Auch in Dortmund betreiben Tochterfirmen soziale Einrichtungen 

Waffen, Kriege und Soziale Verantwortung: Wie der Rüstungskonzern Serco von Not profitiert 

Die Notschlafstelle für Männer in der Unionstraße wird auch von der Serco-Tochter European Homecare betrieben. Foto: Alexander Völkel für die Nordstadtblogger.de

Der britische Rüstungskonzern Serco hat die deutsche Firma European Homecare übernommen. Diese betreibt soziale Einrichtungen wie Geflüchteten- und Obdachlosenunterkünfte – auch in Dortmund. Doch Serco steht weltweit wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Das wirft Fragen auf, denn die Stadt hat sich vertraglich dazu verpflichtet, nur mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die ihren Werten von Toleranz und Menschlichkeit entsprechen.

Serco übernimmt die Essener Firma European Homecare

Ende 2023 kaufte der britische Rüstungskonzern Serco die Essener Firma European Homecare (EHC) für 40 Millionen Euro auf. Mit der Übernahme ist Serco nun der größte private Anbieter von Geflüchtetenunterkünften in Deutschland. Nach Angaben des Unternehmens betreiben die Tochterfirmen von Serco hierzulande rund 130 Einrichtungen, in denen mehr als 50.000 Menschen untergebracht sind.

Selbstdarstellung: Geschäftsfelder von Serco. Bild: Screenshot Serco-Homepage

Serco selbst zählt laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut zu den weltweit größten Rüstungskonzernen und ist an der Entwicklung, Produktion und Wartung von Atomwaffen beteiligt. ___STEADY_PAYWALL___

Seinen jährlichen Umsatz von rund fünf Milliarden Euro verdient er nach Informationen der Tagesschau als Dienstleister für Militär und Grenzschutzbehörden, aber auch als Betreiber von (Abschiebe-) Gefängnissen und Geflüchtetenunterkünften. 

Diese Doppelrolle sorgt für Kritik: Während Serco an Konflikten, die Menschen zur Flucht zwingen, mitverdient, profitiert der Konzern anschließend vom Betrieb der Einrichtungen, in denen eben diese Menschen untergebracht werden.

Kritik an Serco und den Tochterfirmen

In Deutschland wurden zuletzt in diesem Jahr schwere Vorwürfe gegen die Serco-Tochterfirma ORS bekannt. Der Geflüchtete Mamadou Diallo starb in einer von ORS betriebenen Geflüchtetenunterkunft in Berlin-Steglitz. Einen Monat lang lag er tot in seiner Unterkunft – ohne, dass jemand seine Leiche bemerkte. Die Todesursache konnte wegen erheblicher Leichenfäulnis nicht festgestellt werden. 

Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) hat laut Senat alle Verträge mit ORS außerordentlich gekündigt. Grund waren „gravierende Mängel“.  Laut der Tagesschau habe die Unterbesetzung in den ORS Unterkünften teilweise bei 50 Prozent und mehr gelegen. Das habe die Sozialarbeit, die Unterstützung bei Behördengängen, die Kinderbetreuung, die Hausbetreuung und auch die Freizeitangebote betroffen. 

Menschenrechtsverletzungen und Missstände

Und Mamadou Diallo ist nicht der einzige Geflüchtete, dessen Tod unentdeckt lange Zeit unentdeckt bleibt. Hogir A. lebte in einer von Serco betriebenen Geflüchtetenunterkunft in Kusel. Zuletzt wurde er am 13. Oktober 2023 gesehen. Anfang November fand ihn ein anderer Asylbewerber. A. hatte sich an einem Baum hinter der Unterkunft erhängt.

Arbeitsagentur, Jobcenter und Sozialamt haben den Integration Point für Flüchtlinge gestartet, der beim Start in Ausbildung und Beruf helfen soll.
Serco macht mit Geflüchteten Gewinn. Foto: Alexander Völkel für die Nordstadtblogger.de

Der Sächsische Flüchtlingsrat erklärt, dass das Unternehmen Serco auch dafür bekannt sei, mittellose Geflüchtete für symbolische Löhne in den Lagern arbeiten zu lassen: In Großbritannien habe das Unternehmen so in einem Jahr drei Millionen Pfund gespart.

Darüber hinaus betreibe Serco australische Inselgefängnisse für Geflüchtete im Pazifik. Dort werde seit Jahren über Misshandlungen berichtet. Ärzt:innen und Sozialarbeiter:innen meldeten Fälle von sexueller Belästigung, nahezu endemischen Depressionskrankheiten und regelmäßigen Suizidversuchen. Ein Gesetz bedrohe jedoch Lagerangestellte, die diese Missstände öffentlich machen, mit bis zu zwei Jahren Haft, so der Sächsische Flüchtlingsrat.

