250 TeilnehmerInnen beim 4. Flüchtlingsforum in Dortmund: Das Ankommen in der Gesellschaft steht im Mittelpunkt

250 TeilnehmerInnen - 100 mehr als beim letzten Mal - nahmen am 4. Flüchtlingsforum teil.
250 TeilnehmerInnen – 100 mehr als beim letzten Mal – nahmen am 4. Flüchtlingsforum teil.

Das Thema „Ankommen“ stand beim vierten Dortmunder Flüchtlingsforum im Dietrich-Keuning-Haus im Mittelpunkt. Gemeint war allerdings nicht das physische Ankommen mit Zügen, sondern das Ankommen in der Gesellschaft. Rund 10.000 Flüchtlinge sind derzeit in Dortmund. Um sie kümmern sich sehr unterschiedliche haupt- und ehrenamtlich tätige Menschen.

Fast 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim vierten Flüchtlingsforum

Initiiert wurde das Forum vom Netzwerk „Arbeit, Potentiale, Perspektiven für Flüchtlinge“ .
Initiiert wurde das Forum vom Netzwerk „Arbeit, Potentiale, Perspektiven für Flüchtlinge“ .

Initiiert vom Netzwerk „Arbeit, Potentiale, Perspektiven für Flüchtlinge“ (APP) hatte der Dortmunder Arbeitskreis Kimble gemeinsam mit der Stadt Dortmund, der Agentur für Arbeit Dortmund und dem Jobcenter Dortmund interessierte Akteure der Flüchtlingsarbeit zum vierten Forum eingeladen.

Fast 250 Menschen – 100 mehr als beim letzten Forum – hatten sich angemeldet. Darunter waren Mitarbeitende in den arbeitsmarktlichen Behörden ebenso wie in den Betrieben und den Organisationen des Handwerks und der Industrie.

Sie tauschten sich über die aktuellen Bedingungen, Möglichkeiten und Unterstützungsangebote für geflüchtete Menschen und die ersten Schritte in das Leben in Deutschland aus.

Vor allem die Unterstützung bei Bildung und Berufseintritt hatten die Aktiven im Fokus: Zentrales Ziel des vierten Forums war es daher, die Sensibilität und das Wissen der Beteiligten zu erhöhen, um den hohen Stand der Bildungs- und Integrationsmotivation der geflüchteten Menschen zu erkennen und zu fördern.

Flüchtlinge als Chance beim demographischen Wandel und Fachkräftemangel

„Was hier passiert, ist eine ganz große Chance. Zu 75 Prozent sind es junge Menschen unter 35 Jahren. 83 Prozent sind aus Syrien, 80 Prozent sind Männer. Sie sind motiviert. um sich bei uns eine neue Perspektive aufzubauen“, verdeutlicht Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer Jobcenter Dortmund, die Lage. „In diesem Alter haben wir eine große Bildungsbereitschaft und gute Möglichkeiten.“

Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer Jobcenter Dortmund
Frank Neukirchen-Füsers, Geschäftsführer Jobcenter Dortmund. Fotos: Alex Völkel

Die Möglichkeiten hätten sich vor allem deshalb verbessert, weil die Vorzeichen andere seien: Denn über viele Jahre sei die Maxime gewesen, Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, was ihnen auch die gesellschaftliche Integration massiv erschwert habe.

„Flüchtlinge hatten meist schlechtere Chancen als Zuwanderer, weil diese oft angeworben wurden. Seit vielen Jahren hatten wir bei Flüchtlingen keine arbeitsmarktliche Willkommenskultur“, so Neukirchen-Füsers.

Vorrangprüfungen und gesetzliche Bestimmungen hätten zum Ziel gehabt, möglichst viele Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. „Sie wurden somit auch gesellschaftlich an den Rand gedrängt. Das ist zum Teil auch heute noch so.“

Allerdings setzt er auf einen Paradigmenwechsel: Im Zeitalter des demographischen Wandels, einer alternden deutschen Bevölkerung und des zunehmenden Fachkräftemangels könnten Veränderungen anders diskutiert werden.

„Wir brauchen Fach- und Arbeitskräfte, um den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand in Deutschland langfristig erhalten zu können. Daher sind nun Dinge möglich, die in den letzten Jahren nicht diskutiert wurden“, so der Chef des JobCenters.

„Daher möchte ich appellieren: Wir dürfen diesen Schwung nicht verlieren, aufgrund von Kompromissen, die wir meinen eingehen zu müssen. Sie werden die Integration verlangsamen und die Lösung von Zukunftsproblemen verhindern.  Angst ist immer ein ganz schlechter Ratgeber.“

Die Dortmunder Netzwerke wollen auch die Arbeitgeber stärken und motivieren

Pascal Ledune, stellvertretender Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderung
Pascal Ledune, stellvertretender Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderung.

Ein Gedanke, den auch Pascal Ledune, stellvertretender Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderung, verfolgte. „Nach dem Willkommen, kommen nun die Mühen des Alltags.“

Die Wirtschaftsförderung habe zwar selbst keine Fördermittel für die Arbeitsmarktintegration: „Aber wir kennen die Schnittstellen und die Möglichkeiten für die Unternehmen. Und die Bereitschaft der Unternehmen ist groß, Flüchtlinge einzustellen“, so Ledune.

„Es gibt aber immer Möglichkeiten, das zu flankieren und auch durch Förderungen zu unterstützen. Die Wirtschaftsförderung ist wie die Spinne im Netz – wir haben die Verbindung zu den Unternehmen.“ Gemeinsam werde man dafür werben, Flüchtlingen Chancen auf Praktika und Jobs zu geben.

Doch dafür müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen: „Wir wollen helfen, legen aber auch den Finger in die Wunde. Bei den Behörden geht es oft drunter und drüber“, kritisierte Dirk Vohwinkel, Leiter IHK-Ausbildungsberatung. Allerdings böten sich auch schon jetzt für Unternehmen viele (Förder-)Möglichkeiten und gute Strukturen, um Probleme aus der Welt zu schaffen.

„Ich glaube, dass Dortmund bei der Vernetzung Vorreiter ist. Bei Problemen kennen wir wen, den man ansprechen kann“, machte Vohwinkel auch den beim Forum vertretenen Arbeitgebervertretern Mut. Mit Informationsbroschüren und Best-Practise-Beispielen wirkt die IHK Vorbehalten und Ängsten auf der Arbeitgeberseite entgegen.

Pilotprojekte sind gut angelaufen – „Integration-Point“ gestartet

Die Handwerkskammer Dortmund hat sich sehr früh dem Thema verschrieben und mit einem Pilotprojekt angefangen, in dem 20 Flüchtlinge eine Ausbildung im Handwerk begonnen haben. Mittlerweile ist das Projekt auf 100 Plätze aufgestockt: Nach den Sommerferien sollen die jungen Flüchtlinge eine Ausbildung in Handwerksbetrieben beginnen.

„Es ist bundesweit das Referenzprojekt, weil wir es mit allen Kammern und Agenturen im Bezirk aufgestellt haben“, erklärt Olesja Mouelhi-Ort. „Es läuft gut bei der Unterstützung durch Arbeitsagentur und JobCenter. Die Zusammenarbeit muss man einfach loben – in Dortmund und in der Region.“

Franco DellAquila von der Arbeitsagentur und Rita Thelen vom JobCenter stellten den Integration-Point vor.
Franco DellAquila von der Arbeitsagentur und Rita Thelen vom JobCenter stellten den Integration-Point vor.

Sowohl die IHK als auch die Handwerkskammer arbeiten Hand in Hand mit JobCenter und Arbeitsagentur, die im Herbst einen gemeinsamen „Integration-Point“ an der Steinstraße gestartet haben.

„Mit dem gemeinsamen Integration Point der Agentur für Arbeit, des Jobcenters sowie in Kooperation mit der Stadt Dortmund haben wir für geflüchtete Menschen eine erste Anlaufstelle auf dem Weg in Arbeit und Ausbildung geschaffen“, erklärt Franco DellAquila, Koordinator der neu geschaffenen Anlaufstelle, die Arbeit.

Gemeinsam mit Rita Thelen vom JobCenter stellten sie die aktuellen Programme und gesetzlichen Grundlagen vor.

„Hier bekommen die geflüchteten Menschen wichtige Unterstützungsangebote wie Integrationskurse, berufsbezogene aber auch niedrigschwellige Sprachförderungen sowie Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Als Integration Point leisten wir so einen wichtigen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft.“

Unternehmen übernehmen gesellschaftliche Verantwortung

Dessen sind sich auch drei AusbilderInnen und ihre Auszubildenden bewusst, die im Keuning-Haus im Dialog mit Moderator Gunther Niermann von ihren Erfahrungen berichteten. Hier wurde nicht über, sondern auch mit Flüchtlingen gesprochen.

Auch Flüchtlinge kamen zu Wort - sie stellten ihren Erfahrungen mit dem deutschen Ausbildungssystem vor.
Auch Flüchtlinge kamen zu Wort – sie stellten ihren Erfahrungen mit dem deutschen Ausbildungssystem vor.

Janina-Francine Thun, Ausbilderin bei der Handwerkskammer, war voll des Lobes über ihren Azubi: Sie hätten generell sehr motivierte Auszubildende – aber ihr Azubi aus dem Iran „sei nochmal ein Stück motivierter“.

Ein Eindruck, den Ausbilder Joachim Goldenstein von TSR-Recycling nur bestätigen kann:  „Paul ist sehr engagiert. Er wollte unbedingt arbeiten und ist kaum zu bremsen. Das hat uns unheimlich motiviert“, berichtet Goldenstein. Sein Azubi aus Mali steht etwas verlegen neben ihn und lächelt wegen des vielen Lobes.

Der junge Mann, der als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling alleine aus Mali nach Dortmund kam, versteht sich blendend mit seinem Ausbilder, den er liebevoll „Papa Goldenstein“ nennt. Sie haben nur ein Streitthema – und das ist Fußball. Paul war schon in Mali ein glühender BVB-Fan, Goldenstein ein überzeugter Schalker.

Doch gemeinsam gehen sie durch dick und dünn. „Die Kollegen gehen jeden Weg mit ihm“. Allerdings sehen sie vor allem bei der Ausländerbehörde noch großen Unterstützungs- und Handlungsbedarf. Vor allem, wenn Paul alle drei Monate zum Amt muss, um seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen. „Das nimmt oft ganze Tage in Anspruch“, weiß Goldenstein – unzumutbar.

Bangali Cissé stammt von der Elfenbeinküste und hatte keine Vorstellung von Deutschland: „Ich hatte kein Bild im Kopf, keinen Beruf und keine Schule erlebt. Hier habe ich alles zum ersten Mal kennengelernt.“ Jetzt macht er eine Ausbildung in Lager und Logistik und ist damit sehr glücklich.

Bürokratische und sprachliche Hemmnisse erschweren die Integration

Allerdings macht ihm die Berufsschule zu schaffen – nicht nur wegen der Sprachprobleme. Auch die Behördenschreiben und die Gänge zu den Ämtern machen Probleme. „Die Firma hilft ihm. Aber das ist ein großer Aufwand“, verdeutlicht Ausbilderin Jennifer Rinke von LFD Wälzlager. Sie wünscht sich verständlichere Behördenschreiben und einen Bürokratieabbau. Das würde gerade kleinen Unternehmen helfen.

Forumsorganisator Detlev Becker
Forumsorganisator Detlev Becker

„Ich finde es erschreckend, dass Menschen, die in der Ausbildung sind, oft nur drei Monate Aufenthalt haben.

Die Wirtschaft fordert daher, dass sie eine Bleibeperspektive für die drei Jahre der Ausbildung bekommen und zwei Jahre darüber hinaus, damit sie in ihrem Beruf arbeiten können und sich so der unternehmerische Einsatz auch lohnt“, macht IHK-Vertreter Dirk Vohwinkel die bundespolitische Forderung des IHK-Dachverbandes deutlich.

„Ausbildung kostet Geld. Und es muss klar sein, dass der Auszubildende fünf Jahre Ruhe hat und nicht die ständige Angst im Nacken hat.“

Die Netzwerkarbeit im Dortmunder Forum ist ein gutes Mittel, um sich über Erfahrungen und über nächste Schritte in der Flüchtlingsarbeit auszutauschen. „Nur über einen intensiven Austausch und die Zusammenarbeit ist die komplexe Aufgabe der Integration der geflüchteten Menschen möglich“, erklärt Forumsorganisator Detlev Becker vom AK Kimble.

Rund 10.000 Flüchtlinge sind derzeit in Dortmund untergebracht

Ulrich Pichota und Frank Binder stellten die aktuellen Flüchtlingszahlen vor.
Ulrich Pichota und Frank Binder stellten die aktuellen Flüchtlingszahlen vor.

Zur Untermauerung mit aktuellen Zahlen und Fakten hatten Ulrich Pichota (Sozialamt) und der städtische Flüchtlingsreferent Frank Binder die aktuellen Zahlen der Geflüchteten dargestellt.

Die meisten Menschen kommen aus Syrien, gefolgt vom Irak, Iran und Afghanistan. Ingesamt liegt die Zahl der Flüchtlinge insgesamt bei rund 10.000.

In sechs Arbeitsgruppen konnten die Forumsteilnehmer ihre Arbeit am Nachmittag fortsetzen. Dabei wurden neben arbeitsmarktlichen Themen auch Fragen der psychosozialen Gesundheit, der Bildungswege und des ehrenamtlichen Engagements besprochen.

Laut Helga Piepenbrink, Koordinatorin des Dortmunder Weiterbildungsforums, kommt den Bildungsdienstleistern eine große Verantwortung zu. Daher sei der Austausch hier so wichtig, in Kooperation mit Dienstleistern die Ausrichtung der Angebote anzupassen. Die stärkere Verschränkung von sprachlicher und beruflicher Qualifikation ist eine Forderung der Teilnehmenden.

Kritik an mangelnder Unterstützung für Ehrenamtliche seitens der Stadt Dortmund

 Paul-Gerhard Stamm ist Sprecher des neu gegründeten Netzwerks der Ehrenamtlichen.
Paul-Gerhard Stamm ist Sprecher des neu gegründeten Netzwerks der Ehrenamtlichen.

Doch trotz des großen Lobes für die Arbeit der Ehrenamtlichen durch die Stadt, sind deren Netzwerkvertreter mit der Situation nicht zufrieden: „Die Arbeit der Ehrenamtlichen wird weder angemessen gewürdigt noch begleitet“, kritisiert Paul-Gerhard Stamm.

Stamm ist Sprecher des neu gegründeten Netzwerks der Ehrenamtlichen. Ihre Forderung: Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer müssten qualifiziert und unterstützt werden. Doch sie würden viel zu oft mit der Bürokratie allein gelassen.

Denn die Arbeit habe sich grundlegend verändert. Es gehe nicht mehr darum, die Flüchtlinge am Bahnhof willkommen zu heißen und einige Tage dafür zu sorgen, dass sie angemessen versorgt würden. Jetzt seien sie gefordert, die Menschen bei der Integration zu begleitenv – über einen langen Zeitraum.

„Solange die Flüchtlinge in Übergangseinrichtungen sind, haben sie eine Rundum-Betreuung. Wenn sie dann in eigene Wohnungen kommen, stehen sie oft allein. Sie brauchen hier eine Begleitung“, so Stamm. Wie bei der Ausbildung auch, brauche es hier Paten. Doch auch diese müssten qualifiziert und begleitet werden. Hier gebe es noch massiven Handlungsbedarf.

Scharfe Kritik vom Flüchtlingsrat NRW am neuen „Integrationsgesetz“

250 TeilnehmerInnen - 100 mehr als beim letzten Mal - nahmen am 4. Flüchtlingsforum teil.
250 TeilnehmerInnen – 100 mehr als beim letzten Mal – nahmen am 4. Flüchtlingsforum teil.

Allerdings stößt diese ökonomisch-wirtschaftliche Ausrichtung nicht nur auf Begeisterung: In ihrem Grußwort verurteilte Birgit Naujoks vom Flüchtlingsrat NRW die Unterteilung in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge – offiziell unterteil in Flüchtlinge mit hoher oder geringer Bleibeperspektive.

In Zeiten sich drastisch verschärfender asyl- und aufenthaltsrechtlicher Regelungen seien Netzwerke wie das Forum wichtiger denn je. Sie müssten die Probleme und Folgen klar benennen – denn für Flüchtlinge aus vielen Ländern hätten sich die Perspektiven dramatisch verschlechtert.

Ihre Herkunftsländer würden als sicher eingestuft, um ihnen eine Bleibeperspektive zu verweigern. Auch die geplante Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge und andere geplante Regelungen im Referentenentwurf gingen in eine ähnliche Richtung, kritisierte Naujoks.

Aus ihrer Sicht trage das Gesetzespaket fälschlicherweise den Namen „Integrationsgesetz“. Die „Verbesserungen“ könnten die Verschärfungen bei weitem nicht aufwiegen: „Die Gesetzgebung hat einen fatalen Kurs eingeschlagen.“

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