Stadtmarketing und Zivilgesellschaft bejubeln wichtigen Meilenstein

Auf der Suche nach dem Besonderen – Dortmund ist jetzt eine „starke Marke“

In den Krämer-Höfen am Schwanenwall setzt der Dortmunder Graffiti-Künstler Markus Wiese ein Murial für das Narrativ, das ab jetzt hier versteckt bleibt. Stadt Dortmund / Roland Gorecki

Wofür steht Dortmund? Eine Antwort darauf gab es beim großen Marken-Launch-Ereignis in den schönen Höfen der Schnapsbrennerei Krämer am Schwanenwall. Das Event markiert den Willen zum Wandel für mehr Wiedererkennung: Über ein Jahr lang versuchten Stakeholder und Zivilgesellschaft zur Seele Dortmunds vorzudringen. Das Ergebnis: Dortmund ist „Die einzige ihrer Art.“ Ein Bericht von Sandra Danneil über „mental convenience“, Kulturkapitalismus und die Suche nach dem Besonderen.

Dortmund wieder cool? – Stadtmarketing und „city branding“

Die Zeiten, als mir Dortmunds Skyline beim Reinfahren in den Hauptbahnhof mit der RB53 ein sublimes Gefühl von lokalem Stolz und urbaner Erhabenheit vermittelte, sind lange vorbei. Mein Herz, dass über zwanzig Jahre hör- und fühlbar für meine Wahlheimat Dortmund schlug, ist gebrochen.

Beim Mäandern durch Müll, Wohnungs- und Ziellose an Dortmunds touristischem Drehkreuz übe ich mich in Mundatmung und spüre eine Schwermut, die ich versuche mit Demut zu verscheuchen. An alldem möchte die Stadt Dortmund nun etwas ändern. Das neue „Markennarrativ“ verspricht einen gefühlsbetonten Neuanfang mit „city branding“, denn larmoyante Geschichten wie meine sollen nicht über Dortmund verbreitet werden.

Offizieller Startschuss: Das Marken-Launch-Event zum neuen Narrativ fand in den Krämer Höfen statt. Mitarbeitende der Stadt, Stakeholder:innen und Wegbegleiter:innen feierten gemeinsam. Stadt Dortmund / Roland Gorecki

In meinen frühen Zwanzigern war es (Achtung: Boomer-Sprache) „cool, wenn man sagte, dass man in Dortmund lebt. Hier zog es mich hin. Ende der Neunziger war Dortmund noch erfüllt von Selbstverwirklichung. Es gab eine vibrierende Klublandschaft und Orte, an denen man Freunde fürs Leben traf, aber selten Touristen.

Die Jahrtausendwende brachte dann mehr Strukturwandel. Der Anfang der Weihnachststadt mit dem größten Viel-Baum der Welt besiegelte in meinen Augen schließlich das Ende einer pulsierenden Subkultur und offenbarte die windigen Machenschaften von Stadtmarketing und Corporate Design. Trotz Weihnachts- und Fußballtourismus landet Dortmund auf dem bundesweiten Popularitätsmonitor dennoch immer wieder auf den hinteren Rängen. Und jetzt?

Was der Fachbereich für Marketing und Kommunikation der Stadt Dortmund als „wichtigen Meilenstein“ bejubelt, meint einen vor über einem Jahr in Gang gesetzten „Markenbildungsprozess“. Ein Prozess, den Experten heute „city branding“ nennen.

Wenn sich Bonn zum Beispiel als „Beethovenstadt“ präsentiert und Weil am Rhein „Stadt der Stühle“ ist, dann emulieren sie ein Gefühl von Lokalpatriotismus, das eine glorreiche Vergangenheit mit Markenwert beschwört. Was aber tun, wenn das einzige, wofür wir stehen – Kohle, Bier und Fußball – nicht mehr sexy genug ist?

