegen sich gerichtet – sei zwei Mal mit einem Taser auf ihn geschossen worden. Beim zweiten Mal sollen ihn die Elektroden an Hals und Glied getroffen haben, was den Jungen aber nicht außer Gefecht setzte.
Im Gegenteil – unter Schmerzen stehend soll Mouhamed D. sich in Bewegung gesetzt haben. Daraufhin habe ein 26-jähriger Sicherungsbeamter sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole abgegeben. Den Jugendlichen trafen insgesamt vier Schüsse in Schulter, Unterarm, Kiefer und Bauch – er starb kurz später im Klinikum-Nord.
Der Polizeieinsatz sorgte bundesweit für Kritik und entfachte erneut alte Debatten zur Verhältnismäßigkeit von Poilzeieinsätzen, dem juristisch ordnungsgemäßen Einsatz von Maschinenpistolen in Notsituationen, dem Umgang mit psychisch belasteten Menschen in einer Notsituation und der Frage danach, wer die Polizei kontrolliert.
Neue Erkenntnisse zum tödlichen Polizeieinsatz verstärken anfängliche Zweifel
Am 1. September gab es eine erste Zwischenbilanz in dem laufenden Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft prüfe derzeit ob der Schütze des Totschlags verdächtig sei, heißt es im Bericht des Dortmunder Oberstaatsanwalts vom 31. August, ursprünglich wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt.
Zudem würde gegen vier weitere Beamt:innen ermittelt – die Einsatzleitung, die zwei Beamt:innen, die die Elektroimpulsgeräte („Taser“) genutzt haben sollen und die Beamtin, die Reizgas („Pfefferspray“) gegen den Jugendlichen eingesetzt habe. Alle Beschuldigten würden derzeit von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen, heißt es weiter.
Des Weiteren konnte die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen, dass der Getötete von den Zivilbeamt:innen dazu augefordert wurde, das Messer wegzulegen. Fest stehe mittlerweile auch, dass auf den mitgeführten Körperkameras (Bodycams) keine Aufzeichnungen festgestellt werden konnten – sie waren ausgeschaltet. Laut WDR gehe der ermittelnde Oberstaatsanwalt außerdem davon aus, der Einsatz sei unverhältnismäßig gewesen.
Stadtgespräch – Frage nach Vertrauensverlust in die Dortmunder Polizei
Einen Monat nach dem Polizeieinsatz lud der WDR zu einem Stadtgespräch in das Dortmunder Reinoldinum ein. In der Talkrunde diskutierten Polizeipräsident Gregor Lange, William Dountio, Veranstalter der Protestdemonstrationen, Fatma Karacakurtoglu, Vorsitzende des Flüchtlingshilfsvereins Train of Hope e.V. und Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg. Das Ziel: Polizei und Kritiker:innen ins Gepräch bringen. Moderiert wurde die Veranstaltung von der WDR-Journalistin Judith Schulte-Loh, Rike Ullrich leitete die Publikumsbeiträge.
Es müssen Maßnahmen getroffen werden, dass man das (racial profiling) erstmals nachhalten, Untersuchungen machen kann. Warum wird das seit zwanzig und dreißig – und noch viel länger – Jahren gefordert? Warum kann nach Oury Jalloh immer noch das Problem bestehen, dass Menschen Angst haben vor der Polizei? (Zuhörerin/ Person of Colour)
Polizeipräsident Lange äußerte zu Beginn, er habe Verständnis für eine Verunsicherung nach dem schrecklichen Polizeieinsatz. Die Frage danach, wie es dazu kommen konnte, habe auch er sich gestellt und er bestätigte, dass durch die jüngsten Ereignisse Vertrauen in bestimmten Teilen der Bevölkerung abhanden käme.
„Wir als Polizei müssen den Anspruch haben, in jedem Teil der Gesellschaft, in jeder Bevölkerungsgruppe, unabhängig davon welcher Nationalität, welcher Herkunft, welcher Hautfarbe oder welcher sonstigen persönlichen Merkmale gleichermaßen hohes Vertrauen zu haben“, so Lange.
Sie (PP Lange) haben gesagt, es wurden Konsequenzen gegen fünf Polizist:innen gezogen, die an dem Tattag am Tatort waren – aber was ist denn mit den anderen Polizist:innen. Was ist denn mit all den Polizist:innen, die racial profiling betreiben, wo viele Leute hier in Dortmund Angst vor haben und besonders mit denen in der Wache Nord, was ja schon vor dem 08.08. groß in der Kritik war? (…) Und dann müssen sie sich als Polizeibehörde auch nicht wundern, wenn alle Menschen hier im Raum, nicht nur die Menschen, die vielleicht einen Migrationshintergrund haben, kein Vertrauen mehr in die Polizei haben. (Zuhörer Julius aus Hörde)
Fatma Karacakurtoglu vom Dortmunder Flüchtlingshilfsverein Train of Hope e.V. berichtet, der Tod des jungen Senegalesen habe die Geflüchteten stark schockiert. Bei vielen herrsche bereits Angst vor der Polizei, aufgrund von Erfahrungen aus den Herkunftsländern und auf den Fluchtwegen, die durch „Racial Profiling“ und die besondere Aufmerksamkeit für die Nordstadt verstärkt würde.
Karacakurtoglu findet, der Umgang mit bestimmten Gruppen sei der Politik geschuldet, die die Polizei seit Jahren als Instrument benutze, um in eine Richtung, gegen Menschen, zu hetzen. Als Beispiele nennt sie umfangreiche, landes- oder bundesweite Razzien in Shishabars, mit dem Ergebnis von 22 Kilo unversteuertem Tabak. Sie ergänzt: „Da frage ich mich, was steckt eigentlich dahinter?“
In Bezug auf die Nordstadt äußert die Vorsitzende von Train Of Hope, man habe Drogendealer von anderen Orten in die Nordstadt gedrängt, man habe Prostitution in die Nordstadt gedrängt, man dränge Obdachlosigkeit und Drogenmissbrauch in die Nordstadt. Und am Ende würde dann gesagt, in der Nordstadt läge das Problem.
Ich bin schwarz, ich bin eine Frau, ich bin von Rassismus betroffen und, Herr Lange, Sie haben heute einen harten Abend, das sehe ich und fühle mit ihnen, aber ich könnte ihnen jetzt den Rest des Abends erzählen, wie häufig in meinem Leben ich schon Polizeikontakte hatte, weil ich schwarz bin. (…) Ich unterstelle den nordstädtischen Polizisten nicht, dass sie Rassisten sind und an dem Morgen mit Dienstantritt beschlossen haben, sie töten heute ein schwarzes Kind (…) Fakt ist aber, dass racial profiling an diesem Nachmittag handlungsführend war. (Zuhörerin/ Person of Colour)
William Dountio, Veranstalter der Gegenproteste und selbst eine Person of Colour (PoC), wies darauf hin, dass es sich um ein Problem handele, dass nicht erst am 8. August 2022 begonnen habe. Es handele sich viel mehr um einen alltäglichen Horror, einen ständigen Angstzustand. Menschen aus der Dortmunder Community der „People of Colour“ würden sich nicht vor die Tür trauen – aus Angst vor grundlosen Kontrollen, Schikanen, verbalen und physischen Malträtierungen seitens der Polizei, berichtete Dountio.
Die Polizei Dortmund fordere öfter Vertrauen – William Dountio stellt die Gegenfrage: „Wann bekommen wir Vertrauen?“ Er ergänzt in Bezug auf das Thema Vertrauen, wo solle dieses herkommen, wenn in einem Einsatz elf Polizist:innen zugegen seien und niemand seine Bodycam anmache? (Anm.d.Red.: Es waren sogar zwölf Einsatzkräfte, davon vier in Zivil.)
Ich habe mir immer die Frage gestellt, Sie (Lange) haben von einer tollen Ausbildung gesprochen, wie sehr das alles läuft. Das mag alles sein, aber die Frage ist, wie können sich elf Polizisten durch ein einziges Messer in Gefahr befinden? Sie sagten, Sie sind ein guter Ausbilder, da frage ich: Haben sie keine schusssicheren Westen, haben sie keine Schutzschilder dabei? Das sind so einfache Maßnahmen. (Zuhörer Glenn, PoC)
Polizeiwissenschaftler Rafael Behr erkennt typische Strukturen für die gegebene Einsatzlage. Zum Einen weiche die Erstmeldung der Polizei erheblich von dem ab, was sich dann später sukzessive herausstellte. Die ersten Meldungen, wonach die Polizist:innen aus Notwehr gehandelt hätten, haben sich jetzt weiter ausdifferenziert. Nach wie vor sei es jedoch so, dass ein Messer juristisch den absoluten Grund darstelle, alle möglichen Notwehrmaßnahmen zu ergreifen.