European Homecare auch in Dortmund Betreiberin sozialer Einrichtungen

In Dortmund betreibt die Serco-Tochterfirma European Homecare im Auftrag der Stadt Dortmund mehrere Einrichtungen. Dabei handelt es sich um zwei Geflüchtetenunterkünfte (Grevendicks Feld, Leuthardstraße) und zwei Notschlafstellen für wohnungslose Menschen (Männerübernachtungsstelle Unionstraße, „Gap Jump“ in Barop). Zusammen bieten diese Einrichtungen Platz für mehrere hundert Menschen. 

Bereits im Jahr 2017 diente das Gebäude des ehemaligen Kreiswehrersatzamtes schon einmal als Flüchtlingsunterkunft. Jetzt wird es von der Serco-Tochter EHC betrieben, Foto: Leopold Achilles

Die Stadt Dortmund erklärt, dass die Betreiber:innen solcher Unterkünfte die Anforderungen eines umfangreichen Leistungsverzeichnis erfüllen müssen, um weiterhin beauftragt zu werden.

„So müssen sie zum Beispiel Sozialbetreuer:innen als Ansprechpersonen für die untergebrachten Personen anstellen und die Pforten rund um die Uhr mit Sicherheitsdienstmitarbeiter:innen besetzen“, so die Stadt.

Um dies sicherzustellen unterlägen alle Einrichtungen der ständigen Kontrolle der Stadt, das Sozialamt sei in den Notschlafstellen und den Übergangseinrichtungen mit eigenem Personal regelmäßig vor Ort und prüfe unangekündigt die Einhaltung der Verträge.

Serco in Dortmund: Werte kontra Praxis?

Die Stadt Dortmund hat sich 2023 mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss klar zu ihren Werten bekannt: Unternehmen, die nicht für Toleranz, Menschlichkeit und Demokratie stehen, sollen keine Aufträge der Stadt erhalten. 

Das Logo „Wir in Dortmund - für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“
Das Logo „Wir in Dortmund – für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“

„Dortmund ist eine lebendige, weltoffene und internationale Stadt mit vielen Stärken. Als Stadt der Nachbarn steht Dortmund für Vielfalt und Toleranz, für die Einhaltung humaner und demokratischer Werte, für ein friedliches Miteinander und für Zusammenhalt“, betonte die Stadtspitze bei der Vorstellung der neuen Klausel.

Es stellt sich also die Frage, ob ein derartiger Rüstungskonzern den moralischen Ansprüchen der Stadt Dortmund gerecht wird – oder ob wirtschaftliche Interessen die Werte überlagern.

EHC als Vertragspartner der Stadt geeignet 

Auf unsere Frage, ob „die Werte des Konzerns Serco und somit die von European Homecare, von Kriegen zu profitieren und diese zu befeuern, die Menschenwürde hilfloser Geflüchteter zu missachten, Angestellte einzuschüchtern und aus humanitärem Leid Profit zu schlagen – besonders vor dem Hintergrund der neuen Vertragsklausel – mit den humanen und demokratischen Werten der Stadt Dortmund übereinstimmen“, erklärt die Stadt, zu ihren selbst gesetzten Kriterien zu stehen.

Im ehemaligen Kreiswehrersatzamt werden künftig bis zu 250 Flüchtlinge untergebracht.
Die Geflüchtetenunterkünfte, hier Vorbereitungen in der Leuthardstraße, müssen bestimmte Vorgaben erfüllen. Archivbild: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Diese griffen bei einer Vergabe und der Auftragsdurchführung, beziehungsweise der Leistungserbringung. Ob ein Anbieter auf Basis dieser Kriterien ausgeschlossen werden kann, werde im Zweifel geprüft, wobei die Prüfung rechtssicher, konsistent und kohärent sein müsse, so die Stadt.

In Bezug auf European Homecare erklärt sie: „Bei den bisherigen Vergaben an das Unternehmen EHC wurde die Eignung nach den vergaberechtlichen Grundsätzen festgestellt.“

Derartige Mängel, wie die im Fall Mamadou Diallo in Berlin könne die Stadt in Dortmund nicht bestätigen und verwies noch einmal darauf, dass es regelmäßig umangekündigte Kontrollen in den Einrichtungen gebe.

Weitere Informationen und Quellen: 


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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