In der Metall- und Elektroindustrie (ME) stehen die Zeichen auf (Warn-) Streik: Die beschäftigten fühlen sich – drastisch ausgedrückt – verarscht. Denn anders als in der Stahlindustrie läuft es in den meisten ME-Unternehmen gut. Doch die Arbeitgeber haben der IG Metall ein Angebot von nur 0,9 (!) Prozent mehr Lohn und Gehalt unterbreitet. Zur Erinnerung: Früher hatten sie selbst zu Krisenzeiten 2,3 Prozent angeboten – ohne vorhergehende Warnstreiks.
IG Metall fordert fünf Prozent mehr Geld für die Beschäftigten
In der nun anstehenden Runde hat die IG Metall fünf Prozent mehr Geld gefordert und dabei schon berücksichtigt, dass nicht jedes Metall- und Elektro-Unternehmen brummt.
„Doch 70 Prozent haben die Lage als stabil, gut oder sehr gut angegeben, nur fünf Prozent als schlecht“, macht Ulrike Kletezka, 2. Bevollmächtigte der IG Metall und Mitglied der Verhandlungskommission, deutlich.
Für kriselnde Unternehmen – zum Beispiel bei Gießereien – können auch jetzt schon betriebsbedingte Lösungen gefunden werden. Sie dürften daher nicht der Maßstab für die Tarifverhandlungen sein.
„Das ist eine solche Respektlosigkeit – da fehlten uns wirklich die Worte“
„Ich bin seit 15 Jahren in Verhandlungskommission. Aber 0,9 Prozent – so ein niedriges Angebot haben sie noch nicht mal in Krisenzeiten erlaubt“, macht die Gewerkschafterin deutlich.
Die zusätzliche „Wettbewerbskomponente“ als Einmalzahlung in Höhe von 0,3 Prozent machen den Kohl auch nicht fett: „Das ist eine solche Respektlosigkeit – da fehlten uns wirklich die Worte. Da sind wir gegangen“, so Ulrike Kletezka.
Manches Mitglied der Gewerkschaftsdelegation hat wohl irritiert auf den Kalender geschaut, weil sich das Angebot wie ein April-Scherz angefühlt hat.
„Viele haben die 0,9 Prozent als Schlag ins Gesicht empfunden“
Doch zum Lachen ist den Betriebsräten nicht zumute: „Viele haben die 0,9 Prozent als Schlag ins Gesicht empfunden. Wenn es dabei bleibt, laufen die Kollegen heiß und wollen sich an Warnstreiks beteiligen“, macht Stefan Schneider, Betriebsratsvorsitzender der ThyssenKrupp Rothe Erde GmbH deutlich.
Das Unternehmen hat 1900 Beschäftigte in NRW – 600 davon in Dortmund. Dort will die Belegschaft etwas vom Kuchen abhaben: „Bei uns läuft alles nach Plan, die Halbjahreszahlen waren gut“, berichtet Schneider.
„Wenn wir alleine für unser Unternehmen verhandeln würden, wären wir mit einer Acht-Prozent-Forderung aus der Belegschaft in die Tarifrunde gegangen. Aber wir wollen ja am Flächentarifvertrag festhalten“, so der Betriebsrat von Rothe Erde.
WILO-Beschäftigte hätten sich auch neun Prozent mehr Geld vorstellen können
Die 2000 Beschäftigten von WILO SE könnten sich sogar bis zu neun Prozent mehr Geld vorstellen: „Das Unternehmen hat das sechste Rekordjahr in Folge. Es gibt wirklich keinen Grund, dass die KollegInnen, die an dem Erfolg beteiligt sind, beim Entgelt daran nicht beteiligt werden sollen“, macht Betriebsratschef Michael Peschke deutlich.
„Das Angebot steht in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum Erfolg.“ Doch auch hier will man am Flächentarifvertrag festhalten und hat sich daher der Fünf-Prozent-Forderung angeschlossen.
„Es gibt ja auch schwächere Unternehmen“, zeigt sich Peschke realistisch. Aber dem Angebot der Arbeitgeber erteilt der WILO-Betriebsrat eine klare Absage: „Wenn es dabei bleibt, wird es bei uns sicherlich eine große Bereitschaft geben, für eine Entgelterhöhung auf die Straße zu gehen.“
„Der Unmut ist gewaltig. Das schreit nach Warnstreik und mehr.“
Dass die Bäume nicht überall in den Himmel wachsen, macht Konrad Ackermann, Betriebsratsvorsitzender der KHS GmbH deutlich. Das Unternehmen hat 2500 Beschäftigte in Deutschland – mehr als die Hälfte davon in Dortmund.
„Wir merken Russland und die Ölkrise. Aber das ist nicht dramatisch, auch wenn wir nicht so eine Perle wie WILO sind“, so Ackermann. „Aber auch wir werden Gewinn erwirtschaften und stehen daher hinter der Fünf-Prozent-Forderung.“
Die 0,9 Prozent kann auch der KHS-Belegschaftsvertreter nicht fassen: „Bei so einem Angebot – da hätten sie besser kein Angebot gemacht“, betont Ackermann. „Der Unmut ist gewaltig. Das schreit nach Warnstreik und mehr.“
Ablauf der Friedenspflicht: Warnstreiks soll direkt um Mitternacht beginnen
Entsprechend stehen die Zeichen auf Sturm. Am 28. April – dem letzten Tag der Friedenspflicht – findet die dritte Verhandlungsrunde statt.
Doch dabei rechnen die Gewerkschafter nicht mit einem Umdenken auf Arbeitgeberseite – zumal bis dahin noch keine Streikaktionen stattfinden dürfen.
Daher soll es schon am 29. April um 00.01 Uhr in den ersten heimischen Betrieben losgehen – ein Novum in der Dortmunder Warnstreik-Geschichte. Am 3. Mai zu einer zentralen Aktion in Dortmund treffen.
„In Dortmund und Lünen sind es 23 Betriebe mit knapp 9000 Beschäftigten, die sich beteiligen werden“, berichtet Hans-Jürgen Meier, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Dortmund.
„Zum Organisationsgrad sagen wir nichts. Aber wir sind gut aufgestellt.“
Arbeitnehmervertreter werfen den Arbeitgebern massive Versäumnisse vor
Und die Belegschaften sind – nicht zuletzt wegen des Arbeitgeberangebotes – motivierter denn je.
Arbeitgebervertreter Arndt G. Kirchhoff haben sie schon bei der zweiten Verhandlungsrunde eine Postkarte überreicht. „Man kann aus einer lahmenden Ente nun mal keinen starken Adler machen“ hatte Kirchhoff im Vorfeld über die wirtschaftliche Situation in Deutschland gesagt.
Doch die Probleme habe die Industrie zu verantworten, findet die IG Metall: Viele Unternehmen investierten zu wenig, seien bei Produkten und Prozessen nicht innovativ, betrieben Lohndumping, verweigerten sich der Tarifbindung und setzten auf „billiger statt besser“.
Bei einem Umdenken könnte also aus der „lahmenden Ente“ durchaus wieder ein starker Adler werden, geben sich die Arbeitnehmer-Vertreter selbstbewusst. Denn Dortmunder Unternehmen wie WILO machen es schließlich vor, wie es besser geht.
Mehr zum Tarifstreit 2015 auf nordstadtblogger.de:
https://www.nordstadtblogger.de/23161