Ein Jahr lang Hausverbot im Westpark? Was sich anhört wie ein Aprilscherz, ist für einen Dortmunder bittere Realität. Seit Matthias Gilge bei einem gewaltvollen Vorfall Zivilcourage zeigte, wird er schikaniert – von einem Sicherheitsdienst, der im Auftrag der Stadt Dortmund handelt.
Nicht das erste Mal: Der Augenzeuge hatte ähnliche Situationen bereits im Vorfeld beobachtet
Matthias Gilge wohnt im Dortmunder Unionviertel. Der Rehapädagoge geht am Wochenende bei gutem Wetter gern in den Westpark. Er schätzt die Vielfalt im Park, fühlt sich dort wohl und willkommen.
Am 9. September 2023 sitzt er gemeinsam mit zwei Freundinnen auf einer Parkbank. „Ich habe gesehen, dass ein Mann an uns vorbeigegangen ist“, erzählt er. Der Mann habe auf den ersten Blick wohnungslos ausgesehen, sei alleine gewesen, so Gilge.
Er beobachtet, wie Mitarbeiter:innen der Sicherheitsfirma, die den Westpark bewacht, den Mann umstellen. „Ich habe schon öfter solche Situationen mitbekommen und mich hinterher geärgert, dass ich nicht gefilmt habe“, berichtet der Dortmunder. Instinktiv greift er nach seinem Smartphone und beginnt zu filmen.
Mitarbeitende der Sicherheitsfirma üben massive Gewalt gegen den Geschädigten aus
Auf dem Video, das nordstadtblogger.de vorliegt, ist zu sehen wie ein Mann im Westpark steht. Rechts von ihm: Vier Security-Mitarbeiter, zwei von ihnen tragen gelbe Westen. Der Mann dreht sich um, bewegt sich langsamen Schrittes weg von der Gruppe Sicherheitsangestellter.
Plötzlich rennen ihm zwei der Securitys hinterher. Sie packen den Mann an den Armen, ziehen ihn zurück zu ihren Kollegen. Dabei reißen sie ihn zu Boden. Ein weiterer Security-Mitarbeiter kommt hinzu.
Die Männer fixieren den Betroffenen am Boden. Der wehrt sich, allerdings nur zaghaft. Er bewegt sich langsam, wirkt desorientiert. Die Mitarbeiter schlagen auf seinen Kopf ein. Sie packen den Mann im Nacken, drücken ihn herunter.
„Du stinkst nach Scheiße Kollege!“ : Security-Mitarbeiter erniedrigt den Geschädigten
Das alles spielt sich direkt vor Matthias Gilge und seinen Begleiterinnen ab. Eine der Frauen ruft: „Hören Sie auf den Mann zu schlagen!“ Aber die Menschen, die eigentlich für Sicherheit im Park sorgen sollen, machen weiter.
Der Betroffene versucht erneut aufzustehen, doch er wird immer und immer wieder zu Fall gebracht. Dabei wirft sich ein Security-Mitarbeiter sogar auf ihn. „Ruf die Polizei“, sagt einer der Mitarbeitenden zu seiner Kollegin, die etwas entfernt auf einer Wiese steht.
Irgendwann liegt der Betroffene rücklings auf dem Boden, ein Mitarbeiter kniet auf seinem Brustkorb. Einer der Mitarbeiter sagt laut zu dem am Boden liegenden: „Du stinkst nach Scheiße Kollege!“
Auslachen, Fotografieren und hinterher Spucken: Der Augenzeuge fühlt sich bedroht
„Ich hab nichts gemacht!“, entgegnet der Mann. Passant:innen bleiben stehen, fordern die Securitys auf, den Mann in Ruhe zu lassen. Die behaupten: „Der hat uns angegriffen!“ Das sagen sie auch gegenüber der Polizei, schildert Matthias Gilge. Er sei dann zu den Beamt:innen gegangen und habe ihnen das Video gezeigt. Daraufhin hätte die Polizei Anzeige gegen die Mitarbeitenden geschrieben.
Kurze Zeit später äußert sich Matthias Gilge im Dortmunder Polizeipräsidium als Zeuge zum Sachverhalt, er gibt das Video an die Sicherheitsbehörden weiter. Das macht ihn zur Zielscheibe der Sicherheitsangestellten.