Er erkenne in solchen Fällen jedoch Regelmäßigkeiten, so stünde immer die Gefahr für die Beamt:innen im Vordergrund und die Legitimationsmuster gingen immer danach, dass die Polizist:innen in Lebensgefahr gewesen seien. Wobei sich im Nachhinein im Fall von Mouhamed D. herausgestellt habe, dass er im Gebüsch gesessen habe, das Messer vor sich hielt und erst aufgesprungen sei, nachdem er von dem Pfefferspray der Beamtin getroffen wurde.
Ich bin schockiert, was ich hier höre, auch von Herrn Behr. Wenn es ausreicht ein Messer zu tragen, damit man mit einer Maschinenpistole angegriffen werden kann – das hätte ich nicht gedacht auf der Fahrt hier her. Wir leben doch nicht in Chicago, sondern in Nordrhein-Westfalen! Und ich bin ein alter, weißer Mann, aber selbst ich habe Angst davor. (Zuhörer Joseph Rick, Hauseigentümer von Immobilien in der Nordstadt)
Reaktionen auf Publikumsberichte von „Racial profiling“ und Polizeigewalt
Der Vorwurf von racial profiling und rassistischer Polizeigewalt fand sich in fast allen Beiträgen des sehr diversen und teils stark emotional betroffenen Publikums. Eine Person-of-Colour-Lehrerin äußerte in Bezug auf „Racial Profiling“, dass sie verstehe, dass Messer Polizist:innen enorm triggerten. Messer als Waffe bringe man jedoch mit schwarzen und, mit arabisch gelesenen Männern in Verbindung. Und aufgrund von diesem strukturellen Problem sei einem von Langes Polizisten „die Sicherung durchgebrannt“ und er habe Mouhamed D. erschossen.
Polizeipräsident Gregor Lange äußerte in der Debatte in Bezug auf die ihm entgegengebrachte Kritik an der Dortmunder Polizei: „Ich bin ja oft unterwegs und an vielen Stellen und ich erlebe an anderen Stellen eine sehr andere und unterschiedliche Rückäußerung – auch vom Publikum, das ich habe.“
„Also das, was ich hier heute Abend entgegengebracht bekomme, ist, glaube ich, nicht das, was die Menschen in Dortmund tatsächlich über die Dortmunder Polizei denken.“ Die Teilnehmenden beim Stadtgespräch „hier haben schon eine besondere Auffassung“. Moderatorin Schulte-Loh wies umgehend darauf hin, dass es wichtig sei, sich gegenseitig ernst zu nehmen. Dazu gehöre auch, das Gesagte der Publikumsbeiträge aufzunehmen.
Auch Manfred Kossack, ehrenamtlicher Beauftragter des Oberbürgermeisters für Vielfalt und Demokratie, meldete sich aus dem Publikum zu Wort: „Unsere Gesellschaft hat dreißig Prozent, die an der Stelle eine im Grunde tendenziell rechte Auffassung haben. Und sie sind in allen Behörden, sie sind in allen Unternehmen und sie gibt es auch bei der Polizei. Wichtig ist, dass wir was dagegen tun.“
Nicht alle Bevölkerungsgruppen erleben die Polizei „als Freund und Helfer“
Polizeiwissenschaftler Behr ergänzte, neben Rassismus gebe es auch die oft vergessene Diskriminierung von Menschen bestimmter sozialer Schichten. Die zuvor genannten bestimmten Bevölkerungsgruppen, die die Polizei sehr hoch schätzten und die selbst nicht im Fokus der Polizei stünden und nur selten kontrolliert würden, beschreibt Behr als „weiß, um die vierzig, mittelschichtig und fahren Volvos.“
In der Nordstadt gibt es eine Migrationsquote von etwa siebzig Prozent – und für Teile dieser Menschen gehört Rassismus zum Alltag – auch von Seiten der Dortmunder Polizei. „Es gibt Milieus, ja ganze Stadtteile, die von der Polizei stärker bedacht werden, weil dort Vermutungen angestellt werden über abweichendes Verhalten und Kriminalität“, so Behr.
Um den Anteil von Betroffenen definieren zu können, wäre es doch sinnvoll – auch als Handhabe für Polizist:innen in kontroversen Diskussionen – die seit Jahren geforderte bundesweite Studie zu Rassismus in der Polizei – zu genehmigen. Diese würden jedoch die „Rassismusaufklärungsverhinderungsstrukturen“, wie Personalräte und Gewerkschaften, verhindern, erklärte Behr.
Wahrscheinlicher erscheint also, dass wir uns in endlosen, subjektiv geführten Debatten, bestimmt von persönlichen Erfahrungsberichten verlieren.
„Talk with a cop“ soll beidseitigen Austausch im Dortmunder Norden ermöglichen
„Ich bin bereit über Fehler, die Polizeibeamte machen, zu reden. Und natürlich machen Polizeibeamte Fehler. Und wenn sie Fehler machen, die vorwerfbar sind, dann müssen sie sich dafür auch verantworten“, sagte Lange im Gespräch.
William Dountio kritisierte die Aussage scharf: „Sie sagen sie sind bereit über Fehler zu reden. Fehler. Es tut mir leid, ein Fehler ist es, wenn ich einen Satz ohne Komma und Punkt schreibe. (…) Wir reden hier über Mouhamed. Wir vergessen aber, dass es hunderte Mouhameds, tausende sogar vielleicht seit Jahren in Dortmund gibt. (…) Wir reden hier über einen Einsatz wo elf – ihrer Meinung nach gut ausgebildete – Polizist:innen vor Ort waren und kein einziger von diesen Polizisten und Polizistinnen den Mut, die Ruhe, die Qualitäten und die soziale Kompetenzen hatte, diese junge Person ruhig zu stellen.“
Polizeipräsident Lange verwies in der Talkrunde immer wieder auf Weiterbildungen, Veranstaltungen und Konzepte zum Thema Vielfalt. Er habe mit der afrikanischen Community Kontakt aufgenommen und er sei gerade dabei einige Kontakte aufzubauen, um einen Austausch zu ermöglichen, der beidseitig den Menschen dahinter sehen lassen soll. Er wolle erreichen, dass sich Menschen aus den Communities und Polizeibeamt:innen außerhalb von Polizeieinsätzen begegnen können. Das Konzept „talk with a cop“, das laut Lange großen Anklang finde, soll weiterhin im Dortmunder Norden stattfinden.
Hier sitzt die falsche Person. Der Polizeipräsident, der tut mir ja fast leid. Da müsste der Innenminister sitzen. Dieser Mensch, der Gerichtsurteile missachtet – Stichwort Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Dieser Mann, der sowieso sein Vertrauen verspielt hat, der sollte hier sitzen und seine Hetzkampagnen gegen Menschen, die vermeintlich kriminell sind, der sollte sich mal hier verteidigen. Diese ganze Wut, die er aufgebaut hat, hat auch dazu beigetragen, dass wir diese – ich nenn es jetzt mal – Polizeigewalt haben. (Zuhörer Joseph Rick, Hauseigentümer von Immobilien in der Nordstadt)
Auch Manfred Kossack, Beauftragter für Demokratie und Vielfalt, ist ein Dialog wichtig: „Wir machen als Stadt und als Polizei das Angebot ins Gespräch zu kommen, weil ich habe viel mitgenommen, wo ich sage, da muss man noch tiefer rein. Ich danke für die vielen Wortmeldungen und wir müssen daraus eine Lernkurve ziehen und die Dinge künftig besser machen.“
Prävention: Forderungen nach innovativen Konzepten für Polizist:innen
„Wird es nicht in unserer diversen Gesellschaft jetzt Zeit, sich von Racial Profiling als Handlungsmuster zu verabschieden, Herr Lange“, fragte eine Stimme aus dem Publikum. Immer wieder wurden Forderungen nach intensiven, verpflichtenden Fortbildungen für Polizist:innen laut. Dass Verbesserungsbedarf bei den polizeilichen Schulungen besteht, vor allem im Bereich „Racial Profiling“ und dem Umgang mit psychisch belasteten und möglicherweise sogar suizidalen Menschen, schien für das Publikum festzustehen.
Also ganz im Ernst Herr Lange, dass kann doch nicht sein. Wir leben in einer Großstadt mit 600.000 Einwohner:innen. Es ist mit Sicherheit nicht selten der Fall, dass Leute suizidale Gedanken haben, dass Leute mit einem Messer bewaffnet sind. (…) Die (ausgebildeten Polizist:innen) müssen doch wohl in der Lage sein, einen 16-Jährigen suizidalen Menschen richtig zu behandeln. Also ich habe da leider kein Verständnis mehr für. (Zuhörer Julius aus Hörde)
Polizeiwissenschaftler Rafael Behr ist überzeugt davon, dass es keine Strukturen in der Polizei gebe, die Rassismus direkt anordneten. Aber es gebe Strukturen, die Rassismusaufklärung strukturell verhinderten. Diskriminierend verhalten könnten sich Polizist:innen zudem auch, ohne rassistisch zu sein. Als Beispiel nannte er das Asylverfahrensgesetz, das bestimmte Personengruppen ins Visier der Polizei rückte, die dadurch häufiger kontrolliert würden und das sei genau so diskriminierend wie ethnische Diskriminierung.
Er kritisierte zudem den polizeilichen Umgang mit Messern. Leider sei die einzige Antwort auf ein gezücktes Messer eine Schussabgabe, Alternativen würden den Polizist:innen derzeit nicht vermittelt. Dabei könne man auch mit Distanzstangen arbeiten, um das Gegenüber und die Waffe fern zu halten oder die Waffe aus der Hand zu schlagen.
Abschließend forderte Polizeiwissenschaftler Rafael Behr von dem Dortmunder Polizeipräsidenten Gregor Lange: „Herr Lange, Ssie sind in der Position, in ihren Kreisen im Land dafür zu sorgen, dass endlich mehr Sorgfalt darüber herrscht oder mehr Training stattfindet im Umgang mit Messervorfällen. Denn Sie haben dafür gesorgt, nicht Sie persönlich, aber Sie alle haben dafür gesorgt, dass Ihre Polizisten in Terror und in Amok ausgerüstet werden. Deswegen haben die zwei Maschinenpistolen an Bord.“ Nur so könnten Polizist:innen lernen, mit nicht tödlichen Mitteln auf Angriffe zu antworten.
Die vollständige Diskussion zum Nachhören gibt es unter WDR5-Stadtgespräch
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Hitzige Debatte zum Fall Mouhamed L. Dramé im Integrationsrat: Polizeipräsident soll vorstellig werden – Kritik am Vorsitzenden des Integrationsrats (PM)
In der letzten Sitzung des Integrationsrats am 6.9.22 gab es auf Wortmeldung von Mariama Saran Sow (Bündnis der Vielfalt) heftige Kritik am Vorsitzenden des Integrationsrats, Leonid Chraga, und dem Vorstand des Integrationsrats. Bis heute habe sich der Integrationsratvorstand nicht öffentlich zum Fall Mouhamed Dramé geäußert oder Anteilnahme geäußert.
Weiter: Der Vorsitzende des Integrationsrats habe sich in einer Diskussion auf Facebook die Kritik an der Polizei verwehrt und sich an fragwürdigen Debatten um den Schusswaffengebrauch beteiligt.
Die Kritik wurde während der Sitzung durch Integrationsratsmitglieder der LINKEN+, von Train of Hope und der GRÜNEN unterstützt. Die Debatte wurde mehr als eine Stunde lang ergebnislos geführt.
Polizeipräsident soll nun im Integrationsrat vorstellig werden
Auf mündlichen Antrag von Jacques Armel Dsicheu Djiné, Grünes Ratsmitglied im Integrationsrat, soll nun der Polizeipräsident Lange in die nächste Sitzung des Integrationsrats vorstellig werden. Der Integrationsrat nahm den Antrag mit Mehrheit an und will den Tagesordnungspunkt zum Vorfall auf die nächste Sitzung am 09.11.22 nehmen.
Djiné: „Die letzten Wochen haben gezeigt, dass das Vertrauen zwischen Communitys und Polizei nicht erst seit dem tödlichen Polizeieinsatz brüchig ist. Der Integrationsrat hat mit der Einladung des Polizeipräsidenten seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, beteiligt zu werden. Er ist letztlich die gewählte Interessensvertretung aller Dortmunder*innen, mit Migrationshintergrund und sollte es Ziel sein, einen direkten Austausch zwischen Polizei und Integrationsrat herzustellen.“
Solidaritätsfest für Mouhamed Lamine Dramé am Samstag, den 24.September 22 um 16 Uhr, Kurt Piehl Platz Dortmund (PM)
Der „Freundeskreis Mouhamed“ hat die Initiative für ein Solidaritätsfest am 24.9.22 auf dem Heinrich- Piehl Platz in der Dortmunder Nordstadt ergriffen. Eine Vorbereitungsgruppe mit weiteren Teilnehmern wurde dazu aktiv (anbei Werbeplakat).
