Ein Bündnis, bestehend aus 26 Verbänden und Organisationen, hat ein Reformgesetz vorgelegt. Ziel ist die Abschaffung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur 22. Schwangerschaftswoche. Gefordert wird so eine Entkriminalisierung von Abbrüchen und der Wegfall einer Beratungspflicht. Eine Ärztin, die eine Abtreibungsklinik in Dortmund leitet, befürwortet grundsätzlich die Abschaffung des Paragrafen. Dennoch fragt sie sich, wie zielführend dieser Schritt allein ist.
Schwangerschaftsabbrüche laut Gesetz grundsätzlich eine Straftat
Seit jeher führt die Gesellschaft kontroverse Diskussionen über Schwangerschaftsabbrüche. Die Argumente für das körperliche Selbstbestimmungsrecht der Frau und das Recht des ungeborenen Lebens stehen sich gegenüber. Paragraf 218 des Strafgesetzbuches (StGB) sieht deswegen einen grundsätzlichen Strafbestand in Schwangerschaftsabbrüchen vor. Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch eine Frau einen Abbruch vornehmen, ohne dass dieser strafbar ist.
Das Bundesministerium für Justiz teilt, dass kein Strafbestand vorliegt, wenn zum Zeitpunkt des Abbruchs seit dem Empfängnis keine zwölf Wochen vergangen sind.
Zuvor muss die Schwangere, die den Abbruch vornehmen lassen will, sich aber bei einer staatlich anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen. Sie muss anschließend mindestens drei Tage vor dem Abbruch eine sogenannte „Bedenkzeit“ abwarten, um eine „überstürzte Entscheidung zu“ vermeiden.
Für Gabi Raven eine bevormundende Maßnahme. Die Niederländerin führt eine Abtreibungsklinik in Dortmund, in der sie an zwei Tagen der Woche tätig ist. Zudem betreibt sie weitere Abtreibungskliniken in den Niederlanden. „Es sind erwachsene Frauen und die meisten, 99 Prozent, wissen sofort, was sie wollen. Und die brauchen wirklich keinen, der dann sagt, ‘Wie kannst du jetzt ungewollt schwanger werden’?”.
Schwangerschaftsabbrüche im Ausland sind ein tägliches Vorgehen
Laut Raven missinterpretieren viele Ärztinnen und Ärzte den legalen Abbruchszeitraum in Deutschland. Die 12 Wochen bezögen sich auf den Zeitpunkt der Befruchtung, was für gewöhnlich niemand genau nachweisen könne, so Gabi Raven. Dementsprechend zögen viele Ärztinnen und Ärzte den Zeitpunkt der letzten Periode als Richtwert heran, was die Frist verzerre. Zudem bedauert Raven, dass die Beratungsstellen häufig keine kurzfristigen Termine vergeben könnten – dadurch gehe erneut Zeit verloren.
Raven nimmt die Auswirkungen der Hürden eines Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland deutlich wahr. Häufig nähmen schwangere Personen einen Abbruch in den Niederlande vor, was dort bis zur 22. Woche möglich sei.
Bei den Spätabbrüchen in den Niederlanden machten Ausländerinnen rund 90 Prozent aus. In Roermond – unweit der deutschen Grenze, machten Deutsche laut Raven bei den Spätabbrüchen 85 Prozent aus. „Es sind keine große Zahlen. Ich weiß aber, dass wir, wenn wir arbeiten, uns immer wundern, wenn ein holländischer Name bei den Spätabbrüchen auftaucht.”
Die niederländische Ärztin befürwortet die Streichung von Paragraph 218, bezweifelt aber, dass es wirklich dazu kommt. Eine alleinige Streichung reicht aus der Sicht der Ärztin auch nicht aus, ebenso die Fristverlängerung eines Abbruchs. „Artikel 218 soll gestrichen werden. Aber es macht den Zugang nicht einfacher, weil die Hürden, die da sind, bleiben. Und dann kann man den Endtermin von 12 Wochen nur erhöhen. Aber damit hat sich das Problem nicht gelöst.”
Ein Tabu, das mit einer Streichung nicht gebrochen wird
Schwangerschaftsabbrüche seien nach wie vor ein Tabuthema in der Gesellschaft, das mit einer Streichung des Paragraphen nicht verschwindet, erklärt Raven. Die Ärztin berichtet von einer Situation, in der zwei Geschwister für einen Abbruch in ihrer Klinik waren und nicht voneinander wussten, bis sie sich im Wartezimmer gegenüberstanden. Raven bestätigt ihre These mit der Streichung von Paragraph 219a (StGB), die man bereits im Jahr 2022 vornahm.
Ärztinnen und Ärzte machten sich bis dahin in Deutschland strafbar, wenn sie für Schwangerschaftsabbrüche warben. Zudem durften sie keine öffentlichen Informationen zur Durchführung des Abbruchs bereitstellen.
Viele Klinken und Praxen äußern sich nach wie vor nicht zu diesem medizinischen Eingriff – trotz Abschaffung des Gesetzes. Dies erschwere den Zugang für betroffene Personen, so Raven.
Die Angst vor täglichen Anfeindungen und Bedrohungen, die auch die Niederländerin erlebt, sei für viele zu groß: „Ich werde bedroht, aber nicht so, dass es mir Angst macht. (…) Die vergleichen mich mit KZ-Arzt Mengele und bezichtigen mich des Babycausts (Anm. d. red: eine Referenz zum Holocaust). Das geht schon sehr weit. Für zwei Jahre war ich Massenmörderin Nummer eins in Deutschland.”
Mehr zum vorgelegten Gesetzesentwurf unter folgendem Link: Gesetzentwurf_Schwangerschaftsabbruch
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Mehr auf dazu auf Nordstadtblogger:
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Erster Dortmunder Frauengesundheitstag steht unter dem Motto „Unser Körper, unser Leben“
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AWO-Vorsitzende Anja Butschkau appelliert: Schwangerschaftsabbrüche müssen endlich entkriminalisiert werden! (PM)
Seit vielen Jahrzehnten setzt sich die Arbeiterwohlfahrt dafür ein, dass Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden. Die Vorsitzende der AWO in Dortmund, Anja Butschkau, ist deshalb froh, dass eine große Zahl von Bundestagsabgeordneten über Fraktions- und Koalitionsgrenzen hinweg den wichtigen Gesetzentwurf zum § 218 eingebracht haben und richtet einen Appell an alle anderen Abgeordneten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
„Schwangere müssen selbst entscheiden dürfen, ob sie eine Schwangerschaft austragen oder abbrechen, denn es betrifft ihren Körper, ihre Gesundheit und ihr Leben. Keine Frau macht sich eine solche Entscheidung leicht. Anstatt sie zu stigmatisieren und kriminalisieren, müssen wir Frauen unterstützen, die für sie richtige Entscheidung zu treffen,“ so Anja Butschkau.
„Die aktuelle Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen über den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch führt zu erheblichen Unsicherheiten bei den Betroffenen, aber auch bei Ärztinnen und Ärzten. Zwar wird heute ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Schwangerschaftswoche nicht bestraft, sofern vorab ein Beratungsgespräch stattgefunden hat. Dennoch bleibt er ein Straftatbestand. Und das hat Folgen: eine unzureichende Thematisierung in der ärztlichen Ausbildung, fehlende staatliche Versorgungspflicht und die Stigmatisierung sowohl von schwangeren Frauen als auch von Ärztinnen und Ärzten, die einen Abbruch vornehmen. Das führt zu einer unzureichenden Versorgungsstruktur mit weiten Wegen für die Betroffenen, gerade auf dem Land.
Die AWO Dortmund befürwortet deshalb den Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Der vorgelegte Gesetzentwurf wird die Rahmenbedingungen für unfreiwillig schwangere Frauen deutlich verbessern, wenn der Bundestag ihm denn auch zustimmt. Wir appellieren deshalb an alle Abgeordneten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen und den Weg für einen legalen Schwangerschaftsabbruch freizumachen.“
Der von 239 Abgeordneten unterzeichnete Gesetzentwurf nimmt die Empfehlungen der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin auf. Die Kommission sollte Möglichkeiten erarbeiten, wie der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches reglementiert werden kann. Dem Gesetzentwurf nach soll der Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs zukünftig nur noch den Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen oder ohne das Einverständnis der Schwangeren verbieten.
Der selbst gewählte Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen soll dagegen zukünftig im Schwangerschaftskonfliktgesetz reglementiert werden. In der frühen Phase der Schwangerschaft, bis einschließlich der abgeschlossenen zwölften Schwangerschaftswoche, würde die Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft in der Entscheidungsfreiheit der Schwangeren stehen. Die Beratungspflicht bliebe weiter bestehen. Die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Schwangerschaftsabbruch entfiele dagegen. Der den gesetzlichen Regeln folgende Schwangerschaftsabbruch wäre somit rechtmäßig. Die Kosten würden regelmäßig von den gesetzlichen Krankenkassen getragen.