Dietmar Köster hört nach zehn Jahren als SPD-Europaabgeordneter auf

Engagement für und in Europa zwischen Krieg, Rechtsruck, Green Deal und Seenotrettung

Das Europaparlament ist ein Arbeitsparlament - parallel zur Plenarsitzung finden auch Ausschüsse und Arbeitsgruppen statt.
Das Europaparlament ist ein Arbeitsparlament – parallel zur Plenarsitzung finden auch Ausschüsse und Arbeitsgruppen statt. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Aus Straßburg berichtet Alexander Völkel

Europa hat im Juni 2024 wieder die Wahl: In Deutschland findet die Europawahl am Sonntag, 9. Juni 2024, statt. Deutsche Staatsangehörige sowie Unionsbürger:innen können ihre Stimme abgeben, sofern sie mindestens 16 Jahre alt und an ihrem Wohnort ins Wählerverzeichnis eingetragen sind. Es ist auch möglich, per Briefwahl oder aus dem Ausland zu wählen. In den vergangenen zehn Jahren saß Prof. Dietmar Köster aus Dortmund für die SPD im Europaparlament. Er ist außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Köster wird bei der nächsten Wahl nicht erneut antreten. Nordstadtblogger hat mit ihm über die Erfolge, Niederlagen, Herausforderungen seiner Arbeit und die Gefahr durch Populismus gesprochen.


Nordstadtblogger: Was hat Sie überhaupt zur Kandidatur motiviert?

Prof. Dietmar Köster (SPD-MdEP) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Dietmar Köster: Meine Hauptmotivation war, dass ich die Europäische Union als Friedensprojekt gesehen habe. Ich wollte meinen Beitrag leisten und die EU als Friedensmacht stärken. Als Sozialdemokrat hat mich auch immer das Thema soziale Ungleichheit interessiert.

Wie kann man die EU so stärken, dass sie zur Sozialunion wird – zu einem Projekt für die Vielen statt die Wenigen. Es gab immer die Kritik, dass die Europäische Union ein rein neoliberales Wirtschaftsprojekt sei. Das habe ich nie so gesehen. Aber wir müssen die soziale Säule stärken – Mindestlöhne, Tariftreue, Kurzarbeitergeld etc.; die soziale Frage bekommt einen immer größeren Stellenwert. Das war damals meine Motivation.

Warum soll nach zehn Jahren Schluss sein?

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Ich hatte das Privileg, dass ich die Professur an der Fachhochschule Dortmund hatte und damit nicht von der Politik abhängig war. Ich wollte mich europapolitisch einbringen, hatte aber immer die Chance, in den Beruf zurückzukehren. Ich habe das nun zehn Jahre gemacht. Es war sehr herausfordernd, aber auch eine erfüllende Aufgabe. 

Mit 67 Jahren ist es Zeit, was Neues zu machen und auszuprobieren. Ich werde etwas mehr Muße haben und mehr Zeit, um mich um mein privates Umfeld zu kümmern. Ich will Nachfolgenden eine Chance geben und nicht bis zum Lebensende im Parlament sitzen. Es ist ein Merkmal von demokratischen Mandaten, dass sie auf Zeit und nicht auf Lebenszeit vergeben werden. Es sind keine autokratischen Mandate.

Wie stehen im Juni die Chancen der SPD und eines möglichen Nachfolgers? Tobias Kremer aus Bochum wird ja antreten…

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Bei der letzten Wahl kam die SPD auf 16 Prozent. Es ist eine reine Listenwahl: Damit zogen 16 deutsche SPD-Mitglieder ins Parlament ein, vier davon kamen aus NRW.

Die nächste Wahl wird schwierig. Eine rechtsextreme Partei wie die AfD schneidet in Umfragen besser ab als die SPD. Dabei war die SPD immer die Partei für Demokratie und gegen Faschismus. 

Dass eine Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt und in der Tradition des Faschismus steht, mehr Zustimmung kriegt als die SPD, das ist schon bitter. Da muss man sich dagegen engagieren.

Daher ist gut, dass so viele Menschen weiter auf die Straße gehen, damit der Kampf in Deutschland erfolgreich gegen die Feinde der Demokratie geführt werden kann. Aber der Rechtsruck ist eine europaweite Entwicklung. 

Was waren die entscheidenden Themen der zehn Jahre?

Wir leben in gefährlichen Zeiten mit vielfältigen globalen Krisen. Klimawandel, Ungleichheit, Flucht und Migration, jetzt Krieg und Frieden. Es ist ein rechtswidriger Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Er ist schrecklich und muss schnellstmöglich beendet werden. 

Prof. Dietmar Köster (SPD-MdEP) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Ich habe mich immer dafür eingesetzt, die Menschen in der Ukraine humanitär zu unterstützen. Dazu gehört auch die sogenannte Massenzustromrichtlinie, die den Menschen aus der Ukraine einen besonderen Status ohne Asylverfahren erlaubt. Auch finanziell und ökonomisch werden sie unterstützt. 

Meine Auffassung ist mittlerweile, sie auch militärisch zu unterstützen, damit sie sich verteidigen können. Aber man wird den Kampf nicht auf dem Schlachtfeld gewinnen, sondern muss auch über Wege der politischen Deeskalation nachdenken. Das diskutiere ich wöchentlich, um es auch in Beschlüssen der EU zu verankern. Wir brauchen mehr Diplomatie und Verhandlungen, um den Krieg zu beenden.

Gab es Erfolgserlebnisse?

In der Europapolitik ist es immer schwer zu sagen, was erfolgreich war. Aber es gibt ein paar Punkte, die man benennen kann. Im Europaparlament habe ich es als außenpolitischer Sprecher der Europa-SPD nach den Massakern der Hamas geschafft, in allen Resolutionen deutlich zu machen, dass es eine Friedensperspektive geben muss, die die Existenz des Staates Israels sichert und eine Zwei-Staaten-Lösung ohne die Hamas eröffnet. 

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Ich habe auch immer die Rolle des Irans kritisiert, der den Stellvertreterkrieg von Hamas und Hisbollah finanziert. Wir haben gute Resolutionen beschlossen, die deutlich machen, dass die EU-Politik Solidarität in den Vordergrund stellt und weiter an einer Zwei-Staaten-Lösung arbeitet. Ich habe zudem viele Friedensinitiativen unterstützt, die an Ausgleich interessiert waren. Es ist wichtig, dass die EU weiter Druck macht, damit die israelischen Geiseln freigelassen werden.

Auch die Seenotrettung war für mich ein wichtiges Thema. Dass die EU Teil der autoriäten Abschottungspolitik wird und illegale Pushbacks zulässt, ist kaum zu ertragen. Ich habe mich immer für die Zusammenarbeit mit privaten Seenotrettungen wie Seawatch eingesetzt und mich im Parlament dafür stark gemacht, dass sie für den Sacharow-Preis vorgeschlagen wurden.

Sie waren auch unter den ersten drei Nominierten und sind auch geehrt worden für ihr Engagement. Das war ein kleiner Lichtblick. Dass die EU aber viel mehr tun muss – auch ein Rettungsprogramm auflegen – steht für mich außer Frage. Leider sind wir noch nicht an der Stelle – das ist schon enttäuschend. 

Apropos enttäuschend: Es ist total ärgerlich, dass die FDP das Lieferkettengesetz verhindert hat, obwohl es auf EU-Ebene schon ausverhandelt war. Die FDP ist kurz vor der endgültigen Verabschiedung dazwischen gegrätscht und hat es aus fadenscheinigen Gründen verhindert. Das Gesetz wollte Geschäftsmodelle verhindern, die auf Kinder- und Zwangsarbeit basieren und die gegen grundlegende Umweltgesetze verstoßen. Daher müssen wir den Druck auf die FDP erhöhen. Das hat mich sehr geärgert – und auch das ganze Parlament. Auch die Liberale Fraktion stimmte überwiegend zu. 

