Von Susanne Schulte
Auch die Nordstadt hat ihre Südtribüne. Die Stehtische im großen Saal des „Stern im Nordens“ sind von den Stammgästen besetzt, die das Spiel der Borussen vom An- bis Abpfiff ununterbrochen kommentieren. Wer’s ruhiger haben will, mal den Fernsehreporter hören möchte, muss sich setzen. Um dann auch gut zu sehen, ist Pünktlichkeit gefragt. Die Plätze in der ersten Reihe sind flugs belegt. Genau eine halbe Stunde vor Spielbeginn wird die Tür aufgeschlossen. Nicht eher.
Fußballnachmittage bei Kaffee und Kuchen – Die Kaltgetränke sind alkoholfrei
Margit Wilshaus’ Daumen kommt dann nicht zu Ruhe. Sie zählt mit einer Art Stoppuhr die BesucherInnen. Bei entscheidenden Spielen kommt es vor, dass ZuschauerInnen draußen bleiben müssen. Dann ist der Saal voll.
Zuletzt war das beim Spiel gegen Schalke der Fall. Und da war der große Saal auch noch belegt. Die Fangemeinde musste ins Müttercafé ausweichen. Wer’s wusste, war zur rechten Zeit an der Tür.
Bis zu 200 DortmunderInnen verfolgen jedes Spiel des BVB auf Einladung des christlichen Fanclubs Totale Offensive in der ehemaligen Hoesch-Kantine an der Oesterholzstraße, nur wenige Meter vom Tor der Westfalenhütte entfernt. Der Eintritt ist kostenlos, einen Verzehrzwang gibt es nicht. Und keinen Alkohol. Dafür brüht die Kaffeemaschine ununterbrochen, das Tresenteam verkauft die von Vereinsmitgliedern gespendeten Kuchen.
Seit zehn Jahren zeigt der christliche Fanclub jede Begegnung von Borussia
„Was gibt es heute zu essen? Würstchen?“ „Ja, wie immer, denke ich.“ Rainer Sohn, Kirsten Sohn, Tobias Koslowski („Ich komme aus Lüdenscheid und war auf derselben Schule wie Nuhi Sahin.“) und Horst Zelmer bedienen die Gäste. „Brezel gibt es bei späten Spielen“, erzählen sie. „Wenn gegen Schalke die Bude voll ist, geht viel weg.“
Seit zehn Jahren überträgt die Totale Offensive die BVB-Spiele. Von Anfang dabei ist Oliver Römer: Dortmunder, Berufsfeuerwehrmann und 2. Vorsitzender des Fanclubs. „2008 haben wir das erste Spiel mit zwölf Leuten im kleinen Saal geguckt.“ Das war der sich anschließende gemütliche Teil einer Vorstandssitzung. Dann zog man ins heutige Müttercafé mit Blick auf die Straßenbahnhaltestelle um.
Mit dem Erfolg der Mannschaft wollten immer mehr DortmunderInnen die Spiele sehen. Wenn schon nicht im Stadion, dann im Fernsehen. Doch den Fußballhimmel können sich nicht viele ins Wohnzimmer holen. Und Gaststättenbesuche kosten auch Geld.
Treffpunkt ist der große Saal des Vereins „Stern im Norden“ an der Oesterholzstraße
Gegründet wurde der Fanclub 2007 in Wuppertal in einer der christlichen Gemeinde auf Initiative von Dirk Haslinde, der der Vorsitzende ist, seit 2008 ist die Adresse in der Dortmunder Nordstadt. „Wir haben 520 Mitglieder deutschlandweit und zum Teil auch im Ausland“, erzählt Oliver Römer.
