Podiumsgespräch zur Wirtschaftspolitik bei der IHK Dortmund:

Diskussionen über Bürokratieabbau, Mindestlohn und die Normalisierung von AfD-Positionen

Als Veranstalter  fanden sich IHK, Westfälische Kaufmannsgilde, Auslandsgesellschaft, Handwerkskammer, Familienunternehmer, Junge Unternehmer, Unternehmensverbände, Westfälischer Industrieklub und Wirtschaftsjunioren zusammen. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Schon bald wird ein neuer Bundestag gewählt. Grund genug, danach zu fragen, welche wirtschaftspolitischen Vorhaben die verschiedenen Parteien verfolgen. In der IHK zu Dortmund fand zu diesem Themenkreis eine Podiumsdiskussion mit Vertreter:innen von vier im Bundestag vertretenen Parteien statt. Die Grünen waren wegen der AfD-Teilnahme ferngeblieben – vor der Tür gab es ebenfalls gegen die AfD Protest.

Boykott wegen AfD: Viele, aber nicht alle Eingeladenen, waren gekommen

Der große Saal der IHK zu Dortmund war gut gefüllt. Viele Unternehmer:innen kleiner, mittlerer und großer Firmen der Region, aber auch weitere am Thema Interessierte waren der Einladung der Veranstalter (Westfälische Kaufmannsgilde, Auslandsgesellschaft, Handwerkskammer, Familien- und Jungen Unternehmer, Unternehmensverbände in Dortmund, Westfälischer Industrieklub und Wirtschaftsjunioren) gefolgt. Die Moderatorin Britt Lorenzen und der Hörfunkjournalist Ralph Sina führten durch den Abend.

Nur vier Parteien waren mit Kandidierenden auf dem Podium vertreten:

  • Michael Depenbrock (CDU), Bürgermeister im Bezirk Hörde, ist hauptberuflich Steuerberater und Gesellschafter einer Steuerberatungsgesellschaft. Außerdem ist er Mitglied  im Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen der CDU Dortmund.
  • Heiner Garbe (AfD), Mitglied der Ratsfraktion der AfD in Dortmund, ist Freier Wirtschaftsjournalist. Er will scharfe Grenzkontrollen und meint das „Zäune für unsere Freiheit“ stehen.
  • Nils Mehrer (FDP) ist Kreisvorsitzender der FDP Dortmund und hauptberuflich tätig als Consultant für Industrie- und Logistikimmobilien im Ruhrgebiet. Ein Anliegen ist ihm, radikal Bürokratie abzubauen und neue Wege zu gehen.
  • Sabine Poschmann (SPD) vertritt als MdB seit über zehn Jahren in verschiedenen Ausschüssen die Wirtschaftspolitik ihrer Partei. Seit Dezember 2021 ist sie die sportpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und weiterhin ordentliches Mitglied im Wirtschaftsausschuss.

Grüne wollen keine Normalisierung mit der AfD – daher kein gemeinsames Podium

Ralph Sina erwähnte in seiner Begrüßung zwar, dass die Grünen ihre ursprünglich zusagte Teilnahme zurückgezogen hatten, sagte aber nicht, warum. Die Begründung der Absage durch die Bundestagskandidatin im Wahlkreis Dortmund II Hannah Rosenbaum hat aber durchaus Gewicht.

Vor der IHK gab es Proteste gegen die AfD-Teilnahme auf dem Podium. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

„Ich werde mich nicht einfach neben ein Mitglied einer in Teilen gesichert Rechtsextremen Partei setzen und so tun, als wäre nichts. […] Ich werde nicht dazu beitragen Aussagen dieser Partei oder ihrer Mitglieder auch nur den Anstrich von Legitimität zu verleihen. Diese Partei gehört mit allen Mitteln bekämpft“, so Rosenbaum.

Überhaupt durfte die Tatsache, dass CDU und FDP mit der rechtsextremen AfD im Deutschen Bundestag am 29. Januar bewusst Mehrheiten gebildet haben, nicht übergangen werden, zumal Schnittmengen bei den wirtschaftspolitischen Themen des Wahlkampfs – Rückbau der Erneuerbaren Energien, Forcieren der Kernkraft, Eingriffe in die Regelungen zum Bürgergeld – für die kommende Legislaturperiode ein ähnliches Abstimmungsverhalten befürchten lassen.

