Eine Vielzahl von Bauprojekten beschäftigt die Politik – jede Sitzung gibt eine Fülle von Vorhaben. Dieses Projekt jedoch ist anders – schon vor der Herangehensweise: Denn zunächst sollte das Bauvorhaben in nicht-öffentlicher Sitzung und auch noch ohne schriftliche Vorlage (!) abgehandelt werden. Nach großem Murren wurde nun die Politik nochmals öffentlich damit befasst und auch mit einer schriftlichen Vorlage beglückt. In der Bezirksvertretung der Nordstadt waren zudem Bauherr, Architekt und Stadtplanung zu Gast, um bisher höchsten Gebäude der Nordstadt Stellung zu nehmen: Denn am Burgtor soll ein neues städtebauliches Ensemble entstehen – mit einem 18-stöckigen Hochhaus auf der Nordseite.
Unklare Entscheidungslage – die Verwaltung widerspricht sich
Schon die Herangehensweise der Verwaltung ist umstritten. Nachdem die entsprechenden Vorlagen, Unterlagen und Visualisierungen öffentlich gemacht wurden, wurde die Politik in öffentlicher Sitzung damit befasst. Wer allerdings entscheiden sollte, blieb zudem unklar. ___STEADY_PAYWALL___
Selbst während der Sitzung der Nordstadt-BV gab es – zum großen Unverständnis und Unmut der Bezirksbürgermeisterin, der BV-Mitglieder und der BV-Geschäftsführung – Unklarheiten, ob nun die Bezirksvertretung als zuständiges örtliches Gremium darüber zu entscheiden habe oder aber der Fachausschuss des Rates wegen eines „Vorhabens mit besonderer städtebaulicher Bedeutung“.
Bis zuletzt wurde das nicht aufgeklärt und die anwesenden Verwaltungsleute widersprachen sich: Die Nordstadt-BV stimmte letztendlich nach kontroverser Debatte bei drei Enthaltungen für das Vorhaben. Ob der zuständige Fachausschuss für Stadtgestaltung und Wohnen dies „nur“ als Empfehlung wertet oder als Entscheidung, war den Politiker:innen letztlich egal.
Allerdings war und ist auch das Vorhaben selbst nicht unumstritten. Schon nach der Vorstellung des Vorhabens als auch jetzt anlässlich der politischen Befassung gibt es Demonstrationen gegen das Bauprojekt. Nicht nur wegen des Vorhabens mit dem 18-stöckigen Gebäudes als solches, sondern vor allem wegen eines wichtigen Mieters: Darin soll auch die neue Polizeiwache Nord einziehen.
Die Planungen sind weit gediehen und die Bandbreite der Bewertungen ist groß: Von „ gelungener zeitloser Architektur” bis zum Kommentar „noch ein Klotz, der die ganze Nordstadt verschandelt“ reichten die Kommentare in der Nordstadt-BV.
Das gesamte Areal wird künftig bebaut – inklusive der Grünfläche
Was ist geplant? Zwischen der Münster-, der Leopold- und der Steinstraße entsteht ein neuer Gebäudekomplex. Die bestehende Bebauung, einschließlich eines ehemaligen Erotik-Kinos, wird abgerissen. Ende 2023 fand ein städtebauliches Qualifizierungsverfahren statt, bei dem eine unabhängige Jury fünf Entwürfe bewertete. Das Büro „RKW+ Architektur“ gewann den Wettbewerb.
Der Entwurf sieht eine Blockrandbebauung mit differenzierter Höhenentwicklung vor. Besonders die Eckbereiche sollen durch höhere Geschosszahlen und Rücksprünge in den obersten Geschossen betont werden.
Am Kreuzungsbereich Leopoldstraße/Steinstraße wird ein 18-geschossiges Hochhaus entstehen, um die Verbindung zwischen Nordstadt und Innenstadt zu betonen.
Das Erdgeschoss wird auch im Innenbereich der Blockrandbebauung ausgebaut. Die Dächer werden extensiv begrünt, der Innenbereich intensiv. Eine dreigeschossige Tiefgarage wird den Stellplatzbedarf decken.
Die Polizeiwache und ein Lidl werden die größten Mieter sein
Der Gebäudekomplex wird multifunktional genutzt. Die Polizeiwache Nord zieht in den südlichen Bereich der Blockrandbebauung. Der Lebensmitteldiscounter Lidl verlagert seinen Standort in den nordöstlichen Teil des Baublocks.
Weitere Nutzungen umfassen einen Bäcker, Gewerbeeinheiten, Büros und überwiegend Wohn- sowie Service-Wohnen. Die Wohnnutzung konzentriert sich auf die straßenlärm-abgewandte Seite an der Münsterstraße und in den Obergeschossen.
Die Tiefgarage wird über die Steinstraße nach dem „rechts rein – rechts raus“-Prinzip erschlossen. Die Taxi-Stände an der Steinstraße entfallen. Dienstfahrzeuge der Polizei nutzen eine separate Zufahrt über die Leopoldstraße. Lidl wird über die Münsterstraße beliefert, wobei das Entladen innerhalb des Gebäudes erfolgt. Die Einfahrt befindet sich gegenüber der Mühlenstraße.
Wegen der Rechtslage und des mehr als 50 Jahre alten Bebauungsplans für das markante Eckgrundstück gab es im Vorfeld eine Vielzahl von offenen Fragen. So ist dort eigentlich Wohnungsbau ausgeschlossen. Doch der Bund hat hat im sogenannten „Bauland-Mobilisierungsgesetz“ Kommunen ermächtigt, größere Befreiungen auszusprechen.
Diese Karte zieht die Stadt wegen des großen Wohnungsmangels. Auch die Begrenzung der Bauhöhen – in der Blockrandbebauung sind eigentlich nur acht Geschosse vorgesehen und ein Hochpunkt mit 15 Geschossen – wird nun aufgehoben. Während die Nebengeschosse niedriger werden, wird der Hochpunkt sogar 18 Geschosse hoch.
Gemischte Nutzung mit „urbaner innerstädtischer Qualität”
Für das Stadtplanungs- und Bauordnungsamt stellt dies kein Problem dar: „Das Hochhaus hat einen breiten Fuß, aber schlanke Silhouette”, warb Fachbereichsleiterin Birgit Niedergethmann erfolgreich um Zustimmung bei der Politik.
Zudem seien im Vorfeld insgesamt 12 verschiedene Varianten geprüft worden, was die richtige Lösung für das von drei Straßen umgrenzte Grundstück sei: „Blockrandbebauung und ein Hochpunkt“ wurde als beste Lösung ins Auge gefasst. Damit wurde auch die öffentliche Wegefläche mit dem kleinen Park gestrichen – die Fläche hatte die Stadt ohnehin schon verkauft.
Projektentwickler Henning Wietzorke von der Linim-Gruppe hatte darauf ohnehin keinen Einfluss: „Wir haben das Grundstück vor 1,5 Jahren gekauft – da stand die Form des Baukörpers schon. Wir haben nur einen Fassadenwettbewerb ausgelobt. Der Gewinner war Architekturbüro RKW+ – sie seien für das äußere Erscheinungsbild verantwortlich.
Wietzorke stellte der Nordstadt-BV die an angestrebte Quartiersentwicklung vor: „Wir wollen eine gemischte Nutzung haben, damit eine urbane innerstädtische Qualität möglich ist: Wohnen, Servicewohnen, Polizei, Gewerbe in einer geschlossene Blockrandbebauung mit einem geschlossener Innenhof.“ Das Wohnen konzentriert sich auf das Hochhaus: „Wohnen mit Weitblick“.
Unten sind Gewerbe und/ oder Ärztezentrum vorgesehen. „Das wird sich in den nächsten Monaten finden“, so Wietzorke. Das Servicewohnen mit Loggien – ggfs. in Zusammenarbeit mit einem Pflegedienst – soll sich auf der verkehrsberuhigten Seite zur Münsterstraße abspielen. Unter dem Ensemble findet sich eine dreigeschossige Tiefgarage: Eine Parkebene ist für den Nahversorger vorgesehen und zwei Etagen fürs Quartier. Der Innenhof auf der ersten Etage ist ausschließlich den Mieter:innen vorbehalten.
Wohnungsgrößen von 54 bis 140 Quadratmetern im Hochhaus
Bei der anschließenden Diskussionen hatten die BV-Mitglieder viele Fragen: Beim Blick auf die Backsteinfassade meldete Gertrud Kuska Bedenken an: „Was ist mit Fassaden- und Dachbegrünung, was mit Photovoltaik. Der Entwurf ist nicht zeitgemäß”, kritisierte die SPD-Politikerin.
Henning Wietzorke machte deutlich, dass er keine „zeitgemäße” sondern eine „zeitlose“ Gestaltung bevorzuge, damit das Gebäude auch in 30 Jahren noch schön und funktional sei. Allerdings seien die Dachflächen natürlich begrünt und die funktionalen Bereiche des Gebäudes mit Photovoltaik versehen.
