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Der erste Dortmunder Comic-Preis geht an die Zeichnerin Hannah Brinkmann. Sie erhält den Preis für ihre Graphic Novel „Gegen mein Gewissen“, in der sie sich mit einem vielfach vergessenen Teil der deutschen Geschichte auseinandersetzt: der Verweigerung des Wehrdienstes und der damit verbundenen Gewissensprüfung. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung wird von nun an alle zwei Jahre verliehen.
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“
Hannah Brinkmann hat ihren preisgekrönten Comic „Gegen mein Gewissen“ ihrer Oma gewidmet, denn die Geschichte, die sie erzählt ist eine sehr persönliche Geschichte: ihre Familiengeschichte. Tragischer Held ist ihr Onkel Hermann Brinkmann, überzeugter Pazifist. 1973 verweigert er den Wehrdienst und muss sich der damals üblichen Gewissensprüfung unterziehen. Er scheitert in der Verhandlung und muss gegen seinen Willen zur Bundeswehr. Damit wird er nicht fertig, bekommt Depressionen und begeht noch während der Grundausbildung Selbstmord.
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Als Kind fragt Hannah Brinkmann nach dem Onkel und wird vertröstet: „Warte bis du groß bist“, sagt ihr Vater. 2015 beginnt sie mit der Aufarbeitung der Vorfälle, ihre Graphic Novel entsteht. Auf verschiedene Zeitebenen erzählt sie vom Leben des Onkels, seinen Idealen, seinen Ängsten.
Und sie erzählt ein Stück deutscher Geschichte: die Wiederbewaffnung nach dem Krieg, die Gründung der Bundeswehr 1955 und die Wiedereinführung der Wehrpflicht ein Jahr später.
Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“ gilt – aber der Wehrdienst soll die Regel sein. Wer sich weigerte, musste einen Antrag stellen, seine Glaubwürdigkeit in Gewissensfragen wurde einer strengen Prüfung unterzogen. Ausgang ungewiss.
Brinkmann entwickelt die Story in bewegenden Bildern, „kreativ und künstlerisch anspruchsvoll“ urteilte die Dortmunder Jury, die sich aus Fachleuten der Comic-Kunst- und Kulturszene zusammensetzte. Der Albtraum des Onkels, das Drängen der Prüfer, die Seelenqualen – sie schafft starke Bilder, besonders wenn es darum geht, innere Abläufe zu visualisieren.
Die verschiedenen Ebenen werden mit Farbwechseln gestaltet, Brinkmann arbeitet liebevoll mit Details. Jurymitglied Dr. Alexander Braun beschreibt ihren Stil „eher Struwwelpeter als Micky Maus“, was den Charakter dieser Zeit und deren starre, spießbürgerliche Regeln unterstreiche.
„Es ist wichtiger denn je, Pazifismus zum Thema zu machen“
1983 wurde die Gewissensprüfung abgeschafft, 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt – Hannah Brinkmanns Comic erscheint 2020. Es ist ihr Debüt und ihre Abschlussarbeit im Fach Grafische Erzählung an der Hochschule für angewandte Wissenschaft in Hamburg.
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Viel Zeit ist vergangen, doch die Resonanz ist groß, sie erhält viel Zuspruch, ehemalige Wehrdienstverweigerer reagieren und das zeigt ihr „es ist mehr als eine persönliche Geschichte, es ist ein Politikum“, so Brinkmann.
Junge Menschen wüßten oft wenig über diesen Teil der deutschen Geschichte und umso mehr freue sie sich, „dass Gegen mein Gewissen nochmal eine solche Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sowohl persönlich als auch politisch verliert Hermanns Geschichte für mich nicht an Bedeutung, und diese Ehrung würdigt auch das“, so Brinkmann bei der Preisverleihung.
2022 hält der Begriff der Zeitenwende Einzug in den politischen Diskurs. Waffenlieferungen, Beteiligung an Kampfhandlungen und eine Wiedereinführung der Wehrpflicht sind im Gespräch – ist Pazifismus nicht out? „Im Gegenteil“, findet Hannah Brinkmann. „Es ist wichtiger denn je, ihn zum Thema zu machen.“
Keine Angst vor den großen und schwierigen Themen
Schwierige Themen schrecken die junge Zeichnerin ohnehin nicht. In ihrem zweiten, aktuell erschienenen Comic „Zeit heilt keine Wunden“ geht es um das Schicksal des Shoah-Überlebenden Ernst Grube.
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Gemeinsam mit Zeitzeugen hat Brinkmann seinen Lebensweg recherchiert und aufgearbeitet. Die Wunden, sie sind hier teilweise drastisch und sehr körperlich umgesetzt. Gedärme, Hirnwindungen – wo sitzt der Schmerz, wo die Erinnerung? Eine Bildsprache, für die sie die mexikanische Malerin Frida Kahlo als Inspiration nennt.
Außerdem ist sie an einem weiteren Comic-Projekt beteiligt, bei dem es um das Leid geht, das den Menschen in Israel und im Gazastreifen aktuell widerfährt. Ist sie eine Comic-Aktivistin? „Soweit würde ich nicht gehen“, erklärt Brinkmann, „aber ich stehe zu meinen Protagonisten und ich such mir diese Themen, weil ich sie wichtig finde.“
Mit dem Preis mausert sich Dortmund zur Comic-Hauptstadt
Ist denn der Comic für solche Themen ein geeignetes Medium? „Auf jeden Fall“, findet Sophia Paplowski, Leiterin des Dortmunder schauraum: comic + cartoon. Durch die vielen Vermittlungsangebote und Gespräche mit Besucher:innen im Schauraum weiß sie: „Ein Comic ist zugänglicher für Jugendliche, da er optisch ansprechender ist als ein dickes Sachbuch. Was aber nicht heißt, dass die Geschichte dabei weniger gehaltvoll ist.“
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Paplowski ist begeistert von der Arbeit der Preisträgerin, findet sie „künstlerisch super“, vor allem aber auch ihre Themen wichtig. „Erinnerungskultur hat für uns hier einen hohen Stellenwert, wir haben nicht nur dieses eine Heft, sondern Hannahs Engagement insgesamt ausgezeichnet.“
Mit 10.000 Euro ist der Comic-Preis dotiert und zukünftig soll er, alle zwei Jahre, im Wechsel mit dem Nelly Sachs-Preis vergeben werden. Ein fröhlicher Vogel mit dickem Bauch symbolisiert ihn: der Dodo. Gestaltet hat die Trophäe der Comiczeichner Ralf König.
Und während der echte Dodo ausgestorben ist, hat der Dortmunder Dodo die Zukunft noch vor sich. Für Paplowski ist er auch eine Art Geburtstagsgeschenk: „Der Preis veredelt die harte Arbeit von fünf Jahren Schauraum. Er hilft der Szene und den Comic-Künstler:innen.“
OB Thomas Westphal geht noch weiter: „Der Preis ist ein weiteres Highlight für die lebendige Comic- und Cartoon-Szene in Dortmund“, so der Oberbürgermeister, „Dortmund mausert sich zur Comic-Hauptstadt.“
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