Neue Ausstellung zeigt Fotos und Videoarbeiten von Niklas Goldbach

Lost in Paradise: Im Hartware MedienKunstVerein auf der Suche nach dem verschwundenen Paradies

Poster zur Ausstellung „Niklas Goldbach: The Paradise Machine“ im Hartware MedienKunstVerein. Das Motiv basiert auf Elementen seiner Serie „Permanent Daylight“ und wurde von der Dortmunder Designagentur Ten Ten Team gestaltet. © VG-Bild-Kunst, Bonn, 2024

Das Paradies ist eine Baustelle – jedenfalls ist das der Eindruck, der sich Besuchenden der neuen Ausstellung des Hartware MedienKunstVerein (HMKV) im Dortmunder U aufdrängt. Bauzäune und Palmen säumen einen Ausstellungsparcours, der aus wackligen Wänden besteht. Und das Paradies? Steht auf mindestens ebenso wackligen Füßen. Aber der Reihe nach.

„Architektur ist eine Paradiesmaschine“ und Ausdruck von Sehnsucht und Macht

Niklas Goldbach am Bauzaun zum Paradies. Der Künstler wurde in Witten geboren und lebt aktuell in Berlin. Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Die Ausstellung „The Paradise Machine“ ist die erste Übersichtsausstellung von Niklas Goldbach. Sie versammelt Video- und Fotoarbeiten der letzten zehn Jahre und präsentiert drei große Neuproduktionen, die speziell für diese Ausstellung entstanden sind.

Goldbach setzt sich mit Architektur auseinander und die ist – so HMKV-Direktorin Inke Arns – „eine Paradiesmaschine“. In dieser Interpretation spiegelt sie unserer Sehnsüchte, ist aber auch Ausdruck von Machtverhältnisse und wie diese durchaus zum Scheitern verurteilt. Den gebauten Vorstellungen, den Ideen dahinter und ihrer Ambivalenz gilt Goldbachs besonderes Interesse. ___STEADY_PAYWALL___

„Die Wechselbeziehung zwischen Utopie und Dystopie spielt stets eine zentrale Rolle“

Niklas Goldbach, Paradise Now, 2024, Videostill © VG-Bild-Kunst, Bonn, 2024

Seit 2013 widmet sich Goldbach mit der Fotoserie „Permanent Daylight“ Architekturen weltweit, denen Visionäres, aber auch Zerstörerisches innewohnt. Er stellt die einzelnen Bilder zu Gruppen zusammen und es ist an uns Verbindungen herzustellen – zum Beispiel zwischen einem von Palmen gesäumten Gefängnis und einem zur Shopping Hall umgewandelten Schlachthof.

„Die Wechselbeziehung zwischen Utopie und Dystopie spielt stets eine zentrale Rolle in Goldbachs Arbeit“, erklärt Arns. Besonders anschaulich wird das auch in der Videoarbeit „A Date With Destiny“ aus dem Jahr 2019. Hier reiste der Künstler an den kalifornischen Salton Sea.

Niklas Goldbach, Paradise Now, 2024, Videostill © VG-Bild-Kunst, Bonn, 2024

Der See entstand 1905 in Kalifornien eigentlich durch einen Unfall, wurde dann aber schnell zur Attraktion. In den 1960er und 70er Jahren galt er als „Wunder in der Wüste“ und war ein beliebtes Ferienziel.

Doch das Wasser versickerte und Goldbach zeigt uns was übrig blieb: die verfallene Architektur, Reste der Infrastruktur – ein leichter Wind überzieht alles mit Sand. Was man nicht sieht: der Sand ist vergiftet. Ein Resultat der Pestizide aus der Landwirtschaft, die jahrelang ungefiltert in den See gelangten.

Erbaut auf Ruinen: Die Natur erobert sich die Orte zurück

Niklas Goldbach, Paradise Now, 2024, Videostill © VG-Bild-Kunst, Bonn, 2024

Doch die Sehnsucht bleibt und an anderer Stelle wird weiter gebaut. „Paradise Now“ (2024) widmet sich Großprojekten in Vietnam und Kambodscha. Die Videoinstallation entstand neu für die HMKV-Ausstellung und zeigt beispielsweise einen gigantischen Wasserpark in der alten Kaiserstadt Hue. Er erwies sich als Fehlplanung und Goldbach filmt ihn menschenleer. Die Natur beginnt die Skulpturen, Brücken und Brunnen wieder zu überwuchern.

Etwas später, das Ressort Bokor Hill: Hier soll das gesamte Bergplateau umgestaltet werden, doch bei den Arbeiten finden sich Ruinen der französischen Kolonialzeit. Goldbach seziert mit der Kamera die Strukturen der Anlagen, zeigt uns die Schichten darunter und befragt auf seine Weise die vergangenen und vielleicht bald auch neuen Ruinen: „Unter der Oberfläche lauert die gähnende Leere der Baugrube“, interpretiert es Kuratorin Inke Arns.

Die Ausstellung ist inspiriert von der Architektur der Center Parcs

Niklas Goldbach, A State of Happines, 2024 © VG-Bild-Kunst, Bonn, 2024

Was aber droht uns während der Familienferien im Center Parc? Die gesamte Ausstellungsarchitektur ist inspiriert von den Ideen und Themen dieser Ferienhauskette. Wer schon einmal in den Parcs Urlaub gemacht hat, erkennt die Leichtbauweise der kleinen Bungalows oder auch die schlichten Betten.

