Sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für Richterin Sandra Rösler war das Maß voll. Nachdem der Angeklagte Robin Z. in den letzten Jahren mehrfach nach Jugendstrafrecht, unter anderem wegen diverser Körperverletzungsdelikte, verurteilt worden war und spätestens seit 2015 regelmäßig gegen die Bewährungsauflagen verstoßen hatte, mussten Konsequenzen folgen. Mit ihrem Urteil von zwölf Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung folgte die Richterin dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte zehn Monate auf Bewährung gefordert, da sich der Angeklagte in einer Ausbildung befinde und die Sozialprognose günstig für den Klienten ausfalle. Sie hat die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Verhandelt wurde wegen einer gefährlichen Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand.
Vorfall wurde von Überwachungskamera des Fußballmuseums aufgezeichnet
Verantworten musste sich Robin Z. für einen Vorfall, der sich am frühen Morgen des 4. August 2018 ereignete. Gegen 0:35 Uhr sind Robin Z. und einige seiner „Kameraden“, unter ihnen der stadtbekannte und derzeit inhaftierte Neonazi Steven F., und weitere Anhänger der rechten Szene in Dortmund mit einer Gruppe Feiernder aneinander geraten. Diese bestand aus der 40-jährigen Geschädigten und ihren drei Begleitern „afrikanischen Phänotyps“, wie sich Richterin Rösler ausdrückte. ___STEADY_PAYWALL___
Der Vorfall ereignete sich auf dem Vorplatz des Fußballmuseums gegenüber des Hauptbahnhofs in der Stadtmitte. Als Hauptbeweismittel diente dem Gericht das Video einer Überwachungskamera des Museums, auf welchem die Situation aufgezeichnet wurde. Sowohl das Video als auch einzelne Videoprints wurden von allen Prozessbeteiligten in Augenschein genommen.
So konnte der Tathergang ziemlich genau nachverfolgt werden. Nachdem sich die zwei Gruppen ein Wortgefecht lieferten, habe sich die Gruppe um Z. zunächst von der anderen entfernt. Auf dem Video sei zu erkennen gewesen, wie Z. sich anschließend eine Flasche greift und über den Platz Richtung der Kontrahenten wirft. Auch von der anderen Gruppe sei daraufhin mindestens eine Flasche als Warnung am Boden zerschmissen worden (ein diesbezügliches Strafverfahren ist eingestellt worden). Auf dem Video offenbare sich laut Staatsanwaltschaft dann, dass Robin Z. innerhalb seiner Gruppe als besonders aggressiv hervorstach.
Der Angeklagte als „tickende Zeitbombe“ mit großem Aggressionspotenzial
Uneins waren sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft anschließend darüber, ob es sich beim dem von Z. geworfenen Gegenstand, der das Opfer letztlich verletzte, tatsächlich um eine Flasche oder um einen Hartplastikbecher gehandelt habe.
Allerdings spielte dies im Nachhinein bei der Urteilsfindung keine gewichtige Rolle, da die Verletzungen des Opfers für sich sprechen. Man war sich einig, dass man dem Angeklagten keine zielgerichtete Absicht unterstellen könne, die Frau habe treffen zu wollen, allerdings habe er die Verletzung anderer Personen billigend in Kauf genommen.
„Hier in der Verhandlung und im Gespräch macht der Angeklagte einen relativ guten Eindruck, aber das Video ist völlig anders. Ich sehe da eine tickende Zeitbombe mit großem Aggressionspotential“, so die Staatsanwältin in ihrem abschließenden Plädoyer.
So zog Z. sich im weiteren Geschehen zunächst das T-Shirt aus, (ein Ritual dass er nach eigener Aussage immer vollziehe, wenn eine Situation zu eskalieren drohe) und nur noch mit Unterhemd bekleidet schleuderte er zwei weitere Flaschen Richtung Zeugin und Begleitern, die jedoch vor ihnen am Boden zerschellten. Eine dritte Flasche traf die Geschädigte dann jedoch im Gesicht, sie erlitt eine zwei Zentimeter lange, tiefe Schnittwunde am linken Kinn. „Da konnte man durchgucken“, so die Zeugin.