Bürokratieabbau und Mindestlohn als wichtige Wirtschaftsthemen

Nach dem Grußwort durch Stefan Schreiber, Hauptgeschäftsführer der IHK Dortmund, die den Raum für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt hatte, ging es dann in medias res. Zunächst sprach Ralph Sina von der seiner Meinung nach überbordenden Bürokratie in Deutschland. Beispiele, die er dafür gab, wurden von den Podiumsgästen aufgegriffen und kommentiert.

Sabine Poschmann (SPD-MdB) Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Man war sich darin einig, dass Dokumentionen, Kontrollen, langwierige Genehmigungsverfahren usw. kritisch auf ihren Sinn befragt werden und Abläufe weiter verschlankt werden müssen.

Sabine Poschmann (SPD) hob zugleich hervor, dass Bürokratie überall dort nötig sei, wo Gesetze umgangen oder gebrochen werden. Gleichwohl sei in der zu ende gehenden Legislaturperiode von den Regierungsparteien manches zum Bürokratieabbau geleistet worden.

Als Poschmann durch Ralph Sina anschließend nach der beabsichtigten Erhöhung vom Mindestlohn gefragt wurde, sagte sie: „Wir müssen in Deutschland einen ausreichenden Lohn garantieren, darum bin ich für einen höheren Mindestlohn.“

Michael Depenbrock (CDU) Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Darauf entgegnete Michael Depenbrock (CDU), dass man mit einem Mindestlohn keine Schwarzarbeit bekämpfen könne. Überhaupt müsse ein Mindestlohn durch die Unternehmen und nicht durch die Politik festgelegt werden. Als Depenbrock hinzufügte, dass „mehr Netto vom Brutto“ der richtige Weg sei, ließ er allerdings offen, dass damit der perspektivischen Altersarmut nicht entgegengewirkt würde.

Für Nils Mehrer (FDP) liegt eine Lösung der Problematik in einer Erhöhung der steuerlichen Freibeträge und flexibleren Arbeitszeiten.

Heiner Garbe (AfD) lehnt einen Mindestlohn rundweg ab. Arbeitnehmer:innen sollten nicht auf steigende Löhne setzen. Stattdessen sollte der EURO abgeschafft und die D-Mark wieder eingeführt werden. Und er fügte hinzu, dass auch der Austritt aus der EU richtig wäre: „Trump zeigt, dass es nie zu spät ist!“ Aus Sicht der FDP entgegnete Nils Mehrer darauf, dass es nicht um mehr, sondern um weniger Protektionismus gehen müsse.

Steuern und Energiekosten als Hemmnisse bei der Wettbewerbsfähigkeit

Ein weiteres Thema des Abends waren die Steuern. Hohe Sätze bremsen die Unternehmen, die sich Entlastungen wünschen, um, besonders international, wettbewerbsfähig bleiben zu können. Michael Depenbrock, als Steuerberater „vom Fach“, forderte aus Sicht der CDU, dass Unternehmenssteuern grundsätzlich reduziert werden müssen. Er kritisierte den Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen „Kapital zusätzlich besteuern“ zu wollen.

Nils Mehrer (FDP) Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Die Korrektur dieser irreführenden Behauptung durch die Moderation wäre angemessen und nötig gewesen. Denn tatsächlich geht es der Grünen ja um die Erhebung von Sozialabgaben auf faktisch leistungslose Millioneneinkommen (aus Zinserträgen Spekulationsgewinnen usw.) und keineswegs um solche aus klassischen Sparguthaben der Bürger:innen oder um die Gewinne von tatsächlich Leistungen erbringender Unternehmen.

Heiner Garbe zeigte sich als Vertreter der AfD in dieser Gesprächssequenz auffallend inkompetent, indem er lediglich forderte, dass es eine Vermögenssteuer nicht geben dürfe. Nils Mehrer verwies auf die USA, wo die Unternehmenssteuern auf 15 Prozent gesenkt würden.

Heiner Garbe (AfD) Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Aus Sicht der FDP sei das beispielhaft. Er fügte noch hinzu, dass Arbeitnehmer:innen ebenfalls zu entlasten seien, was durch wirtschaftliches Wachstum perspektivisch möglich sei. Sabine Poschmann betonte, dass es der SPD ebenfalls darum geht, Arbeitnehmer:innen zu entlasten. Zur Unterstützung der Unternehmen ist ein „Deutschlandfonds“ sinnvoll.

Als das Thema Energie angesprochen wurde, ergriff Heiner Garbe das Wort, indem er zu den Positionen der AfD sagte: „Wir wollen eine vernünftige Energiewirtschaft. Wir wollen neue Atomkraftwerke und werden die Windenergie auslaufen lassen.“ Michael Depenbrock schloss daran aus Sicht der CDU an, dass „Kernfusion ein Thema sein müsse“. Die Preise für Energie müsse überdies der Markt regeln. Dass das ganz im Sinne der FDP wäre, wurde deutlich als Nils Mehrer forderte, dass Netzentgelte gesenkt und „Kernfusion intensiver erforscht werden müsse“.

Frage nach Fachkräftemangel offenbart unterschiedliche Menschenbilder

Spannend war es auch, als über den Fachkräftemangel gesprochen wurde. Um dem entgegenwirken zu können, müsse, so Sabine Poschmann für die SPD, beispielsweise mehr für Frauen in der Erwerbsarbeit getan werden. Der Bereich der Teilzeit müsse gestärkt werden.

Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Ebenso gelte es, Einwanderung auch im nicht akademischen Bereich zu fördern. Allerdings habe, entsprechenden Befragungen zufolge, der Rechtsruck in Deutschland negative Auswirkungen auf die Bereitschaft, in unserem Land arbeiten zu wollen.

Heiner Garbe entgegnete, dass aus Sicht der AfD die Sozialabzüge für Eingewanderte zu hoch seien, und dass grundsätzlich mehr, nicht weniger gearbeitet werden müsse. Michael Depenbrock meint aus der Sicht der CDU, dass es zu viele Empfänger:innen von Bürgergeld gäbe, worauf Heiner Garbe forderte, dass das Bürgergeld abgeschafft werden solle. Auf den Einwand hin, dass das verfassungsrechtlich unmöglich sei, ging er nicht weiter ein, sondern fügte Garbe lediglich polemisch hinzu: „Wir sind ein Land in roter Demenz!“

Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Einig waren sich alle darin, dass die Lohnnebenkosten gesenkt werden sollten. Der AfD`ler Heiner Gabe sprach von einer „Remigrationsdividende“, die zustande käme „wenn wir millionenfach abschieben“.

Als es zum Ende des Podiumsgesprächs noch um das Menschenbild ging, stellte Garbe für die AfD fest, dass das Abstammungsrecht immer Vorrang habe. Sabine Poschmann betonte: „Für mich sind alle Menschen gleich!“ Michael Depenbrock pflegt „vor dem Hintergrund des Förderns und Forderns ein positives Menschenbild“ und Nils Mehrer sagte, ganz im Sinne der FDP, dass er „an den Einzelnen glaubt, nicht an das Kollektiv“.


Kommentar:

Rechtsextreme gehören nicht zum politischen
Diskurs der Demokratinnen und Demokraten

Das Podiumsgespräch insgesamt war in Teilen eindrücklich, weil die Positionen der Parteien deutlich zutage traten. Der Dialog war respektvoll und dicht. Nicht alle vorbereiteten Themen konnten besprochen werden. Dass die wirtschaftspolitischen Fragestellungen vor allem aus der Sicht der Arbeitgeber:innen besprochen wurden, war zu erwarten.

Vor der IHK gab es Proteste gegen die AfD-Teilnahme auf dem Podium. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Hinsichtlich der Interessen der Arbeitnehmer:innen war die Stimme der SPD zu leise, und die der Linken – man hatte angeblich auf die Einladung zur Teilnahme am Podium überhaupt nicht reagiert – fehlte ganz. Ebenso war es zu bedauern, dass die Stimme der Grünen nicht zu hören war, denn die Wirtschaft der Zukunft hat sich, bestenfalls als „Green economy“, zweifellos an ökologischen Fragen zu orientieren.

Bedauerlich war ebenfalls, dass die Vorgaben durch die Moderation zu sehr als Klagelieder daher kamen und für das in den vergangenen Jahren Geleistete zu wenig wertschätzend waren. Dadurch wurde die Chance vertan, am Zustandekommen eines wirksamen Konsens der demokratischen Parteien über den Wahlkampf hinaus mitzuwirken.

Das aber wäre wichtig, denn es geht darum der AfD entgegenzutreten, die – wie Heiner Garbe  im Saal der IHK – Björn Höcke als „ehrenwerten Mann“ und das Erinnern in Deutschland als „Schuldkultur“ bezeichnen. Nirgendwo sollte (wieder) der Eindruck erweckt werden, als gehörten die Rechtsextremen zum politischen Diskurs der Demokraten dazu!


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