Von Clemens Schröer
Die Sonderausstellung „Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat“ ist jetzt in Dortmund im Polizeipräsidium zu sehen. Ursprünglich 2011 vom Deutschen Historischen Museum Berlin im Auftrag für die Deutsche Hochschule der Polizei erstellt, wurde die Ausstellung in Kooperation mit der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache um einen lokalgeschichtlichen Dortmunder Teil ergänzt, der auf sechs zusätzlichen Tafeln präsentiert wird.
„Wie war es möglich?“ – Vergangenheitsaufarbeitung mit der Polizei Dortmund
Auch mehr als 82 Jahre nach der Übernahme der Staatsgewalt durch die Nazis und mehr als 70 Jahre nach dem Untergang des nationalsozialistischen Terrorregimes brennten diese Fragen auf den Nägeln:
„Wie war es möglich, dass Deutschland und die Deutschen so tief in die Barbarei abstürzten? Wie gelang es dem Regime, sich die Duldung, Billigung und aktive Komplizenschaft großer Bevölkerungsteile zu sichern“, fragte Polizeipräsident Gregor Lange bei der Ausstellungseröffnung.
Auch die Dortmunder Polizei wolle sich diesen Fragen stellen und sich insbesondere mit der unrühmlichen Rolle der Polizei im NS-Staat auseinandersetzen.
Der Polizeipräsident hob hervor, dass dieses Thema bereits seit Jahren zum festen Bestand von Aus- und Fortbildung der Dortmunder Polizei gehöre, es hierbei eine enge Kooperation mit der Steinwache gebe und die neue Arbeitsgruppe „Interkulturelle Kompetenz“ eine Zusammenarbeit mit dem Stadtjugendring und dem BVB plane.
So sei zum Beispiel „der gemeinsame Besuch eines Konzentrationslagers von jungen Nachwuchsbeamten und anderen jungen Dortmundern geplant“.
Dortmund als Hochburg von Demokratie, Toleranz und Hilfsbereitschaft
Lange nutzte diese Gelegenheit, um noch einmal dezidiert das heutige Selbstverständnis der Dortmunder Polizei als „Bürgerpolizei“, so Bürgermeisterin Birgit Jörder, zu unterstreichen, ihr demokratisches, freiheitliches, rechtsstaatliches und menschenrechtliches Wertefundament, mit dem sie sich übrigens in der Dortmunder Zivilgesellschaft, ganz aktuell auch im Zeichen der Willkommenskultur für Flüchtlinge, gut aufgehoben fühle: „Dortmund ist eine Hochburg von Demokratie, Toleranz und Hilfsbereitschaft.“
Und mit einem energischen Seitenhieb gegen die Dortmunder Rechtsextremen hob der Polizeipräsident hervor, dass dieses Wertefundament auch explizit antirassistisch und antinationalsozialistisch sei.
Gesamtgesellschaftlicher Einsatz gefragt: „Humanität nie im sicheren Hafen“
„In Dortmund gibt es seit Jahrzehnten eine aktive Gruppe von Neonazis, die versucht, mit rassistischer und fremdenfeindlicher Hetze und der offenen Bezugnahme auf die NS-Ideologie gegen die Grundwerte unserer Verfassung zu arbeiten. Immer wieder macht sie Minderheiten zu Sündenböcken, um den sogenannten „Volkszorn“ zu provozieren“, so Lange.
Hier sei die gesamte Gesellschaft gefordert, ob Erziehung, Schule, Jugendarbeit, Polizei oder Justiz den Grundsätzen von Demokratie mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen. „Denn Humanität ist nie im sicheren Hafen“, zitierte er Bundespräsident Gauck.
Die Polizei als ein zentrales Herrschaftsinstrument des NS-Terrorregimes
Auch ging Lange genauer auf die Rolle der Polizei im NS ein: Die Polizei war ein zentrales Herrschaftsinstrument des NS-Regimes. Von seinen Anfängen bis zu seinem Untergang konnte es sich auf die Polizei stützen.
Nicht nur die Gestapo, wie nach 1945 in der historischen Forschung lange behauptet wurde, auch die Kripo und die uniformierte Polizei verfolgten die weltanschaulichen Gegner des NS-Staates – zunächst im Innern des Deutschen Reiches und ab Kriegsbeginn 1939 in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten.
Hier, auf den Verbrechen der deutschen Polizei in den besetzten Gebieten ab 1939, liegt der Schwerpunkt der Ausstellung. Alle Sparten der Polizei waren am nationalsozialistischen Völkermord beteiligt, an der Unterdrückung des Widerstands und der Verschleppung von Zivilisten zur Zwangsarbeit.
Neuanfang mit Legenden
Bürgermeisterin Birgit Jörder lenkte in ihrem Grußwort den Blick auf den Umgang mit den Tätern in der deutschen Gesellschaft und Polizei nach 1945 – jahrzehntelang ein unappetitliches Gebräu aus Leugnen, Verschweigen, Schuldabwälzen, Strafverfahrenseinstellungen, wenigen Verurteilungen und ungeniert fortgesetzter Karrieren vorgeblich korrekter Beamter.
Die Dortmunder Polizei im Nationalsozialismus
Nach Polizei und Politik hatte die Wissenschaft das Wort. Historiker Dr. Stefan Klemp stellte den Dortmunder Teil der Ausstellung vor, den er zusammen mit Dr. Stefan Mühlhofer und Markus Günnewig von der Steinwache beigesteuert hat.
Grob gesagt brechen die sechs Tafeln den allgemeinen Teil aufs Lokale runter: Auf der ersten Tafel wird die unglaublich rasche Umwandlung der Weimarer Polizei in die des NS-Regimes nachgezeichnet. Schon 1933 zeigten sich erste Ansätze der späteren Verschmelzung mit der SS, denn SS- und SD-Führer wurden gern an die Spitze der Polizeibehörden gesetzt.
Viele von ihnen gelangten in Dortmund in hohe Ämter. Darunter oft akademisch ausgebildete „Weltanschauungskrieger“ wie Walter Blume, Eberhard Schöngarth, Otto Bovensiepen oder Walter Schellenberg. Sie machten später Karriere im Reichssicherheitshauptamt und bei den Mordkommandos des Holocausts.
Drei weitere Tafeln schildern die verbrecherische Arbeit von Gestapo, Kripo und uniformierter Polizei vor Ort. Eine weitere Tafel zeigt teils dieselben Dortmunder Polizeibeamten bei der Vernichtungsarbeit im „auswärtigen Einsatz“ während des Zweiten Weltkriegs.
Die letzte Tafel widmet sich dem Kriegsende und den Kriegsendverbrechen, für die in Dortmund die Massenmorde in der Bittermark stehen.
Interessante Archivfunde bringen neue Erkenntnisse
Diverse Archivfunde haben vielfältige neue Erkenntnisse erbracht, etwa zur Verfolgung der Sinti und Roma durch die Kripo. Aber auch zur Deportation nach Auschwitz am 9. März 1943. Der zuständige Kripochef Hans Klamp wurde nach 1945 im Entnazifizierungsverfahren als „entlastet“ eingestuft, alle strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingestellt.
Weitere interessante Quellen gab es zur Beteiligung Dortmunder Schutzpolizisten an Judendeportationen, beim grausamen Wüten des Polizeibataillons 61 im Warschauer Ghetto.
Hermann Kintrup war ein hochrangiger Funktionär der Holocaust-„Aktion Reinhardt“ und der Einsatzgruppen-Mörder Eduard Spengler brachte es nach 1945 zum Kripoleiter im Kreis Unna.
Klemp machte in seinem Vortrag auch auf einen wahnwitzig-verbrecherischen Befehl des letzten NS-Gauleiters Albert Hoffmann aufmerksam, der am 26. März 1945, kurz vor der Kapitulation, die Ermordung von 30.000 (!) sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in den Zechenanlagen verfügt hatte – die Stollen sollten geflutet werden, die Zwangsarbeiter darin wären jämmerlich ersoffen – die Zechendirektoren verhinderten dies, aus technischen Gründen.
Weitere Informationen:
- Die Sonderausstellung wird bis 1. November 2015 im Foyer des Polizeipräsidiums Dortmund gezeigt und ist täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet.
- Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung am Service-Center wird erbeten.
- Dr. Stefan Klemp bietet am 22.09., 30.09., 07.10., 21.10 und 28.10. jeweils 17 Uhr kostenlose Führungen (60 bis 90 Minuten) an.
- Anmeldung zu Führungen bei Polizeihauptkommissar Wolfgang Wittrien unter 0231/132-1034, Mail: wolfgang.wittrien@polizei.nrw.de
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POL-DO
Ausstellung ist länger zu sehen
Aufgrund der großen Resonanz ist Sonderausstellung „Ordnung und Vernichtung – Polizei Dortmund im NS-Staat“ im Polizeipräsidium Dortmund bis zum 3.November verlängert worden.
Zusätzliche kostenlose Führungen (circa 90 Minuten) werden an folgenden Tagen angeboten:
Mittwoch, 28.10.2015, 14:30 Uhr, und Dienstag, 03.11.2015, 10:00 Uhr.
Anmeldungen für die Führungen können unter der Rufnummer 0231-132-1034 vorgenommen werden.
Außerhalb der Führungen ist die Ausstellung täglich von 10 – 20 Uhr im Foyer des Polizeipräsidiums geöffnet. Eine Anmeldung am Service-Center vor Ort wird erbeten.
„Polizei im NS-Staat“ – mobile Ausstellung für die Beschäftigten an unterschiedlichen Standorten des Dortmunder Polizeipräsidiums zu besichtigen (PM Polizei)
„Polizei im NS-Staat“ – mobile Ausstellung für die Beschäftigten an unterschiedlichen Standorten des Dortmunder Polizeipräsidiums zu besichtigen
Das Bekanntwerden von rechtsextremen Chats bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen hat eine öffentliche Debatte zu diesem Thema ausgelöst. Auch innerhalb der Polizei Dortmund sind Fragen aufgekommen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich viele Gedanken gemacht. Nun wird ihnen mit einer mobilen Ausstellung an verschiedenen Standorten die Gelegenheit gegeben, sich zu diesem geschichtsträchtigen Thema weiter zu informieren.
Die Ausstellung „Polizei im NS-Staat – Ordnung und Vernichtung“ wird seit Anfang März für jeweils vier Wochen an verschiedenen Standorten des Dortmunder Polizeipräsidiums für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgebaut. Die Geschichte der Polizei Dortmund in der NS-Zeit mit historisch belegten Texten und Exponaten hat bereits seit 2015 ihren Platz in der Polizeiausstellung 110 im hiesigen Präsidium.
Aufgrund der andauernden Pandemie kann ein Besuch aktuell auch für die Belegschaft des Präsidiums nur begrenzt und unter Beachtung besonderer Hygieneregeln stattfinden. Um ihnen jedoch gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse und Diskussionen einen Zugang zu diesem umfangreichen Informationsangebot zu ermöglichen, entstand die Idee dieser mobilen Ausstellung.
Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange dazu: „Wir sind seit vielen Jahren mit großer Wachsamkeit und einer Null-Toleranz-Strategie im Kampf gegen den Rechtsextremismus aktiv. Die aktuellen Debatten rund um rechtsextremistische Tendenzen innerhalb der Polizei lassen auch uns nicht unberührt. Besonders wichtig ist mir daher, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerade jetzt die weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema zu ermöglichen. Und da die aktuelle Situation den Besuch der Ausstellung hier im Präsidium auch für sie nahezu unmöglich macht, bringen wir die Inhalte zu ihnen.“
Neben den verschiedenen inhaltlich gestalteten Tafeln gehört auch ein Audioguide zum Angebot der Ausstellung. Weitere Details sowie dieser Audioguide sind zudem auf der Internetseite der Dortmunder Polizei abrufbar: https://dortmund.polizei.nrw/die-polizei-dortmund-in-der-ns-zeit
Sobald es im Kontext der Corona-Pandemie möglich ist, stehen die entsprechenden Inhalte auch interessierten Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen der Ausstellung 110 im Dortmunder Polizeipräsidium wieder zur Verfügung.