„Eine grüne Fassade finde ich toll, das ist aber ein anderes Thema. Ein Drittel des Gebäudes ist nach Norden ausgerichtet. Da wird es schwierig mit einem einheitlichen Bild”, so der Projektentwickler. Dieser bestätigte Marco Unterauer (Grüne) auch, dass sie das Gebäude nicht nur entwickeln, sondern auch langfristig halten wollten. Thomas Oppermann fragte sich zudem, ob den auf den 18 Stockwerken eine Aussichtsplattform vorgesehen sei, was Henning Wietzorke jedoch verneinte.
Seniorenbeirätin Susanne Schulte fragte sich, was wohl 1968 die Gründe dafür waren, dass da keinen Wohnen vorgesehen sei. Darauf gab es keine Antwort, wohl aber darauf, wie viele Wohnungen und in welcher Größe es geben solle. Der Projektentwickler berichtete, dass Wohnungen von 54 bis 140 Quadratmetern im Hochhaus vorgesehen seien. „Möbliertes Wohnen oder Projektwohnen ist nicht unser Plan, ganz im Gegenteil”, sagte er auf Nachfrage.
Gebaut werden vier bis sechs Wohnungen pro Etage, ergänzte Architekt Hans-Leo Drewes vom Büro Bauart mit Blick auf das Hochhaus. Andere Wohnungsgrößen gebe es bei Servicewohnen: Zielgruppe seien ja Ältere. „Da planen wir mit erheblich kleineren Wohnungen zwischen 50 und 60 Quadratmetern Wir wollen ja gerade, dass Ältere aus dem Nordstadt-Bereich die Möglichkeit haben, dort hineinzuziehen. Sie leben ja oft in Wohnungen, wo es schwierig ist – ohne Aufzüge oder bedarfsgerechte Bäder.“
Die Wohnungen könnten 11,50 Euro pro Quadratmeter kosten
Thomas Oppermann war sich nicht sicher, ob die neue Bebauung am Burgtor die Wohnprobleme in der Nordstadt lösen helfe: „Wir haben zwei zentrale Probleme: Seniorengerechte und große Wohnungen für Familien. In welchem Preissegment bewegen wir uns?”, wollte der SPD-Politiker wissen. Ausweichend äußerte sich der Architekt: „Das können wir nicht abschließend sagen, weil uns noch in vorbereitenden Planung befinden. Natürlich haben wir eine Kalkulation, aber da wollen wir uns noch zurückhalten”, so Drewes.
Diese Zurückhaltung wollte der Eigentümer und Projektentwickler nicht walten lassen – insbesondere nicht nach dem schwierigen Start mit nicht-öffentlicher Sitzung und fehlender Ratvorlage: „Wir bewegen uns im Neubaubereich mit Aufzug, Fußbodenheizung und hohen energetischen Standards. Da kalkulieren wir mit 11,50 Euro”, räumt Henning Wietzorke ein.
Allerdings sei die Fertigstellung erst für in drei Jahren vorgesehen. „Wir müssen sehen, ob wir dann Anpassungen machen. Es funktioniert auch mit zehn Euro. Mit 11,50 Euro funktioniert es dann gut”, machte der den Nordstadt-Politiker:innen deutlich.
Insgesamt gebe es kalkulatorisch eine Mischung: „Eine Polizeiwache muss man anders bauen, da bekommen die andere Miete. Mit Wohnen im Hochhaus werden wir kein Geld verdienen“, kommentierte Henning Wietzorke und zog sich den Spott des mittlerweile parteilosen Ex-Linken Michael Gründel zu hören: „Dann lassen sie es doch.”
„Wenn man Wohnungsneubau will, kostet der Geld“
Skeptisch war Brigitte Jülich (SPD) nicht nur wegen der Preise, sondern auch wegen des großen Gebäudes: „Das stellt sich ja die Frage nach sozialer Kontrolle. Wir haben keine guten Erfahrungen mit großen Objekten.” Dies habe man im Blick, betone Architekt Drewes: „Das ist für unsere Mieter ein ganz wichtiger Aspekt. So haben wir die sehr stark zurückgezogenen Eingänge rausgenommen. Wir wollten keine Rückzugsräume schaffen für Leute, die sich nicht da aufhalten sollen.“
Das gelte auch für den geschlossenen Innenhof: „Er steht allen Bewohnern zur Verfügung – die Zugänge gibt es auch nur für sie.“ Da sich der Innenhof im ersten Obergeschoss befindet – auf dem Dach des Lidl – dürfte das auch kein Problem darstellen. „Wir wollen ihn selbstverständlich auch intensiv begrünen – wir wollen ein sehr schönes Aufenthaltsambiente haben“, so Drewes.
