Film und Dialog zur Planung des Denkmals der „Gastarbeiter:innen“

Die bewegten Geschichten der Einwanderung auch aus der weiblichen Perspektive erzählen

(v.li.) Aida Demirović-Krebs (Keuninghaus) moderierte die Podiumsrunde mit Assia Fillal (Nordstamm e.V., Tatis Café), Nesrin Altunas (Sprecherin im Jugendparlament des Keuninghauses) und den Filmemacherinnen Kristina Bublevskaya (Kunsthochschule für Medien in Köln) und Fatima Remli (Autorin, Moderatorin, Podcasterin). Leonhard Schonig

Von Peter Krause

Dortmund soll ein Denkmal für „Gastarbeiter:innen” bekommen (Nordstadblogger berichtete – Link am Ende). Wie es aussieht ist offen – denn viele Menschen sollen vorher an der Diskussion beteiligt werden. Im Keuning.haus fand nun eine erste Veranstaltung statt, die diesem Vorhaben gewidmet war. Ein Film und ein Erzähl-Café widmeten sich dem Leben marokkanischer Frauen.

„Wie können wir in einem Haus zu Gast sein, das wir selbst aufgebaut haben?”

Der Begriff „Gastarbeiter:innen” wird kontrovers gesehen. Schließlich kommen Gäste gewöhnlich nicht, um zu bleiben. Die Kultur in Deutschland wird in ihrer Vielfalt durch viele Menschen geprägt, die aus anderen Ländern kamen und blieben. Diese Tatsache wird oftmals zu wenig gewürdigt.

Bezirksbürgermeisterin Hannah Rosenbaum
Engagiert sich für den Dialog: Hannah Rosenbaum (Grüne Bezirksbürgermeisterin)

Hannah Rosenbaum, Bezirksbürgermeisterin in der Nordstadt, brachte das in ihrer Begrüßung bereits auf den Punkt, indem sie fragte: „Wie können wir in einem Haus zu Gast sein, das wir selbst aufgebaut haben?” ___STEADY_PAYWALL___

Nachdem ein Film Einblicke in die Erfahrungen marokkanischer Frauen in Deutschland gewährte, moderierte  Aida Demirović-Krebs, im Keuning.haus zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, ein Podiumsgespräch. Was die daran beteiligten Frauen sagten, knüpfte direkt an die Aussagen im Film an.

Aus Marokko nach Deutschland: „Die Farben des Bleibens“

Die Filmemacherinnen Ráhel Eckstein-Kovács, Kristina Bublevskaya und Fatima Remli nahmen die Geschichten marokkanischer Arbeiterinnen in den Fokus, die in den 1970er Jahren nach Deutschland kamen. So entstand der Film „Die Farben des Bleibens“, in dem Frauen von ihrem Weg aus Marokko nach Deutschland berichten.

Aida Demirović-Krebs vom Keuning.haus mit dem Filmemacherinnen Kristina Bublevskaya (li) und Fatima Remli (re). Leonhard Schonig

Eine von ihnen erzählt beispielsweise, wie sie damals angeworben wurde. Gemeinsam mit einigen anderen Frauen begab sie sich auf die Reise. Sie kannten einander nicht, begegneten sich im Flugzeug zum ersten Mal. In Deutschland angekommen, freundeten sie sich für ihr ganzes weiteres Leben an und wurden „wie Geschwister”. Fortan teilten sie alle Erfahrungen ihres bewegten Lebens.

Die Erzählungen im Film knüpfen an die 1960er und 1970er Jahre an, in denen tausende Marokkaner:innen aufgrund eines Anwerbeabkommens nach Deutschland kamen. Manche Frauen folgten ihren Männern – und sahen sich bald mit deren Dominanz konfrontiert.

Im Film berichten die Frauen von ihrer schweren Arbeit und dass der ganze Verdienst auf das Konto des Mannes floss. Der traf alle Entscheidungen und beschränkte der Frau die Freiheiten, die er aber stets für sich selbst beanspruchte. Streit und Gewalt nahmen zu, viele Ehen zerbrachen. Manche Frauen erlebten das allerdings als Befreiung, weil sie nun ihre Kinder zu anderem erziehen konnten.

„Die marokkanische Frauen haben ja viel geleistet!“

Die bewegten Geschichten der Einwanderung können aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden. Fatima Remli berichtete im Podiumsgespräch von der Arbeit am Film: „Wir haben viel Archivarbeit geleistet. Da haben wir kaum etwas zur weiblichen Perspektive gefunden. Die Arbeiter:innen-Klasse wird ja meistens nur aus der männlichen Perspektive betrachtet. Uns war es dagegen besonders wichtig, die weibliche Perspektive darzustellen.”

Unterbringung von Gastarbeiterinnen bei der Firma Brandt in Hagen, Zuwanderung, Gastarbeiter (Foto: Ulrich Wienke/ Bundesarchiv, 13 Dezember 1972, Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)
Anfang der 1970er Jahre: Unterbringung von Gastarbeiterinnen bei der Firma Brandt in Hagen. Foto: Ulrich Wienke/ Bundesarchiv, 13 Dezember 1972, Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Remli weiß gut, wovon sie spricht, denn sie ist im Bereich Migration, Feminismus und Rassismus politisch aktiv. „Marokkanische Frauen haben ja viel geleistet!”, sagt sie. „Darum ist es wichtig, das auch zu zeigen.” Das ist würdigende Erinnerungsarbeit!

Nesrin Altuntas, die gerade eine Ausbildung zur Konditorin macht und sich zusätzlich als Sprecherin im Jugendparlament des Keuning.haus engagiert, erinnert sich daran, dass sie ihre Eltern immer wieder nach deren Erfahrungen in Deutschland gefragt hat.

„Die Eltern kamen nicht von selbst auf einen zu. Wie waren damals die Arbeitsbedingungen? Wie und warum kamen sie nach Deutschland? Ich fragte meine Mutter zum Beispiel, warum sie gerade nach Deutschland gekommen sind und nicht irgend woanders hin?”

Immer auf der Suche nach der eigenen Identität

Zwischen den Generationen der Eingewanderten kam es im Laufe der Zeit allerdings auch immer wieder zu charakteristischen Konflikten. Die jungen Menschen, die „Migra-Kids”, wollten ein anderes Denken und Leben. Ihnen war es wichtig, die Herkunftskultur der Familie nicht mehr nur durch die Augen der Eltern zu sehen. 

Im Film berichtet eine junge Frau, wie schwer ihr das fiel. Freiheit gab es in ihrer Familie nur innerhalb der Grenzen, die in der Tradition gezogen sind. Dabei kommt es darauf an, diese Grenzen zu überwinden, um wirklich frei, auch gegenüber der Herkunftskultur, zu sein.

Assia Fillal hat Tatis Café gegründet. Tatis bedeutet in vielen Ländern „Tante“, und die wird meist mit liebevollen Eigenschaften assoziiert.

Assia Fillal erinnert sich daran, wie sie diese Erfahrung machte: „Wenn ich an mich denke, erinnere ich ebenfalls eine Identitätskrise. Wir wissen nicht, wer wir sind. Ich fühle mich als Dortmunderin, aber jeder will mir sagen, dass ich keine Dortmunderin bin. Was bin ich denn eigentlich?” 

Im Sommerurlaub in Marokko fühlte sie sich nicht wohl, und dann zurück in Dortmund, fühlte sie sich auch nicht willkommen. „Also sucht man sich. Man sucht und sucht und sucht… Irgendwann merkte ich, dass es okay ist, auf der Suche zu sein. Es ist okay, die deutsche und auch die marokkanische Identität zu haben. Beide Kulturen machen mich zu einer starken Frau!”

Vor drei Jahren eröffnete Fillal in der Nordstadt – bezüglich des Stadtteils spricht sie humorvoll von ihrer „dritten Identität” – das Café Tati. Im Hintergrund begleitet sie aber bis heute die immer gleiche Erfahrung: „Gerade als Unternehmerin muss ich immer wieder erklären, dass ich in Dortmund geboren bin, dass ich mit meinen Eltern Deutsch spreche, also dass Deutschland unsere Heimat ist. Das ist mühselig!”

„Man ist noch immer nicht wirklich willkommen.“

Kristina Bublevskaya, politische Bildnerin und Studierende an der Kunsthochschule für Medien in Köln, hat ebenfalls am Zustandekommen des Films mitgewirkt. Besonders eine Sequenz, so sagt sie, berührt sie immer wieder: „Es ist, als gesagt wird, dass man noch immer nicht wirklich willkommen ist. Vieles von dem Erzählten konnten wir wirklich mitfühlen. Die Erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund ähneln sich.” 

Den Filmemacherinnen ist es gelungen, die Geschichten der porträtierten marokkanischen Frauen einfühlsam und voller Respekt zu erzählen. Es war erlebbar, wie sehr die Zuschauer:innen im Keuning.haus dadurch beeindruckt und mitgenommen wurden. Durch das Podiumsgespräch fand es sich gelungen verdichtet.


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