Von Jil Bastian
Abi unter den Bedingungen von Corona: vieles hat sich deutlich für die Schüler*innen verändert – und das zumeist nicht zu ihrem Vorteil: ob es um Abifeiern geht, Orientierung für das spätere Berufsleben oder Prüfungsvorbereitungen – überall haben die Restriktionen des öffentlichen Lebens Auswirkungen auf den Alltag der jungen Leute.
Mottowoche trotz Corona: Schüler*innen lassen sich den Spaß am Verkleiden nicht nehmen
Jedes Jahr verkleiden sich Abiturient*innen in der Woche vor den Osterferien täglich anders und planen Spiele sowie Streiche, bei denen die restlichen Schüler*innen der Schule sowie die Lehrkräfte mit integriert werden. Sie feiern ausgelassen und bestimmen für jeden Tag ein Motto, zu dem sie sich passend anziehen. ___STEADY_PAYWALL___
Die Klassiker, die so gut wie jedes Jahr vertreten sind, bestehen aus „erster Schultag“, „Kindheitshelden“, „Asi“, „Zeitreise“, „Casino Royal“ oder auch oftmals ausgefallene Mottos wie „High Society oder „Hawaii“. Die Schüler*innen der Gymnasien in Dortmund müssen in diesem Jahr allerdings die ,,richtige Mottowoche“ mit dem ,,vollen Programm“ ausfallen lassen.
Nachgeholt werden soll sie auch nicht. Denn im Sommer dürften sich die Abiturient*innen schon mit ihren persönlichen Angelegenheiten wie Studium oder eine Ausbildung beschäftigen und dadurch eine Mottowoche zu diesem Zeitpunkt nicht mehr umsetzbar sein.
Viele unter ihnen haben sich trotzdem privat in der letzten Schulwoche verkleidet und in der Schule ihr Abitur gefeiert, sofern es unter den Hygieneregeln möglich war.
Monatelanges Homeschooling trotz anstehender Abiturprüfungen – Nachteil für betroffene Schüler*innen
Aufgrund der monatelangen Schulschließungen durch das Coronavirus und des daraus resultierenden Homeschoolings haben die zukünftigen Abiturient*innen erschwerte Lernbedingungen, da sie sich einen Teil des Stoffes selbstständig beibringen müssen. Der komplette Inhalt, den man für die erfolgreiche Absolvierung der Prüfungen benötigt, konnte in der Schule nicht vollständig wiederholt werden. Für einen Großteil der Schüler*innen ist das Homeschooling längst nicht so effektiv wie der Präsenzunterrricht, da man sich eigenständig zum Lernen motivieren muss.
Zudem ist der Druck beim Homeschooling sehr ausgeprägt, da oftmals auf die Minute genau die bearbeiteten Aufgaben abzuschicken waren. ,,In Nebenfächern wie beispielsweise Religion wurden den Schülern häufig sehr umfassende Aufgaben gegeben“, erklärt Emil Pieper, Abiturient des Gymnasiums an der Schweizer Allee. Viele von ihnen treffen sich in Videokonferenzen, um zusammen den Schulstoff zu wiederholen, um ein Gefühl kompletter Einsamkeit zu vermeiden. Zudem birgt das Lernen in der gewohnten Umgebung des eigenen Zimmers die Gefahr, abgelenkt zu werden.
Harriet Eser aus dem Abiturjahrgang am Käthe-Kollwitz-Gymnasiums sagt, die meisten Lehrer*innen hätten sich viel Mühe bei der Vorbereitung auf die Vorabiturklausuren sowie das anstehende Abitur gegeben. Die Schülerin kann das Festhalten am Zentralabitur trotzdem nicht nachvollziehen, da jede Schule eine andere Ausgangssituation wegen unterschiedlicher Kompetenzen der Lehrkräfte sowie der Länge des Homeschoolings habe. Aufgrund des wenigen Präsenzunterrichts befürworten viele Schüler*innen in Dortmund das „Durchschnittsabitur“, das sich ohne Abi-Prüfung aus den gemittelten Noten der letzten beiden Jahre ergibt. Andere wiederum möchten durch die abschließenden Prüfungen ihre Abiturnote verbessern und hoffen, dass sie wie geplant stattfinden werden.
Versagen des Staates bezüglich der Digitalisierung an Schulen
Eine Vielzahl an Schüler*innen ist zudem mit der Digitalisierung in Deutschland unzufrieden, da das Land in dieser Entwicklung zurückliegt.
„Ein ganz wichtiger Appell an die Landesregierung ist, dass man definitiv in digitale Infrastruktur investiert. Wir haben seit zwei Monaten WLAN bei uns an der Schule, was katastrophal ist. Erst lief das WLAN gar nicht und nun haben wir ein Freifunk von der Stadt Dortmund gestellt bekommen. Das ist etwas besser, aber leider nicht viel“, betont Emil Pieper, Abiturient des Gymnasiums an der Schweizer Allee.
„Wir haben immer noch Lehrer, die nur mit Hilfe richtig Aufgaben einstellen können.“, erklärt er im Hinblick auf das Versagen der Regierung bezüglich der Schulung von qualifiziertem Lehrpersonal.
Verschiebung Abiprüfungen gibt Schüler*innen mehr Sicherheit – Soziale Kontakte fehlen im Schulalltag
Die Verschiebung des Abiturtermins um einige Wochen wird von fast allen Schüler*innen als sehr positiv wahrgenommen, da sie so mehr Zeit zum Lernen und Vorbereiten auf die anstehenden Prüfungen haben. Schülerin Harriet Eser betont, dass einige ihrer Mitschüler*innen sich wenig bis gar nicht unterstützt fühlen, da die Anforderungen für das anstehende Abitur in diesem Jahr gleich geblieben sind und nicht aufgrund der Umstände verändert wurden.
Zudem nehmen nicht alle Lehrer*innen auf die Jugendlichen Rücksicht und beachten nicht die besondere Situation der jungen Menschen. Vielen von ihnen fehlt der soziale Kontakt zu den Mitschüler*innen und Lehrkräften. Für sie ist das Zusammensein und Lernen mit anderen Personen ein wichtiger Bestandteil ihres Schulalltags. Aus diesem Grund war für einige das Lernen von zuhause eine große Umstellung und ein paar Jugendliche haben sich immer noch nicht an die Situation gewöhnt.
Die Schüler*innen haben zwar die Chance, sich in Videokonferenzen untereinander auszutauschen, jedoch ist das noch lange kein Ersatz für den typischen Präsenzunterricht. Vielen der jungen Leute fällt es sehr schwer, sich selbstständig zu organisieren und sich strukturiert auf die Prüfungen vorzubereiten. Der Großteil von ihnen vermisst den Präsenzunterricht, da dieser mit den Freunden in der Schule den Jugendlichen mehr Spaß bereitet.
Durch die Umgebung in der Institution fällt es leichter, sich zu motivieren. Harriet Eser geht davon aus, dass die Lehrer*innen bei der Bewertung der Abiturklausuren Rücksicht auf die Lernbedinungen nehmen werden, jedoch ist sie der festen Überzeugung, dass es ein sonstiges Entgegenkommen nicht geben wird und einige Schüler*innen das Abitur in diesem Jahr nicht bestehen werden.
Schulen haben kein einheitliches Konzept, wie Feierlichkeiten anlässlich des Abiturs stattfinden werden
Die eine Schule veranstaltet einen Abiball, die nächste Schule lässt diesen ausfallen: Ist das fair gegenüber allen Schüler*innen in Dortmund? Das Käthe-Kollwitz Gymnasium lässt in diesem Jahr den Abiball aufgrund der Pandemie ausfallen und es wird keine Ersatzveranstaltung für diesen besonderen Tag geben. Ihr Zeugnis erhalten die Abiturient*innen dieses Gymnasiums im Stadion Rote Erde unter der Einhaltung aller notwendigen Hygienemaßnahmen.
Die Schule hat die Verleihung so geplant, dass die Zeugnisse vorne auf Staffeleien gestellt werden und die Jugendlichen in kleinen Gruppen nacheinander nach vorne treten können, um sich ihr Zeugnis von der Staffelei zu nehmen. Der Abiball des Gymnasiums an der Schweizer Allee wird auch in diesem Jahr nicht ausfallen und wird auf dem Schulhof des Gymnasiums stattfinden, jedoch ist ein negativer Schnelltest das Einlasskriterium. Geplant ist, dass die Tests durch Eltern, welche in Berufen als Pfleger*innen und Ärzt*innen tätig sind, durchgeführt werden, um eine korrekte Anwendung zu garantieren.
Die Zeugnisvergabe wir in der Turnhalle der Schule veranstaltet, sodass jede*r Schüler*in zwei Angehörige mitnehmen darf. Die Vorabiturfeiern wurden von den jungen Leuten der meisten Gymnasien sowie Gesamtschulen erst gar nicht geplant, da sie schon im Voraus damit gerechnet haben, dass diese nicht stattfinden können. Harriet Eser berichtet, dass sie gerne ein Auslandsjahr in Kanada und mit ein paar ihrer Freundinnen eine Abschlussfahrt geplant hatte, jedoch werden ihre Pläne durch die Pandemie nicht umsetzbar sein, sodass sie direkt mit ihrem Studium beginnen wird.
Nur wenige Möglichkeiten nach dem Abi für junge Menschen: „Kein Land in Sicht?“
Viele Abiturient*innen reisen nach ihrem Abitur gern durch die Welt, jedoch wird das in diesem Jahr noch nicht möglich sein. So manche hatten ihre Reisen schon fest geplant, jedoch wird daraus erstmal nichts werden. Praktika werden ebenfalls um einige Monate nach hinten verschoben, da aktuell kaum Praktikant*Innen in Präsenz in die Arbeitswelt hineinschauen dürfen.
Dadurch gestaltet sich die Zukunftsplanung schwierig, da Orientierung sowie das Ausprobieren verschiedener Berufsbereiche erschwert wird und die zukünftigen Abiturient*innen nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, herauszufinden, was sie nach dem Abitur machen können. Die meisten Abiturient*innen beginnen mit einer Ausbildung oder einem Studium, jedoch haben sich ebenfalls einige von ihnen für ein freiwilliges soziales Jahr entschieden, da es viel mehr Möglichkeiten zur Zeit nicht gibt.
Psychische Erkrankungen bei Abiturient*innen geraten in Gesellschaft oftmals in Vergessenheit
Das Homeschooling und die einhergehende Vermeidung von soziale Kontakten führt bei zunehmend mehr Schüler*innen zu psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen oder Angststörungen. Seit über einem Jahr befinden wir uns in einer Pandemie und das Leben der Jugendlichen hat sich ruckartig geändert, was einige psychisch an ihre Grenzen bringt.
Sie haben keine Möglichkeit, etwas mit ihren Freunden zu unternehmen – wie beispielsweise ins Kino zu gehen oder sich zum Eis essen zu verabreden. Einmalige Erlebnisse wie der Abiball oder die Abschlussfahrt, auf die sich die Abiturient*innen über viele Jahre freuen, fallen aus und die Vorfreude auf schöne Ereignisse fehlt. Der Stress der Schüler*innen wächst und der Ausgleich fehlt, da man Schule und Freizeit nicht mehr deutlich voneinander trennen kann.
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