Aladin El-Mafaalanis „Konfliktzone“ im ausverkauftem Schauspielhaus

„Der Hass ist hungrig“: Michel Friedman fordert Neugier und eine weltoffene Streitkultur

Konfliktzone: Soziologe Aladin El-Mafaalani mit Gast Michel Friedman
„Konfliktzone“ im Schauspiel Dortmund: Soziologe Aladin El-Mafaalani (re.) mit Gast Michel Friedman (li.) Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger

Von Sandra Danneil

„Konfliktzone“ im Schauspiel: Veranstalter Aladin El-Mafaalani sprach mit seinem Gast Michel Friedman über wesentliche Themen unserer Zeit. Sei es die Situation in Gaza, die „Frustrationsfalle“ Zukunft oder der Zustand deutscher Migrationspolitik – Friedman begeisterte Publikum und Gastgeber mit resoluten Schlachtruf-Aphorismen und weil er alle Hüte dabeihatte, die seine vielschichtige Persönlichkeit schmücken. Die insgesamt siebte „Konfliktzone“ im Schauspiel Dortmund betont damit einmal mehr, dass Demokratie nur in einer gesunden Streitkultur funktioniert.

Konfliktzone lockt kulturelle Vielfalt und Konsenkultur

Zum vorletzten Mal im Dortmunder Theater überhaupt zieht es auch an diesem frostigen Januarabend wieder rund 500 Zuschauer:innen weg aus ihrer häuslichen Komfortzone und hin in das beliebte Veranstaltungsformat „Konfliktzone“. Wie üblich sprechen die vielen Gesichter, die kurz vor 18 Uhr hereinströmen, eine Sprache von kultureller Vielfalt und sichtbarer Bildungsnähe­ – eine Nähe, die oft leider eher für Konfliktvermeidung als für Streitkultur steht.

Konfliktzone im Theater Dortmund: Gast Michel Friedman
Konfliktzone im Theater Dortmund: Gast Dr. Michel Friedmann Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger

Schon zum zweiten Mal folgte Michel Friedman der Einladung seines Freundes El-Mafaalani. Die große Beliebtheit bei seinen Fans zieht Friedman (und es lässt keinen anderen Rückschluss zu) aus einer dissoziativen Persönlichkeit.

Nach fast zwei Stunden Friedman scheint es fast so, als hätten – je nach Thema und Fragestellung – verschiedene, manchmal nicht unähnliche Persönlichkeitszustände die Kontrolle über gefestigte Meinungen und flexibles Denken übernommen.

Als Publizist ist er Autor und Journalist mit spitzer Feder und einer starken Meinung. Den Juristen lässt er durchblicken in der sachlichen Schärfe seiner Verbalsalven. Friedman, der Philosoph überhöht Kant zu „Gott Kant“ und Friedman, der Boomer wünscht sich nichts mehr als im Alter gepflegt zu werden. Es sind diese und weitere Merkmale, die für Friedmans „Chutzpe“ sprechen.

Es sind Themen wie Wespennester

Wie damals, beim ausverkauften „Talk im DKH“ im Dezember 2023, setzte Friedman auch an diesem Abend seine non-chalante Penetranz wie eine Waffe an die Brust von erdrückenden Themen, die polarisieren und dieser Tage allzu schnell zu „Wespennestern“ werden.

Allerdings versteht es Friedman wie kein anderer, sein Publikum zu lenken – ein Publikum, das von ihm nicht überzeugt werden musste, sondern bereitwillig und nach jedem druckreifen Bonmot applaudierte.

Resignieren vor dem ‚Ob‘ oder Streiten über das ‚Wie‘

Die Frage nach dem ‚Ob‘ stand für den 68-jährigen im Dialog mit El-Mafaalani weit hinter der Frage nach dem ‚Wie‘ …wie in dieser themenübergreifenden Sentenz erkennbar wird: „Über das ‚Ob‘ zu reden, bedeutet aufzuhören, sich zu verteidigen; über das ‚Wie‘ lässt sich streiten.“

Moderator und Gastgeber Aladin El-Mafaalani
Moderator und Gastgeber Aladin El-Mafaalani Foto: Helmut Sommer für Nordsta

Diese ‚Wies‘ (und auch Warums) sind laut Friedman nicht wichtig für ein Nachdenken über Terrorismus oder politische Führer wie Netanjahu, Putin oder Scholz.

Die Frage nach dem Wie müsse wieder als ein streitbares Privileg von uns allen verstanden werden, meint an dieser Stelle vor allem Friedman, der Publizist (und ein bisschen auch der ehemalige Politiker in ihm).

Gazakrieg und seine Geiseln: „Jeder Tag eine Tragödie“

Friedman meint beispielsweise, dass Israels Regierung durchaus skeptisch betrachtet werden dürfe. ‚Wie‘ aber umgehen mit seiner Verteidigungspflicht? „Bevor die Geiseln nicht frei sind, kann keine Regierung gezwungen werden, mit dem Schießen aufzuhören,“ schwappt es flapsig von der Bühne. „Bis dahin ist jeder Tag eine Tragödie.“

Angesichts der noch rund 100 festgehaltenen Geiseln der Hamas, von denen die Israelische Armee erst vor wenigen Tagen die Leichen von Youssef Ziyadne und seinem Sohn Hamza bergen konnte, stößt Friedman mit seiner kompromisslosen Meinung zu Israels Verteidigungsberechtigung bei dem ein oder anderen auf mehr als nur hochgezogene Augenbrauen.

