Armut in Dortmund: Menschlichkeit, Respekt und ein offenes Ohr sind die Basis für den Umgang mit Obdachlosen

Vorm Dortmunder Rathaus machten diverse Hilfsorganisationen auf die Situation von obdachlosen Menschen in Dortmund aufmerksam und formulierten ihre Forderungen an Stadtverwaltung und Politik. Foto: Stephan Schuetze

Von Claus Stille

Am Donnerstagnachmittag kamen anlässlich des UNO-Welttags zur Beseitigung großer Armut VertreterInnen von Dortmunder Hilfseinrichtungen an den Rathaustreppen zusammen. Vertreten waren das Gast-Haus, die Kana Suppenküche, die Suppenküche Wichern und der Verein bodo e.V. Sie beteiligten sich gemeinsam an der Kundgebung vorm Dortmunder Rathaus, um auf die Situation der Wohnungslosen in Dortmund aufmerksam zu machen. 

Alexandra Gehrhardt (bodo) zur aktuellen Lage von Wohnungslosen in Dortmund

Alexandra Gehrhardt vom bodo e.V. und Moderator Bernd Büscher. Foto: Claus Stille

Dortmund zählt aktuell rund 1.400 Wohnungslose: Menschen, die keine eigene Wohnung haben, weil es keine bezahlbare Wohnung für sie gibt. Dazu kommen noch einige hundert Menschen, die ohne Obdach komplett auf der Straße leben. Die Stadt will die Wohnungslosenhilfe zwar weiter ausbauen, doch noch immer ist manches Zukunftsmusik. Zum Beispiel fehlen neue Unterkünfte.

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Mit dem Nahen der kalten Jahreszeit stehen viele Menschen ohne eine Wohnung auch in diesem Jahr wieder vor der Frage: Wohin im Winter? Alexandra Gehrhardt von bodo e.V. informierte die vorm Rathaus versammelten Menschen über die aktuelle Lage. Demnach gibt es derzeit in Dortmund  1.400 Wohnungslose (die im Hilfesystem überhaupt ankommen), welche sich auf dem Markt keine Wohnung besorgen können.

Alexandra Gehrhardt beklagte einen starken Anstieg der Wohnungslosen. Noch vor zwei Jahren seien es weniger als die Hälfte gewesen. Zum einen läge das an der Statistik, weil seit diesem Jahr auch geflüchtete Menschen in diese einflössen. Welche nach ihrer Anerkennung eigentlich eine Wohnung haben müssten, sich aber am Wohnungsmarkt nicht versorgen können. Vor zwei Jahren seien das schon fast tausend gewesen. Nichtsdestotrotz müsse festgestellt werden, dass die Gesamtzahl der Wohnungslosen auch ohne die Flüchtlinge anwachse. 

Besorgniserregende Entwicklung: Verdoppelung der Obdachlosenzahlen in zwei Jahren

Notschlafstelle für Männer in der Unionstraße, die im Januar 2019 den Betrieb aufgenommen hat. Foto: Alex Völkel

Im Jahr 2018, so Gerhardt, habe die Stadt ein Konzept über eine Weiterentwicklung der Wohnungslosenhilfe beschlossen. Demnach solle es mehr und auch neue Unterkunftsplätze geben und eine bessere Begleitung von wohnungslosen Menschen erfolgen.

Lange Zeit sei ein Kritikpunkt die veraltete Männerübernachtungsstelle mit viel zu wenig Übernachtungsplätzen (sechs bis acht Männer in einem Zimmer) gewesen.Seit Anfang des Jahres gibt es nun ein neues etwas komfortableres Gebäude. Die Frauenübernachtungsstelle sei über viele Jahre hinweg „aus allen Nähten“ geplatzt. Sie soll nun im kommenden Jahr an einen neuen Standort nach Hörde umziehen und ebenfalls einige zusätzlich Plätze bekommen.