„Die sind mir hinterhergelaufen, haben mich ausgelacht, mir hintergespuckt oder Fotos und Videos von mir gemacht, auch wenn Freunde von mir dabei waren“, schildert er. Die Drohgebärden zeigen Wirkung: Gilge geht von nun an wachsamer durch den Park. Auch auf dem Weg nach Hause vergewissert er sich mehrfach, dass ihm niemand folgt.
Die drei Angeklagten werden vor dem Amtsgericht zu Geldstrafen verurteilt
Im Mai wird der Fall vor Gericht verhandelt. Das Amtsgericht Dortmund erklärt auf Anfrage, das Verfahren habe sich gegen drei Angeklagte gerichtet, die „zum Tatzeitpunkt Mitarbeiter eines im Westpark tätigen Security-Dienstes waren“. Ihnen sei mit Anklage der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt worden, am 9. September 2023 eine „gemeinschaftliche Körperverletzung zum Nachteil eines Besuchers des Westparks begangen“ zu haben, so das Amtsgericht.
Nachdem einer der Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin am 15. März 2024 nicht erschien, habe das Gericht das Verfahren gegen ihn abgetrennt und ihn zu einer Geldstrafe von insgesamt 2.700 Euro verurteilt.
„Gegen die beiden anderen Angeklagten hat das Gericht das Verfahren nach der Vernehmung des Geschädigten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gegen Zahlung von 1000 bzw. 1.500 Euro vorläufig eingestellt“, berichtet der für Presseanfragen zuständige Richter Michael Tebbe vom Amtsgericht Dortmund auf Nachfrage von Nordstadtblogger.
Sicherheitsdienst erteilt Matthias Gilge ein Hausverbot für ein Jahr
Vor Gericht muss Matthias Gilge schlussendlich nicht aussagen. Trotzdem ist der 15. Mai ein besonderes Datum für ihn. Denn mit Beendigung des Prozesses und Einstellung des Verfahrens seien die Schikanen gegen ihn weitergegangen, erzählt der Dortmunder. Bis zu diesem Zeitpunkt darf sich Gilge noch im Westpark aufhalten. Doch das ändert sich im Juni 2024, als er eine ähnliche Situation beobachtet.
„Ich habe gesehen wie am Rande der Tanzfläche ein Mann von den Security-Mitarbeitern umstellt wurde“, schildert er. An dem Abend sei dort „Salsa-Abend“ gewesen, Paare hätten getanzt.
Matthias Gilge holt erneut sein Handy heraus, diesmal wägt er sich in sicherer Entfernung. Nicht nur ihm sei die Situation komisch vorgekommen, sagt er, auch eines der Tanzpaare habe versucht, die Security-Mitarbeiter von ihrem Vorhaben abzuhalten.
Und das hat Konsequenzen: „Das Paar hat für den Abend ein Hausverbot ausgesprochen bekommen. Ich für ein ganzes Jahr“, sagt Gilge. Der Sicherheitsmitarbeiter habe ihm gesagt, das sei die Konsequenz für das Video, das der Dortmunder den Sicherheitsbehörden als Beweismittel überlassen hatte.
Sicherheitsfirma darf Hausrecht der Stadt Dortmund ausüben
Seitdem hat Matthias Gilge den Westpark nicht mehr betreten. Das bedeutet für ihn, sich im Alltag massiv einzuschränken. „Der Westpark liegt in meinem unmittelbarem Wohnumfeld. Wenn ich einkaufen gehe, muss ich überlegen wo ich langgehe, um nicht durch den Park zu gehen. Im Sommer konnte ich mich kein einziges Mal zu meinen Freunden im Park dazugesellen. Das macht was mit einem“, sagt er traurig.
Hinnehmen will er das Verbot aber nicht. Gilge schreibt sowohl der Stadt als auch dem Security-Dienst. Er beschwert sich, fordert eine offizielle Begründung, schildert den mutmaßlichen Hintergrund des Hausverbots, das ihm erteilt wurde. Die Sicherheitsfirma erklärt ihm per E-Mail, dass den Mitarbeiter:innen der Security-Firma die Durchsetzung des Hausrechts übertragen worden sei. Die gestatte, ein mündliches Hausverbot auszusprechen.
Matthias Gilge fordert von der Sicherheitsfirma eine Erklärung für das einjährige Hausverbot. Doch die verweist auf „die ständige Rechtssprechung“. Demnach benötige die Aussprache des Hausverbots keinerlei Begründung, so die Firma. Welche Rechtssprechung gemeint ist, teilt sie ihm jedoch nicht mit.
