„Jalousies“ inszeniert neue Körperdouble und Kino der alten Schule

„Queering (the) Arts“: Eine neue Ausstellung im Dortmunder Kunstverein zeigt Brice Dellsperger

Kuratorin Rebekka Seubert mit Künstler Brice Dellsperger eröffnen heute die neue Ausstellung.
Kuratorin Rebekka Seubert mit Künstler Brice Dellsperger eröffnen heute die neue Ausstellung. Sandra Danneil | Nordstadtblogger

Was Drag Queens mit den Filmen von Brian de Palma zu tun haben, zeigt die neue Ausstellung im Dortmunder Kunstverein. Am Samstag, 25. Mai, lüften sich Brice Dellspergers „Jalousies“ in den Räumen am Dortmunder U und geben Einblicke in die hör- und sehbaren Zwischenwelten von Bewegtbildern und Geschlechterkonventionen. Der in Cannes geborene Video- und Performance-Künstler präsentiert seine erste umfassende institutionelle Einzelausstellung mit queeren Neuinszenierungen berühmter Filmmomente und lädt zum Gespräch.

Cherchez la Femme: Brice Dellspergers queerer Blick

Im experimentierfreudigen Kino der „New Hollywood“-Ära (1967-1979) nimmt die psychologische Tiefe von Figurenkonzepten eine oft provokative und zunehmend antipatriarchale Position ein. Brian de Palma oder David Cronenberg brachten frischen Wind in das repressive Studiosystem Hollywoods und irritierten mit Split Screen-Techniken und akustischer Grenzerfahrung. Filme wie De Palmas Dressed to Kill (1980) oder Cronenbergs Dead Ringers (1988) machten sie zu Leitfiguren einer neuen Generation von Kinomachern, von denen sich auch Dillsperger maßgeblich inspirieren ließ.

Filmstill aus dem vordigitalen Zeitalter: Autofokus & Split-Screen-Technik in EYE BAGS (1995) Sandra Danneil | Nordstadtblogger

Die seit 1995 fortlaufenden Bewegtbildarbeiten des in Paris lebenden Videokünstlers Brice Dellsperger leben von der Leidenschaft zum Kino dieser amerikanischen Regisseure. In seiner erstmalig in Deutschland gezeigten Ausstellung „Jalousies“ werden unter anderem drei Filmarbeiten aus seiner über 40-teiligen Kurzfilmreihe Body Doubles präsentiert.

Besucher:innen erleben bei Dellsperger wie der Blick im Kino zum zentralen Motiv zur Manipulation und Subversion von Geschlechtsidentität werden kann. Der Werktitel ist inspiriert von De Palmas gleichnamigem Thriller von 1984.

Reenactment: künstlerisches Mittel und kulturelle Enteignung

Brice Dellsperger begann Mitte der Neunziger Jahre das Reenactment (dt. Reinszenierung) als künstlerisches Mittel zu nutzen: Das Nachspielen von Szenen und Dialogen, vorwiegend aus Thrillern des New Hollywood, entwickelte sich für ihn zu einem Spiel mit Camp-Ästhetik und ironischen Blickstrukturen.

Sandra Danneil | Nordstadtblogger

Denn das Aneignen filmischer Erzählformen kreuzt sich bei Dellsperger mit der Idee des queeren Reenactment als Geste der Ermächtigung. Seine Inszenierungen sind dabei nie belehrend oder dogmatisch.

Viel eher zeigt er in seinen queeren Homages mit viel Ironie, sozusagen „tongue-in-cheek“ wie nicht-binäre Körper sich der patriarchalen Logik von Hollywood-Erzählungen entziehen.

Der Raum als Doppelgänger: Body Double 39 (2023)

Die Räumlichkeiten des Dortmunder Kunstvereins sind ein architektonisches Chamäleon, das sich in Form und Ausstattung optimal an den stets wechselnden, künstlerischen Habitus seiner Gäste:innen anpasst. Für „Jalousies“ wurden die sonst lichtdurchfluteten Fenster verdunkelt und machen den Raum selbst zum Doppelgänger seines Ausstellungs-Themas. Denn der Kunstverein ist nicht nur Raum für Kunst, sondern diesmal sogar Raum in der Kunst.

Raum für Kunst / Raum in der Kunst im Kunstverein Sandra Danneil | Nordstadtblogger

Auf drei großen Leinwänden wird im Hauptraum ein Triptychon des im Dezember 2023 hier gedrehten Body Double 39 präsentiert und als raumgreifende 3-Kanal-Videoinstallation inszeniert. Der 12-minütige Film ist einer Szene aus David Cronenbergs psychologischem Thriller Dead Ringers von 1988 entlehnt.

In der bizarren Verflechtung von Real- und Bildraum tauchen Besucher:innen ein in das erotische Experiment mit Beziehungsdynamiken von Autor-Zuschauer, Subjekt-Objekt, Begehren-Darstellung.

Open „Jalousies“ Drag-DJ-Set Jean-Biche

Sandra Danneil | Nordstadtblogger

Zur Eröffnung am Samstag begrüßt der Künstler Brice Dellsperger sein Publikum, um ihnen vielleicht sogar die spannenden Geschichten hinter seinen Gouachen zu erzählen (unbedingt ansprechen!).

Auf den Exponaten dieser kleinen Bild-Auswahl, die das Ausstellungsprogramm im Obergeschoss noch ergänzen, sind z.B. Dillsperger im Würgegriff von Pinocchio, Szenen aus Musikvideos oder Ikonen der Popkultur zu sehen, die der Künstler seiner ganz eigenen queeren Lesart unterzogen hat.

Die Kuratorin und künstlerische Leitung des Dortmunder Kunstvereins, Rebekka Seubert, führt ab 18 Uhr in die Ausstellung ein. Ab 21 Uhr wird getanzt zum DJ-Set der französischen Drag-Queen Jean-Biche, die unter anderem auch in Body Double 39 zu sehen ist.


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

Write a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert