Von Alexander Völkel
Die Berichterstattung über den geplanten Abriss des Seniorenwohnsitzes Nord und die zahlreichen Kommentare der LeserInnen gegen das Abrissvorhaben haben Bewegung in die Diskussion gebracht. Nach der Nachfrage der Nordstadtblogger hat sich mittlerweile auch die Denkmalschutzbehörde mit der Schutzwürdigkeit des 1916 als Obdachlosenheim eröffneten Gebäudes beschäftigt – zum ersten Mal.
135 Baudenkmäler gibt es in der Nordstadt – Seniorenwohnsitz war nie Thema
Denn die Denkmalschützer in Dortmund haben viel zu tun. Es gibt derzeit nur noch zwei MitarbeiterInnen in der Unteren Denkmalschutzbehörde, die sich um fast 1350 Baudenkmäler sowie mehrere tausend unter Schutz stehende Einzelobjekte, zum Beispiel auf den Friedhöfen, kümmern müssen. Mit 135 Objekten in der Denkmalliste der Stadt Dortmund ist der Stadtbezirk Innenstadt-Nord besonders stark vertreten.
Doch der Seniorenwohnsitz ist dort 100 Jahre lang kein Thema gewesen. Und weder im Vorfeld der Neubau-Planungen noch bei der Vorstellung der Abrisspläne in der Bezirksvertretung war die mögliche Schutzwürdigkeit des Gebäudes thematisiert worden. Daran bestand ja auch seitens der Städtischen Seniorenheime noch seitens der Kommunalpolitik kein Interesse – denn ein bestehender Denkmalschutz hätten die Neubaupläne an dem Standort durchkreuzt.
Merkmale wie „schön“, „hübsch“ oder „repräsentativ“ sind irrelevant
Die Untere Denkmalbehörde hat sich nun erstmals und intensiv mit dem Gebäude befasst, berichtet Denkmalschützer Michael Holtkötter. Seine Aufgabe ist es, einem möglichen „Denkmalschutzverdacht“ nachzugehen. Ob ein Gebäude „schön“, „hübsch“ oder „repräsentativ“ ist, ist dabei unerheblich.
Der Gesetzgeber gibt vor, dass ein Denkmal im öffentlichen Interesse sein und mindestens ein von drei Merkmalen erfüllen müsse: Es muss Bedeutung für die Geschichte des Menschen, von Städten und Siedlungen oder für Arbeits- und Produktionsverhältnisse haben. Zudem muss mindestens einer von vier Gründen für die Schutzwürdigkeit dazukommen. Dies können laut Gesetz künstlerische, wissenschaftliche, städtebauliche und volkskundliche Gründe sein.
Wenn diese erfüllt sind, muss ein Denkmal in Liste eingetragen sein. „Ich darf keine Abwägung vornehmen: Wenn es ein Denkmal ist, muss ich es eintragen und darf keine private oder öffentliche Interessen abwägen. Ich muss andere Erwägungen wie die Wirtschaftlichkeit außer Acht lassen“, erklärt Holtkötter das Prinzip. „Ich bin der Anwalt des Denkmals.“
Erst in der zweiten Stufe könne man sehen, wie mit dem Denkmal umgegangen und es mit vorsichtigen Eingriffen zukunftsfähig machen könne. „Es sind Gebäude, die ja einer Funktion unterliegen“, so Holtkötter – und sie unterschieden sich daher von Museumsexponaten. Eigentümer begegneten dem Denkmalschutz oft mit Skepsis und mit Vorurteilen. Doch Ziel müsse es sein, „gemeinsam an derselben Seite des Strickes ziehen, wenn auch aus anderen Gründen.“
Ehemaliges Obdachlosenasyl gilt als „architektonische Standardware“
Doch von einer Unterschutzstellung ist der Seniorenwohnsitz weit entfernt und wird sie wohl auch nicht erreichen. Denn für den Denkmalschützer ist das Gebäude und seine äußere Gestaltung nichts besonderes. „Architektonische Standardware“ lautet das fachmännische Urteil. Zudem präge es den Straßenzug nicht – ursprünglich war es ja eine Hinterhausbebauung. Sichtbar ist sie nur, weil die Gebäude an der Straße dem Krieg zum Opfer fielen.
Doch auch eine Funktion könne eine Unterschutzstellung rechtfertigen. Dafür muss aber die Funktion – in diesem Fall die einer Obdachlosenunterkunft für rund 400 Personen – noch erkennbar sein. Doch das Gebäude ist mehrfach umgebaut worden. Original ist im Inneren kaum noch etwas.
Auch an den Grundrissen und der Fassade wurden Veränderungen vorgenommen, weil sich die Nutzung und die damit verbundenen Vorschriften im Laufe der Jahrzehnte geändert haben. So wurde bereits in den 1930er Jahren das Obdachlosenasyl von den Nazis wegen der damit verbundenen „Sozialromantik“ geschlossen und fortan als „Heim der Alten und Ledigen“ genutzt.
Auch jahrzehntelange Nutzung als Altenheim rechtfertigt Unterschutzstellung nicht
Bis heute – rund 80 Jahre lang – ist es ein Altenheim geblieben. Doch auch das rechtfertigt den Schutzstatus nicht. Denn das Haus ist kein architektonisches Beispiel für ein Altenheim – anders als beispielsweise das unter Schutz stehende Theodor-Fliedner-Heim. Dort ist der Grundriss charakteristisch und erhalten.
Anders sieht das in der Schützenstraße aus: Dort wurden die großen Schlafsäle baulich unterteilt und in kleinere Zimmer verwandelt, später die Türen verbreitert und neue Böden verlegt. Auch viele für ein Obdachlosenheim der damaligen Zeit typische Funktionsräume sind verschwunden. Dafür wurden neue Räume – zum Beispiel der große Speisesaal – angebaut. Bereits 1938 hatten die Nazis unter dem neu angebauten Speisesaal Luftschutzräume mit einer Luftschleuse angelegt.
In der Gesamtbetrachtung hat der Denkmalschutz beim Seniorenwohnsitz Nord schlechte Karten. Auch wenn die Entscheidung noch nicht abschließend gefallen ist, scheint eine Unterschutzstellung unwahrscheinlich. Doch Holtkötter sieht darin aber keinen Nachteil: „Nur weil etwas nicht denkmalschutzwürdig ist, muss man ein Gebäude ja nicht gleich abreißen“, macht sich Holtkötter für den Erhalt des mehr als 100 Jahre alten Gebäudes stark. „Beim Denkmalschutz geht es ja nicht um die Zahl, sondern die Qualität der Gebäude“.
Ein alternativer Bauplatz könnte das historische Gebäude retten
Übrigens: Auch Befürworter des Erhalts sehen den Denkmalschutz nicht erstrebenswert an. Denn eine Neunutzung würde dadurch erschwert und auch teurer werden. Ihnen würde der Erhalt des Gebäudes reichen.
Die Städtischen Seniorenheime wollten ursprünglich das Gebäude ja nicht abreißen – nur in Ermangelung eines schnell verfügbaren Bauplatzes kam die Neubau- und Abrissplanung auf dem bestehenden Grundstück in Betracht. Wenn sich ein anderer Bauplatz finden ließe, wäre das repräsentative Gebäude in der Nordstadt noch zu retten….
HINTERGRUND: Artikel aus der Westfälischen Landeszeitung Rote Erde vom 2. Juli 1938: