71 Künstlerinnen und Künstlern an 17 Standorten in zwei Tagen zu besuchen, ist eine nicht zu bewältigende Aufgabe. Soviel Kunst wie in der Dortmunder Nordstadt findet man selten in einem anderen Stadtbezirk in Deutschland.
Nach langer Pause – zuletzt im Jahr 2010 – fand die Aktion „Offene Nordstadtateliers“ wieder statt. Die Nordstadtblogger haben sich auf eine Wanderung durch den Kunstraum Nordstadt begeben und exemplarisch vier Orte besucht. Dabei gab es viel zu entdecken.
Künstlerhaus am Sunderweg: Eine Institution für zeitgenössische und experimentelle Kunst
Das Künstlerhaus am Sunderweg ist eine Institution für zeitgenössische und experimentelle Kunst. Viel Kreativität an einem Ort. Vergleichbares findet man in der Nordstadt sonst nur im Depot an der Immermannstraße.
Der Gebäudekomplex wurde 1924 als Waschkaue und Betriebsgebäude für Schacht Westfalia erbaut und später als Bürogebäude und Verwaltungssitz der Deutschen Edelstahlwerke genutzt. Seit 1983 ist das Haus ein Ausstellungs- und Atelierhaus in Selbstverwaltung.
Es bietet Künstlerinnen und Künstlern Räume in unterschiedlicher Größe für ihr Schaffen. Ein schönes großes Atelier nutzt Gaby Peters für ihre Maschinen. In dem 90 Quadratmeter großen Raum mit den hohen Decken pustet einer ihrer Apparate Papierschnipsel in den Raum. Ein Besucher hat sie zuvor in eine Öffnung der Installation geworfen.
Hohe Decken und lichtdurchfluteten Räume sind das Merkmal der Ateliers im Künstlerhaus
Der Raum ist durch einen Stehtisch in einen Werkstatt- und in einen Zeichen- und Lesebereich getrennt. Der sieht mit seinem Tisch, den Stühlen und dem großen Sofa sehr wohnlich aus.
Eine Freundin bereitet gerade den Waffelteig für die Besucher des heutigen Tages vor. Seit 2011 ist Peters in dem Haus am Sunderweg.
„Voraussetzung, dass ich hier arbeiten kann, ist der Nachweis, dass man professionell Kunst betreibt“, sagt die Schöpferin mechanischer Installationen, „und die ehrenamtliche Mitarbeit an den Ausstellungen im Hause, zum Beispiel als Kuratorin.“
Eine Etage tiefer hat der Maler Dirk Pleyer sein Atelier. Hier geht es schon beschaulicher zu. An den Wänden hängen großformatige Malereien. Vor den lichtdurchfluteten Fenstern plaudert eine Gruppe bei einem Kaffee – wohlmöglich – über Kunst, während Pleyer seine Arbeiten in einem Ausstellungskatalog einer Besucherin zeigt. Das Künstlerhaus bietet auf drei Stockwerken Raum für die unterschiedlichsten Kunstrichtungen.
W53/W55 in der Westerbleichstraße. Ateliers in gründerzeitlichen Wohnhäusern
Die beiden gründerzeitlichen Häuser in der Westerbleichstraße sind klassische Wohnhäuser. Die meisten Wohnungen werden seit Ende der neunziger Jahre als Ateliers genutzt.
„Zehn bis elf Künstlerinnen und Künstler finden hier Platz“, erklärt Ingrid Schmechel. „Es wohnen aber auch ganz normale Menschen hier“, schmunzelt sie. Nicht alle Räumlichkeiten werden als Ateliers genutzt.
Die Künstlerin verarbeitet Verpackungen und andere Alltagsmaterialien zu komplexen Skulpturen. Nebenan im Nachbarhaus muss man viele Treppen hinaufsteigen, um das Atelier unter dem Dach zu erreichen.
Oben empfängt die Malerin und Grafikerin Andrea Fortmann den erschöpften Kunstwanderer mit einem Becher Mineralwasser.
In den Häusern an der Westerbleichstraße wohnen auch „ ganz normale Menschen“
Zusammen mit Christina Kreymborg teilt sie sich eine Wohnung als Atelier.
Trotz der Höhe haben es viele Kunstinteressierte bis zu den beiden Frauen geschafft.
Den guten Besuch der Ateliergemeinschaft in der Westerbleichstraße erklärt Doris Goldbach mit der Konzentration vieler Künstlerinnen an einem Ort.
„Einige wollen einfach nur schauen, was in der Nordstadt los ist, andere suchen gezielt nach der Kunst“, skizziert die Malerin und Zeichnerin aus dem Nachbarhaus die Motivation der Besucher am heutigen Tag.
Gründerinnenzentrum Bornstraße 83 im Hannibal – Atelier in der „Platte“
Steht man vor dem Hannibal, dem terrassenförmig in Plattenbauweise errichteten Hochhaus an der Bornstraße, würde man auf den ersten Blick kein Atelier einer Künstlerin erwarten.
In den Räumlichkeiten des Gründerinnenzentrums arbeitet Diana Jean Pierre. Betritt man den Flur des Zentrums und sieht die ausgestellten Fotografien und Malereien, glaubt man das Atelier einer Malerin und Fotografin zu betreten. Die junge Frau ist aber Modedesignerin und hat ein eigenes Label.
Fashion & Conceptional Art, steht im Katalog zu den „Offenen Nordstadtateliers“. „So arbeiten, international, Modedesigner“, erklärt sie. „Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Themen über die Malerei und die Fotografie fließen letztendlich in das Design ihrer Kleidung. Es versteht sich, dass in ihrem Atelier an der Stange nur Einzelstücke hängen.
Die Künstlerin sammelt Inspiration in allen Kulturkreisen
Seit 2013 ist die Künstlerin in dem Haus an der Bornstraße beheimatet. Zuvor hat sie Modedesign in London und Düsseldorf studiert. International wie ihre Arbeitsweise ist auch ihre Vita.
Geboren in Dortmund und aufgewachsen in London, wohnen Teile ihrer Familie in Paris, wie ihr Nachname vermuten läßt. Und weil sie ein Familienmensch ist, ist sie nach Dortmund zurückgekehrt. „Hier kann man als Modedesignerin genauso gut arbeiten wie in Düsseldorf“, sagt sie.
Ein Grund dafür ist, dass man heutzutage über das Internet jederzeit mit der ganzen Welt in Verbindung treten kann.
Die Inspiration für ihre Kunst sammelt sie in allen Kulturkreisen. Deswegen fühlt sich in der Nordstadt wohl. „Ich mag die Internationalität hier“, sagt Diana Jean-Pierre.
Atelier 21 in der Zimmerstraße: Hinterhof-Idylle in einer alten Schreinerei
In der Zimmerstraße, einer schmucklosen und tristen Seitenstraße der Münsterstraße, befindet sich im Hinterhof des Hauses Nr. 21 ein wahres Kleinod. Die ehemalige Schreinerwerkstatt gehört zu den vielen Überraschungen, die die Nordstadt dem postmodernen Flaneur an diesem Tage bietet.
Fast schon klischeehaft mutet der Gebäudekomplex mit seinem pittoresken Hof an. Hier kann nur Kunst entstehen! Neun Künstlerinnen und Künstler arbeiten hier auf drei Ebenen. Im Erdgeschoss in dem Seitentrakt findet sich schweres Metall.
Hier arbeitet Stahlkünstler Marcus Schröder. Fotografie Grafik, Malerei, Zeichnung, Textilkunst und Musik sind hier ebenfalls zu finden. Seit Anfang des Jahrhunderts nutzen die Mitglieder der Ateliergemeinschaft den charmanten Ort im Hinterhof.
Grafikerin und Textbildnerin Marika Bergmann, seit 2012 im Haus, weiß zu berichten, dass man zu Beginn die Miete noch mit Bildern bezahlt hat. Das ist angesichts des Flairs, den der Hinterhof verbreitet, durchaus glaubwürdig.