Vielfach wurde in den Medien darüber berichtet, dass Mouhamed am 8.August durch Polizeikugeln tödlich getroffen wurde. Das Solidaritätsfest soll den Spendenaufruf des „Freundeskreis Mouhamad“ unterstützen. Ziel ist es, eine Klage gegen die Verantwortlichen bei der Polizei zu finanzieren.
Außerdem soll die Dorfentwicklung in Mouhameds Geburtsort Ndiaffate im Senegal, wo die Familie lebt, unterstützt werden. Das Dorf ist sehr arm. Von dort aus machte er sich mit großen Hoffnungen auf den Weg nach Deutschland, um eine besseres Leben zu finden. Die Spendensammlung soll einen kleinen Beitrag zur Erfüllung seines Traums leisten!
Das Fest beginnt um 16 Uhr und endet um 22 Uhr.
Die Band Gehörwäsche aus Köln und weitere Live-Bands bzw. Musiker werden spielen. Es gibt Angebote für Kinder und internationales Essen. Wer etwas beitragen möchte – Kultur, Musik, Essen – meldet sich bitte unter solifestmouhamed@gmx.de
Kontaktadresse des „Freundeskreis Mouhamed“:
Franz Stockert, Oesterholzstr 26, 44145 Dortmund, frastock@arcor.de
TÖDLICHE SCHÜSSE IN DORTMUND: WIE VIEL VERTRAUEN HABEN WIR IN DIE POLIZEI? (PM WDR)
DO, 23. März, 20.04–21.00 Uhr Reinoldinum Schwanenwall 34 44135 Dortmund
Einlass: ab 19.15 Uhr Eintritt frei
Live im Radio
Fünf Polizistinnen und Polizisten hat die Staatsanwaltschaft nach dem Tod von Mouhamed Dramé wegen verschiedener Delikte angeklagt – unter anderem wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Die Angeklagten waren an dem Einsatz in der Dortmunder Nordstadt beteiligt, bei dem der 16-Jährige im August 2022 getötet wurde. Mouhamed Dramés Tod wirft viele Fragen auf und hat das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Polizei und Bewohnern der Nordstadt verschärft.
Die Vorgehensweise der Polizei sei diskriminierend und gewaltsam, sagen einige Bewohner der Nordstadt. Auf der anderen Seite berichtet die Gewerkschaft der Polizei von zunehmenden Anfeindungen gegen Polizistinnen und Polizisten.
Woher kommt das Misstrauen gegen die Polizei? Und wie sieht der Alltag für Polizistinnen und Polizisten in der Nordstadt aus? Wie kann verloren gegangenes Vertrauen wieder hergestellt werden?
DARÜBER MÖCHTEN WIR MIT IHNEN UND FOLGENDEN GÄSTEN DISKUTIEREN:
WILLIAM DOUNTIO, ORGANISATOR DER DEMOS IN DER DORTMUNDER NORDSTADT
LISA GRÜTER, ANWÄLTIN DER FAMILIE VON MOUHAMED DRAMÉ TORSTEN SEILER, VORSITZENDER DER GEWERKSCHAFT DER POLIZEI DORTMUND
PROF. DR. TOBIAS SINGELNSTEIN, PROFESSOR FÜR KRIMINOLOGIE UND STRAFRECHT AN DER GOETHE-UNIVERSITÄT FRANKFURT
MODERATION: MATTHIAS BONGARD UND RIKE ULLRICH
„Ihre Polizei vor Ort – Wir in der Nordstadt!“ (PM)
Was anfänglich unter dem Namen „Talk with a Cop“ begann, setzt die Polizei Dortmund nun unter dem Motto „Ihre Polizei vor Ort – Wir in der Nordstadt!“ fort und reagiert damit auch auf Hinweise aus der Dortmunder Stadtgesellschaft. Unter diesem Motto ist der Bezirksdienst Nord der Polizeiinspektion 2 nun auch weiterhin einmal in der Woche an wechselnden Örtlichkeiten unterwegs, um mit den Bürgerinnen und Bürgern in der Nordstadt ins Gespräch zu kommen. Am Donnerstag, den 23.03.2023, haben Interessierte in der Zeit von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr die Möglichkeit, mit den Mitarbeitenden des Bezirksdiensts von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr am Nordmarkt (Mallinckrodtstraße) über ihre Sorgen, Ängste und Nöte oder einfach nur über alltägliche Dinge ins Gespräch zu kommen. Die Polizei Dortmund freut sich auf viele interessante Gespräche.
