Vor knapp 25 Jahren, als Reaktion auf den Brandanschlag von Solingen, am 29. Mai 1993, wurde das Dortmunder Islamseminar gegründet. Bei dem rechtsextremistischen Verbrechen starben fünf Menschen türkischer Herkunft. Seither bemüht sich der kommunale Zusammenschluss aus Muslimen, evangelischen wie katholischen Christen um Verständigung zwischen Religionen und Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen und Kulturen. Zum Ifṭār, dem gemeinsamen Fastenbrechen nach Sonnenuntergang während des Monats Ramaḍān, trafen sich nun VertreterInnen der einzelnen Träger des Islamseminars in der Abū-Bakr-Moschee in der Nordstadt.
Anlässlich des Brandanschlages von Solingen: Das Dortmunder Islamseminar lädt ein
Anfang des 20. Jahrhunderts leitete in Dortmund der Königliche Musikdirektor Carl Holtschneider über viele Jahre abwechselnd Orgelkonzerte in der Alten Synagoge und der Stadtkirche St. Reinoldi. An der nach ihm benannten Straße im Dortmunder Norden liegt nun die Abū-Bakr-Moschee, die ihren Namen dem Schwiegervater des Propheten Muḥammad verdankt.
Religionen treffen sich, nicht nur geographisch-geschichtlich. Es ist jetzt Ramaḍān, die Zeit des Fastens und des Friedens, der Besinnlichkeit, des Eingedenkens. Und es ist auf den Tag genau 25 Jahre her seit dem Anschlag von Solingen. Dem Tag, als nicht zum ersten Mal in der Pogromstimmung jener Zeit – Anfang der 90er Jahre in der Bundesrepublik – Hass und Gewalt siegten.
Was die Menschen eint, die sich an diesem Abend, dem des 29. Mai, auf Einladung des Islamseminars zum gemeinsamen Fastenbrechen hier einfinden, in der Abū-Bakr-Moschee an Carl-Holtschneider-Straße in der Nordstadt, das ist ihr unbedingter Wille, dass so etwas wie in Solingen nie wieder geschehe. Und ihre feste Überzeugung, dass dafür definitiv etwas getan werden muss.
Der Islam kann auf eine lange Tradition von Wissenschaft und Toleranz zurückblicken
Aus diesem Grunde gibt es seit nunmehr fast 25 Jahren das Dortmunder Islamseminar. Es geht zurück auf eine gemeinsame Initiative des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund, des Katholischen Forums Dortmund sowie mehrerer Dortmunder Moscheevereine, einige eher türkisch, andere arabisch geprägt.
Beim Gastgeber des Fastenbrechens in der Abū-Bakr-Moschee, dem Islamischen Bund Dortmund e.V., befinden sich die BesucherInnen dort, von wo der Islam ab dem 7. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung anhob, die Welt mitzuprägen – im arabischen Kulturraum. Und der hat es in sich; das ist stolze Tradition, die im Westen zuweilen ausgeblendet wird.
Dass etwa im Mittelalter über viele Jahrhunderte die wissenschaftliche Weltspitze im Nahen/Mittleren Osten und dem maurischen Spanien versammelt war, wo jüdische und muslimische Philosophen, Mediziner, Mathematiker etc. weitgehend einträchtig nebeneinander nach allerlei Welterklärungen suchten. Vergessen wird eben, dass der Islam auch für eine lange Tradition interreligiöser Toleranz steht, wenn IS-Terroristen sich in seinem Namen über unsere Flachbildschirme bomben. Und, dass damals in Spanien die Bibliotheken brannten, als die Christen zurückkamen.
Miteinander sprechen, den Dialog suchen – damit das Fremde nicht fremd bleibt
Es geht auch anders: Das Friedenspotential der großen monotheistischen Religionen fruchtbarer zu machen, ist das erklärte Ziel des Islamseminars. Viele Gläubige Muslime fasten jetzt im Monat Ramaḍān bis zum Sonnenuntergang, so schreibt es ihre Religion vor. Bis zum Ifṭār, dem Fastenbrechen, ist noch ein wenig Zeit für die TeilnehmerInnen: zum Gespräch, zum Zuhören.
Und, um sich gegenseitig hier, im kargen Vorraum der Abū-Bakr-Moschee, darin zu bestärken, dass dies, der Dialog unterschiedlicher Menschen aus unterschiedlichen Kulturen wie Religionszugehörigkeiten, der einzige Weg ist, dem Hass die Stirn zu bieten, dem Frieden eine Chance zu geben.
Denn, wer sich nicht kennt und sich nicht kennenlernen will, ist anfälliger dafür, bei Konflikten zu misstrauen, sich weiter abzugrenzen, statt den Dialog zu suchen, und daher eher disponiert, durch unbedachte Schuldzuweisungen das Fremde, was fremd bleibt, zum Sündenbock für das eigene Versagen zu machen – so muss das Motiv der Anwesenden verstanden werden.
Auch und gerade in schwierigen Zeiten muss das Gespräch gesucht werden
Liebe und Achtung brächten weiter, hätte einmal Mevlüde Genç gesagt, die bei dem Solinger Anschlag zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verloren hatte. Um Ereignisse wie in Solingen zu verhindern, sei es wichtig, sich in Dortmund zu begegnen.
Das hätte sich auch in den 25 Jahren des Islamseminars gezeigt, nimmt die Moderatorin des Abends, Ulrike Hoppe vom Katholischen Forum, kein Blatt vor den Mund, sondern weist so gerade darauf hin, worauf es ankommt, wenn es mal schwierig wird: das Gespräch zu suchen.
Weil es in dieser Zeit durchaus interne wie externe Konflikte gegeben habe; und dennoch sei immer wieder das Gespräch gefunden worden, so die engagierte Verbindungsfrau der katholischen Kirche zu anderen Glaubensrichtungen.
Zu den externen Belastungen gehörten sicherlich auch die Negativschlagzeilen und die teilweise fragwürdige Berichterstattung eines lokalen Dortmunder Mediums im Zuge der Ermittlungen nach dem Terrorattentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt durch Anis Amri am 19. Dezember 2016, die unter anderem der Rat der muslimischen Gemeinden in Dortmund (RMGD) seinerzeit scharf kritisierte (wir berichteten).
Die interreligiöse Dialogkultur in Dortmund ist keine Selbstverständlichkeit
Die Grußworte von VertreterInnen der mit dem Islamseminar verbundenen Institutionen drehen sich an diesem Abend, an dem sich der Solinger Anschlag zum 25sten Mal jährt, dem Anlass entsprechend, dann natürlich hauptsächlich um die Gefahren rechtspopulistischer Stimmungsmache.
Sich gemeinsam zu ermutigen, zu widerstehen. Und den Dialog, das Gespräch, den Willen zur Verständigung als unabdingbare Voraussetzung dafür auszuweisen, denen, die vor Ort hasserfüllt danach trachten, Gewalt zu sähen, erfolgreich die Stirn bieten zu können.
Es sei eben keine heile Welt hier in Dortmund, in der es eine große Anzahl von Rechten und Rechtspopulisten gäbe, erklärt Andrea Auras-Reiffen, Stellvertretende Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises, und verweist auf die Bedeutung der lokal entstandenen Dialogkultur, die es keineswegs überall gebe.
Denn da die Welt offenbar nicht vernünftiger würde, sei es umso wichtiger, sich gegenseitig zu stärken, durchzuhalten, in den Bemühungen um Frieden, bekräftigt Auras-Reiffen in ihrem Grußwort.
Hass ist blind – denn er fällt Urteile, ohne sich zu bemühen, zu verstehen
Aber ein Dialog ist an Mindestvoraussetzungen gebunden und daher gleichsam nicht immer und überall möglich; es gibt Abbruchkriterien, wo es für den Moment sinnlos sein mag, weiter zu kommunizieren.
Daran erinnert Pfarrer Ansgar Schocke von der Katholischen Kirchengemeinde Nord, als er von seiner Erfahrung mit einem Taxifahrer erzählt, der gegenüber dem Islam augenscheinlich nur puren Hass gehegt habe.
Der stellv. Stadtdechant verließ deshalb das Taxi frühzeitig – Hass verhindert Dialogbereitschaft, ist unerträglich. Auch für Mevlüde Genç, die in Solingen fünf nahe Verwandte verlor, und von der Ansgar Schock berichtet, sie könne das dadurch entstandene Leid eher ertragen als jenen Hass, durch den es verursacht worden sei.
