Von Alexander Völkel
Hier sieht es nicht gerade aus wie bei „Schöner wohnen“: Die Möbel sind alt, die Matratzen durchgelegen, die Wände abgenutzt und dreckig, die Luft stickig. Es riecht muffig und nach kaltem Zigarettenrauch. Wer nicht muss, übernachtet hier nicht – in der Notschlafstelle für Männer in der Unionstraße. Es ist die letzte Anlaufstelle für die, die keinen Platz zum Schlafen mehr haben oder – gerade im Winter – nicht mehr draußen schlafen wollen.
Hohe Auslastungsquote in den Dortmunder Notschlafstellen – nicht nur im Winter
Seit 1986 gibt es die Einrichtung zwischen den Bahnbrücken unweit des U-Turmes. Dennoch wird die seit 2006 von European Homecare (EHC) im Auftrag des Dortmunder Sozialamtes bewirtschaftete Einrichtung stark frequentiert.
Im Jahr 2016 lag die durchschnittliche Auslastung bei 78 Prozent. Im Winter – gerade bei Minustemperaturen – sind immer alle Betten belegt. Das gilt auch für die Notbetten. 48 Betten plus sieben Notplätze gibt es für Männer in Dortmund.
55 Betten – in einer Stadt mit über 600.000 EinwohnerInnen? Klingt nicht viel und ist es auch nicht – auch wenn es für Frauen und für Jugendliche noch eigene Notschlafstellen gibt, die teils aber dauerhaft voll ausgelastet sind.
Das Dortmunder Sozialamt hält rund um die Uhr Unterbringungsmöglichkeiten vor
„Niemand muss draußen übernachten. Sie können rund um die Uhr kommen. Wenn die Kapazitäten in der Einrichtung nicht reichen, hilft die Bereitschaft des Sozialamtes, Plätze zu finden“, betont der Amtsleiter. „Es muss niemand auf der Parkbank schlafen, wenn er es nicht möchte“, beteuert er zum wiederholten Mal.
Im Rahmen des „Wohnraumvorhalteprogramms“ habe die Stadt mehrere Häuser und Wohnungen gekauft bzw. angemietet und somit eine Unterbringungsstruktur geschaffen. Bei Bedarf finde das Sozialamt daher nachts und an Wochenenden flexible Lösungen. So sei es möglich, auch auf Wohnungen im Grevendicks Feld zurückzugreifen – mittlerweile ist ja auch der Druck der Unterbringung von Flüchtlingen zurückgegangen.
Früher gab es hier an der Unionstraße noch mehr BewohnerInnen. Bis zu 100 Menschen wohnten hier, als die Stadt das Haus noch selbst bewirtschaftete. Seitdem wurden ein Gemeinschaftsraum, mehr Sanitärgelegenheiten, Waschmöglichkeiten und ein Untersuchungsraum für einen Arzt geschaffen.
Die SozialarbeiterInnen können sich bei Fragen mit ihren Bewohnern zurückziehen. Neben Sozialarbeiter Mahmut Albayrak (Leiter) und Sozialarbeiterin Nicole Wald (stv. Leiterin) arbeiten zwölf Kollegen im Schichtdienst in der Rezeption.
Dringender Sanierungsbedarf in der Notschlafstelle für Männer in der Unionstraße
Ein massives Problem: Der Platz ist knapp: Es fehlt vor allem an Lagerflächen und Stauraum für die Menschen, die ja mit „Sack und Pack“ und mitunter auch einem Einkaufswagen voll mit ihren Habseligkeiten vor der Tür stehen.
Außerdem ist die Einrichtung deutlich in die Jahre gekommen. Sie soll saniert werden, kündigt Jörg Süshardt, Leiter des Sozialamtes an. Konkrete Überlegungen oder gar Zeitpläne gibt es noch nicht: „Wir sind noch am am Anfang der Planungsphase.“ Ob es am Ende einen Neubau oder vielleicht sogar mehr Plätze geben wird? Das muss sich zeigen.
Doch klar scheint für ihn, dass er keine deutliche Kapazitätsausweitung will. „Es ist keine Lösung, hier eine hotelähnliche Location zu schaffen, wenn man die Wohnraumsituation ernst nimmt. Daher haben wir nicht so viele Plätze wie Düsseldorf oder Köln“, verteidigt Süshardt das Dortmunder Konzept.
Man verfolge bei der Stadt einen gestuften Ansatz. „Wir bleiben den Leuten auf den Hacken stehen und machen Angebote, um sie perspektivisch in reguläre Wohnungen zu bringen“, so Süshardt. „Es geht um den Zugang zum Hilfenetzwerk. Akuthilfe kann jeder und da löse ich auch kein Problem mit“, ergänzt Tina Kleßen, Regionalleiterin von European Homecare.
Wohnungsnot: Die Suche nach einer Wohnung ist für Obdachlose in Dortmund extrem frustrierend
Ziel sei es, die Menschen, die es wollen, wieder in normale Wohnverhältnisse zu begleiten. Doch einfach ist das nicht. Die Wohnraumsituation auch in Dortmund wird immer schwieriger – gerade im Bereich der preiswerten Wohnungen.
