Ursula „Ula“ Richter fühlte sich zwei Leitlinien verpflichtet, die beide eng mit dem 1. September 1939 verbunden waren: „Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Faschismus!“. Am Internationalen Antikriegstag jährt sich der deutsche Überfall auf Polen und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Kein Tag zum Feiern. Vielleicht auch deshalb feierte die Mitbegründerin des Bündnisses Dortmund gegen Rechts erst am 2. September ihren Geburtstag. Ihren 84. Geburtstag erlebte sie nicht mehr. Sie erlag einem schweren Krebsleiden.
„Ich komme aus einer reaktionären, kleinbürgerlichen, konservativen und militaristisch geprägten Familie“
„Ich sollte am 1. September 1939 geboren werden, aber ich wollte nicht raus“, sagte Ula Richter im Nordstadtblogger-Interview zu ihrem 75. Geburtstag. Am 2. September sei ihr „Widerstand“ gebrochen – die Ärzte holten sie in Göttingen zur Welt.
Das war ihre erste, aber bei weitem nicht ihre letzte „Widerstands-Handlung“: Denn ihr Elternhaus war nicht das, was sie sich politisch wünschte: „Ich komme aus einer reaktionären, kleinbürgerlichen, konservativen und militaristisch geprägten Familie. Von meinen Wurzeln habe ich mich sehr weit entfernt“, betonte sie.
Sie studierte Malerei und Grafik an der Werkkunstschule Hannover und der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Der Lernerfolg war begrenzt: „Meine Professoren Ende der 50er/ Anfang der 60er Jahre waren eher ,Selbstverwirklicher’ als Lehrer und dem Abstrakten zugetan – die Schülerin verunsichert und bockig“, blickte sie zurück.
Zeichnen und malen lernte sie eher beim Arbeiten für die Anatomie in Hannover, beim eigenen Naturstudium, beim Experimentieren mit Malgründen und Farben.
Seit dem Vietnam-Krieg war die Künstlerin friedenspolitisch aktiv
Ula Richter war spätestens seit dem Vietnam-Krieg vollends friedensbewegt, gesellschaftskritisch und antifaschistisch.
Allerdings war die Mutter von drei Kindern, die 1975 wegen ihres Mannes Wolfgang nach Dortmund kam, nicht von Anfang an in antifaschistischen Organisationen aktiv.
Daran „schuld“ ist ein in Dortmund nicht unbekannter Neonazi: Als Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt 1987 Flugblätter vor Schulen verteilte, organisierte ihre Tochter Wera als Schülersprecherin am Leibniz-Gymnasium Protestaktionen.
Als Reaktion landeten Steine in den Fenstern der Richters. Für Ula war das der Impuls, deutlich mehr zu machen. Sie engagierte sich von da in der Bürgerinitiative Innenstadt-West gegen Neonazis.
Mitbegründerin und Sprecherin des Bündnisses Dortmund gegen Rechts
Als sie und ihre Mitstreiter dann Karfreitag 2000 die Nachricht erreichte, dass Neonazis Kinder mit Migrationshintergrund durch die Nordstadt jagten, organisierten sie eine Mahnwache. Das war auch die eigentliche Geburtsstunde des Bündnisses gegen Rechts, welches am 1. Mai 2000 offiziell gegründet wurde.
Bis zuletzt war sie eine der Sprecherinnen und Aktivposten. Sie wollte sich – solange es ihre Gesundheit zuließ – auch weiter gegen Krieg und Faschismus engagieren.
Denn von der Notwendigkeit der Arbeit war sie mehr denn je überzeugt. „Damals haben wir versucht, die Stadt zum Jagen zu tragen“, sagte Ursula Richter im Interview mit Nordstadtblogger. „Damals herrschte noch die Vorstellung, dass man sie doch einfach spielen lassen sollte.“
NSU-Morde – Richter: „Mein Zorn ist deutlich größer geworden.“
Auch wenn das Miteinander der verschiedenen Bündnisse besser und auch das städtische Engagement größer wurde, mochte sie das nicht glücklich stimmen: „Mein Zorn ist deutlich größer geworden.“
Damit zielte Ula Richter vor allem auf die Taten des NSU: „Ein ernsthaftes Bekämpfen des Rechtsextremismus geht in diesem Staat offenbar nicht. Beim NSU haben die Behörden mindestens weggesehen, wenn nicht sogar die Täter aktiv unterstützt.“
Ganz zu schweigen von den Wahlerfolgen der AfD – auch diese beschäftigten die engagierte Antifaschistin.
Kreative Auseinandersetzung über gesellschaftliche Zustände als Antriebsfeder
„So wie mich der Protest gegen den Vietnamkrieg politisierte, sind es die heutigen Kriege, die die eine Weltmacht USA und ihre Verbündeten für Öl und Gas, für das Besetzen der geostrategisch wichtigsten Regionen der Erde entfesseln, die mich auf die Straße, aber auch vor die Staffelei treiben“, zog sie 2014 eine Zwischen-Bilanz.
„Und es sind die deutschen Verhältnisse, ihr latenter Rassismus und Neofaschismus, die mich politisch und künstlerisch beschäftigen.“ Der Kunst hat sich die Antifaschistin übrigens nie abgewandt, auch wenn für sie die „engagierte Malerei nach wie vor eher in der Nische“ stattfinde.
„Darin habe ich mich eingerichtet, fühle mich nach wie vor von der sichtbaren Welt und von den gesellschaftlichen Zuständen, die sie bewegen, herausgefordert.“
Die Schönheit der Welt und ihre außerordentliche Bedrohung seien das Spannungsfeld, welches sie beim Malen umtreibe, beschrieb Richter.
Ihr ginge es darum, dieses sichtbar zu machen. Das wurde bei ihren Einzelausstellungen, aber auch bei der Arbeit im Bündnis gegen Rechts deutlich.
Zahlreiche Konzerte und kreative Aktionen in Dortmund initiiert
In den 23 Jahren hat sie viele Auftritte bekannter und weniger bekannter Musiker:innen vorgeschlagen und organisiert, erinnern ihre Bündnis-Mitstreiter.
Esther Bejarano in der Reinoldikirche, Josha Gingold auf einer Demonstration durch Hörde, Fred Ape zum Antikriegstag, Peter Sturm bei Gedenkveranstaltungen am Gedenkstein für die ermordeten Sinti und Roma und das Ensemble Varna beim kulturpolitischen Abend für Sinti und Roma im Wichernhaus in der Nordstadt.
Auch viele der künstlerisch-literarischen Auseinandersetzungen mit dem Faschismus bei Aktionen im öffentlichen Raum (sowohl zu historischen als auch zu aktuellen Anlässen) sind von ihr initiiert oder auch mitorganisiert worden – immer unter Beteiligung von Kolleg:innen, wenn möglich auch gemeinsam mit jungen Leuten.
Die „Scherbenspur“ zur Reichspogromnacht oder das zehn Meter lange künstlerisch gestaltete Banner zum Jahrestag der Bücherverbrennung und die Rezitation „Den Opfern einen Namen geben“ zum Mord an dem Punk Thomas Schulz oder dem Kioskbetreiber Mehmet Kubasik sind Beispiele für ihr Engagement in Dortmund.
Ihre Arbeit war noch nicht beendet, die Kämpfe noch nicht final ausgefochten. Ihren letzten Kampf hat sie aber nun verloren: „Dem wieder aggressiv aufgebrochenen Blutkrebs konnte der geschwächte Körper nicht mehr widerstehen“, berichtet ihr Mann Wolfgang Richter. „Die letzten Tage und Nächte im Hospital wünschte sie nur noch die Unterstützung, die wir uns bei unaufhebbarer Not versprochen hatten. Sie ist uns nun genommen worden.“
Jetzt ist es an den Jüngeren, ihren Kampf fortzusetzen…
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Ulrich Sander
Es wurde u.a. auf unserer VVN-BdA -Seite oft über sie und ihre Aktionen geschrieben:
https://nrw-archiv.vvn-bda.de/texte/1320_ula.htm ;
https://nrw-archiv.vvn-bda.de/texte/1163_ula_richter.htm.
Beachte auch dies:
https://clausstille.blog/tag/ula-richter/
Und dies: Eine Galerie mit der Kunst von Ula:
http://www.ularichter.de
Ula hat leider nie im Torhaus Rombergpark ausstellen dürfen. Vielleicht gibt es nun eine Gedenkausstellung?
Sie ist unvergessen. Wir führen ihren Kampf weiter. Für den Frieden und gegen die Nazis. Für eine menschliche Welt.