Wer hasst, fällte Urteile, ohne überhaupt zu versuchen, andere zu verstehen, lautet das Verdikt des Leiters der Gesamtpfarrei Dortmund Nordstadt. Und, so ließe sich im Sinne der Konzeption des Islamseminars hinzufügen: daher ist es so wichtig, die Begegnung zu suchen, sich kennenzulernen, sich miteinander in Vielfalt und gegenseitigem Respekt zu erleben, statt achtlos aneinander vorüberzugehen. Auch, wenn es mal etwas kracht; denn das gehört dazu.
Ahmad Aweimar: Wo es kompliziert wird, braucht es vor allem Geduld
Das muss auch Imam Ahmad Aweimer schon erfahren haben. Der Sprecher des Rates der muslimischen Gemeinden in Dortmund (RMGD) und Dialogbeauftragte des Zentralrats der Muslime in Deutschland reflektiert auf seine Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte gemeinsamer Arbeit und spricht vorsichtig von Geduld, die es brauche, um miteinander bestehen zu können. Er hätte auch von Hartnäckigkeit sprechen können.
Denn es sei alles viel komplizierter geworden, als es damals vor 25 Jahren gewesen sei; und erinnert unter anderem an die leidige Kopftuchdebatte und so manch andere „Aussagen“.
Dennoch, so der Imam mit palästinensischen Wurzeln, seien das interreligiöse Gebet, das Gespräch miteinander alternativlos, solle Vertrauen bestehen bleiben, weshalb er keine einzige Sekunde seines ehrenamtlichen Engagements in all an den Jahren des Islamseminars bereue.
Interreligiöser Dialog ist kein Selbstläufer, sondern muss organisiert werden
Der SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran berichtet davon, wie er es nach dem Solinger Anschlag als damals unpolitischer und nicht-religiöser Jugendlicher einfach nicht verstanden habe, warum Menschen sich so etwas einander antun könnten. Als er dann in die Stadt der Opfer gefahren sei – wieder Entsetzen, als er den Hass dort verspürte. – Aber Hass, so Baran, könne nicht mit Hass beantwortet werden, sondern nur mit Liebe.
Auch aus solchen Erfahrungen weiß der aus einer alevitischen Familie stammende Sozialdemokrat wohl nur zu gut, dass ein interreligiöser Dialog kein Selbstläufer ist, sondern viel Arbeit bedeutet. Zwar sei Religionsfreiheit eine Selbstverständlichkeit in diesem Land, aber das würde eben von einigen Menschen infrage gestellt.
Wie Nachbarn miteinander sprechen müssten, um das Entstehen von Anfälligkeiten für rechtspopulistische Verirrungen zu unterbinden, könne sich keiner darauf verlassen, dass sich ein interreligiöser Dialog einfach so einstelle. Er müsse vielmehr organisiert werden – zumal der Islam mit fünf Millionen MuslimInnen in Deutschland unübersehbar angekommen sei.
Begegnung bedeutet Bereicherung – „Überfremdung“ kann es daher gar nicht geben
An den von NSU-Terroristen vor zwölf Jahren ermordeten türkischen Kioskbesitzer Mehmet Kubaşik erinnert Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft NRW. Und an die am Mahnmal der NSU-Opfer neben der Alten Steinwache regelmäßig für seine Familie abgehaltene Gedenkstunde, um sie in ihrer Trauer zu stützen.
Und dann klare Kante wie schon zuvor von Pfarrer Ansgar Schocke, wenn es um die Abwehr von Intoleranz und engstirnigem Hass, um die Verteidigung von Weltoffenheit und Toleranz geht: Nein, er habe kein Verständnis. – Die andere Wange hinhalten, sieht anders aus.
Die Begegnung mit anderen Menschen sei für ihn immer eine Bereicherung. Eine „Überfremdung“ könne es mithin, dieses „Unwort“ dürfe es daher gar nicht geben. Was es für ihn gäbe, macht Wegener unmissverständlich deutlich, das sei „Respekt vs. Respektlosigkeit“. Und „diese Leute“ – solche mit xenophoben Einstellungen – seien für ihn eben respektlos. Punkt.
Ramaḍān als Monat des Innehaltens, der Einkehr, des Fastens und Friedens
Nach gemeinsamem Gebet zum Fasten gab es noch ein Kurzreferat von Ahmad Aweimer zum Thema „Ramadan – Monat des Friedens“. Der Fastenmonat Ramaḍān ist für den Islam mit der Vorstellung verknüpft, dass alle Offenbarungen Gottes, das sind die der drei großen monotheistischen Religionen, in diese Zeit des Jahres fallen.