„Viele unserer Gäste sind schon länger auf Wohnungssuche und sehr frustriert“, weiß Nicole Wald, Sozialarbeiterin und stellvertretende Leiterin der Notschlafstelle. Wenn sich ihre Klienten auf ein möbliertes Apartment bewerben würden, kassierten sie in der Regel eine Absage.
Dabei würde es nicht am Geld scheitern – Geld zum Wohnen sei da, beteuert Süshardt. Zumindest für jene Menschen, die Anspruch auf Sozialleistungen haben.
Ein Platz in der Notschlafstelle für Männer in Dortmund kostet 10,45 Euro pro Nacht
Daher gibt es den Platz in der Notschlafstelle nicht kostenlos. 10,45 Euro zahlt das Sozialamt pro Person und Nacht für Anspruchsberechtigte. Entweder vor dem Einzug, spätestens aber nach der ersten Nacht, müssen die Hilfesuchenden beim Sozialamt in der Luisenstraße vorsprechen.
Das Jobcenter ist in 90 Prozent der Fälle zuständig. Da geht es darum, den Leistungsbezug zu klären. Der kleinere Teil der Menschen, die nicht mehr erwerbstätig sein können, werden von Sozialamt im selben Gebäude bedient.
Dazu gehören allerdings nicht die Menschen aus Südosteuopa, die im Rahmen der europäischen Freizügigkeit aus Bulgarien und Rumänien nach Dortmund gekommen sind und hier keine Arbeit und Wohnung gefunden haben.
Wohnungslosigkeit: Hilfesuchende Armutszuwanderer gehen leer aus
Was ist, wenn dann ein bulgarischer Staatsbürger, seit 2009 in Dortmund gemeldet, nun in der Unionstraße um Aufnahme bittet? „Wir schicken ihn nicht weg. Aber das ist keine Dauerlösung. Dann muss er gehen, woher er gekommen ist“, heißt es von den Verantwortlichen.
„Er bekommt Hilfe in der Not bei einer kalten Nacht und dann gibt es Hilfe bei der Rückreise. Wir helfen bei der Fahrt nach Hause – wenn er will“, sagt Süshardt. Mehr sei sozialhilfetechnisch nicht drin. Er bekomme ein Ticket nach Plovdiv und dazu ein Lunchpaket.
„Das wird aber nur selten in Anspruch genommen.“ Die Busse fahren ja zwei mal täglich von Dortmund in die bulgarische Stadt. Wenn er trotzdem bleiben will, wird er als „Selbstzahler“ behandelt: Diese müssen 7,32 Euro pro Nacht abdrücken. Doch das komme selten vor, heißt es vom Team.
Die Obdachlosenhilfe bodo sieht das Dortmunder Kostenträgermodell kritisch
Bei der Obdachloseninitiative bodo sieht man das Kostenträgermodell kritisch. „Die Kommune ist ordnungsrechtlich zur Unterbringung verpflichtet, der Zugang zur städtischen Notunterkunft aber an den Bezug von Leistungen gekoppelt.
Die Kommune übernimmt nur die Übernachtung derer, die als „ohne festen Wohnsitz“ in Dortmund gemeldet sind und Anspruch auf Grundsicherung oder SGBII haben.
Diesen Anspruch haben aber manche Menschen nicht, wenn sie zum Beispiel in einer anderen Stadt gemeldet sind, aus Scham oder Angst vor Ämtern keine Leistungen beantragen oder als EU-Zugewanderte keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Sie müssen die Übernachtung dann entweder selbst zahlen oder woanders einen Platz suchen.
Das aber geht an der Lebenswirklichkeit von Obdachlosen vorbei“, sagt Oliver Philipp von bodo. „Es braucht einen uneingeschränkten Zugang zu Übernachtungsmöglichkeiten, eigentlich aber eine ausreichende Anzahl von Wohnungen.“
Übernachtende ohne Kostenübernahmebescheinigung des Sozialamtes stehen unter Druck
So werde ein Deutscher, der zuletzt in Düsseldorf gemeldet gewesen sei, letztendlich abgewiesen und an das Jobcenter bzw. Sozialamt in Dortmund verwiesen – so zumindest die Rückmeldung der Klienten des Vereins.
Dieser Darstellung widerspricht aber die Stadt. Entscheidend sei der „gewöhnliche Lebensmittelpunkt“. Wenn sich die anspruchsberechtigte Person dauerhaft in Dortmund aufhalte, könne sie natürlich beim Sozialamt bzw. beim Jobcenter in Dortmund vorsprechen.
Allerdings sollte der Obdachlose für die zweite Nacht nicht ohne eine Kostenübernahmebescheinigung in der Notschlafstelle auftauchen: „Dann hat er hoffentlich einen guten Grund. Es gibt Einzelfallprüfungen – Not verursachen können wir nicht“, verdeutlicht Tina Kleßen von European Homecare.