Zukunft im Land der Richter und Henker

Während dem Moderator El-Mafaalani ein wenig mehr Böhmermann und ein bisschen weniger Lanz gut zu Gesicht stehen würde, bringt der populäre Soziologe das Gespräch dennoch immer wieder auf Kurs. Zum Beispiel möchte er von Friedman wissen, wie eine brauchbare Zukunftsidee aussehen könnte. Mit den Worten des berühmten Soziologen Zygmunt Bauman, stehe Zukunft ja heute nicht mehr für Hoffnung, sondern für Horror.

Ziemlich beste Freunde: Aladin El-Mafaalani und Michel Friedman
Ziemlich beste Freunde: Aladin El-Mafaalani und Michel Friedman. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger

Ab hier lernt das Publikum den wahren Philosophen in Friedman kennen. Dieser meint z.B., dass der Humanismus, das Konzept Menschenrechte oder die Idee der Aufklärung, also, laut Kant, der Befreiung des Menschen aus seiner selbstauferlegten Unmündigkeit, nicht aus ihrem embryonalen Zustand herausgewachsen seien.

„Weder das eine noch das andere, noch Kant schaffte es, den Menschen zu Kooperativen, Kompromissen oder Konfrontationen zu bewegen. Im Land der Richter und Henker wird die Zukunft zur Gegenwartsidee.“

Nicht Fragen des Überlebens, sondern Reden übers Leben

Das Publikum applaudiert frenetisch bei Aussagen zur einer „vermasselten Migrationspolitik“ in Deutschland oder seinen „rückschrittsverliebten Betondenkern“. Und auch zu dem Bekenntnis, dass Friedman „kein Intellektueller“ und „Elite“ dafür jeder ist, der für andere Verantwortung übernimmt. Auf Friedmans unaufgeregte Annahme aber, dass im Publikum bestimmt auch jemand sitze, der die AfD wählt, fällt das Klatschen bemerkenswert windstill aus.

Ausverkauftes Haus bei der siebten Konfliktzone im Schauspiel Dortmund
Ausverkauftes Haus bei der siebten „Konfliktzone“ im Schauspiel Dortmund. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger

Wie ein Hund, dem ein Knochen hingeworfen wird, beißt er sich mit furchtlosem Freiheitsdenken an der Notwendigkeit einer Streitkultur fest, die es zu pflegen gelte.

„Der Fortschritt einer Gesellschaft basiert auf ihrer Vielfalt; Angst hatte ich selbst immer nur vor ihrer Einfalt“, meint Friedman, der Publizist, ganz unpolemisch. Schließlich redeten wir nicht über Fragen des Überlebens wie in der Ukraine, sondern über Fragen des Lebens, insinuiert Friedman, der Poet.

Streiten als Vergnügen

Im Gespräch macht Friedman (der auch Vater zweier Söhne und Ehemann von Talkshow-Legende Bärbel Schäfer ist) immer wieder deutlich, dass er nicht auf sein Jüdischsein, sein Alter oder gar seinen Kontostand reduziert werden wolle.

Auch nicht als Friedman El-Mafaalani von seiner Aussage entwaffnet, dass nur eine demokratische Kulturlandschaft möglich mache, dass ein Moslem seine Bühne mit einem Juden teile. „Ich betrachte unser Treffen als ein vergnügliches Gespräch zwischen zwei Menschen“, schmunzelt Friedman wenig unironisch und unter Beifall in die Reihen.

Partisanen des demokratischen Projekts

Nicht ob, aber eben wie vergnüglich es für Aladin El-Mafaalani war mit einem Gelehrten wie Friedman über das Thema Menschenrechte in Syrien, in Gaza oder in den Augen der AFD zu diskutieren, bleibt im Auge des Betrachters. Michel Friedman ist und bleibt ein erfolgreicher Buchautor und jüdischer Intellektueller, der seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil der politischen Öffentlichkeit ist.

Abgang unter frenetischem Applaus
Abgang unter frenetischem Applaus. Foto: Helmut Sommer für Nordsta

Aladin El-Mafalaani ist überzeugt, Michel Friedman ist „eine Instanz im öffentlichen Diskurs“, weil er als der humorvolle und messerscharfe Beobachter auftritt, als den sein Publikum ihn feierte.

An diesem Abend zeigte Friedman aber noch ein anderes Selbst. Nämlich das des sprachgewaltigen Partisanen für das demokratische Projekt, dessen Waffe die Sprache ist und Worte seine Munition.

Im Sinne der Philosophin Hanna Ahrend und mit einem Auge auf dystopische Nahzukunftsszenarien erklärt Friedman abschließend: „Die schlechteste Demokratie ist mir immer noch lieber als die beste Diktatur.“


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