Angeklagter entschuldigt sich, distanziert sich jedoch nicht von seiner Gesinnung
Vor Gericht musste sich der Angeklagte nun wegen gefährlicher Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand verantworten. Z. äußerte sich zum Geschehen, er habe niemanden gezielt treffen wollen und er habe es letztlich auch nicht wirklich mitbekommen. Man sei in der Unterzahl gewesen und habe die Kontrahenten auf Abstand halten wollen.
Er gab an, weder die Geschädigte noch ihre Begleiter im Vorfeld gekannt zu haben und er habe an besagtem Abend keinen Alkohol konsumiert, was auch ein Test der Polizei belegen müsse. Im Laufe des Verfahrens entschuldigte sich Z. bei der Geschädigten, was diese jedoch nicht akzeptierte. „Ich glaube Dir das nicht. Du solltest Deine Einstellung ändern“, so die Geschädigte. Das wollte der Neonazi aber nicht: „Das ist eine andere Sache“, so Z.
Auch wenn im Prozess die rechtsradikale Gesinnung des Angeklagten nur eine marginale Rolle spielte, ist sie laut Aussagen der Geschädigten dennoch der Ursprung und Auslöser für die Eskalation. Sie berichtete, sie sei mit ihren dunkelhäutigen Begleitern, darunter ihr Verlobter, zum Feiern auf den Vorplatz des Fußballmuseums gekommen und habe fast unentwegt getanzt. Daher habe sie auch vom Geschehen nicht viel mitbekommen, bis sie schließlich der geworfene Gegenstand getroffen habe.
Rassistische Motive: Opfer wurde schon im Vorfeld bedroht
Ein pikantes Detail ihrer Aussage besteht darin, dass sie angibt, kurz vor der Eskalation von einer Frau bedroht worden zu sein. Sie sei an ihr vorbei gegangen und habe die Bemerkung „Schäm Dich“ fallen lassen. Auf die verdutzte Rückfrage der Zeugin, warum sie dies denn tun solle, habe die Frau erwidert, weil sie als Deutsche mit Ausländern abhängen würde.
Unmittelbar darauf sei die Drohung: „Du kriegst gleich eins auf die Schnauze“ von der Frau ausgesprochen worden. „Und dann habe ich später auch was in die Fresse gekriegt“, so die Zeugin. Sonst habe sie allerdings von der bedrohlichen Situation im Vorfeld nichts bemerkt, bis sie die Flasche traf.
Sie habe Alkohol getrunken, sei aber nicht betrunken gewesen. Der Werfer habe weiter weg gestanden, so dass sie ihn nicht habe erkennen können. Sie habe geblutet und starke Schmerzen gehabt, und sei später vor Ort ärztlich behandelt worden. Es sei alles so schnell gegangen und sie habe unter Schock gestanden. Ihre Beschwerden wurden durch ein ärztliches Attest bestätigt.
Aufgrund der Eindeutigkeit des Videomaterials und verschiedener Videoprints, die in Augenschein genommen wurden, wurde von der Vernehmung weiterer am Tatgeschehen beteiligter Personen verzichtet. Zu Wort kamen noch der Bewährungshelfer des Angeklagten und ein Vertreter des Polizeilichen Staatsschutzes, der als Sachbearbeiter mit dem Fall betraut ist.
Staatsschutz macht deutlich: Robin Z. ist tief in Szene verwurzelt
Er bestätigte, dass Z. ihm im Zusammenhang mit der rechten Szene in Dortmund einschlägig bekannt sei. Auch weitere Mitglieder der Gruppe seien als solche zu identifizieren gewesen. Er betonte, dass Z. – obwohl in Schwelm lebend – tief in der Dortmunder Szene verwurzelt sei und dass er persönlich davon ausgehe, dass er dieser auch weiterhin treu bleiben würde.
Von der Richterin auf seine Gesinnung angesprochen, äußerte sich Z. auch dahingehend, sich in der Szene wohl zu fühlen, auch wenn er von Aktionen, vor allem gewalttätiger Natur, in Zukunft Abstand nehmen wolle. Offenbar kaum mehr als ein Lippenbekenntnis: Zuletzt hatte Robin Z. am 9. Mai 2020 gleich zwei Mal Journalisten auf einer sogenannten „Hygiene-Demo“ bedroht bzw. angegriffen.
Der 23-Jährige gebürtige Schwelmer ist deutscher Staatsbürger, hat eine schwangere Ex-Freundin und absolviert derzeit eine überbetriebliche Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker, nachdem er bereits eine Ausbildung abgebrochen hatte.
Auch einen gerichtlich angeordneten Alkoholentzug hat er hinter sich gebracht. Seiner Verpflichtung zu weiteren Abstinenznachweisen ist er seitdem nicht weiter nachgekommen. Im Laufe seines Lebens ist er mehrmals aufgrund auffälliger Störungen des Sozialverhaltens und der Impulskontrolle in psychiatrischer Behandlung gewesen.
Zehn Eintragungen im Strafregister, darunter zahlreiche Körperverletzungen
Die Zugehörigkeit zur rechten Szene in Dortmund bewertet der Bewährungshelfer als schlichten Versuch des Angeklagten, irgendwo dazu zu gehören. Es sei einfach Zufall, dass er ausgerechnet bei den Neonazis gelandet sei, was angesichts der vorherigen Aussage des Staatsschützers als äußerst zweifelhaft anmutet.
Auch das Vorstrafenregister von Robin Z. spricht eine deutliche Sprache. Insgesamt zehn Eintragungen, darunter Verstöße gegen das Waffengesetz, Sachbeschädigung, Bedrohungen, Beleidigungen und Körperverletzungen, Hinzu kommt das Erschleichen von Leistungen und im letzten Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 5. Juni 2019 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
In ihrem Urteil betonte Richterin Rösler, dass man beim Betrachten des Videos den Eindruck gewinne, dass Z. geradezu auf eine solche Situation gewartet habe. Das Ausziehen des T-Shirts und die anschließenden Drohgebärden ließen hier keinen anderen Schluss zu. Sie ließ die Anmerkung, da man in der Unterzahl gewesen sei, habe man sich von der anderen Gruppe bedroht gefühlt, nicht gelten. Im Gegenteil sei nach Sichtung der Aufnahmen der Eindruck entstanden, dass es eine gewollte Aktion der Neonazis gewesen ist.
„Sie müssen lernen, menschliche Werte und Individualität zu akzeptieren.“
Sie wertete die Entschuldigung vor Gericht und die Tatsache, dass er geständig ist, für ihn. Außerdem sei durch die Aussagen des Bewährungshelfers klar geworden, dass eine fehlende Persönlichkeitsreife vorliege, die den Angeklagten zu einer Art Profilierungssucht treibe. Zudem würden die aktuellen Bemühungen, sein Leben in den Griff zu kriegen, wie zum Beispiel die begonnene Ausbildung und die abgeschlossene Therapie, ein günstige Prognose bieten.
Doch die seit 2015 andauernden ständigen Delikte in Bewährungszeiträumen müssten nun endlich Konsequenzen haben. Der Vorfall am Fußballmuseum habe gerade mal einen Monat nach einer Verurteilung durch das Amtsgericht Schwelm stattgefunden. Auch hier war Z. wegen Körperverletzung in zwei Fällen und Beleidigung zu einem Jahr und sechs Monaten nach Jugendstrafrecht verurteilt worden.
„Ihre Taten haben nun zwei Konsequenzen, einmal für die Zeugin, die mit den Verletzungen und dem Trauma umgehen muss, und einmal für sie. Das kann so nicht weitergehen“, so Rösler. „Sie haben ihre rechte Gesinnung nicht abgelegt, das ist ihr Recht. Aber ich fürchte, bei weiteren Aktionen Ihrerseits in diesem Zusammenhang sehen wir uns hier wieder. Sie müssen lernen, dass man nichts für seine Nationalität tun muss. Sie müssen lernen, menschliche Werte und Individualität zu akzeptieren“, gab die Richterin dem Bewährungsversager noch mit auf den Weg. Ihn erwarten voraussichtlich noch weitere Verfahren – unter anderem wegen der Attacken gegen die Dortmunder Journalisten vor wenigen Wochen.
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