Einmal pro Legislaturperiode kommt der Verwaltungsvorstand der Stadt Dortmund in eine der zwölf Bezirksvertretungen. Jetzt stand die BV Innenstadt-Nord auf dem Besuchsprogramm – 2,5 Stunden für eine Vielzahl von Themen.
Verwaltungsvorstand diskutiert mit BV-Nord über Lage bei notorischen Problemhäusern
Oberbürgermeister Ullrich Sierau gibt sich zuversichtlich: Es gäbe zwar noch eine Wegstrecke, aber auch eine sehr gute Chance, aus der sog. No-Go- eine Let‘s-Go-Area zu machen. Die externen Negativberichterstattungen überregionaler Medien vor einem Jahr habe man jedenfalls verkraftet.
So sei es etwa gelungen, einen Rückgang bei den Problemhäusern zu erreichen – vor allem auch durch privates Engagement, verkündet der OB mit einem gewissen Stolz. Doch hier gibt es offenbar Grenzen.
Was die Stadt nun mache, erklärt Susanne Linnebach, Leiterin der Stadterneuerung, sei, gemeinsam mit dem Quartiersmanagement aktiv auf die EigentümerInnen zuzugehen, was leider auch mit Klinken-Putzen verbunden sei. Mit einem Besuch sei es häufig nicht getan.
85 Immobilien habe die Stadt besonders im Fokus, so Linnebach. Es solle eine Sanierung erwirkt werden; unter anderem könnten Modernisierungsvereinbarungen getroffen werden. Gelänge dies nicht, versuche die Stadt, EigentümerInnen von einem Verkauf zu überzeugen. Dafür habe man 2,5 Millionen Euro Fördermittel aktiviert, bei einem Eigenanteil von fünf Prozent.
Die traurige Wahrheit: Immobilien sind für EigentümerInnen häufig reine Spekulationsobjekte
Das Problem liegt hier aber offenbar darin, dass für viele EigentümerInnen ihre Immobilien reine Spekulationsobjekte sind: Sie hätten nämlich häufig gar kein Interesse daran, bestätigt die Stadterneuerungsspezialistin, in die Gebäude zu investieren, sondern einzig daran, sie für noch mehr Geld weiterzuverkaufen.
Das ärgert auch den OB ersichtlich. Zumal seine Parteigenossin und SPD-Fraktionsvorsitzende in der BV, Brigitte Jülich, mit Verweis auf das „Horrorhaus“ an der Kielstraße moniert, dass angesichts vorhandener Bedarfe diese Flächen dringend zur Entwicklung benötigt würden, aber alles viel zu langsam vonstatten ginge.
Es ärgere die Stadt jedes Haus, das leerstehe, die EigentümerInnen aber aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht greifbar seien, obwohl sie durch den rechtlichen Rahmen in der Pflicht stünden, sich um ihr Eigentum zu kümmern. Und doch sei der Handlungsspielraum seitens der Stadt häufig recht eng. – Leider, leider.
BV beklagt zu zaghafte Ordnungshüter – OB Sierau hat eine einfache wie entwaffnende Erklärung
Deutlicher spürbarer dagegen ein politisches Interesse, als es um den Erhalt von Recht und Ordnung in der Nordstadt ging. Bezirksbürgermeister Dr. Ludwig Jörder beklagt eine gewisse Ambivalenz in den Voraussetzungen der Rede über die Nordstadt: nicht in das Horn derer zu stoßen, die alles schlecht redeten oder schrieben, zugleich aber die Probleme zu benennen.
Bei Veranstaltungen etwa, moniert Jörder, wirkten Ordnungsamt und Polizei immer recht defensiv, weshalb eben bestimmte Sachen nicht gingen. Das sei für die Bevölkerung eher unbefriedigend. Es müsse 1.000 Nadelstiche Richtung jener geben, die sich nicht an die Spielregeln hielten; es solle für sie unter der Maxime von Zero Tolerance schlicht ungemütlich werden.
Offene Ohren für derlei Klagen gibt es bei OB Sierau: Für absolut nachvollziehbar hält er sie und fürchtet gleichwohl, dass nun niemand seine Begründung, weshalb es den beschriebenen Zustand überhaupt gäbe, zufriedenstellen werde: das habe nämlich polizeitaktische Gründe. Es müssten eben solange gewisse Dinge geduldet werden, bis sich über jene, die ihr Geld nicht ganz ehrlich verdienten, hinreichende Informationen angesammelt hätten, mit denen gerichtsverwertbare Erkenntnisse erzeugt werden könnten.
Wenig Gegenstimmen bei Forderung nach härterem Vorgehen gegen Kriminelle
Befremdet zeigte sich diesmal in der BV niemand darüber, dass auch beim anstehenden Nordstadt-Rundgang von Polizei, Staatsanwaltschaften und Stadt wie schon zuvor keine BV-VertreterInnen und/oder das Quartiersmanagement eingeladen waren. Stattdessen werden aus der rechten Ecke Stimmen laut, wonach der seitens der Polizei vermeldete Straftatenrückgang nicht der subjektiven Einschätzung vieler im Norden lebender Menschen entspräche.
Der AfD-Vertreter in der BV-Nord, Andreas Urbanek, glaubt, dass viele Straftaten aus Frust nicht mehr gemeldet würden (ein Argument, welches Polizeipräsident Gregor Lange tagsdrauf zurückwies). Urbanek fragt sich, weshalb offener Drogenhandel, vor der Haustür sozusagen, zugelassen würde. – Wenn hier schon Subjektivität bemüht würde, kontert Cornelia Wimmer, Fraktionsvorsitzende Linke/Piraten, dann täte sie das nun auch: Seit Jahrzehnten sei sie in der Nordstadt auch zu schrägen Uhrzeiten unterwegs und ihr dabei noch nie etwas passiert.
Sierau konzediert, ihm sei durchaus bekannt, dass es Dinge gäbe, die nicht zur Anzeige gebracht würden. Zumal Polizisten nach einer Festnahme am Folgetag zumeist die betreffenden Leute wieder lachend vorübergehen sähen. Das läge an einer Gerichtsbarkeit, die nur selten Untersuchungshaft anordnete. Die Verwaltung habe da relativ wenig Möglichkeiten.
Er persönlich hätte nichts dagegen, wenn Gerichte ihren Ermessensspielraum weiter auslegten – bei Drogen genauso wie (im Übrigen) bei rechtsextremistischen Straftaten, kann sich der OB einen kleinen Wink Richtung Rechtspopulismus nicht verkneifen.
Nordstadt soll ein freundlich-sauberer Schmelztiegel zur Friedfertigkeit in tolerantem Bunt werden
Stichwort: ein weiterer Drogenkonsumraum, um Hässliches auf den Straßen zu unterbinden; konkret: in der Nordstadt. Die Idee gab es mal – geäußert von der damaligen CDU-Dezernentin Diane Jägers. Doch diese ist ins Ministerium gewechselt – die Stimme zumindest aktuell verstummt.
Aber diese Einzelmeinung sei nie – genauso wenig wie jetzt – die Auffassung des Verwaltungsvorstandes gewesen, macht Ullrich Sierau gleich eingangs klar. Denn die Nordstadt müsse schon viel aushalten und eine solche Einrichtung verschlechtere die Situation weiter. Da setze die Stadt auf andere Konzepte.
Das sehen freilich nicht alle so. David Grade, stellv. Fraktionsvorsitzender Linke/Piraten, bedauert ausdrücklich die Absage an einen zusätzlichen Raum für den Konsum harter Drogen. Und weist auf eine gerne ausgeblendete Funktion der viel gescholtenen Nordstadt hin: die Übernahme gesamtgesellschaftlicher Aufgaben, unter anderem als Integrationsmotor.
Die Null-Toleranz-Politik führe zwar zu Verdrängungseffekten – ob sie alternativlos sei, das hingegen bezweifelt oder fragt sich Grade zumindest. Denn ein solches Ordnungsdenken, so hätte er formulieren können, nährt die Befürchtung, dass die von der Mehrheitsgesellschaft erhoffte und gewollte, die saubere und zu 100 Prozent gesetzestreue Integrationswelt keine mehr seien wird.
Warum es keinen Sinn macht, Drogenkonsumräume für Abhängige bereitzustellen
Sozial- und Ordnungsdezernentin Birgit Zoerner versucht die Diskussion – natürlich – zu ordnen, Chaos kann nicht ihre Sache sein: Ein Drogenkonsumraum sei in erster Linie eine Einrichtung der Drogenhilfe zum Konsum in einem gesicherten Raum. Ordnungspolitischer Nebeneffekt: kein Konsum in öffentlichen Räumen. Dies allerdings beträfe nur jene wenigen Menschen, die dies auch potentiell täten. Meist würden illegale Drogen privat konsumiert.
Konsequenz: Drogenkonsumeinrichtungen, ob es sie gibt oder nicht, seien aus ordnungsrechtlich relevanten Erwägungen im Grunde egal. Denn sie veränderten nichts auf der Straße. Viele Menschen, die sich dort bewegten, wollten mit StreetworkerInnen nichts zu tun haben, analysiert Zoerner.
Und dann wäre da noch das Alkoholproblem. Es gibt Alkis, die ihre „harte“ Droge an jeder Bude kaufen können, und die niemand sehen will, weil da die Scham ist, dass sie öffentlich das tun, was „gute“ BürgerInnen gepflegt daheim praktizieren. Und was zweifelsfrei erst recht keine Schul- und Spielplatzkinder sehen müssen.
Beate Siekmann, Leiterin des Ordnungsamtes Dortmund, bei der BV, ganz in diesem Sinne: Je mehr Präsenz ihr Haus bezüglich der harten Drogen zeige, desto stärker setze die Verdrängung ein. Es würde versucht, Verfahren einzuleiten, 10 bis 25 Anzeigen gäbe es pro Woche. – Café Berta als niederschwelliges Angebot (als Konsumraum für AlkoholikerInnen) würde gut angenommen. Immer mehr Kommunen schauten sich das nun an. Es habe sich etabliert und solle im Rahmen von Nordwärts weiter ausgebaut werden.
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