Es ist nicht der erste und einzige christliche Fanclub. „Begonnen hat die Geschichte mit der Totalen Offensive in Hamburg. Die übertragen nur die Auswärtsspiele des HSV in der Ansgargemeinde. Es folgten Berlin, Bielefeld und dann Dortmund.“
Die Schals der befreundeten Clubs hängen unter der Decke über dem Bücherstand. Mit dem Stern im Norden, ein christlicher Verein, habe man eine Partnerschaft. „Wir zahlen keine Miete, aber die Nebenkosten wie Strom, Wasser und Reinigung.“
Vor jedem Derby wird ein Gottesdienst gefeiert: Ein Zeichen gegen Hass und Gewalt
Über den Fußball missionieren? „Das wollen wir auf keinen Fall. Wir wollen nur ein Angebot machen, weil wir den Glauben haben, dass Jesus Christus uns trägt, nicht nur über den Sonntag hinweg.“
So ist auch die Kontaktstelle an jedem Spieltag besetzt, die soziale Beratung anbietet, gefördert von der BVB-Stiftung „Leuchte auf“. Vor jedem Derby feiern die Fans einen Derbygottesdienst, „meist am Donnerstag. Da kommen bis zu 100 Leute in Trikots. Wir wollen ein Zeichen setzen gegen die Entwicklung von immer mehr Hass und Gewalt.“
Zum christlichen Fanclub auf Schalke unterhalte man gute Kontakte. „Doch die Rivalität zwischen beiden Vereinen, das Kribbeln, das muss sein.“
Zwei Stunden vor Spielbeginn laufen die Fanclub-Mitglieder sich warm und bereiten alles vor
Zwei Stunden vor Spielbeginn sind die Clubmitglieder im Saal, stellen die Stühle und Tische auf, arrangieren das Kuchenbüffet, testen die Technik. Lukas Grundmann ist der Mann an der Anlage, häufig sitzt auch Oliver Römer auf seinem Stuhl. Übertragen werden alle BVB-Spiele.
Der große private Anbieter, so Römer, habe einen besonderen Tarif für gemeinnützige Einrichtungen wie Altenheime. Der gelte auch für die Totale Offensive. So kann der Verein den Nordstadt-NachbarInnen die Spiele zeigen.
Jetzt wird überlegt, auch Eurosport zu abonnieren. „Aber die bieten für unsere Bedürfnisse noch nichts an.“
Oliver Römers Leidenschaft prägte der Opa: „Er war in einer Klasse mit Max Michallek“
Römer ist seit Jahrzehnten BVB-Anhänger. „Der Großvater hat mich geprägt. Er war in einer Schulklasse mit Max Michallek. Als kleiner Pico sind wir zu den Spielern gefahren, haben geklingelt und um Autogramme gebeten. Es gab für mich nichts anderes als Borussia.“ Die Totale Offensive hat Verbindungen zur BVB-Fanabteilung und sitzt im 20köpfigen Fanrat. Das ist schon was. Immerhin gibt es rund 750 schwarzgelbe Fanclubs.
Bevor Römer sich wieder zu seinen VereinskollegInnen gesellen muss, erzählt er noch von der Nikolaus-Verteilaktion. Vor jedem Heimspiel um den Nikolaustag herum, verteilen die Fanclub-Mitglieder insgesamt 1000 Nikoläuse an die OrdnerInnen und PolizistInnen. Mit den Worten „Danke für Ihren Einsatz – Gott segne Sie“, die auf einem Kärtchen stehen, dass der Nikolaus in Handarbeit umgehängt bekommen hat, will man die Arbeit der Sicherheitsleute würdigen. Es muss aber ein Liga-Spiel sein. „Sonst will die Fifa wissen, was im Nikolaus drin ist. Wir mussten schon mal das Silberpapier abwickeln.“
Es ist kurz vor drei. Die heute arbeitenden Fanclubmitglieder versammeln sich alle um einer Tisch, Addi Kraushaar spricht ein Gebet, bittet um ein faires Spiel, ohne Fouls, ohne Verletzungen, um nette Gäste und einen schönen Nachmittag. Punkt drei wird die Tür aufgeschlossen und Margit Wilshaus’ Daumen geht an die Arbeit.