Der Augenzeuge wartet bis heute auf eine Antwort des Grünflächenamts
Das Grünflächenamt der Stadt Dortmund versichert Gilge, die zuständigen Stellen um Stellungnahme gebeten zu haben. Sobald diese vorlägen, würde sich das Amt „unaufgefordert“ bei ihm melden. Darauf wartet Matthias Gilge seit Juni vergebens.
Auf Anfrage von nordstadtblogger.de antwortet die Stadt Dortmund nach dreieinhalb Wochen. Sie bestätigt, in zivilrechtlicher Hinsicht Eigentümerin der Westparkgrundstücke und somit Hausrechtsinhaberin zu sein. Die beauftragte private Sicherheitsfirma habe die Aufgabe, das Hausrecht wahrzunehmen.
„Grundlage für die Beurteilung, ob eine Störung vorliegt, ist die Parkordnung des Westparks“, erklärt die Stadt. Die sieht ganz gewöhnliche Regeln vor: Keine Hunde auf Spielplätzen, kein öffentliches Urinieren und die Einhaltung der Nachtruhe. Gegen welche der Regeln Matthias Gilge verstoßen hat, weiß er nicht.
Der Stadt Dortmund sind keine Schikanen gegenüber Parkbesucher:innen bekannt
Also konfrontiert Nordstadtblogger die Stadt Dortmund erneut – dieses Mal mit dem konkreten Sachverhalt. Obwohl die Stadt Dortmund mitteilt, dass ihr keine Schikanen der Sicherheitsangestellten gegenüber Parkbesucher:innen bekannt seien, erklärt sie, über die gerichtsfeste Körperverletzung durchaus informiert zu sein.
Der „besagte Mitarbeiter“ sei unverzüglich aus dem Dienst im Westpark abgezogen worden und für die Stadt Dortmund auch an anderer Stelle nicht eingesetzt worden. Ob der Mitarbeiter aber weiter als Sicherheitsangestellter arbeitet, bleibt unklar. Und auch von den zwei weiteren Verurteilten ist keine Rede.
Das Grünflächenamt habe zudem keine Kenntnis über fortlaufende Bedrohungen durch die Mitarbeitenden der von ihnen beauftragten Sicherheitsfirma, so die Stadt. Und das, obwohl Matthias Gilge dem Grünflächenamt am 15. Juni eine E-Mail schrieb, in der er eben das schildert.
„Aggressive Person“ soll andere Parkbesuchende belästigt haben: Aber wer ist diese Person?
Nordstadtblogger fragt weiter nach: Wie kam es zu dem Hausverbot im Juni? Die Stadt antwortet, aus vorliegenden Unterlagen gehe hervor, dass einem Besucher des Westparks bereits am 6. Juni 2024 ein Platzverweis durch die Polizei erteilt worden sei.
Grund sei aggressives Verhalten gegenüber anderen Parkbesucher:innen gewesen, erklärt die Stadt. Gegen dieselbe Person sei dann am 8. Juni 2024 ein Hausverbot ausgesprochen worden, das durch einen Platzverweis der Polizei verstärkt wurde.
Aber handelt es sich bei der „aggressiven Person“ um den Rehapädagogen Matthias Gilge? Ob er sich am 6. Juni im Westpark aufgehalten hat, weiß er heute nicht mehr. „Wenn es wegen mir einen Polizeieinsatz gegeben hätte, wüsste ich das aber noch“, stellt er fest. Zudem arbeitet er unter der Woche bis abends in seiner Praxis.
Video zeigt, wie ein verwirrter Mann von den Sicherheitsbeamt:innen umstellt wird
Am Samstagabend, den 8. Juni, habe er sich lediglich an der Tanzfläche aufgehalten und das Vorgehen der Sicherheitsmitarbeitenden gefilmt, aus Angst, dass sich ein Vorfall wie aus dem Vorjahr ereignete. Das Video liegt nordstadtblogger.de ebenfalls vor.
Es zeigt, wie vier Sicherheitsangestellte einen sichtlich verwirrten Mann einkreisen und ihn auf Distanz daran hindern, zu gehen. Die Mitarbeiter:innen wirken beinahe gelangweilt, der Mann setzt sich zwischenzeitlich auf den Boden. Eine Angestellte telefoniert.
Matthias Gilge sitzt ein Stück entfernt. Er filmt, macht keinen Mucks, will nicht auffallen. Doch dann merken die Mitarbeitenden, dass sie gefilmt werden. „Und als ich dann kurz später gehen wollte, hat mich die Polizei gestoppt“, erzählt der Dortmunder. Die Beamt:innen hätten sich seinen Ausweis angesehen, aber nichts aufgeschrieben, sagt er.