Dorian Marius Vornweg (CDU), selbst bei einem Immobilienunternehmen beschäftigt, brach eine Lanze für den Projektentwickler und die die bisher kalkulierten Mietpreise: „Es hat ja Gründe, dass städtische Dortmunder Stadtentwicklungsgesellschaft noch nicht gebaut hat”, verwies er auf die extrem gestiegen Baukosten.
„11,50 Euro können sich dramatisch anhören im Vergleich zur Bestandsmiete in der Nordstadt. Aber bei einem Neubau kann man locker auf Kosten von 4000 Euro pro Quadratmeter kommen. Da geht auch mehr, ohne extravagant zu sein. Dann kann man auch schnell bei 18 Euro kalt pro Quadratmeter sein. Wenn man Wohnungsneubau will, kostet der Geld. Und Geld verschenken will niemand.“
„Noch ein Klotz, der die ganze Nordstadt verschandelt“
Eine Argumentation, die Gründel nicht teilte: „Den Mieten stehen auch Löhne entgegen – wir reden über bezahlbaren Wohnbau. Wer soll denn da hinziehen. Jemand aus der Nordstadt wird die Miete nicht aufbringen können. Und wer es kann, zieht in attraktivere Lagen. Für ein 18-stöckiges Hochhaus ernte ich nur Kopfschütteln”, verwies er auf die Planungen am Hauptbahnhof.
Dort soll ebenfalls ein Hochhaus entstehen, was sogar bis zu 24 Stockwerke haben könnte. Am Burgtor entstehe dann „noch ein Klotz, der die ganze Nordstadt verschandelt“, so der Parteilose. Die Entscheidung beeinflusste das nicht: Die Vorhaben wurden in der BV mit drei Enthaltungen angenommen.
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Geplante Kundgebung gegen den Neubau der Wache Nord in Dortmund (PM)
Die Stadt Dortmund plant den Bau eines 18-stöckigen Gebäudes für die Polizei in der Nordstadt. Dieser geplante Neubau stößt bei einer Anzahl der Anwohner*innen auf Ablehnung, da sie befürchten, dass bestehende Probleme in der Nordstadt sich weiter verschärfen könnten.
„In der Nordstadt bestehen vor allem die Herausforderungen wie Rassismus, Armut und ein Mangel an gepflegtem und günstigem Wohnraum. Der geplante Neubau der Wache Nord und der Abriss von Wohngebäuden in der Münsterstraße würden diese Probleme verstärken.“ sagt die Sprecher*in Patrizia Ellen, von der Gruppe „Nachbar*innen gegen die Polizei“. Es ist außerdem geplant, weitere Dienststellen in die Nordstadt zu verlegen, das könnte dem Verband nach zu einer Zunahme staatlicher Gewalt und rassistischer Schikane führen.
Eine Gruppe von Anwohner*innen ruft deshalb zu einer Kundgebung am 13.12.2024 um 15 Uhr vor der Wache Nord auf. Ziel der Kundgebung ist es, den geplanten Neubau zu verhindern und auf die bestehenden Probleme in der Nordstadt aufmerksam zu machen. Die Nachbar*innen fordern in einem Flyer, den sie verbreiten, nicht nur die Schließung der Wache Nord, sondern auch die Abschaffung des Justiz- und Gefängnissystems.
Die Wache Nord steht aktuell aufgrund schwerwiegender Vorwürfe gegen Polizeibeamte in der Kritik. Berichte über sexistische Beleidigungen und Gewalt gegen Bürger*innen haben Unmut in der Bevölkerung hervorgerufen. Im Prozess um den Tod des 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé im Jahr 2022, den Beamt*innen der Wache Nord zu verantworten haben, wird voraussichtlich am 12.12.2024 das Urteil gesprochen. Die Veranstalter*innen wollen bei der Kundgebung ebenfalls auf die größere Demonstration am Folgetag dem 14.12. in Dortmund hinweisen.
Die Organisator*innen werden bei der Veranstaltung ein offenes Mikrofon anbieten, Musik abspielen und Kaffee oder Tee anbieten. Die Veranstaltung wird von verschiedenen Organisationen unterstützt, die sich für soziale Gerechtigkeit und Bürger*innenrechte einsetzen. Alle Bürger*innen sind eingeladen, sich an der Kundgebung zu beteiligen und gemeinsam ein Zeichen gegen staatliche Gewalt, Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu setzen.
Kontakt: nordstadtohnepolizei@systemli.org