In der Ausstellung ergeben sich Durchblicke und Sichtachsen, die gleich drei Arbeiten von Goldbach zum Thema „Center Parc“ miteinander verbinden.

Da ist zunächst der Bauzaun an dem Plakate mit dem Titel „State of Happiness“ scheinbar für eine neues Bauprojekt werben. Der Slogan entspricht dem Titel der Center Parc-Hymne von 2007 und er ist durchaus doppeldeutig: State, das meint Zustand, aber auch Staat.

„Form und Idee der Center Parcs sind Ausdruck einer bestimmten Ideologie“, findet Niklas Goldbach. „Die Architektur der Parcs zielt auf die Bedürfnisse der Kernfamilie und basiert auf konservativen Gesellschaftsbildern.“¶

„Klar machen, woher das Geld kommt und wohin es geht.“

Videostill, Today on Lumen 2000. Die Arbeit basiert auf Material des TV-Magazins von Center Parc Grüner Piet Derksen. Niklas Goldbach

Der Niederländer Piet Derksen war der Gründer der Parcs und hat damit ein Vermögen gemacht. Er war auch ein gläubiger Katholik und hat das Geld über seine Stiftungen in Projekte investiert, die diese Werte befördern.

Vom Bett aus kann man sich in der Ausstellung das Video „Today on Lumen 2000″ anschauen. Eine Zusammenstellung der Trailer von Derksens eigenem Fernsehmagazin, das weltweit ausgestrahlt wurde. Eine Art „Missionars-TV“, so Goldbach, der das nicht weiter bewerten will, „aber klar machen, woher das Geld kommt und wo es hingeht.“

Dreharbeiten während der Corona-Pandemie: Der Center Parc als sicherer Ort?

Niklas Goldbach, Into The Paradise Machine, 2022/23, Videostill, © VG-Bild-Kunst, Bonn, 2024

„Into The Paradise Machine“ ist schließlich die dritte Center Parc-Arbeit in der Ausstellung und Machart und Soundtrack ziehen Besucher:innen schnell in den Bann. Das Video entstand während der Corona-Pandemie, als die Parcs und ihre isolierten Häuschen sowohl Sicherheit als auch Naturerlebnis versprachen.

Goldbach filmt die Anlage menschenleer, der Fokus liegt auf der Architektur und ihrer Einbettung in die Natur. Es ist der immer gleiche Bungalowtyp dem sich die Kamera annähert. Das Ergebnis ist eine Art Tagesablauf, von Sonnenaufgang bis -untergang. Dabei entsteht das Bild eines Parcs, den es so gar nicht gibt, denn es wurde in drei Ländern gedreht.

Tagebuchnotizen des internierten Architekten schaffen zusätzliche Ebene

Die Untertitel zu den Filmaufnahmen bilden die Tagebucheinträgen des niederländischen Center Parc-Architekten Jaap Bakema. Er war 1943 im deutschen Deportationslager Royallieu-Compiègne in Nordfrankreich interniert und die Texte entstammen dieser Zeit.

Niklas Goldbach, Into The Paradise Machine, 2022/23, Videostill Goldbach © VG-Bild-Kunst, Bonn, 2024

Wir erfahren, dass er gemeinsam mit einem Deutschen Offizier Möbel baut, die Werkstatt erweitert, wie er die Natur wahrnimmt und wie sie ihm hilft das Lagerleben zu bewältigen. Die Kombination aus Filmbildern und Tagebuchtexten ist berührend und beklemmend.

„Die Tagebücher waren für mich eine wirkliche Überraschung“, berichtet Goldbach. „In den Schriften kommt eine Philosophie zum Ausdruck, eine Orientierung an bestimmten Bedürfnissen und ich denke, diese Erfahrungen haben ihn geprägt.“ Eine Gleichsetzung der Parcs und der Lager sei damit aber nicht gemeint: „Die Texte verleihen den Aufnahmen eine zusätzliche Ebene, sie machen die Schere auf.“ Die Idee, das Form und Funktion in Design und Architektur einander bedingen (sollten), sie wird einem an dieser Stelle ein wenig unheimlich. Goldbachs Paradies, ist ein Paradies ohne Netz und mit doppeltem Boden.

Weitere Informationen:

  • Ausstellung bis 11. August 2024, Hartware MedienKunstVerein im Dortmunder U, Eintritt frei, Öffnungszeiten und Begleitprogramm auf der Website des HMKV
  • Tipp: Mittwoch, 10.04.2024, von 19:00 bis 21:00 Uhr, Künstlergespräch mit Adolf Winkelmann & Niklas Goldbach
  • Jeden 1. Sonntag im Monat, 12:00 bis 17:00 Uhr, Familiensonntag mit Rätselheft und Mitmachaktion: Ferienhaus-Bau aus Upcycling-Material
  • Zur Ausstellung erscheint ein HMKV-Magazin in deutscher, englischer und Einfacher Sprache. Preis: 10,00 € vor Ort im HMKV-Bookshop

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

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