„Wir müssen durch persönliche Ansprache den Druck erhöhen und deutlich machen, dass er nicht auch eine zweite Nacht ohne Übernachtungsschein hier verbringen kann“, so die EHC-Bereichsleiterin.
Das klingt eher nach den gemachten Erfahrungen von bodo. Doch das Team versichert, dass kaum jemand abgewiesen werde – außer wenn er stark alkoholisiert ist. „Sie kennen das Mitwirkungsspiel“, sagt Nicole Wald.
Bürokratie, Stress, Lärm und Enge schrecken nicht wenige Hilfesuchende ab
Dennoch ist eine Übernachtung auch ohne Alkohol nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Nicht nur die bürokratischen Hürden, auch der Lärm, der Stress, die Enge und manchmal auch die körperlichen Auseinandersetzungen sorgen dafür, dass nicht zu viele Männer das Angebot nutzen.
Wie viele obdachlose Menschen gibt es überhaupt in Dortmund? Nicht jeder obdachlose Mensch nimmt Kontakt mit dem Sozialamt oder dem Jobcenter auf oder nimmt das Angebot an, von der Stadt Dortmund untergebracht zu werden.
„Viele Personen kommen immer wieder kurzfristig bei Bekannten unter. Eine fundierte Schätzung, wie viele Menschen sich derzeit obdachlos in Dortmund aufhalten, ist nicht möglich“, berichtet Eveline Draht, Bereichsleiterin des Fachdienstes Wohnen beim Sozialamt.
„Schätzungsweise 400 Menschen, die obdachlos sind, beziehen aktuell vom Sozialamt bzw. dem Jobcenter Leistungen.“ Wie viele Menschen sich allerdings ohne Hilfe des Amtes in Dortmund durchschlagen, darüber gibt es keine Angaben…
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KANA
Vortrag Wohnungslosigkeit in Dortmund
Der Wohnungsmangel, der das Ruhrgebiet erreicht hat, führt mittelbar zu weiter steigenden Zahlen obdachloser Menschen. Vor allem in Dortmund nimmt die Zahl jener zu, die meist schlecht auf die Kälte vorbereitet, die Nächte im Innenstadtbereich verbringen. Bastian Pütter, Redaktionsleiter der Straßenzeitung bodo, gibt einen Einblick in die aktuelle Situation.
Die Veranstaltung findet am Sonntag, den 19. Februar 2017 um 16 Uhr in die Kana-Suppenküche, Mallinckrodtstr. 114, in der Nordstadt statt. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei.
Silvia Schneider
Die momentane Lage der Wohnungslosen in Dortmund ist beängstigend – hier besteht dringender Handlungsbedarf. Wir vom Team „DoBox“ (e.V. in Gründung) werden uns gerne den Vortrag anhören und freuen uns auf Euch.
https://www.facebook.com/DoWoBox/
CDU-Fraktion
Justine Grollmann: „Männerübernachtungsstelle muss saniert werden!“
Die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion Dortmund, Justine Grollmann, hat sich ein Bild von der baulichen Situation der Notschlafstelle für Männer an der Unionstraße gemacht und sieht hier einen dringenden Handlungsbedarf.
„Es sind nicht nur die stinkenden Sanitäranlagen und die schlechte räumliche Situation für Übernachtungsgäste und Mitarbeiter in der Übernachtungsstelle, sondern vor allem die bauliche Substanz des Gebäudes. Wenn ein Haus über 30 Jahre extrem genutzt wird, ist mindestens eine Sanierung fällig, wenn man sehen kann, wie der Putz langsam von der Wand bröckelt“, so die CDU-Sprecherin Justine Grollmann.
Nach Kenntnis der sozialengagierten Justine Grollmann müssen auch Wasser-, Abwasser- und Heizungsröhre unbedingt erneuert werden. Regelmäßiger Wassereinbruch sorgt zusätzlich für die Tatsache, dass an diesem Gebäude einiges zu tun sein wird.
Die CDU-Fraktion im Ausschuss für Soziales, Arbeit und Gesundheit wird deshalb in der kommenden Sitzung einen Antrag stellen, dass die Verwaltung sich mit dieser Übernachtungsstelle für Männer beschäftigen muss. Die CDU will wissen, wie hoch Umfang einer Sanierung des Gebäudes ist, mit welchen Kosten diese verbunden wäre und ob es nicht vielleicht sinnvoller wäre, das ganze Haus abzureißen und an gleicher Stelle neu zu bauen.
„Wir sind von diesem Standort für die Obdachlosenübernachtungs-stelle überzeugt und können uns auch keinen anderen Ort vorstellen. Von hier aus sind alle weiteren Einrichtungen wie das „Gasthaus“ oder das Sozialamt gut zu erreichen und es werden keine Nachbarn tangiert“, erklärt Justine Grollmann abschließend.
Dennoch will die CDU-Fraktion von der Verwaltung wissen, ob vielleicht andere räumlich Alternativen zur Verfügung stehen. Auch sollte die Verwaltung abschätzen, ob durch die gestiegene Bevölkerungszahl in Dortmund ein Mehrbedarf an Betten besteht.