Auch im mittlerweile dritten Kriegsjahr nach Beginn des russischen Angriffs hat sich die Ukraine ein hohes Maß an Widerstandskraft und wirtschaftlicher Stärke bewahrt. Das ist auch der deutschen Hilfe mit zu verdanken. Deutschland zählt nach den USA zu den größten Unterstützern des osteuropäischen Staates. Dass die Ukraine auch zukünftig auf die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit beim Wiederaufbau und den Schulterschluss mit deutschen Unternehmen setzt, machte Iryna Shum mit ihrem Vortrag am 4. April im Großen Saal der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Dortmund vor rund 60 Gästen deutlich. Die ukrainische Generalkonsulin war Ehrengast beim traditionellen IHK-Veranstaltungsformat „Mittagstisch des Präsidenten“, zu dem IHK-Präsident Heinz-Herbert Dustmann und IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Schreiber eingeladen hatten.
Ukraine kann sich auf die Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft verlassen
In seinem Grußwort als Gastgeber machte Dustmann deutlich, dass „wir alle erschüttert sind von dem unfassbaren menschlichen Leid und den Bildern der Zerstörung, die der Krieg hinterlässt“. Nach Schätzungen der Weltbank betrage allein der ökonomische Schaden seit Kriegsbeginn rund 500 Milliarden Euro, weitere 486 Milliarden würden nach aktuellem Stand für den Wiederaufbau benötigt.
„Im Angesicht dieser massiven Herausforderungen braucht die Ukraine jede Unterstützung, die sie bekommen kann. Sie kann sich dabei fest auf Deutschland verlassen“, betonte Dustmann, der in diesem Zusammenhang auf das Engagement der deutschen Wirtschaft verwies. Auch aus der IHK-Region unterhalten immer noch viele Unternehmen wirtschaftliche Beziehungen mit und in der Ukraine.
Ein weiteres Beispiel: Im Bündnis #WirtschaftHilft, bei dem die Deutsche Industrie- und Handelskammer federführend mitarbeitet, werden Spendenkampagne koordiniert und im Dossier „Rebuild Ukraine“ auch ganz konkrete Projektideen für den Wiederaufbau im kriegsversehrten Land vorgestellt. Nach der ersten Wiederaufbau-Konferenz im März 2023 in Düsseldorf ist die Nachfolgekonferenz für Mitte Juni in Berlin geplant.
90 Prozent der Ukrainer:innen glauben fest an einen Sieg gegen Russland
Außerdem sei die Deutsche Auslandshandelskammer in Kiew eine wichtige Brücke zwischen beiden Ländern. Sie stehe Unternehmen vor Ort mit Rat und Tat zur Seite, die ihre Aktivitäten in der Ukraine ausweiten wollten. Das Interesse daran wachse stetig. „Ich denke, dass sind gute Nachrichten, die uns optimistisch stimmen sollten“, so Dustmann. „Ich bin stolz, dass wir als Netzwerk der deutschen Wirtschaft fest an der Seite der Ukraine stehen und freue mich, dass wir im permanenten Dialog mit Vertretern aus der Ukraine sind“, betonte der IHK-Präsident.
Von den rund 1,6 Millionen nach Deutschland geflüchteten ukrainischen Staatsbürgern leben allein in Nordrhein-Westfalen fast 230.000 Menschen, 70 Prozent davon sind Frauen.
In den ersten sechs Monaten des Krieges wurden im ukrainischen Generalkonsulat in Düsseldorf täglich rund 350 Geflüchtete registriert. Eine große Herausforderung für das Team von Iryna Shum, die das ukrainische Generalkonsulat seit Juni 2021 leitet und unter anderem einen Master-Abschluss der Ludwig-Maximilians-Universität München hat.
In ihrem Vortrag gab sie einen detaillierten Überblick über die aktuelle Situation und zeigte Selbstbewusstsein und Optimismus. Entgegen allen ursprünglichen Prognosen habe ihr Heimatland den russischen Streitkräften entschieden Widerstand geleistet und den Angreifern große Verluste zugefügt. Die Zerstörungen seien massiv, gleichwohl gehe das Leben in großen Teilen der Ukraine „relativ normal“ weiter und gut 90 Prozent ihrer Landsleute würden fest an einen Sieg gegen Russland glauben.
Und auch wirtschaftlich gebe es – trotz laufender Kriegshandlungen – klare Anzeichen für spürbares Wachstum. Nach Prognosen deutscher Experten könnte die ukrainische Wirtschaft 2024 um vier Prozent zulegen, in den letzten Monaten des Jahres 2023 war auch die Inflation auf nur noch fünf Prozent zurückgegangen.
Potentiale für den deutschen Arbeitsmarkt: 300.000 IT-Experten in der Ukraine
Shum machte deutlich, welches großes Potenzial für den hiesigen Arbeitsmarkt sich durch eine gelungene Integration der Geflüchteten bieten könnte. 28.000 Ukrainerinnen und Ukrainer in NRW seien mittlerweile arbeitstätig und etwa 40.000 beim Jobcenter gemeldet.
72 Prozent ihrer Landsleute in NRW hätten einen Hochschulabschluss. Gute Perspektiven für Investitionen biete mittel- und langfristig auch die Ukraine, in der fast 300.000 IT-Experten tätig sind.
Große Erdöl-, Gas- und Kohlevorkommen machen das Land überdies zu einem wichtigen Energielieferanten. Für die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie ist das Land mit seiner fast schon sprichwörtlichen „Getreidekammer“ bereits seit längerem sehr attraktiv.
Das Veranstaltungsformat „Mittagstisch des Präsidenten“ lebt vom angeregten Austausch der Referenten und Gäste. Auch Iryna Shum und die geladenen Gäste vertieften im Anschluss noch viele Themen. Für weiteren fachlichen Input sorgten zudem noch Wulf-Christian Ehrich, stellvertretender IHK-Hauptgeschäftsführer und fachpolitischer Sprecher Außenwirtschaft der IHKs in NRW, und Elena Matekina von NRW.GLOBAL Business.
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