Das Angebot ist längst überfällig, aber längst noch nicht ausreichend: Die AWO und die Stadt Dortmund haben ein Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge eröffnet – zum großen Teil finanziert mit Landesmitteln. Die Botschaft für dieses Zentrum ist klar: Hier geht es nicht darum, Flüchtlingen Behandlungen zukommen zu lassen, die Deutschen vorenthalten werden.
Ziel: Ein differenziertes und ausreichendes Angebot für alle Menschen
„Wir verschlechtern für niemanden etwas. Wir brauchen für alle Menschen ein differenziertes und ausreichendes Angebot“, verdeutlicht Sozialdezernentin Birgit Zoerner. „Wir müssen das System so aufbauen, dass es allen Gruppen gerecht wird.“
Schon jetzt gebe es lange Wartezeiten und Zugangsbarrieren. „Wir müssen den Status der Sonderregion Ruhrgebiet bearbeiten, um einen anderen Versorgungsschlüssel zu bekommen, erklärt Zoerner. Seit mehr als 50 Jahren gibt es diese Sonderregion, die einen deutlich schlechteren Versorgungsgrad mit Behandlungsangeboten bedeutet.
Während es in Dortmund 69 TherapeutInnen gibt, die über die Kassenärztliche Vereinigung finanziert werden, sind es im annähernd gleich großen Düsseldorf 195. Bei den PsychiaterInnen ist das Verhältnis ähnlich: 19 in Dortmund, 44 in Düsseldorf. Entsprechend lang sind bisher die Wartezeiten im Ruhrgebiet.
Diese ungleiche Quote ist seit Jahrzehnten politisch so gewollt – erst im Jahr 2017 könnte es eine Veränderung geben. „Es haben ja viele ein Interesse, dass sich etwas tut – nicht nur wegen der Flüchtlinge, sondern insgesamt“, verdeutlicht die Dortmunder Sozialdezernentin.
Dazu gehört auch, ein Angebot für die Menschen zu schaffen, die bisher keinen Zugang zu den Regelsystemen haben – also auch für AsylbewerberInnen.
Die AWO Dortmund hat den Zuschlag vom Land NRW bekommen
„Wir freuen uns sehr, dass wir in Dortmund den Zuschlag bekommen haben. Und wir freuen uns ein zweites Mal froh, dass wir ihn als AWO bekommen haben“, sagte die Dortmunder AWO-Vorsitzende Gerda Kieninger.
„Wir sind ja schon lange hinter her, weil wir die Versorgung nicht gewährleistet gesehen haben“, macht die SPD-Landtagsabgeordnete deutlich. Daher habe sich die AWO schon sehr früh um die Landesmittel bemüht.“ Gemeinsam mit der Stadt wurde das neue Angebot in der Langen Straße 44 – direkt am Westpark – geschaffen. „Wir schaffen 1,5 Stellen für Psychotherapeutinnen und eine Stelle für Sozialarbeit“, so Kieninger.
6200 Flüchtlinge hat Dortmund kommunal zugewiesen bekommen. Dazu kommen noch rund 850 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Viele Menschen kommen aus Kriegsgebieten und haben schwierige Fluchterfahrungen gemacht.
40 Prozent der Flüchtlinge sind traumatisiert – nicht alle sind behandlungsbedrüftig
Schätzungen besagen, dass 40 Prozent traumatisiert sind. Natürlich sind nicht alle behandlungsbedürftig. Doch wenn, gibt es für Menschen, die noch auf die Anerkennung als Flüchtling warten, durch das Asylbewerberleistungsgesetz einen nur eingeschränkten Zugang zu psychotherapeutischer Betreuung. Bei vielen traumatisierten und psychisch belasteten Flüchtlingen bilden sich posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS).
Um sie zu behandeln, müssen viele Barrieren überwunden werden: Dazu gehören die unzureichende Kostenübernahme bei Sprachbarrieren, kulturelle Unterschiede im Umgang mit psychischen Belastungen und dann noch der deutlich schlechtere Versorgungssituation im Ruhrgebiet mit TherapeutInnen.
Dazu kommen noch sogenannte „postmigratorische Stressoren“, die die psychische Stabilität beeinträchtigen: Das Leben in Gemeinschaftsunterkünften ist schwieriger und belastender als in Wohnungen. Dazu kommt die Unsicherheit, was aus einem selbst oder der Familie wird – gerade dann, wenn ein Nachholen nach Deutschland nicht möglich ist.
Daher wurde das Förderprogramm des Landes ausgeweitet. Die AWO Dortmund hat sich an der an Interessenbekundgung erfolgreich beteiligt. Der Rat hat – wenn auch gegen die Stimmen von Rechtsextremen und Rechtspopulisten . den Eigenanteil von 26 Prozent bewilligt.
PSZ setzt auf Krisenintervention, Gruppenangebote und Fortbildungen
Es hat zuvor viele Gespräche zwischen AWO und Gesundheitsamt gegeben. „Uns war wichtig, dass ein solches Zentrum möglichst viel Wirkung für möglichst viele Leute erreicht. Daher gibt es nicht nur Individualtherapie, sondern auch Krisenintervention, Gruppenangebote und Fortbildungen“, verdeutlicht Zoerner.
„Wir schaffen 1,5 Psychologenstellen für alle 6200 Flüchtlinge – und nicht jede Stadt hat ein PSZ. Wir sind daher weit davon entfernt zu sagen, dass jeder Flüchtling eine Versorgung erhält, die dem Goldstandard entspricht“, betont Stephan Siebert, Koordinator im Gesundheitsamt:
Außerdem macht Rodica Anuti-Risse, die neue Leiterin des PSZ deutlich, dass die Flüchtlinge nicht in eine Therpaie strömen, um ihre Bleibesituation zu verbessern. Im Gegenteil: „Die meisten Flüchtlinge sind sehr schambehaftet. Die Erkrankungen werden lange versteckt. Erst wenn gar nichts mehr geht, dann erst kommen sie“, macht die Psychologin deutlich.
„Das ist auch unsere Erfahrung aus dem Clearinghaus. Die Jugendliche nehmen die Angebote nur an, weil sie sonst nicht schlafen, essen und zur Schule gehen können“, so Anuti-Risse.
Posttraumatische Belastungsstörungen sind kaum vorzutäuschen
Außerdem sei es kaum möglich, posttraumatische Belastungsstörungen vortäuschen. „Es gibt viele körperliche Indikatoren. Dazu gehören Erregungszustände, Flashbacks, Schwitzen und Zittern am Kiefer. Das sind keine Reaktionen, die man hervorrufen kann“, erklärt Aline Rieder, Psychologische Psychotherapeutin mit viel Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit.
Die große Masse der Flüchtlinge wird ohnehin nicht in den „Genuss“ einer Behandlung kommen: Denn für Einzeltherapien stehen nur 0,75 Stellen zur Verfügung. „Viele bekommen keine Therapie, bevor sie wieder zurückgeschickt werden“, glaubt Rieder.
Lediglich 20 bis 25 Einzelfälle zeitgleich werden am Westpark zeitgleich behandelt werden. Manche brauchen fünf oder sechs Stunden bei einer Krisenintervention, manche aber auch 20 oder 40 Stunden, bis man einen Platz wieder freigeben kann.
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