Dantons Dilemma – Im Einmachglas der Sinnstiftung

Theater im Depot: Premiere Dantons Dilemma

Theater im Depot: Premiere Dantons Dilemma

Von Rainer Wanzelius

Vier Figuren, faule Vögel nennen sie sich selbst, zappeln / zappen ziemlich orientierungslos durch den Saal – und durchs Publikum. Ein große Mauer verkürzt ihre Bühne zu einem schmalen Streifen, da hilft nur die Flucht ins Parkett. Dass sie die Sicht der anderen, der Zuschauer, behindern, stört sie recht wenig.

Zwischen Beats und Beamer-Bildern

Zwei Schauspielerinnen (Fiona Metscher und Janina Rudenska), zwei Schauspieler (Matthias Hecht und Martin Hohner) befassen sich im Theater im Depot an der Immermannstraße – ja, womit eigentlich?

Theater im Depot: Premiere Dantons Dilemma
Mal abtanzend, mal anmachend.

Sie lassen sich und ihren Gedanken auf der Nordstadt-Bühne ziemlich freien Raum. Sie bewegen sich zwischen wummernden Beats und Beamer-Bildern, zu eingeblendeten Zwischentiteln wie „Hedonism Relaodad“ und Plattheiten wie „Das ist meine Fernbedienung!“, mal abtanzend, mal anmachend, sie nähern sich einander in Momenten von Lust und von Lässigkeit und entfernen sich wieder, kippen Flaschen und kratzen am Po.

Es ist offensichtlich, sie suchen nach einer Struktur, der ihrem Leben Sinn und Halt verleiht. „Im Einmachglas der Sinnstiftung“ lautet ein weiterer Zwischentitel.

Thematischer Nebel statt scharfer Konturen
Wäre Georg Büchner da ein Thema, wäre das Thema Danton da die Rettung? Scharfe Konturen hat die Situation eh nicht, eher Nebel, die Bourgeoisie schlägt wohl zurück, trifft aber auch nicht. Immerhin, ein Gedanke möchte aufscheinen wollen: die Überlegung, Büchners Drama (von 1835) auf Theater- oder zumindest Gegenwartstauglichkeit (heute) hin zu überprüfen, in welcher Praxis auch immer. Nur, dass die Gegenwart mit ihrem Kapitalismus-Dilemma die alten Dantons, Robbespierres, Saint-Justs schnell wieder verdrängt und die vier weiter ratlos zwischen Gleichgültigkeit und Betroffenheit rumdümpeln.

Das Recht an Stelle der Pflicht als Forderung der Revolution

Ein paar Büchner-Gedanken behaupten sich, die nimmt man mit: Das Recht an Stelle der Pflicht als Forderung der Revolution, die Erkenntnis, dass sie ihre Kinder frisst, als tragisches Manko derselben Revolution. Die Erzählung (Hohner) von den Menschen im Gebirge, ein monologisches Implantat, macht die Zuschauer dafür zwei, drei Minuten lang zu faszinierten Zuhörern.

Theater im Depot: Premiere Dantons Dilemma
Die Revolution frisst ihre Kinder.

Und dann? Dann fällt die Mauer. Endlich. Und endlich die Bestätigung: Es war eine Mauer aus Pappkarton. Jetzt kann man, zumindest da, wo der Umsturz (umsturztechnisch) geklappt hat, sehen, was dahinter war – und immer noch ist. Es ist die Hinterlassenschaft der (französischen) Revolution, es ist die zur Requisite erstarrte Vergangenheit.

Fernrohr, Globus, Sofa, Guillotine – man blickt in ein angenehm choatisches Wohnzimmer der Weltgeschichte, deren Akteure sich aber nicht trauen, die Köpfe unters Fallbeil zu legen. Das zerlegt lediglich eine Limette für die Cocktails.

Ein Dilemma der Langeweile
Nein, es ändert sich nichts. Die Künstler empfinden ihre Lage weiter als misslich, sie langweilen sich und sprechen es auch noch aus. Das sollte wohl auch die Befindlichkeit im Publikum beschreiben – „Dantons Dilemma“ ist ein Dilemma der Langeweile.

Trotzdem erfolgt noch ein großer Gedankenschritt – auf dass das Stück im deutschen Idealismus versickere, in der Vor-Büchner-Zeit, bei Johann Gottlieb Fichte und der Frage nach dem Ich, nach dem Selbst. Da wird dann das Orakel befragt, das reichlich rüde den Akteuren alles Eigene abspricht, also jede Individualität. Aber hatte nicht auch schon Büchner den Verdacht ausgesprochen, dass sich das Menschengeschlecht aus Puppen zusammensetzt?

Gewollte Schludrigkeit statt Strenge und Stringenz

Formal setzt die Inszenierung statt auf Strenge und Stringenz eher auf so etwas wie gewollte Schludrigkeit. Wenn das Spiel ins Stocken gerät, ist das nicht zufällig. Wenn genuschelt wird, ebenfalls. Die Bilder wirken unscharf, was immerhin ein Stilbewusstsein voraussetzt. Wenn Bewegungselemente sich wiederholen, wirkt das wie verunglückte Choreografie – soll wohl so sein.

Theater im Depot: Premiere Dantons Dilemma
Nicht unbedingt originell: Es ist immer dieselbe Pappwand, die in der verschiedenen Stücken fällt.

Dass es immer dieselbe Pappkartonwand ist, die man mal hier, mal da auf Bühnen umfallen sieht, sei nur vergemerkt. Aber dass das (M)Orakel mit Geld gefüttert werden will, ehe es spricht – es nimmt auch Scheine -, ist kein so ganz neuer Regie-Einfall. Auf derselben Bühne im Depot ging mal ein ganzes Stück erst weiter, nachdem Geld eingeworfen worden war.

Hinter „Dantons Dilemma“ steht übrigens kein so ganz kleines Arbeitsteam. Der Stadttheaterschauspieler Björn Gabriel (Regie) hat sich mit der Bildnerin Steffi Dellmann (Bühne, Kostüme) zusammengetan, ihr „Sir Gabriel Dellmann e. V.“ fungiert als Produzent des Abends. Für Vision & Sound zeichnen Philipp Mattner und Mario Simon verantwortlich.


Deteils zum Stück

Weitere Vorstellungen:

FR 25.10.2013 um 20 Uhr SA 26.10.2013 um 20 Uhr FR 29.11.2013 um 20 Uhr SA 30.11.2013 um 20 Uhr

Eintritt: VVK 13 € / 8 € erm. AK 15 € / 10 € erm.
Kinder bis 14 J. VVK + AK 5 €

Ort: Theater im Depot
Spiel: Janina Rudenska, Fiona Metscher, Martin Hohner, Matthias Hecht
Konzept & Produktion: Sir Gabriel Dellmann
Regie: Björn Gabriel
Bühne: Steffi Dellmann
Vision & Sound: Philipp Mattner, Mario Simon
Kostüm: Steffi Dellmann, Nejla Kalk
Assistenz: Lena Gudrian

 

 

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