Ändern solle sich auch etwas am System der Wohnungslosenhilfe. Ziel der Stadt sei es, die Menschen, die früher zum Teil Monate in den Notunterkünften verbracht hätten, in einer recht kurzen Zeit in Wohnungen zu überführen. Die Stadt habe einen großen Pool an Notwohnungen – ungefähr 700 an der Zahl – über die sie verfügen könne. Allerdings, schränkte Alexandra Gerhrhardt ein, sei vieles davon eben „noch Zukunftsmusik“.

Die Angebote sollten sich an den Bedürfnissen der Obdachlosen orientieren

Armut in Dortmund
Armut, , Wohnungsloser macht Quartier auf einer Bank vor dem DOC, Katharinenstraße. Foto: Klaus Hartmann

Die neue Frauenübernachtungsstelle werde erst nächstes Jahr fertiggestellt sein. Die zwei geplanten Übernachtungsstellen, einmal für suchterkrankte Menschen und einmal für junge Erwachsene gebe es auch noch nicht. Die für Suchterkrankte soll erst 2020 fertig sein. Wie es mit der für junge Erwachsene aussehe, sei überhaupt noch nicht klar. Keiner wisse, wer die betreiben solle und wie viel Plätze die haben werde. 

Eigentlich, kritisierte Gerhardt, bräuchte man diese Plätze jetzt, denn der Winter steht vor der Tür. Außerdem bestünden in diesem städtischen Wohnungshilfesystem Ausschlüsse: „Die Angebote sind für Dortmunderinnen und Dortmunder.“

Und nicht für Menschen, welche aus einem anderen EU-Land kommen und in Deutschland keinen Leistungsanspruch haben. Auch seien in den Notunterkünften keine Hunde erlaubt. Aber oft hätten Wohnungslose, die draußen lebten, Hunde. Diese Menschen täten sich verständlicherweise schwer damit ihren Hund abzugeben. Man erhebe die Forderung, dass die Angebote so gestaltet würden, wie die Menschen sie brauchten.

Eine Studie der Fachhochschule ergab: Es gibt noch viel mehr Wohnungslose

Alexandra Gehrhardt im Gespräch mit Steffi Szczepanek und Tim Sonnenberg von der FH Dortmund, die berichteten das die Studierenden zutiefst ergriffen gewesen seien von den Gesprächen, die sie mit obdachlosen Menschen geführt haben.

Steffi Szczepanek und Tim Sonnenberg von der Fachhochschule Dortmund erstatteten Bericht über die wichtige, von 80 freiwilligen ihrer StudentInnen, angehende SozialarbeiterInnen, erstellten Studie vom Mai diesen Jahres. 

Die StudentInnen hatten es nämlich unternommen, diejenigen Wohnungslosen zu zählen, welche nicht in den Hilfeeinrichtungen bzw. dem Hilfesystem auftauchen. Zusätzlich zu diesen 1.400 Menschen seien noch einmal 600 Wohnungslose festgestellt worden. Allerdings sei abzuschätzen, dass es darüber hinaus noch wesentlich mehr seien. 

Tim Sonnenberg geht von einem vierstelligen Bereich aus. Kaum erreicht habe man Menschen mit Roma-Hintergrund und auch wenig Personen mit bestimmtem Migrationshintergrund aufgrund der Sprachbarriere. Die ausführenden StudentInnen, berichtete Steffi Szczepanek, hätten festgestellt, dass die von ihnen befragten Wohnungslosen sehr viel zu sagen gehabt hätten. 

Wohnungslosen auf Augenhöhe begegnen und ihnen Anerkennung entgegenbringen

Die StudentInnen seien sehr ge- und betroffen von diesen Begegnungen gewesen. Viele von denen seien inzwischen ehrenamtlich in dem Bereich tätig. Einer der größten Wünsche, die die Wohnungslosen gegenüber den StudentInnen geäußert hätten, habe der Menschenwürde gegolten. 

Die Menschen wollten, dass man ihnen zuhöre. Dafür hätten sie sich gegenüber den StudentInnen sehr dankbar gezeigt. Fazit von Tim Sonnenberg: Es gehe nicht darum den Menschen nur etwas zu essen zu geben. „Es geht darum sie auf Augenhöhe zu sehen und sie als Menschen wahrzunehmen. Es geht nicht darum die Leute nur zu verwalten.“ Es gehe um deren Würde. Und Anerkennung müsse ihnen entgegengebracht werden. Sonnenberg: „Das ist mehr als nur ein Schlafplatz.“ 

Das Gast-Haus wird wieder bedingungslose Winternotübernachtung anbieten – auch mit Hund

Kathrin Lauterbach von Gasthaus statt Bank. Foto: Claus Stille

Ganz schwer sei es, so Kathrin Lauterbach vom Gast-Haus statt Bank e.V. , die Menschen im Winter in die Kälte ziehen zu lassen, wenn ihr Einrichtung schlösse. Im letzten Jahr hätten alle Dortmunder Initiativen über zehntausend Schlafsäcke verteilt, woran man den Bedarf sehe. 

Würden die Schlafsäcke draußen nass, seien sie unbrauchbar. Bei Minusgraden habe man im vergangenem Jahr erstmals das Gast-Haus geöffnet. In der ersten Etage sei eine „bedingungslose Winternotübernachtung“ – auch mit Hund – angeboten worden. 

Toilettenbenutzung und warmes Duschen wurden ermöglicht. Im Vorhinein geäußerte Bedenken hätten sich nicht bestätigt. In diesem Jahr habe man vor, die Winternothilfe über warme Getränke und Schlafdecken hinaus abermals anzubieten. 

Kathrin Lauterbach fordert ein Winterkonzept wie in Köln, Hamburg oder Berlin

Allerdings, regte Kathrin Lauterbach an, müsse einmal gemeinsam darüber nachgedacht werden, warum es unserer Stadt keine große Winternothilfe gibt, wie in anderen Städten. Lauterbach nannte als Beispiel Köln, Hamburg und Berlin, wo es im Winter etwa tausend Extraschlafplätze gibt. 

Niedrigschwellige Angebote, die einfach dazu dienten, dass Menschen bei Minusgraden nicht draußen schlafen müssen. Man wolle einfach noch einmal das Bewusstsein dafür schärfen, „dass im Winter unsere Gäste nicht gut versorgt sind“. Es gebe immer weniger Leerstand in der Stadt und kaum noch wind- und wettergeschützte Stellen, wo Wohnungslose einen trockenen Unterschlupf finden könnten. Lauterbach machte klar, dass man diesbezüglich seine Stimme erheben müsse: „Und wir sind die Stimme unserer Gäste.“

Skandalöse Zustände angesichts des steigenden Reichtums in unserem zivilisierten Land

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) schätzt aufgrund aktueller Zahlen, dass im Jahr 2017 etwa 440.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung waren. Für 2019 zählt die aktuelle Wohnungsnotfallberichterstattung für NRW 44.434 wohnungslose Menschen.

Die Hilfsorganisationen haben eine gemeinsame Erklärung verabschiedet. Foto: Stephan Schuetze

Das ist ein Anstieg von fast 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Mehr als 48.000 Menschen leben bundesweit ohne jede Unterkunft auf der Straße. Von ihnen starben im vergangenen Winter mindestens zwölf in Folge von Unterkühlung.

In der Erklärung (siehe Anhang des Artikels) von Suppenküchen und Tagestreffs in NRW zum „Welttag zur Bekämpfung großer Armut“ am 17. Oktober 2019 heißt es: „Angesichts steigenden Reichtums in unserem Land sind diese Zustände nicht nur skandalös, sondern schlichtweg unnötig, vermeidbar und in einem Land, das sich der Menschenwürde verpflichtet hat, nicht länger hinnehmbar.

Die Kundgebung am Dortmunder Rathaus wurde musikalisch von Peter Sturm mit gesellschaftskritischen Liedern zur Gitarre begleitet. Zum Ausklang wurden Kaffee und Kuchen angeboten. Vertreter der Jungen Borussen (JuBos) übergaben an Bernd Büscher (Kana-Suppenküche) vier Schlafsäcke als Spende. Bernd Büscher moderierte die Kundgebung. Er bedankte sich herzlich dafür, dass sich in diesem Jahr weitere Hilfeeinrichtungen beteiligten und reichlich Interessierte erschienen waren.

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