Zusammenhalt & Strahlkraft: Markenarchitektur im Kulturkapitalismus

In Bochum schreibt man das „Wir“ im Slogan „WIR ziehen das gemeinsam durch“, im übertragenen und buchstäblichen Sinn, groß. Hier geht es nicht um die nachhaltige Wertigkeit von Personen oder semantisch geladene Produkte. Hier geht es vor allem um Identifikation, um Zusammenhalt nach innen und Strahlkraft nach außen. An diese Idee setzt auch Dortmunds Markenarchitektur an.

Die Familie Krämer lud zum Fest in ihre Höfe Stadt Dortmund / Roland Gorecki

Die Auswüchse des „city branding“ können mit dem Soziologen Andreas Reckwitz als eine „Explosion des Besonderen“ verstanden werden. In seinem aufsehenerregenden Buch Die Gesellschaft der Singularitäten von 2017 verwendet er dafür den Begriff „Kulturkapitalismus“.

Durch diesen haben Städte und Metropolen damit begonnen, anstelle der austauschbaren Räume der klassischen Moderne eine „lokale Eigenlogik“ zu entwickeln. Die Spätmoderne brauche „wiedererkennbare Orte mit je eigener Atmosphäre, an die sich spezifische Narrationen und Erinnerungen heften“, so Reckwitz.

„Dortmund Überrascht. Dich.“ überrascht nicht mehr

Für den Findungsprozess dieser lokalen Eigenlogik haben sorgfältig zusammengewürfelte Stakeholder (dt. „Anspruchsgruppe“) mit ganz normalen Leuten in sogenannten Markenboards („gesellschaftliches Gremium“) und Fokusgruppen („quotenbasiert-divers“) die Essenz der Marke Dortmund ermittelt. Nach Hunderten von Gesprächen mit Tausenden von Akteur:innen soll es  „Die Einzige ihrer Art“ auf den Punkt bringen. In der Pressemitteilung heißt es, das Narrativ sei „eine Geschichte, die die Seele der Stadt beschreibt“.

Wozu das Ganze? Impulsgebend für eine Suche nach dem Besonderen in Dortmund war die Auflösung der DORTMUNDtourismus GmbH. Unvergessen bleibt aus dieser Zeit nur der Slogan „Dortmund Überrascht. Dich.“ und die „Integreat App“, eine Art digitales Welcome-Center für Zugewanderte und „Great Integration“, so fordert es die App.

„Die Einzige ihrer Art“: Ein Narrativ mit Marketing-Seele

Mit der anschließenden Umstrukturierung der Dortmund-Agentur in den Fachbereich „Marketing + Kommunikation“ sollte eine starke und einheitliche Öffentlichkeitsarbeit neuen Schwung in Dortmunds Image bringen. Ein Versuch startete seine Leiterin, Jennifer Rickers, in ihrer schwungvollen Rede beim Marken-Launch.

(v.li.) Marketing-Experte Johannes Christensen von „Dichter+Denker“, Lena de Boer, Leiterin der Stabsstelle Strategie, Jennifer Ricker, Fachleiterin Marketing+Kommunikation und OB Thomas Westphal bei der Begrüßung Stadt Dortmund / Roland Gorecki

„Wenn Dortmund eine Stimme hätte, was würde sie sagen?“, strahlt Rickers euphorisch ins Publikum. Zumindest hat Dortmund jetzt ein Geschlecht, denke ich positiv, während die Leiterin des Fachbereichs „Marketing + Kommunikation“ der Stadt Dortmund weiter für ihr Thema brennt.

„In Dortmund passieren tolle Dinge, denn wir Dortmunder sind bekannt fürs Machen und nicht nur fürs Reden“, versichert sie, denn Rickers selbst ist sichtlich überzeugt davon. Im Gespräch mit ihr macht ihr beinahe ansteckender Enthusiasmus für einen irgendwie lahmen Slogan wie „Die Einzige ihrer Art“ aber auch deutlich, wie wichtig es heute ist, besonders sein zu müssen.

Starke Marken entstehen mit viel Gefühl

Flankiert wird Rickers von OB Thomas Westphal und Johannes Frederik Christensen, externer Berater und Gründer der exklusiven Hamburger „Beratungsboutique“ Dichter+Denker. Weil Christensen zwar Wahlhamburger, aber „im Herzen Dortmunder“ ist, spricht er in seiner Rede über die Marketing-Kampagne als ein „Herzensprojekt“. Christensen versteht, dass Gefühle Antriebsfeder und Motor für erfolgreiche Werbung sind.

Das Narrativ wird in die Stadt getragen – unter Anderem als riesiges Wandbild im Hof der Schnapsbrennerei Kraemer. Stadt Dortmund / Roland Gorecki

Er gilt als einer der talentiertesten Branding Professionals (Markenentwickler) Deutschlands, der schon kleinen wie großen Playern zu neuem Glanz verholfen hat.

Seine Expertise steckt nun auch in Dortmunds Markenessenz und ist fester Bestandteil seiner Sprache: Für den „Wettbewerb der Städte“ hat Dortmund „unheimlich viel Potential“ und eine „starke Positionierung“, steht aber „vor einem längeren Prozess“, der das „Markennarrativ“ unerlässlich macht usw.

Alles wie schon mal gehört?: Das Besondere braucht „mental convenience“ und viel Fantasie

Das klingt alles wie schon mal gehört. Für den erfolgreichen Aufbau einer Markenarchitektur in Städten braucht es nämlich, laut Markenlexikon.com, unter anderem „Transparenz und Klarheit“ für die Zielgruppe. Mit dieser „mental convenience“, so heißt das im Werberjargon, setzte das Projekt den Grundstein für ein unmissverständliches Marketing, ohne Ecken und Kanten.

Eine Marke entsteht nicht über Nacht. Folgt man den Einsichten von Helmut Schneider, Professor für Strategisches Marketing, entsteht eine Marke „in erster Linie im Bewusstsein und der Fantasie des Menschen“.

Um die Fantasie der Dortmunder:innen zukünftig anzuregen, verspricht Lena de Boer, Leiterin der Stabsstelle Strategie, daher unzählige „Aktivierungsmaßnahmen“. Der Image-Film des „Oh Fortuna“-Regisseurs Johannes Klais ist nur eine Aktion, die Markenbotschaft ins Bewusstsein der Menschen zu speisen.

Auf den Tischen und Stühlen liegen bunte Postkarten, bedruckt mit Aphorismen, also formelhaften Sinnsprüchen, die das Salz in der einzigartigen Narrativ-Suppe sind.

Wie Gedichtzeilen reihen sich Aussagen wie „Ehrlich im Herzen. Direkt in ihrer Natur.“ and „Kurze Wege. Zu jeder Kultur.“ aneinander.

Aktivierung bedeutet Kommunikation. Und die soll es zukünftig auch verstärkt geben, nicht nur zwischen den Dortmunder:innen. Ein neues Storytelling will Einheit, auch mit Verwaltung, den Institutionen und Unternehmen.

„Aktuell kommt es darauf an, dass wir stolz nach außen präsentieren, was für eine Lebens- und liebenswerte Stadt Dortmund ist“, instruiert die studierte Sozialwissenschaftlerin Jennifer Rickers zum Abschluss.

Mein 20-jähriges Ich ist gespannt, ob der Slogan „Die Einzige ihrer Art“ meine Geschichten über Dortmund zwar sicher nicht mehr cooler, aber doch zumindest besonderer macht.


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. Norbert

    Die Zweckbeschreibung eines Slogans zum Slogan erheben. Wau. Schlauer wird man uch durch die Erklärungen nicht. Gemeinplätze, empirisch nicht belegte Behauptungen, …

    Um eine Art zu definieren, braucht es schon mehrere Einzelne, die man aufgrund bestimmter Eigenschaften zu einer Art zusammenfassen kann. Der Slogan ist also auch noch logischer Bullshit.

    Fährt jemand wegen so einem Slogan in die so beworbene Stadt?

    Die Dichte an englischen Begriff und blumigen Kunstworten ist ein Indiz dafür, wie wenig Substanz in der Sache steckt.

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert