Der Handlungsdruck ist augenfällig: Eine Zunahme des Zuzugs von Kindern aus Bulgarien und Rumänien um 120 Prozent verzeichnet die Stadt Dortmund: 2120 Kinder seien aktuell in Vorbereitungsklassen – 1600 davon wohnen in der Nordstadt, verdeutlichte Stadträtin Waltraud Bonekamp den Handlungsbedarf.
Bundesweit beachtete Fachtagung mit 300 Teilnehmern
Die Zuwanderung von Armutsflüchtlingen aus Südosteuropa stellt daher die Stadt Dortmund vor zusätzliche Herausforderungen. Die Probleme sind vielfältig.
Vor allem um das Wohl der zugewanderten Kinder drehte sich am Freitag alles bei einer Fachtagung, zu der die Fachhochschule und die Stadt Dortmund eingeladen hatten.
300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet diskutierten an der Fachhochschule Dortmund vor allem die Umsetzung des Kinderschutzauftrages.
Prekäre Lebens-, Einkommens- und Bildungssituation
„Dortmund hat viele gute Erfahrungen mit der Zuwanderung und der Integration gemacht. Doch jetzt stehen wir vor einer neuen und größeren Hürde“, verdeutlichte die für Schule und Bildung zuständige Dezernentin. Die meisten der zugewanderten Familien lebten in prekären Lebensstrukturen und Wohnverhältnissen.
Die Einkommens- und Erwerbssituation der Eltern seid ebenso prekär. Zudem seien viele der Eltern nicht vorgebildet, was die Probleme der Kinder verschärfe: „Wir müssen immer häufiger Kinder in Obhut nehmen“, berichtet Bonekamp.
Neuzuwanderer stellen Kommunen vor unerwartete Probleme
Die innereuropäische Armutszuwanderung stellt die Kommunen – insbesondere das Jugendhilfe-, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen – vor große Herausforderungen. Den verschiedenen Problemlagen begegnet die Stadt Dortmund mit unterschiedlichen Maßnahmen, bei denen sie auch mit der Fachhochschule Dortmund zusammenarbeitet. Hier startet im Herbst der bundesweit einzigartige duale Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit, Schwerpunkt Armut und (Flüchtlings-)Migration.
Kinderschutz steht im Mittelpunkt
Das Thema Kinderschutz speziell in diesem Bereich stand erstmals im Mittelpunkt eines solchen Dialogs zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis, bei dem sozialpolitische Bedarfe ermittelt und Handlungsstrategien entwickelt werden sollen.
Dabei wurde eins deutlich: Dortmund weist viele gute Projekte und Ansätze auf. Das bescheinigten Praktiker und Wissenschaftler quer durch die Republik. Sie lobten die vielfältigen und teils innovativen Modelle wie das der Kinderstuben – die neuen Stuben sind Kindern aus Rumänien und Bulagrien vorbehalten – oder den Einsatz von Sprach- und Kulturmittlerinnen in der Nordstadt.
Allerdings hapert es massiv am Geld: „Die Anforderungen an Bund und Land sind massiv“, so Bonekamp. „Metropolen wie Dortmund sind nicht mit den Menschen, aber mit der Armut überfordert“, formulierte die Stadträtin einen Hilferuf an die übergeordneten Ebenen. Vor allem, weil die Neuzuwanderer in Stadtteile kämen, wo ohnehin schon ein großer Anteil von Menschen lebe, der selbst Unterstützungsbedarf habe.
Prävention statt Repression bringt langfristigen Erfolg
Prof. Dr. Sabine Jungk von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin machte dabei deutlich, dass sowohl repressive als auch präventive Fragestellungen beim Kinderschutz eine Rolle spielten. „Aber langfristig bringt nur Prävention mittel- und langfristig eine nachhaltige Lösung“, betonte die Expertin. „Wir wissen viel zu wenig über die Gruppen.
Häufig gibt es nur Vermutungen.“ Allerdings seien diese häufig von Stereotypen und Vorurteilen geprägt: „Daher muss die Lebensweltorientierung stärker in den Vordergrund. Ich plädiere für eine größtmögliche Beteiligung der Menschen, sonst passen die Angebote nicht“, warnte Jungk.
Lob von Forschern: „In Dortmund gibt es viele gute Beispiele.“
Lob für die Fachtagung und die Arbeit in der Stadt Dortmund gab es von Heinz Müller vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V.: „In Dortmund gibt es viele gute Beispiele.“
Er kritisierte, dass bundesweit zu lange Flucht, Vertreibung und Zuwanderung unter dem Blickwinkel des Abschottens diskutiert worden seien. Daher gebe es kaum Gestaltungsstrategien. Doch die seien nötig: „Egal wie hoch die Mauern sind – die Menschen werden kommen“, betonte der Mainzer Forscher.
Gesamtstädtisches Handlungskonzept – aber chronischer Geldmangel
Die Experten lobten das gesamtstädtische Handlungskonzept in Dortmund. Allerdings – und das machte Bonekamp auch deutlich – müsse es auf Landes- und Bundesebene ein Umdenken geben. Sie kritisierte die „Projektitis“: Geld sei in der Regel nur für dreijährige Modellvorhaben da. „Wir brauchen aber dauerhafte Strukturen“, forderte die Stadträtin. Die Probleme seien nach drei Jahren nicht gelöst und die Menschen ja nicht verschwunden.
Dafür brauche es deutlich mehr Geld, ergänzte Bonekamps Mitarbeiterin Birgit Averbeck. Vor allem für die Bildung: „Wir brauchen kostenlose Kita-Plätze. Die Städte sind dazu aber nicht alleine in der Lage.“
Neuer Studiengang mit Schwerpunkt Armut und (Flüchtlings-)Migration
Einer der neuen innovativen Ansätze ist das neue duale Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Armut und (Flüchtlings-)Migration an der FH Dortmund. Er wird bundesweit beachtet, weil die 35 Studierenden – 30 davon selbst mit Migrationshintergrund – eine halbe Stelle in sozialen Einrichtungen haben und parallel dazu ihr Fachstudium absolvieren, verdeutlichte Dr. Esther Klees (FH Dortmund) – sie war auch eine der Hauptorganisatorinnen der Fachtagung.
Viele Dortmunder Träger stellten ihre Praxisbeispiele vor
In den Workshops werden bedeutsame Unterschiede mit der angemessenen Sensibilität und Best-Practice-Beispiele gerade auch aus Dortmund in den Blick genommen. Mit dabei waren Vertreter u.a. folgender Einrichtungen: Polizeipräsidium Dortmund, Dortmunder Mitternachtsmission, FABIDO, Diakonisches Werk Dortmund, Trägerübergreifende Koordinierungsstelle Schulsozialarbeit Stadt Dortmund, Nordmarktschule Dortmund, Oesterholz-Grundschule, Arbeiterwohlfahrt Dortmund, Westfälisches Kinderzentrum Dortmund und die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin.
Mehr zum Thema Roma auf nordstadtblogger.de:
- Armutszuwanderung: Lob für Dortmunder Integrationsansätze und Kritik an Finanzierung – „Projektitis“ statt Nachhaltigkeit
- Werbung in eigener Sache: Nordstadtblogger auf Zeit-Online
- Erstmals Roma-Kulturfestival in der Nordstadt: „Djelem Djelem” will die kulturelle Vielfalt zeigen
- Entwicklungshilfe in Dortmund: Kleine Schritte auf dem Weg in ein menschenwürdiges Leben für Roma in der Nordstadt
- Bundeskabinett will sich mit Folgen der Zuwanderung aus Südosteuropa für die Kommunen beschäftigen
- Neuzuwandererverein präsentiert viersprachigen Informationsflyer über seine Vereinsarbeit
- Botschafter der Erinnerung in Auschwitz: Bewegende Spurensuche zum Leben und Sterben der Sinti und Roma
- Fachkräfte-Exkursion nach Rumänien: Wie leben die Roma?
- Neues Projekt des Jugendrings: Filmische Forderung nach Chancengleichheit – Dreharbeiten auf NS-Ordensburg
- „Willkommen Europa“ : Wohlfahrtsverbände eröffnen Anlaufstelle für Zuwanderer aus Europa in der Nordstadt
- „SchlauDabei“: Neues Projekt des Diakonischen Werkes für osteuropäische Zuwandererkinder
- „Wir sind als Europäer hier“ – Zuwanderer aus Südosteuropa gründen Verein
- Alltag von Roma in der Nordstadt: IRON bietet Hilfe für ein selbstbestimmtes Leben in Würde
- “Baxtale Romnia” zeigt erfolgreiche Roma-Frauen aus Europa – Studentinnen präsentieren ihr fotografisches Kochbuch
- Planerladen e.V. stellt neue Broschüre vor: „Roma – Entrechtet, verfolgt, diskriminiert – Faktencheck“
- „Ungesehen“: Podiumsdiskussion und Ausstellung gibt Einblicke hinter die Vorurteile über Roma in der Nordstadt
- Armutszuwanderung aus Südosteuropa: Die Stadt Dortmund startet ein millionenschweres Integrationsprojekt
- Dzhäke, Ömer und Kevin sind Kumpel geworden – Integrationsprojekt im Jugendtreff Stollenpark
- Die Probleme der Zuwanderung und der neue Antiziganismus überfordern auch die deutschen Sinti- und Roma-Vereine
- Podiumsdiskussion: Alltagsdiskriminierung von Sinti und Roma – wie dem begegnen?
- 16 Städte fordern gemeinsam vom Bund Soforthilfe für die Probleme der Zuwanderung aus Südosteuropa
- Lohndumping in Dortmund: „Wer sich wehrt, der fliegt raus“
- Internationale Zusammenarbeit: Bulgarische Polizisten mit deutschen Beamten auf Streife in der Nordstadt
- Der alltägliche Kampf gegen Diskriminierung von Roma in der Nordstadt: Planerladen geht mit „IRON“ neue Wege
- Großes Interesse an „Arme Roma – Böse Zigeuner: Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt“
- Planerladen: „Schluss mit der Sündenbockpolitik!“
- Ein musikalisch-literarisches Zigeuner-Märchen nach Maxim Gorki feiert Premiere: „Makar Tschudra” im Depot
- Zweite Fachkräfteexkursion nach Rumänien: Ursachen der Armut von Mitgliedern der Roma-Community im Mittelpunkt
Reader Comments
Miro
Die Plätze (35) der ersten Kohorte konnten vollständig vergeben werden. Der Duale Studiengang ist inzwischen sehr begehrt. Aufgrund hoher Anfragen von Trägern und Studieninteressierten, bietet die FH Dortmund eine Infoveranstaltung am 17.04.15 um 14h an. Nähere Infos auf der Seite der Fachhochschule: http://www.fh-dortmund.de/de/studint/weg/StudAngeb/fb8_armut_dual_BA.php