UPDATE: Land lässt Kommunen auf den Kosten von Flüchtlingen aus angeblich sicheren Herkunftsländern sitzen

27 aller in Deutschland ankommenden Asylbewerber durchlaufen die EAE Hacheney.
8500 Geflüchtete sind in Dortmund angekommen – mehr als 1000 aus vermeintlich sicheren Ländern.

In Dortmund tut sich ein neues millionenschweres Haushaltsloch auf. Der Grund: Das Land macht sich bei der Finanzierung von Flüchtlingen einen schlanken Fuß – zumindest bei denen aus angeblich sicheren Herkunftsländern. Für Menschen aus diesen Ländern erstattet das Land den Kommunen die Kosten nicht. In Dortmund betrifft dies mehr als 1000 Geflüchtete. Die Stadt bleibt auf rund 1,2 bis 1,3 Millionen Euro pro Monat sitzen. Es regt sich daher Unmut.

SPD-Landtagsabgeordnete wurden von der Stadtspitze nicht informiert

„Das Land lässt die Kommunen im Regen stehen“ – Schlagzeilen wie diese machen sich vor einer Landtagswahl nicht sonderlich gut. Gerade deshalb sind die heimischen Landtagsabgeordneten bzw. die KandidatInnen nicht gerade begeistert, von dem Riesen-Problem aus den Medien zu erfahren.

Die stellvertretende NRW-Fraktionsvorsitzende Nadja Lüders ist sauer, dass sie nicht informiert wurde.
Die stellvertretende NRW-Fraktionsvorsitzende Nadja Lüders ist sauer, dass sie nicht informiert wurde.

Seit drei Wochen weiß die Stadtspitze davon. Eine Kontaktaufnahme zu den Dortmunder GenossInnen in Düsseldorf gab es allerdings nicht. Daher ist Nadja Lüders – immerhin stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag – ziemlich sauer.

„Wir hätten uns gewünscht, frühzeitig Informationen zu bekommen. Dann hätten wir die Hintergründe erfragen und vielleicht auch eine Änderung erreichen können“, sagte Lüders im Gespräch mit Nordstadtblogger.  Eine entsprechende Anfrage an das Finanzministerium habe sie heute gestellt. Denn für die Landtagsabgeordneten ist diese Regelung ebenso inakzeptabel wie für die Stadtspitze.

Dass es dieses „Schlupfloch“ für den NRW-Finanzminister gibt, war auch den kommunalen Spitzenverbänden entgangen, als diese gemeinsam mit dem Land die Neuregelung der Kostenerstattung im Herbst vergangenen Jahres abgestimmt hatten. „Da haben die kommunalen Vertreter jetzt Aha-Erlebnisse. Was das für Folgen hat, ist in der Deutlichkeit nicht gesehen worden“, beklagt OB Ullrich Sierau.

Mehr als 1000 Flüchtlinge in Dortmund stammen aus vermeintlich sicheren Ländern

Auf dem Parkplatz F2 neben dem Westfalenpark ist die EAE errichtet worden.
Das Land regelt die Zuweisung der Flüchtlinge und auch die Refinanzierung der Kosten. Fotos: Alex Völkel

Das Flüchtlingsaufnahmegesetz – es ist Anfang des Jahres in Kraft – sieht Pro-Kopf-Pauschalen des Landes vor. Für jeden zugewiesenen Flüchtling erhalten Kommunen monatlich 866 Euro. Ausgenommen sind allerdings die Flüchtlinge, die laut Landesregierung einen „offensichtlich unbegründeten Asylantrag“ gestellt haben.

Die individuelle Begründung spielt allerdings keine Rolle, da der Bund viele Herkunftsländer – darunter auch noch immer brandgefährliche Länder wie Afghanistan – als vermeintlich sichere Herkunftsländer eingestuft werden. Damit sind nahezu alle Asylanträge quasi unbegründet.

