Die DGB-Beratungsstelle „Faire Mobilität“ wird ausgebaut und die Zahl der BeraterInnen aufgestockt. Das Team soll noch stärker ArbeitnehmerInnen aus Mittel- und Osteuropa unterstützen. Vor allem die NRW-Fleischindustrie hat der DGB dabei im Blick.
Koordination des „Fleisch-Projekts“ erfolgt von Dortmund aus
In Dortmund gibt es eine von sieben Beratungsstellen bundesweit, die sich um diese spezielle Zielgruppe kümmern. Dort arbeiten BeraterInnen, die beispielsweise auch in polnisch, rumänisch, bulgarisch und ungarisch beraten können.
In Dortmund hat von Anfang Szabolcs Sepsi „den Hut auf“. Er wird nun auch das „Zusatzprojekt Fleisch“ koordinieren, in dem an mehreren Standorten – unter anderem in Oldenburg und Kiel – zusätzliche BeraterInnen eingestellt wurden bzw. werden.
Dafür hat der DGB 500.000 Euro zusätzlich von den Bundesministerien für Wirtschaft sowie Arbeit und Soziales bekommen, erklärt Dominique John, der das Projekt „Faire Mobilität“ für den DGB-Bundesvorstand in Berlin leitet.
Einzelfallberatung und Präventionsarbeit mit ArbeitnehmerInnen
Die Dortmunder Beratungsstelle ist für ganz Nordrhein-Westfalen zuständig und wird nun – nach der personellen Aufstockung – auch in Rheda-Wiedenbrück ein zusätzliches Büro eröffnen, in dem an mehreren Tagen pro Woche Sprechstunden geben soll.
Sie werden dort wie in Dortmund Einzelfallberatungen anbieten, aber auch noch stärker in die Prävention gehen“, so John. Dies ist allerdings kein leichtes Unterfangen und bedarf vieler vertrauensbildender Maßnahmen.
„Es gibt eine große Hemmschwelle, mit uns gesehen zu werden“, hat John erlebt. Teilweise fänden die Treffen an Orten statt, wo die Hilfesuchenden nicht gesehen würden.
„Es braucht auch immer auch Eisbrecher. Also Leute, wo man schon Kontakte hatte und die die Kollegen ansprechen und mitnehmen“, erklärt der Projektleiter.
BeraterInnen werden bedroht – Vorarbeiter und „Kapos“ kontrollieren
Denn in den Belegschaften gibt es ein großes Misstrauen. „Selbst von „Kapos“ als Vorarbeitern ist in den Betrieben die Rede. Der Begriff „Kapo“ wurde in Deutschland eigentlich nur während der Zeit des Nationalsozialismus verwendet und bezeichnete Funktionshäftlinge, die andere Häftlinge beaufsichtigen.
Dass es solche „Arbeitnehmer“ mit Kontrollfunktion als Vorarbeiter gibt, wirft ein fragwürdiges Licht auf eine Branche, in der es eine Vielzahl von Verstößen und Skandalen bezüglich der Arbeitsbedingungen gab und gibt. Wohl gemerkt: Die Rede ist von Deutschland – nicht Katar.
Wegen der vielfältigen Probleme haben die Bundesministerien das zusätzliche Geld zur Verfügung gestellt. Denn mit der Selbstverpflichtungserklärung von sechs großen Betrieben scheint es nicht getan.
Die BeraterInnen wollen und sollen genauer hinschauen. Außerdem gibt es noch viel mehr Betriebe als nur die sechs Unterzeichner.
Diese wollen die Stammbelegschaften wieder vergrößern und weniger mit Leiharbeit und Werkverträgen arbeiten. Ihre Beschäftigten bekommen deutsche Arbeitsverträge.
Verstöße gegen geltendes Recht an der Tagesordnung
Dennoch sind die Probleme und auch Verstöße gegen geltendes Recht an der Tagesordnung: So müssen beispielsweise Arbeiter für ihr Werkzeug bezahlen, überteuerte Firmenunterkünfte mieten und bekommen Überstunden, Zuschläge oder teils sogar ganze Gehälter nicht ausgezahlt. Intransparente Abrechnungen sind offenbar eher die Regel als die Ausnahme.
Wenn sich die BeraterInnen selbst ein Bild vor Ort verschaffen wollen – beispielsweise in den von den Firmen zur Verfügung gestellten Unterkünften der Arbeitnehmer – müssen sie mit Problemen und sogar Bedrohungen rechnen.
„Ich bin da auch schon massiv angegangen worden, habe mich aber durchgesetzt“, berichtet Dominique John. Ihnen wird auch Gewalt angedroht, mitunter kommt es zu Handgreiflichkeiten.
„Mich hat das durchaus gestresst und ich war froh, dass ich wieder raus war“, räumt der Projektleiter ein. Dennoch – oder gerade deswegen – intensiviert der DGB nun seine Bemühungen.
Die dreijährige Arbeit in Dortmund trägt bereits viele Früchte
Vor rund drei Jahren startete die „Beratungsstelle für faire Mobilität“ – damals noch mit zwei Beratern. „Ihr kamt zu einer Zeit, als wir euch ganz dringend brauchten. Nicht nur in Fleischindustrie, sondern vor allem auch hier in Dortmund“, machte die Dortmunder DGB-Vorsitzende Jutta Reiter deutlich.
Sie begrüßt, dass unter den neuen Fachkräften auch Juristen sind, die noch stärker in arbeits- und sozialrechtliche Fragen einsteigen könnten. Dadurch sei die Beratungsstelle noch breiter aufgestellt. „Das bedeutet nochmal eine deutliche Qualitätssteigerung“, so Reiter.
Sie hätten zudem auch echte Erfolge erzielt. Unter anderem sei die Betriebsratsgründung bei Leiharbeitsfirma in Emsdetten gelungen.
„Da wurde monatelang gearbeitet und Vertrauen aufgebaut. Ein Betriebsrat beim ersten Subunternehmer in der Fleischindustrie – das ist ein riesiger Erfolg“, freut sich Reiter. Das Team von „Faire Mobilität“ habe dort Hand in Hand mit der Gewerkschaft NGG gearbeitet.
„Wir wollen, dass die Arbeit von euch hier langfristig weiterläuft und arbeitet. Das hat ein Land auch zu leisten, wenn man Entsendung will“, sagte sie bei der Begrüßung der neuen Teammitglieder mit Blick auf die befristete Finanzierung des Projekts.
Sechsköpfiges Beraterteam am Standort in Dortmund
In Dortmund kümmern sich neben Szabolcs Sepsi (Sprachen: Deutsch, Ungarisch, Rumänisch, Englisch) auch Cristian Pinnes (Deutsch, Rumänisch, Englisch) und Justyna Oblacewicz (Deutsch, Polnisch, Englisch) um die Herausforderungen und Probleme in der Fleischindustrie.
Im Bereich der industrienahen Dienstleistungen arbeiten Stefanie A. (Deutsch, Bulgarisch) und Dr. Bernadett Pető (Deutsch, Ungarisch, Englisch).
Komplettiert wird das Dortmunder Team durch Dr. Alexandru Zidaru, der sich im Rahmen von „Arbeit und Leben NRW“ ebenfalls um faire Bedingungen in der Arbeitnehmerfreizügigkeit kümmert.
Mehr zum Thema auf nordstadtblogger.de:
Mehr zur Beratungsstelle:
http://www.faire-mobilitaet.de/beratungsstellen/?tab=tab_0_4#tabnav
http://www.aulnrw.de/de/hauptmenu/home/ueber-uns/team/
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Geregelte Verhältnisse in Nordrhein-Westfalens Fleischindustrie? Minister Laumann besucht Bilanztagung des Projektes „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ in Dortmund (PM)
Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Arbeitsschutzkontrollgesetzes hat das Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ zusammen mit Expert*innen aus Politik, Gewerkschaft, Arbeitsschutz und Beratungsstellen Bilanz gezogen. Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz wurde eine Zäsur in der Fleischindustrie eingeleitet, die an die Grundfesten ihres bisherigen Geschäftsmodells rührt: Im Kernbereich der Fleischwirtschaft sind Werkverträge generell und Leiharbeit grundsätzlich verboten. Arbeitszeiten müssen elektronisch und manipulationssicher aufgezeichnet und elektronisch aufbewahrt werden. Für Verstöße sind entsprechende Bußgeldtatbestände geregelt.
„Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat sich stark für das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz eingesetzt. Auch konnten erste Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten aus der Fleischindustrie erreicht werden. Das maßgebende Verbot des Einsatzes von Werkvertragsfirmen ist umgesetzt und die Beschäftigten sind in die Stammbelegschaft der Fleischkonzerne übernommen worden. Damit haben sie alle Arbeitsrechte und die Arbeitsschutzbestimmungen können direkt für sie angewendet werden. Dies war und ist mir sehr wichtig“, so Arbeitsminister Karl-Josef Laumann: „Ein wirklich nachhaltiger Erfolg des Arbeitsschutzkontrollgesetzes ist aber nur durch einen Kulturwandel in der Fleischindustrie erreichbar. Dieser ist eng mit einer kontinuierlichen Überwachung durch die Arbeitsschutzbehörden verbunden. Hierdurch werden wir dafür sorgetragen, dass die erreichten Verbesserungen gesichert und bestehende Defizite konsequent beseitigt beziehungsweise geahndet werden.“
Dr. Johannes Specht, Leiter der Tarifabteilung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) begrüßte die gesetzlichen Änderungen als wichtige Maßnahme und wies darauf hin, dass es immer noch viel zu tun gäbe. Er thematisierte u.a. kritisch die Rolle der ehemaligen Subunternehmer: „So wurden nicht nur die ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten, sondern auch deren Vorarbeiter*innen und Leitungskräfte in den Fleischunternehmen eingestellt, wo sie oft nahtlos ihre frühere Funktion fortsetzen, die nun bei der Anwerbung aber auch oft noch in Betrieben selbst Duck ausüben.“
Dies kann das Projekt „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“ aus seiner Beratungspraxis bestätigen. Ratsuchende berichten ihnen immer wieder: „Der Ton ist in manchen Betrieben oder Abteilungen weiterhin rau, oft ist der Arbeitsalltag von Hetze, Anschreien, Demütigung und Beleidigungen geprägt.“ Auch seien arbeitsrechtliche Verstöße wie ungerechtfertigte Lohnabzüge und Kündigungen, nicht anerkannte Arbeitsunfälle und fehlende Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall oder bei Urlaub häufige Themen in der Beratung.
Im Laufe der vergangenen drei Projekt-Jahre fanden über 2100 Menschen aus NRW den Weg in die arbeits- und sozialrechtliche Beratung, auch aus anderen Arbeitsbereichen wie z.B. der Saisonarbeit in der Landwirtschaft, der Kurier- Express- und Paketdienstleistungen, Pflege und Reinigungsgewerbe. Zudem wurden zehntausende Menschen bei Online-Veranstaltungen und aufsuchenden Aktionen vor Werkstoren, Unterkünften und Feldbesuchen erreicht und über ihre Arbeitsrechte aufgeklärt.
An der Bilanztagung in Dortmund nahmen auch Vertreter*innen aus den Botschaften und Konsulaten der Republiken Rumänien und Bulgarien teil. Aus diesen Ländern stammen viele Beschäftige, die hier in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig sind und ein großes Risiko haben, von Arbeitsausbeutung betroffen zu werden.
Um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zurückzudrängen hat das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium ein landesweites Netzwerk gegen Arbeitsausbeutung initiiert, in dem sich landesweit Beratungsstellen, Vereine und Initiativen zusammengeschlossen haben.
An der Bilanztagung nahmen für das Netzwerk als Referenten Rechtsanwalt Klaus Körner von der „Aktion Würde & Gerechtigkeit e.V.“ in Lengerich und Karl Sasserath, Leiter des Arbeitslosenzentrums und der Beratungsstelle Arbeit in Mönchengladbach teil. Sie unterstrichten die Notwendigkeit des vernetzten Handelns, um gegen arbeitsausbeuterische Verhältnisse im Land wirksam vorzugehen.