In Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe – wie zum Beispiel der Kindertagesbetreuung, den Hilfen zur Erziehung, der Kinder- und Jugendarbeit, dem Jugendamt sowie der Jugendsozialarbeit – arbeiten in Deutschland über 1,1 Millionen Menschen. Die öffentlichen Ausgaben in der Kinder- und Jugendhilfe, einem der zentralen sozialen Unterstützungssysteme für junge Menschen und deren Familien, betragen bundesweit inzwischen fast 62 Milliarden Euro pro Jahr. Seit über 20 Jahren untersucht der Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut/TU Dortmund in regelmäßigen Abständen die Situation der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Jetzt ist der „Kinder- und Jugendhilfereport 2024“ erschienen – diesmal mit einem Schwerpunkt zum Fachkräftemangel.
Kinder- und Jugendhilfe hat deutlich an Bedeutung und Akzeptanz gewonnen
„Die Daten unseres aktuellen Reports zeigen, dass die Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahrzehnten wie kein anderer Bereich des Bildungs- und Sozialwesens an gesellschaftlicher Bedeutung und Akzeptanz gewonnen hat“, sagt Prof. Thomas Rauschenbach, wissenschaftlicher Leiter des Forschungsverbunds und Seniorprofessor an der TU Dortmund.
Bundesweit waren im Jahr 2022 über vier Millionen Kinder in der Kindertagesbetreuung. Von den Einzelfallhilfen für junge Menschen sowie den Eingliederungshilfen bei einer seelischen Behinderung nach § 35a des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII) profitierten im Jahr 2021 rund 1,27 Millionen junge Menschen und ihre Familien.
Ebenfalls ausgeweitet wurde in den letzten beiden Jahrzehnten der institutionelle Kinderschutz und spürbar erhöht wurden auch die personellen Ressourcen in den Jugendämtern.
Erzieher:innen und Sozialpädagoge:innen in der Spitzengruppe der „Engpassberufe“
Insgesamt habe die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, gemessen an der Zahl der Beschäftigten mit über 1,1 Millionen, inzwischen die Größenordnung des allgemeinbildenden Schulwesens erreicht, betont Rauschenbach.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit finden sich mittlerweile die Berufsgruppen der Erzieher:innen sowie der Sozialpädagog:innen in der Spitzengruppe der sogenannten „Engpassberufe“.
So kamen im Jahr 2022 auf bundesweit rund 8.000 arbeitslos gemeldete Erzieher:innen ungefähr 13.000 offene Stellen. Verschärft wird der Fachkräftemangel durch den generellen demografischen Wandel.
Demographischer Wandel verstärkt den Fachkräftemangel
Statistisch sind für drei Personen, die in den kommenden drei Jahren aus Altersgründen aus dem gesamten Arbeitsmarkt ausscheiden werden, lediglich zwei Nachwuchskräfte zu erwarten.
Vorausberechnungen gehen außerdem davon aus, dass das sozialpädagogische Ausbildungssystem die zukünftig benötigte Zahl der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe zumindest in Westdeutschland nicht ohne Weiteres decken kann.
„Deshalb ist es umso wichtiger, Fachkräfte im Beruf zu halten und auch Auszubildende erfolgreich in den Beruf zu begleiten, da leider noch zu viele auf diesem Weg verloren gehen“, betont Rauschenbach.
Der gesamte Report kann online eingesehen und heruntergeladen werden
Der Report fasst aktuelle Daten und Fakten zu den vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe zusammen und bietet damit eine fundierte Grundlage für die aktuellen Diskussionen zu allen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe.
Die Studie mit dem vollständigen Titel „Kinder- und Jugendhilfereport 2024. Eine kennzahlenbasierte Analyse mit einem Schwerpunkt zum Fachkräftemangel“ kann hier kostenlos als Open-Access-Version heruntergeladen werden.
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Aktionstag zur „Black Week“: „Gegen den Ausverkauf der sozialen Landschaft in NRW“ in Dortmund (PM Ev. Kirchenkreis)
Gruppen im Notbetrieb, verkürzte Betreuungszeiten und Tage ohne Betrieb – viele Eltern kennen diese Probleme nur zu gut. Die gestiegenen Personalkosten und unzureichenden Zuschüsse von Land und Kommunen bringen dagegen viele Kita-Träger in Not. Um auf diese Problematik aufmerksam zu machen, rufen die Wohlfahrtsverbände und freien Kita-Träger in Nordrhein-Westfalen zu einer Aktionswoche unter dem Motto „Black Week – Gegen den Ausverkauf der sozialen Landschaft in NRW“ auf, die vom 10. bis 14. Juni 2024 stattfinden wird.
Daran beteiligt sich auch der Evangelische Kirchenkreis, in dessen Trägerschaft sich 71 KiTas und OGS befinden – mit einem großen Aktionstag, der am Dienstag, 11. Juni 2024, um 14 Uhr am Hansaplatz in der Dortmunder Innenstadt startet.
„Für den Kita-Bereich fordern wir von der Politik endlich eine Anpassung der Finanzierung, eine Fortschreibung der Kindpauschalen und die Anpassung der Personalbemessungsgrenze“, so Christoph Müller, Leiter des Referates Kindertageseinrichtungen für Kinder im Kirchenkreis. Und ergänzt: „Eine auskömmliche Finanzierung der Auszubildenden, die Finanzierung der Qualifizierung von Quereinsteiger*innen, eine Erhöhung der Finanzierung der Fachberatung und der Wegfall des Trägereigenanteils sind dringend notwendig, um die Schließung von dringend benötigten Kitas aus finanzieller Not zu verhindern.“
Das gilt auch für das Arbeitsgebiet Offene Ganztagsschule (OGS) im Primarbereich, wie Referatsleiterin Jessica Großer ergänzt: „Wir fordern einheitliche Qualitätsstandards, eine auskömmliche Finanzierung, inklusive zusätzlicher Mittel für die Ausbildung, ein bedarfsgerechtes Raumprogramm, sowie den Wegfall des Bürokratiemonsters der regelmäßigen Trägervergabeausschreibung.“ Auch würden Schulbegleiter*innen als Standardangebot dringend benötigt.
Die Trägervertreter wissen die Elternschaft an ihrer Seite – auch diese fordern im Rahmen des Aktionstages flexiblere Betreuungszeiten sowie beitragsfreie Bildungsangebote in der Kindertagespflege, in den Kitas und im OGS. „Gehen hier bald die Lichter aus“, fragen die Veranstalter*innen provokant und hoffen auf Unterstützung aus der Bevölkerung, um die Politik zum Handeln zu bewegen.
ver.di warnt: Qualität in Kitas für Personal und Kinder massiv gefährdet – Fachkräftemangel darf nicht zu Absenkung von Standards führen (PM)
Die geplante Änderung der Personalverordnung für Kindertagesstätten in Nordrhein-Westfalen stößt bei den in ver.di organisierten Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen auf scharfe Kritik. Insbesondere die Möglichkeit, dass in Ausnahmefällen nur noch eine sozialpädagogische Fachkraft für bis zu 60 Kinder zuständig sein soll, stellt aus Sicht der zuständigen Gewerkschaft ver.di eine Gefährdung der Betreuungsqualität und eine unzumutbare zusätzliche Belastung für die Beschäftigten dar.
„Mit dieser Maßnahme wird nicht nur die Belastungsgrenze des ohnehin chronisch überlasteten Kita-Personals weiter überschritten, sondern auch das Wohl der Kinder aufs Spiel gesetzt. Es ist das Eingeständnis, dass im Zweifel das Motto „Hauptsache Aufbewahrt“ und nicht die kindgerechte Erziehung und Bildung gilt“, erklärt ver.di-Landesfachbereichsleiterin, Andrea Becker.
Der erweiterte Einsatz von Ergänzungskräften, die die sozialpädagogischen Fachkräfte ersetzen sollen, erscheine auf den ersten Blick als pragmatisch, löse aber das Grundproblem des massiven Fachkräftemangels nicht. „Qualifizierte Betreuung und frühkindliche Bildung erfordern fundiertes Fachwissen, das nur durch eine umfassende Ausbildung gewährleistet werden kann“, so Becker. Gleichzeitig werde die wertvolle Arbeit, welche Ergänzungskräfte im Alltag der Kita leisten über Gebühr beansprucht.
Es sei wissenschaftlich belegt, dass eine qualitativ hochwertige Betreuung in den ersten Lebensjahren essenziell für die Entwicklung von Kindern ist. Eine derart drastische Absenkung des Personalschlüssels, wenn auch temporär, bedeute in der Praxis, dass eine einzelne Fachkraft unmöglich auf die individuellen Bedürfnisse von bis zu 60 Kindern eingehen kann – schon gar nicht in herausfordernden Situationen wie bei Konflikten, Notfällen oder der Unterstützung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen.
Gefahr für Kinder und Personal
Laut ver.di birgt die geplante Regelung zudem erhebliche Risiken:
Für die Kinder: Weniger Fachpersonal bedeutet weniger Schutz, Förderung und Aufmerksamkeit. Gerade bei kleinen Kindern oder Kindern mit Behinderungen kann dies schwerwiegende Folgen haben.
Für die Mitarbeitenden: Die ohnehin hohe Belastung wird durch solche Maßnahmen ins Unerträgliche gesteigert. Es ist zu befürchten, dass dies zu einer weiteren Abwanderung von Fachkräften führt und den Fachkräftemangel langfristig verschärft.
„Wir brauchen nachhaltige Lösungen statt kurzfristiger Flickschusterei! Anstatt die Standards zu senken, fordern wir nachhaltige Lösungen, die die Qualität der Kinderbetreuung sichern“, erklärt Becker.
Dazu zählen:
Attraktivere Arbeitsbedingungen: Höhere Gehälter, bessere Arbeitszeiten und mehr Anerkennung für den Beruf des Erziehers/der Erzieherin.
Gezielte Fachkräftegewinnung: Mehr Investitionen in die Ausbildung und Umschulung von Fachkräften sowie gezielte Kampagnen, um den Beruf attraktiver zu machen.
Klare Grenzen bei Personalschlüsseln: Eine Absenkung des Mindeststandards darf es nicht geben – weder für kurz- noch langfristige Situationen. Stattdessen Aufbau zu Personalschlüsseln, die wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen.
„Wir appellieren eindringlich an die Landesregierung, den Entwurf der neuen Personalverordnung zurückzuziehen und stattdessen in den Dialog mit Fachkräften, Eltern und Gewerkschaften zu treten, um nachhaltige Lösungen zu finden. Eine Absenkung der Betreuungsqualität darf nicht die Antwort auf den Fachkräftemangel sein“, so Becker abschließend.