In der Stadt Dortmund betrifft diese Regelung mehr als 1000 Menschen. Die Stadt droht – sollte es keine Nachbesserung des Gesetzes geben – auf rund 15 Millionen Euro Mehrkosten sitzen zu bleiben – allein in diesem Jahr.

Im vergangenen Jahr waren diese Kosten noch vom Land erstattet worden – die Mittel kommen vom Bund. „Diese Kosten müssen wir jetzt komplett alleine tragen. Das ist eine ziemliche Unverfrorenheit“, ärgert sich Stadtkämmerer Jörg Stüdemann.

Das Land weist zu und die Kommunen haben keinen Einfluss auf die Kosten

Sowohl die Erstaufnahmeeinrichtung als auch die Zentrale Ausländerbehörde in Dortmund werden geschlossen.
Sowohl die Erstaufnahmeeinrichtung als auch die Zentrale Ausländerbehörde in Dortmund werden geschlossen.

Denn die Kommunen haben keinen Einfluss darauf, aus welchen Ländern sie die Flüchtlinge zugewiesen bekommen. Die Verteilung übernimmt das Land. Die einzige Möglichkeit, Kosten zu reduzieren, wären schnelle Abschiebungen. Doch in den meisten Fällen ist dies nicht möglich, weil entsprechende Ausweisdokumente fehlen.

Zudem ist die Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) in Dortmund in Auflösung begriffen – Dortmund hat die Zuständigkeit dafür vom Land entzogen bekommen. Doch neue leistungsfähige Strukturen an anderer Stelle seien noch nicht aufgebaut worden, sieht OB Ullrich Sierau die Verantwortung hier auch beim Land.

Daher muss der Kämmerer nun sehen, wie er die Mehrkosten in seinem auf Kante genähten Haushalt unterbringt. Mit insgesamt 16 bis 17 Millionen Euro „Planabweichung“  – unter anderem auch wegen der Leerstände und des Rückbaus bei den Flüchtlingseinrichtungen – rechnet Stüdemann.

Allerdings darf die Neuverschuldung nicht mehr als fünf Prozent des Haushaltsvolumens ausmachen. Das wären 67,5 Millionen Euro. „Mit den Mehrkosten sind wir dann aber sechs bis sieben Millionen Euro drüber“, rechnet der Stadtkämmerer vor.

Keine Haushaltssperre, aber zusätzliche Sparmaßnahmen in der Verwaltung

Stadtdirektor Jörg Stüdemann.
Stadtdirektor Jörg Stüdemann muss 16 bis 17 Millionen Euro Mehrkosten einplanen.

Daher heißt es nun in der Verwaltung, nochmals stärker zu sparen. „Haushaltsbewirtschaftungsmaßnahmen, aber keine Haushaltssperre“, kündigte Stüdemann an. Trotz aller Probleme sei das aber „kein Riesendrama“. Teilweise könne das mit dem weiter gestiegenen Gewerbesteueraufkommen aufgefangen werden. „Das ist in diesem Jahr so groß wie seit zehn Jahren nicht mehr. Wir sehen durchaus noch Handlungsmöglichkeiten.“

Die wird er auch brauchen. Denn nach der Schließung der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) des Landes – die großen Ratsfraktionen hatten sich gegen einen Neubau in Huckarde ausgesprochen – wird Dortmund künftig rechnerisch noch weitere Flüchtlinge aufnehmen müssen. Durch die EAE hatte es hier Reduzierungen gegeben. Ob, wann und vor allem woher diese Flüchtlinge kommen werden, ist noch völlig offen.

Auch daher will die Stadtspitze Druck machen: „Kurioserweise verrechnen sich alle immer zu unseren Lasten. Wir werden politisch massiv dagegen arbeiten. Wir haben da einen Ruf zu verlieren“, kündigte Sierau an. Dann wohl auch mit den heimischen Landtagsabgeordneten – denn die haben nicht nur einen Ruf zu verlieren – sondern auch eine Landtagswahl.

UPDATE:

Das Innenministerium widerspricht der Darstellung aus Dortmund

Laut NRW-Innenministerium gibt es für abgelehnte AsylbewerberInnen generell nach drei Monaten keine Kopfpauschale vom Land mehr. Die Kommunen müssten sich deswegen verstärkt darum kümmern, dass die Betroffenen abgeschoben werden oder freiwillig ausreisen. Das Land helfe ihnen dabei.

Eine besondere Regelung für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern, also vor allem dem Westbalkan, gebe es nicht.  Die Kopfpauschale hätten die Kommunen ja gerade gefordert, die Konsequenzen der gegenüber der vorherigen Stichtagsregelung genaueren Abrechnung seien ihnen schon lange bekannt gewesen.

Der Städte- und Gemeindebund fordert eine noch genauere Abrechnung, bei der die tatsächlichen Kosten in den einzelnen Kommunen zugrunde gelegt werden. Das heißt, Städte mit hohen Unterkunftskosten zum Beispiel für Mietwohnungen bekämen mehr erstattet als andere. Über die Einzelheiten werde noch verhandelt, die Neuregelung könnte schon 2018 kommen.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben auch das NRW-Finanzministerium angefragt. Eine Stellungnahme liegt bisher noch nicht vor.

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Reader Comments

  1. Fraktion Die Linke & Piraten

    NRW-Landesregierung gefährdet Dortmunder Haushalt und Willkommenskultur


    Die Fraktion DIE LINKE & PIRATEN fordert die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen auf, die Stadt Dortmund bei den Kosten der Flüchtlingsunterbringung komplett zu entlasten. Obwohl das Land NRW die Kosten vom Bund erstattet bekommt, soll Dortmund auf rund 15 Millionen Euro sitzen bleiben. Diese Mehrbelastung könnte den kommunalen Haushalt gefährden.



    Dazu erklärt Carsten Klink (DIE LINKE), der finanzpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE & PIRATEN:

„Wieder einmal versucht die Landesregierung den Landeshaushalt auf Kosten der Kommunen zu sanieren. Wieder einmal wird gegen das Konnexitätsprinzip verstoßen. Wenn das Land einen Auftrag erteilt, dann sollte es diesen auch bezahlen – und nicht die Städte, die zur Ausführung gezwungen sind. Statt wie die süddeutschen Länder die zugeteilten Bundesmittel komplett an die Städte weiterzuleiten, gefährdet die Landesregierung in widerlichster Weise nicht nur den Dortmunder Haushalt, sondern auch die Willkommenskultur, wenn dann vorgeblich wegen der Flüchtlinge und nicht wegen der rücksichtslosen rot-grünen Landesregierung in Dortmund wieder gekürzt wird.

    Daher freuen wir uns auf den Einzug der Partei DIE LINKE in den Landtag, da diese unsere Forderungen natürlich unterstützen wird, oder – wie es Oberbürgermeister Ullrich Sierau ausdrückte – um mit neuen Mehrheiten das Thema noch mal aufzugreifen.“

  2. CDU-Fraktion

    Landesregierung wälzt 15 Mio. Euro auf Dortmund ab

    Reppin: „Regierungswechsel am Sonntag dringend notwendig“

    Als bodenlose Unverschämtheit bezeichnet der finanzpolitische Sprecher der CDU-Ratsfraktion Udo Reppin das erneute Abwälzen von Kosten zur Unterbringung von Flüchtlingen vom Land auf die Stadt Dortmund. „Wenn es noch einen allerletzten Beweis benötigt hätte, dass diese rot-grüne Landesregierung am Sonntag endlich abgewählt werden muss – hier ist er!“, so Reppin weiter.

    Insgesamt min. 15 Millionen Euro Mehrbelastung für den städtischen Haushalt sind dadurch zu erwarten, dass die Kosten für die Unterbringung von ca. 1000 Flüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern nunmehr durch die Stadt Dortmund aufzubringen sind.

