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Von Rainer Roeser
Erst Anfang Januar hat die NRW-AfD ihre Kandidat:innenliste für die vorgezogene Bundestagswahl bestimmt. Vorausgegangen war eine öffentlich via „Telegram“ ausgetragene Schlammschlacht. Spitzenkandidat wurde, wie vom Landesvorstand gewünscht, der Finanzpolitiker Kay Gottschalk. Doch genauso wie er wird absehbar auch der Dortmunder MdB Matthias Helferich ins Parlament zurückkehren. Nicht nur deswegen ist AfD-Landeschef Martin Vincentz geschwächt und seine Mission, die Landes-AfD zu befrieden, gescheitert.
Die Lager im Landesverband sind durch gegenseitigen Hass verbunden
Wer in der Vergangenheit wissen wollte, wie es um das Binnenklima der AfD bestellt war, musste sich in deren Chats einschmuggeln, bei Parteiveranstaltungen Dauergast in den Raucherecken werden oder klandestine Telefonate führen. Wer diesmal im Vorfeld des Nominierungsparteitags in Marl über die Innereien ihres nordrhein-westfälischen Landesverbandes auf dem Laufenden bleiben wollte, dem wurden die Informationen fast schon überreichlich über zwei öffentliche Telegram-Kanäle frei Haus geliefert.
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Nahezu ungehemmt tobten sich dort die beiden Lager aus, die das Geschehen in der Landespartei – miteinander verbunden nur durch gegenseitigen Hass – dominieren.
Auf der einen Seite die Gruppe, die sich an NRW-AfD-Chef Martin Vincentz orientiert, der irgendwie reputierlich erscheinen will, dem das aber nicht so recht gelingen mag; auf der anderen Seite ein Lager, das es mit dem Dortmunder Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich hält, der sich einst einmal – ironisch will er es gemeint haben – „das freundliche Gesicht des NS“ nannte und der dieses Label nun weder innerhalb noch außerhalb der Partei wieder los wird.
Es gibt via „Telegram“ reichlich Schmuddeleien zu lesen
Wer Freude an parteiinternem Schmutz hat, wurde auf den beiden Schmuddelkanälen jedenfalls bestens unterhalten. Über Vincentz war zum Beispiel nachzulesen, dass er die AfD anlüge und sich machtpolitisch unter anderem auf einen „Polithooligan“ (den Duisburger Kreisvorsitzenden) stütze. Über den „Partei-Gangster Esser“, den ehemaligen Partei- und Fraktionsvize Klaus Esser, hieß es, er bilde gemeinsam mit seiner Ehefrau das „Gangster-Ehepaar Esser“ – um es ganz verständlich zu machen, wurden sie zu „Bonnie und Clyde Esser“. Soweit Autoren aus dem Lager der Helferich-Fans.
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Die von Vincentz Begeisterten mochten da kaum zurückstehen. Im Gegenteil: Bei ihnen ging es noch deutlich pöbelhafter zu. Helferich, registrierte man dort, sei ein „Weihnachtswichtel“.
Auch das „letzte Aufgebot“ vom „Helferchen und seine Knechten“ wurde in den Blick genommen, zum Beispiel der Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp, „der als wohl faulster MdB (…) in die Geschichte eingehen wird“ und um dessen Gesundheits- und Geisteszustand man sich „ernsthafte Sorgen“ machen müsse.