Wolfgang Richter
Vor kurzem habe ich an dieser Stelle zur ideologischen Verfassung der hiesigen Polizei und ihrer gewaltförmigen Einstellung bei Rudel-Einsätzen gegen ‚Andere‘ geschrieben und Fragen gestellt. Am Skandal haben die wenig problembewusst inszenierten Pressemitteilungen, Talks usw. nichts geändert . Welche Fragen wird das Gericht wem stellen, welche Zeugen wird es vorladen, welche Urteile gegen wen wird es aussprechen? Wann und ob überhaupt.
Wolfgang Richter
Reaktion vom 17. Februar 2023
Dem Staatsanwalt ist für seinen Mut zu danken, den sinnlosen Tod des Jungen aus dem Senegal und daran beteiligte Polizei vor Gericht zu stellen. Es ist aber zu fürchten, dass der Versuch, polizeiliches Versagen zu be- und verurteilen, zu kurz greift und “Bewährungen” und “Freisprüche” produzieren wird.
Der Totschlag war eine Tat im Rudel – eine ganze Polizeiwache war engagiert und kollektiv beteiligt. Ein Einsatzleiter hat befohlen – ist ihm niemand ins Wort gefallen? Zwei Polizistinnen haben Nahkampfinstrumente eingesetzt – hat keiner ihrer Kameraden Halt gerufen? Ein Waffenträger hat geschossen – hat ihm niemand die Waffe aus der Hand gedreht?
Ein halbes Jahr wurde recherchiert, wer im Rudel mehr und wer weniger beteiligt war. Das ist gut. Aber anzuklagen ist vor allem auch die Rudelbildung selbst und ihre gedankliche und ideologische Verfassung. Polizeipräsidenten und Justizminister tragen Verantwortung, der sie nicht gewachsen sind.
Ihre Polizei vor Ort – Wir in der Nordstadt: Polizei lädt zum Begegnungsfest ein (PM)
Es soll vor allem um das Miteinander gehen: um Gespräche, Begegnungen, gegenseitiges Kennenlernen. Unter dem Motto „Ihre Polizei vor Ort – Wir in der Nordstadt“ lädt die Dortmunder Polizei am Sonntag, 14. Mai, zu einem Begegnungsfest ein. Dies wird von 11 bis 17 Uhr auf dem Freiherr-vom-Stein-Platz gegenüber der Polizeiwache Nord stattfinden.
Im Vordergrund soll der Dialog mit den Anwohnerinnen und Anwohnern der Nordstadt stehen. Dafür werden vor Ort Mitarbeitende aus verschiedenen Dienststellen der Polizei über ihre Arbeit informieren und vor allem ein offenes Ohr haben für Anregungen, Fragen und Sorgen der Besucherinnen und Besucher. So werden sich Beamtinnen und Beamte der Polizeiwache Nord an dem Fest beteiligen ebenso wie Experten aus dem Bereich Verkehrsunfall- und Kriminalitätsprävention. Es wird die Gelegenheit geben, einen Streifenwagen sowie ein Polizei-Motorrad zu besichtigen und auch einmal in Teile der polizeilichen Uniform zu schlüpfen. Natürlich werden auch die kleinen Besucher nicht zu kurz kommen.
Polizeipräsident Gregor Lange freut sich auf das Begegnungsfest: „Wir sind als Polizei bereits in einen intensiven Dialog mit der Zivilgesellschaft getreten, haben Kontakt zu vielen Organisationen in der Nordstadt aufgenommen. Genauso wichtig wie der Dialog mit den hier ansässigen Organisationen ist uns aber auch der mit den Anwohnerinnen und Anwohnern. Bürgerorientierung und damit auch Bürgernähe sind eine wichtige Voraussetzung für ein starkes Vertrauen in die Polizei. Deshalb hoffe ich auf viele Besucherinnen und Besucher an diesem Tag.“