    „Damit macht die rot-grüne Landesregierung mit einem einfachen Federstrich alle Dortmunder Bemühungen zunichte, einen genehmigungsfähigen Haushalt zu erlangen. Das ist kontraproduktiv und demotivierend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die unter teils großen Kraftanstrengungen an einer Sanierung des Haushaltes mitwirken“, empört sich Udo Reppin. Er erinnert in diesem Zusammenhang an das sogenannte Memorandum, das über einen Zeitraum von vier Jahren jeweils etwa 15 Millionen strukturelle Einsparungen erbringen soll. „Und genau diese 15 Millionen werden jetzt einfach wieder oben aufgesattelt, weil das Land der Stadt Dortmund zwar Flüchtlinge zuweist, für die Kosten aber mit keinem einzigen Cent aufkommen will.“

    Die CDU-Fraktion begrüßt es daher auch ausdrücklich, dass Oberbürgermeister Ullrich Sierau die Verhaltensweise der Landesregierung „nicht auf sich sitzen lassen“ will und das Thema nach der Landtagswahl am 14.05.2017 „mit neuen Mehrheiten noch mal aufgreifen“ will.

    „Wir hoffen, dass der Muttertag der letzte sein wird für die kraftlose Landesmutter und die Flüchtlingsfragen mit einem neuen Ministerpräsidenten Armin Laschet neu geordnet werden“, sagt Reppin. Beispielhaft seien hier die südlichen Bundesländer wie beispielsweise Bayern, Dort würden die Länder ganz allein für die Kosten der Unterbringung aufkommen. „Das muss auch das Ziel für Nordrhein-Westfalen sein“, sagt Reppin abschließend.

  3. Cornelia Wimmer

    Völlig berechtigterweise empören sich Lokalpolitiker verschiedener Fraktionen über eine weitere landespolitische Maßnahme, die geeignet ist, die Städte finanziell zu strangulieren.
    Hingewiesen sei auf eine weitere, absehbare, schreckliche Auswirkung: Diese Maßnahmne erhöht den Druck, Abschiebungen zu realisieren. Nach Afghanistan zum Beispiel. Ins „sichere Herkunftsland“ Afghanistan.

  4. SPD-Fraktion

    Kein Geld für Eingliederung von Flüchtlingen vom Land –
    Integrationspauschale wird nicht an Städte und Gemeinden weitergeleitet

    Entgegen der Ankündigung von CDU und FDP in der Zeit ihrer Opposition wird die Landesregierung die sogenannte Integrationspauschale auch 2017 nicht an die Kommunen weitergeben.

    „Wir sind bitter enttäuscht, dass sich das Land dagegen entschieden hat, die Integrationspauschale an die Städte und Gemeinden weiterzuleiten. Die Kommunen, die durch die Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen immens belastet sind, werden damit im Regen stehen gelassen. Angesichts der Ankündigungen muss man das als das bezeichnen, was es ist: klarer Wortbruch.“, so die sozialpolitische Sprecherin und stv. Fraktionsvorsitzende Renate Weyer.

    „Bereits in der vergangenen Legislaturperiode und auch in ihrem Wahlprogramm hatte die CDU im Landtag vehement eine vollständige Weiterleitung der Bundesmittel an die Kommunen gefordert. Auch die FDP hatte sich im Wahlkampf dafür ausgesprochen, den Großteil der Gelder weiterzuleiten. Von diesen Plänen ist jetzt, nach der Regierungsübernahme, nichts mehr zu hören. Die Zusagen, die vor der Wahl an die Kommunen gemacht wurden, werden nicht eingehalten. Hieraus ergeben sich für viele Kommunen finanzielle Lücken, die nur schwer zu füllen sind.

    „Die Integration der Geflüchteten in den Städten und Gemeinden ist eine der großen Herausforderungen der nächsten Zeit. Das Land erhält jährlich vom Bund 435 Millionen Euro, um die Eingliederung vor Ort zu erleichtern. Nach den üblichen Berechnungsmethoden hätte die Stadt Dortmund rund 13 Millionen Euro in 2018 davon erhalten können“, kritisiert Renate Weyer die Verweigerungshaltung der CDU/FDP-Landesregierung.

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