Selbstredend auch namentlich genannt wurden weitere Helferich-„Knechte“: ein MdB, der „der Joe Biden der AfD“ sei, ein anderer MdB, der ein „intellektueller Tiefflieger mit ungeklärtem Loyalitätsverhältnis“ sei, der Landesvorsitzende der Jungen Alternative, „der über Männlichkeit schwadroniert aber keine Verantwortung für sein Stiefkind übernimmt“, ein stellvertretender Kreisvorsitzender aus Ostwestfalen, der keiner geregelten Beschäftigung nachgehe und versuche, seinen Kreisverband „mit arbeitslosen Spießgesellen zu kontrollieren“, ein Kreischef aus der Region, der als „König des NPD-Sprechs“ tituliert wurde, ein Kreisvorsitzender aus Südwestfalen, der „im Privatleben arbeitsloser Taxifahrer“ sei, einer aus dem Rheinland, dessen Lebensleistung darin bestehe, „eine reiche Frau geheiratet zu haben“ und bei dem es parteiintern zugehe wie „bei der Merkel-CDU oder anderen Despoten“, schließlich der AfD-Kreischef einer rheinischen Großstadt, „der in den sozialen Medien zusammen mit seiner Frau offensichtlich einen Dreier sucht“.
Hass ist Grundbestandteil der DNA der „Alternative“
Parteischädiger!, Mandatsjäger!, Hetzer!, Spalter!, Querulanten!, Denunzianten!, Nestbeschmutzer!, Destrukteure!, so tönte es auf dem einen Telegram-Kanal. Saboteure!, Feindzeugen!, Sudeler!, konterte die andere Seite. Hass, so war bei der Lektüre einmal mehr zu erkennen, ist eine Grundkonstante in der AfD, er gehört zu ihrer DNA. Oberflächlich betrachtet richtet er sich nur nach außen – einst gegen „die Merkels“, heute gegen „die Habecks“.
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Doch schaut man tiefer, wird klar, dass auch angebliche Parteifreunde selbst zum Objekt dieses Hasses werden. Dabei ließ die Lautstärke der gegenseitige Tiraden fast vergessen, dass die beiden großen Gruppen in der NRW-AfD inhaltlich gar nicht so viel trennt.
Wenn einer aus dem – nach den verqueren Maßstäben der AfD – „gemäßigteren“ Lager wie der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk beim Nominierungsparteitag „Abschieben, Abschieben, Abschieben!“ als Losung vorgibt, unterscheidet sich das nicht sehr von den Forderungen eines Helferich nach „millionenfacher Remigration“.
Aber trotz aller offensichtlichen Ähnlichkeiten bleiben erhebliche Differenzen. Da ist Landeschef Vincentz, ein Arzt aus Krefeld, der seit seiner Wahl daran arbeitet, den mittlerweile mehr als 8.500 Mitglieder zählenden Landesverband als irgendwie „moderater“ im Spektrum der Bundes-AfD darzustellen. „Stubenrein“ soll er erscheinen. Geradezu zwangsläufig muss sein Politikverständnis mit dem von Helferich & Co. kollidieren, die statt vermeintlich publikumsaffiner Politsäuseleien und schwiegermuttertauglicher Optik den rechtsradikalen Klartext und den Kontakt zum extrem rechten „Vorfeld“ der Partei bevorzugen. Aktuell können sie auf die Wahlerfolge in den östlichen Bundesländern verweisen.
„Kickl-Kurs“ mit Matthias Helferich
Helferich will „eine AfD, die grundsätzlich ist, Linie hält“, sagt er. In NRW würden immer mehr AfD-Mitglieder einen „Kickl-Kurs statt Meuthen-Epigonen“ wollen. Seine Rechnung ist einfach: Für den „Kickl-Kurs“, den rechtsradikalen Kurs, mit dem der FPÖ-Chef Herbert Kickl seine Partei zur stärksten in Österreich gemacht hat, steht er selbst.
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„Meuthen-Epigonen“: Das sind hingegen Vincentz und dessen Anhänger. Helferich sieht sich dabei letztlich im Vorteil: „Zur großen Verwunderung der Parteiführung bin ich sehr beliebt in der Partei“, meint er. Der Marler Parteitag gab ihm über weite Strecken recht.
Dass ihm der Landesvorstand die Mitgliedsrechte entzogen hat, verhindert zwar momentan, dass er für eine Funktion in der Partei kandidieren kann – es verhindert aber nicht seine Nominierung für ein öffentliches Wahlamt.
Und so kam es: Gegen den nun auf dem Vincentz-Ticket reisenden Ex-„Flügel“-Mann Thomas Röckemann setzte er sich mit 245 zu 224 Stimmen auf Listenplatz sechs durch – zwar nur mit vier Stimmen mehr als nötig, aber schon im ersten Anlauf. Es war ein wiederkehrendes Muster: Nie kandidiert Helferich gegen seine eigentlichen Kontrahenten. Nicht gegen Vincentz, nicht gegen Gottschalk. Stattdessen sucht er sich ziemlich zielsicher ein besonders schwaches Glied im Personaltableau seiner Gegenspieler aus.
So bezwang er vor einem Jahr, als der NRW-Vorstand gewählt wurde, die frühere Landtagsabgeordnete Iris Dworeck-Danielowski, und so hatte er diesmal gegen den zuweilen etwas unbeholfen auftretenden Röckemann Erfolg. Seine Anhänger kann’s nicht verdrießen. In Marl springt die Hälfte des Saals auf, um Helferich zu bejubeln, die andere Hälfte der Delegierten rafft sich zu ein paar Pfiffen oder Pfui-Rufen auf oder bleibt gleich schweigend und schockiert sitzen.
Spitzenkandidat mit schwachem Ergebnis
Schon bei den Abstimmungen zuvor war deutlich geworden, dass ein Durchmarsch des Landesvorsitzenden in Marl nicht zu erwarten sein würde. Als Spitzenkandidat wurde zwar – wie vom Team Vincentz gewünscht – der Finanzpolitiker Kay Gottschalk aus Viersen gewählt. Doch nicht einmal 60 Prozent der Delegierten im Saal mochten ihm ihre Stimme geben. Fast ein Drittel der Delegierten votierte für seinen Gegenkandidaten, ein weithin unbekanntes Mitglied aus Düren, das seine Rede nutzte, um reichlich schmutzige Wäsche zu waschen.
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Bei der Wahl für Listenplatz zwei scheiterte dann Vincentz-Favorit Martin Renner, Ehrenvorsitzender der NRW-AfD und Mitbegründer der Partei vor zwölf Jahren. Gewählt wurde stattdessen sein Kölner Bundestagskollege Fabian Jacobi. Er gehört zwar zu keiner der rivalisierenden Gruppen; seine Wahl aber machte deutlich, dass die insgesamt knapp 500 Delegierten „Empfehlungen“ von oben keinesfalls einfach abnicken wollten.
Ein Zeichen dafür war auch die Wahl für Platz fünf, bei der sich Helferich-Freund Rüdiger Lucassen gegen Vincentz-Favorit Stefan Keuter durchsetzte. Renner und Keuter wurden am Ende zwar doch noch auf sichere Listenplätze gewählt – doch die Schlappe bleibt.
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Wenig bewirkt hatte auch ein taktisches Manöver am Vorabend der Wahlen. Eine der Reden zur Eröffnung des Parteitags durfte Maximilian Krah halten – ausgerechnet. In der Parteiführung sieht man ihn am liebsten von hinten, wegen seiner allzu ausgeprägten China- und Russland-Nähe, wegen (früherer?) Radikalität und weil er sich im vorigen Jahr auch im Wahlkampf um die Mandate im Europaparlament als unberechenbar und nicht zu steuern erwiesen hatte.
In Marl war er trotz aller Abgrenzungsbemühungen willkommen und lieferte – jedenfalls ganz im Sinne seiner Gastgeber Vincentz und Gottschalk. So ganz ging freilich der Versuch, mit seinem Auftritt auch die Radikalen im Saal wieder einzufangen, nicht auf.