Allen Dichtern Gottes, bekräftigt Aweimer, wären dessen Worte in diesem Monat offenbart worden, um sie sodann als Propheten zu verkünden. Der Ramaḍān gälte daher als gesegneter Monat.
Ramaḍān ist der Monat des Friedens, Innehaltens, Nachdenkens; er wird daher auch als stiller Monat bezeichnet. In ihm sei Zurückhaltung geboten, auch dann etwa, wenn mich jemand persönlich beleidigte, erklärt Aweimer seinen ZuhörerInnen in Form einer kurzen Geschichte in Anlehnung an den Qurʾān, der Heiligen Schrift des Islam.
Interludium: Arabische Kultur und ihre Metaphorik durch das Erzählen
Araber erzählen überhaupt gerne Geschichten; egal, ob Moslem, Christ, Druse, Atheist etc. Solche Geschichten sind zumeist nicht „Ohne“, auch wenn sie sich zunächst harmlos anhören mögen. Sie sagen etwas mit einer gewissen Metaphorik, was man in dieser Kultur zumeist nicht direkt zu sagen pflegt. Oder nicht sagen kann.
Wie für den Fall, dass sich durchschnittliche Mitteleuropäer mit einem Araber treffen, um irgendetwas zu besprechen. Die werden vermutlich beim obligatorischen Kaffeetrinken und dem für sie schier endlosen Palaver über die Gesundheit des wirklich allerletzten Enkelkindes kaum etwas von dem erfahren, was eigentlich Thema sein sollte.
Erst beim Handschlag zum Abschied kommen die entscheidenden zwei, drei Sätze. – Bis dahin spielen beim Gespräch neben besagten Höflichkeiten um das Zentrum Familie eher Blicke, Gesten, Mimik, respektvolles Benehmen eine Rolle.
Eine wohlgemeinte Geschichte über gut nachbarschaftliche Beziehungen
Ahmad Aweimer erzählt an diesem Abend noch eine zweite Geschichte, ebenfalls aus dem Qurʾān. Es ist die einer älteren Frau, von der alle nach ihrem Tode sagen, dass sie bestimmt in den Himmel kommen werde. Denn sie habe nach den religiösen Vorschriften rituell gebetet, gefastet, den Armen gegeben. Das Übliche also.
Aber es stellt sich heraus, dass es wider Erwarten Richtung Hölle gehen wird. Warum? Weil sie bei den Nachbarn fortgesetzt Unfrieden gestiftet hätte, wie der Prophet den erstaunten Zuhörern erklärt. Darin habe Ungerechtigkeit gelegen.
Zu bestimmten Anlässen erzählte Geschichten haben im arabischen Kulturraum immer einen tieferen Sinn. Was Ahmad Aweimer mit seinen Worten an diesem Abend um die große Bedeutung friedlicher Nachbarschaft und mit seiner Emphase von Gerechtigkeit als Voraussetzung für Frieden wohl gemeint haben mag, danach haben wir ihn später nicht gefragt. Es war ohnehin klar.
Gemeinschaftliches Fastenbrechen zum Sonnenuntergang
Epilog: Und wie es nun einmal in der Natur des Ifṭār liegt – am Ende, als sich die Sonne endgültig hinter den Horizont gesenkt haben musste, gab‘s für alle natürlich ordentlich was auf die Gabel, wahlweise Löffel. Arabisches Brot, um nach Landesart zu essen, fehlte allerdings.
Weil die Veranstalter natürlich wussten, dass überwiegend Europäer aus dem Islamseminar der Einladung folgen werden. Und Araber, gerade in der Diaspora, sind mindestens genauso höfliche Gastgeber wie sie ihren aufmerksamen Zuhörerinnen mit freundlicher Mine bedeutungsvolle Geschichten erzählen können.
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Islamseminar
25 Jahre Dortmunder Islamseminar
Seit 25 Jahren engagiert sich das Dortmunder Islamseminars für einen Dialog und die Verständigung zwischen den Religionen. Das Jubiläum wird am kommenden Samstag, 23. Juni, ab 14 Uhr im Reinoldinum, Schwanenwall 34, gefeiert. Den Festvortrag hält der Theologe und Historiker Prof. Dr. Heiner Bielefeldt.
Zu den Feierlichkeiten sind alle Interessierten eingeladen, denen das friedliche Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen wichtig ist. Das Islamseminar ist eine gemeinsame Initiative des Evangelischen Kirchenkreises, des Katholischen Forums und von Dortmunder Moscheevereinen.