Hausverbot als Konsequenz von Zivilcourage?
„Währenddessen hat mir der Typ vom Security-Dienst gesagt, ich bekäme jetzt ein Jahr Parkverbot, weil ich sie unberechtigterweise gefilmt hätte, wie schon im September 2023“, berichtet der Rehapädagoge. Er habe entgegnet, im Vorjahr eine Straftat gefilmt zu haben. Doch das habe den Mitarbeiter der Sicherheitsfirma nicht interessiert, so Gilge.
„Und als ich den Polizeibeamten gesagt habe, dass ich nichts gesetzwidriges getan habe und eine Begründung für das Hausverbot bekommen möchte, haben sie gesagt, das sei nicht ihre Angelegenheit, im Westpark habe der Security-Dienst eben Hausrecht“, schildert der Dortmunder weiter.
Trotzdem sei er ruhig geblieben, erklärt er. „Ich war weder aggressiv, noch habe ich irgendwie gegen die Parkordnung verstoßen. Ich wollte einfach nur sichergehen, dass nicht nochmal jemand vor meinen Augen von den Sicherheitsangestellten angegriffen wird und das habe ich subtil und ruhig getan“, sagt Gilge.
Große Diskrepanz zwischen den Schilderungen der Stadt und denen des Zeugen
Die Stadt Dortmund teilt mit, dass die Person, der das Hausverbot erteilt worden sei, einen weiteren Polizeieinsatz an dem Abend ausgelöst habe, zu dem sogar ein zweiter Streifenwagen hinzugezogen werden musste. Matthias Gilge sagt, er sei an dem Abend nach Hause gegangen.
Die Dortmunder Polizei kann den Vorfall heute nicht mehr nachvollziehen. In den Akten stehe lediglich, dass an dem Abend ein Platzverweis im Westpark erteilt worden sei. Die konkrete Situation oder der Name der Person, gegen die sich der Platzverweis richtete, werde in den Akten nicht vermerkt, so die Pressestelle.
Die Diskrepanz zwischen den Schilderungen des Betroffenen und der Stadt Dortmund ist groß. Matthias Gilge gibt die Situation schlüssig und nachvollziehbar wieder, während die Erklärung der Stadt Dortmund Fragen aufwirft.
Der Vorfall vom 8. Juni lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren
Kann es sein, dass die Stadt Dortmund die Personen verwechselt? Dass es sich bei der „aggressiven Person“ um den Mann handelt, der am Abend des 8. Juni von der Security umstellt wurde? Wegen dem die Sicherheitsangestellten die Polizei verständigten? Aber wieso hat dann Matthias Gilge ein Hausverbot?
Was sich am Abend des 8. Juni 2024 an der Tanzfläche im Dortmunder Westpark ereignete, lässt sich also nicht abschließend klären, zuletzt wegen der fehlenden Begründung von Maßnahmen durch die Polizei und die von der Stadt beschäftigte Sicherheitsfirma. Der Redaktion liegen aber Informationen vor, dass Gilge nicht der Aggressor war.
Und fest steht auch, dass Matthias Gilge als Augenzeuge Zivilcourage gezeigt und maßgeblich zur Aufklärung einer gewaltvollen Straftat beigetragen hat. Der Dank: Einschüchterungen und ein Betretungsverbot für seinen Lieblingsort in der Stadt.
Anmerkung der Redaktion: Bis Redaktionsschluss hat die Sicherheitsfirma nicht auf die Möglichkeit der Stellungnahme reagiert.
Reaktionen
D.Dubielczyk
Das ist schon starker Tobak das man für Zivilcourage so im Regen stehen gelassen wird.Anstatt Herrn Gilge Respekt zu zollen, nur Schikane.Da sich keiner der Stadt entschuldigt, das Haus/Parkverbot aufhebt, die Sicherheitsfirma abmahnt oder rausschmeisst, ist schon mehr als peinlich.Man kann aber auch erkennen dass das Personal Unterschiede bei der Bestreifung macht, „gefühlt“ sich nur spezielle Personen rauspickt.Persönlich mache ich ein Bogen um die „Westpark Sheriffs“, auf abfällige Sprüche kann ich verzichten.Das wäre auch eine Aufgabe für die BV Innenstadt-West und Bezirksbürgermeisterin Cramer, sich dieser Geschichte anzunehmen!