Der Intrigantenstadl NRW-AfD bleibt geöffnet
Es bleiben drei Lehren aus dem gleich fünftägigen Marler Delegiertentreffen:
Erstens: Die NRW-AfD ist zwar längst keine Helferich-Partei, aber dessen Lager darf sich deutlich gestärkt fühlen. In einer neuen Bundestagsfraktion wäre der Dortmunder – würde er diesmal aufgenommen – keinesfalls isoliert. Dafür steht Lucassen, dafür stehen aber auch insbesondere die künftigen Abgeordneten Anna Rathert aus dem Kreis Recklinghausen und Christian Zaum aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein.
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Zaum, den der Landesvorstand ebenfalls hat ausschließen wollen, ist Chef des AfD-Bezirks in Südwestfalen und dem östlichen Ruhrgebiet mit einem Fünftel aller Mitglieder in Nordrhein-Westfalen. Sein Bezirksverband Arnsberg sei „das Thüringen von NRW“, hatte Zaums Verband einmal provokativ wissen lassen.
Zweitens: Deutlich geschwächt ist hingegen AfD-Landeschef Vincentz, obwohl die allermeisten Kandidat:innen auf den für aussichtsreich erachteten, ersten 20 Listenplätzen auf seiner Seite stehen.
Zwar ist es ihm gelungen, mit einem System aus Zuckerbrot und Peitsche die Vorleute des früheren „Flügels“ in NRW sowie einige andere Rechtsaußen zu domestizieren: einer wurde Landesschatzmeister, der nächste avancierte zum Beisitzer im NRW-Vorstand, ein weiterer zum Ehrenvorsitzenden, und wiederum einem anderen wurde ein Bundestagsmandat in Aussicht gestellt.
Doch an seiner Aufgabe, einen Landesverband zu befrieden, der seit seiner Gründung durch Grabenkämpfe geschüttelt wird, ist Vincentz wie alle seiner Vorgänger gescheitert – was auch seinen Ambitionen auf höhere Weihen auf Bundesebene einen gehörigen Dämpfer verpasst.
Drittens: Vincentz‘ bislang erfolglose Säuberungsversuche, eine Landesliste, die ihm wegen der erfolgreichen Kandidatur der Helferichs, Zaums oder Ratherts nicht in Gänze gefallen kann, eine Fülle von Parteiordnungsverfahren, ein Parteitag, der aus den Fugen geriet u.v.m: Seit seiner Gründung vor einem Dutzend Jahren suchen die etwas helleren Köpfe im Landesverband eine Person, die alle Flügel, Lager und Gruppen unter einen Hut bringen könnte. Auch unter den aktuellen Bundestagskandidat:innen dürfte er oder sie nicht zu finden sein. Der Intrigantenstadl AfD-NRW bleibt mithin geöffnet.
Daniel Zerbin, der Listen-13., ist momentan Mitglied des Landtags. Wird er in den Bundestag gewählt und würde er sein Mandat im Landesparlament aufgeben, wäre Thomas Röckemann sein erster Nachrücker. Röckemann hat dem NRW-Landtag bereits von 2017 bis 2022 angehört. Derzeit ist der 60-jährige Rechtsanwalt aus Minden Sprecher des AfD-Bezirksverbands Ostwestfalen-Lippe.
Etwas besser als in früheren Jahren bildete die NRW-AfD bei ihrer Listenwahl regionale Proporze ab: Von den ersten 20 Kandidat:innen kommen jeweils fünf aus den Bezirksverbänden Köln, Düsseldorf und Arnsberg, drei aus dem Bezirksverband Münster und zwei aus Ostwestfalen-Lippe. Zum Vergleich: Der aktuell elf Mitglieder zählenden Landesgruppe der AfD im Bundestag gehören nur zwei Abgeordnete an, die nicht aus dem rheinischen Landesteil kommen. Auch im ebenfalls elfköpfigen Landesvorstand sind nur jeweils ein Vertreter aus den Bezirken Münster oder Ostwestfalen-Lippe vertreten, aus Arnsberg keiner. Was sich nicht geändert hat: Unter den insgesamt 40 Personen auf der Landesliste ist lediglich eine Frau zu finden. AfD-Politik bleibt Männersache.
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