Prof. Dietmar Köster (SPD-MdEP) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

In der ersten Legislatur habe ich mich im Rechtsausschuss für ein Whistleblower-Gesetz stark gemacht. Arbeitnehmer, die über Fehlverhalten berichten, wird Rechtsschutz gewährt und sie können nicht belangt werden. Das ist auch durch die Bundesregierung umgesetzt worden. Das ist ein konkretes Beispiel und ein konkreter Erfolg. 

Auch haben wir bei den Freihandelsabkommen dafür gesorgt, dass nicht nur die Gewinninteressen einiger Großer, sondern auch soziale und umweltpolitische Themen verankert wurden. Es hat ja auch große Demonstrationen gegeben, um sozialpolitische Anliegen zu berücksichtigen. 

Ich war auch Mitglied im Unterausschuss für Menschenrechte. Dort haben wir uns auch um Anfragen von Flüchtlingsinitiativen gekümmert und ich konnte auch bei Familienzusammenführungen helfen. Da habe ich auch immer scharf die Rolle des Iran kritisiert, auch als 2022 der Aufstand der Frauen begann. Ich kam auf die Terrorliste des Iran und durfte nicht einreisen. Übrigens auch nicht nach China, wegen der Arbeit des Ausschusses, der die Unterdrückung der Uiguren kritisiert hat. Diese Einreiseverbote kann ich aber verwinden. 

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Weil ich beim Thema Flucht und Migration teils mit der Diskussionslage unzufrieden war, habe ich mit Grünen, Linken und Teilen der Konservativen eine informelle Migrationsgruppe gegründet, die regelmäßig zusammenkommt und sich monatlich über aktuelle Themen austauscht.

Dort wurden viele Anstöße gegeben, die Abgeordnete aufgegriffen haben. Das war für mich auch wichtig und bietet auch NGOs die Möglichkeit zu berichten. So wurde von Gruppen aus Griechenland über die vielen illegalen Pushbacks berichtet, was wir dann auch im Innenausschuss thematisierten. Das hat auch mit zum Rücktritt des Frontex-Chefs geführt, weil Frontex an Pushbacks beteiligt war. Das war nicht mehr tragbar. 

Was bleibt übrig oder unerledigt?

Nach wie vor ertrinken Menschen im Mittelmeer und der schreckliche Krieg in der Ukraine ist noch nicht gestoppt. Dazu haben wir die schreckliche Lage im Nahen Osten. Wir müssen dort eine Lösung finden ohne Hamas.

Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Außerdem muss die EU bei sozialen Rechten noch nachlegen, um in der Bevölkerung als eine Institution wahrgenommen zu werden, die die Interessen der Vielen schützt. Die neoliberale Kaputtsparpolitik ist zwar überwunden. Aber wenn die EU eine größere Akzeptanz finden will, muss sie mehr tun. Es geht um Schutz vor sozialem Abstieg, mehr Geld für Bildung und sozialen Wohnungsbau.

Auch der Kampf gegen den Klimawandel muss sozial gerecht gestaltet werden. Aber das ist eine Generationenaufgabe. Doch wir haben schon einige Eckpunkte auf den Weg gebracht – Green New Deal. Der Klimawandel ist beispielhaft dafür, dass wir die EU brauchen – auch wenn Nationalisten und Nazis nicht glauben, dass er menschengemacht ist. 

Der Kampf gegen Rechts ist nach wie vor unerledigt. Die AfD will, dass Deutschland aus der gemeinsamen Währung und der Union aussteigt. Das ist aktuell die größte Gefahr. Daher müssen die Menschen am 9. Juni wählen gehen – auch und gerade gegen Rechts. 

Viele Länder haben rechtsaußen gewählt. Gibt es Lichtblicke – Stichwort Polen?

Es gibt die Gefahr, dass die Nationalisten weiter Zulauf finden. Aber der Zulauf ist nicht ungebrochen. Wir zeigen das mit den Demos in Deutschland.

Prof. Dietmar Köster (SPD-MdEP) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Aber auch in Polen, wo die PiS-Partei abgewählt wurde – auch unter massivem Druck der EU, die gegen Polen den Rechtsstaatsmechanismus eingeleitet hat. Die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Gerichte waren nicht mehr gewährleistet.

Die Wahlen in Spanien bereiteten auch Sorge, aber die Sozialisten haben knapp die Mehrheit verteidigt. Das zeigt: Man kann die rechten Kräfte besiegen. Ich hoffe, dass das auch bei der Europawahl passieren wird und die deutschen Wählerinnen und Wähler ihrer Verantwortung gerecht werden, dass die Rechten zurückgedrängt werden.

Und was macht der „Polit-Pensionär“ Dietmar Köster ab Sommer?

Ich habe dann hoffentlich mehr Zeit und Muße für Dinge, die ich gerne machen möchte, sowie für Freunde und Familie. Ich bin und bleibe Sozialwissenschaftler. Gesellschaftspolitische Fragestellungen interessieren mich auch von der Literatur her.

Ich möchte die großen internationalen Umbruchprozesse auch sozialwissenschaftlich aufarbeiten und daraus Schlüsse für die Politik ziehen. Ich bin und bleibe aber auch gesellschaftspolitisch interessiert. Mal sehen, welche Chancen und Möglichkeiten es nach dem Europaparlament gibt.


Die Europaabgeordneten können Gruppen aus ihrer Heimatregion ins Europaparlament einladen. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Transparenzhinweis:

Unser Reporter hat auf Einladung von Prof. Dietmar Köster an einer Informationsfahrt des Europäischen Parlaments nach Straßburg teilgenommen. Die Kosten für die Mitfahrt mit einer Gruppe aus der Region in einem Reisebus, sowie für Hotel und Halbpension wurden vom SPD-Unterbezirk Dortmund übernommen.


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  1. NRW-Schulwettbewerb zur Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2024 startet (PM)

    Heute (15.04.24) beginnt der landesweite NRW-Schulwettbewerb zur Europawahl „Du hast die Wahl – das ist dein Europa!“, dessen Schirmherr Landtagspräsident André Kuper ist. Fünf Schulen wetteifern darum, wer die besten Ideen entwickelt, um die Wahlbeteiligung zu steigern und das Bewusstsein für die Bedeutung der Europawahl zu stärken. Bei der Europawahl darf dieses Jahr erstmals mit 16 Jahren gewählt werden. „Mit dem Schulwettbewerb möchten wir einerseits gezielt junge Menschen auf ihr neues Wahlrecht vorbereiten und andererseits gerade ihre Ideen in den politischen Prozess einspeisen, wie eine Wahl in Zukunft attraktiv gestaltet werden kann“, so Achim Wölfel, NRW-Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie und Projektverantwortlicher.

    Der Schulwettbewerb wird von Democracy International e.V. und Mehr Demokratie e.V. gemeinsam mit den Young European Professionals und dem Wissenschaftscampus NRW durchgeführt. Das Projekt wird durch die Postcode Lotterie und das Europäische Parlament gefördert. Es handelt sich deutschlandweit um den ersten Schulwettbewerb, der sich intensiv mit dem Thema Wahlbeteiligung auseinandersetzt. Anlass für das Projekt war für die beteiligten Organisationen die historisch niedrige Wahlbeteiligung bei der NRW-Landtagswahl im Jahr 2022, als nur 55,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben.

    Eine Jury, bestehend aus Dr. Julia Schwanholz (Universität Duisburg-Essen), Milad Tabesch („Ruhrpott für Europa“) und Linda Kastrup (Fridays for Future Deutschland), bewertet die Wettbewerbsbeiträge der Schulklassen. Nach der Europawahl wird es eine Abschlussveranstaltung im Theater in Oberhausen geben. Die wissenschaftliche Evaluierung des Wettbewerbs führt der Wissenschaftscampus NRW durch.

    Pressevertreter sind herzlich eingeladen, an den Workshops teilzunehmen und über den Wettbewerb zu berichten. Die teilnehmenden Schulen sind Berufskollege, Gesamtschulen und Gymnasien in Duisburg, Hattingen, Hagen und Oberhausen. Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Jens Mindermann oder besuchen Sie unsere Website:

    https://nrw.mehr-demokratie.de/nrw-aktionen/nrw-schulwettbewerb-zur-europawahl

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