Der siebte Verhandlungstag im Fall Mouhamed Lamine Dramé:

Weitere Polizeikräfte sagen vor Gericht aus – ein Zeuge macht widersprüchliche Angaben

Fünf der am Einsatz beteiligten Polizist:innen müssen sich vor Gericht verantworten. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Am siebten Prozesstag im Fall des von der Polizei erschossenen Mouhamed Lamine Dramé waren erneut Polizist:innen als Zeugen vor dem Dortmunder Landgericht geladen. Teilweise kam es dabei zu Ungereimtheiten im Vergleich zu älteren Aussagen der Beamt:innen. Die Nebenklage zeigte sich empört.

Polizist im Zeugenstand: Mouhamed Dramé nicht von Pfefferspray getroffen worden

Der erste Zeuge, ein uniformierter Polizeibeamter, war am Tattag mit dem ebenfalls angeklagten Einsatzleiter auf einem Streifenwagen eingesetzt. Nach seiner Wahrnehmung seien die Beiden die ersten eintreffenden Kräfte am Einsatzort gewesen, wie er der Kammer am Dortmunder Landgericht beschrieb. Die Einsatzbesprechung will er nicht vollständig mitbekommen haben, allerdings sei sein wegen Totschlags angeklagter Kollege als sogenannter Sicherungsschütze eingeteilt worden. Der Einsatzleiter habe zudem zivile Kräfte nachbeordert, um die Lage vor Ort zu erkunden.

Zivilkräfte hätten sodann auf Spanisch auf den 16-jährigen Mouhamed Dramé eingeredet, wobei er vermutlich leicht den Kopf gehoben habe, so der Zeuge. Zwischen dem Zivilpolizisten und Dramé betrug der Abstand nur rund zwei bis drei Meter, was aus der Sicht des Zeugen ein erhebliches Risiko darstellte. Auch die rechte Hand des 16-Jährigen, die Hand in der das Messer gewesen sein soll, soll mehrmals gezuckt haben.

Der Zivilbeamte entfernte sich vom unmittelbaren Geschehen, woraufhin – nach klarer Aufforderung des Einsatzleiters – durch den Zaun Pfefferspray eingesetzt wurde. Allerdings nicht mit dem erhofften Erfolg: Das Sprühgerät habe mehr Niesel als Strahl ausgegeben, auch deshalb sei er fest davon überzeugt, dass Dramé davon nicht getroffen wurde. Dies widerspricht den Aussagen anderen Zeug:innen, die gesehen haben wollen, dass der Jugendliche sich nach dem Reizgas-Einsatz über den Kopf und durch das Gesicht wischte.

Widersprüchliche Aussagen des Polizeibeamten vor dem Landgericht Dortmund

Lisa Grüter (links) mit den Brüder von Mouhamed Dramé (2. und 4. v. li.) Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Nach Einsatz des Pfeffersprays soll Mouhamed Dramé aufgesprungen und auf die Beamt:innen zu gerannt sein. Das Messer solle er dabei mit der Spitze nach unten gehalten haben. Das ist widersprüchlich zu seiner Aussage kurz nach der Tat: In der damaligen Vernehmung wolle der Polizist keine Messerhaltung erkannt haben.

„Es kann auch durchaus sein, dass Erinnerungen sich im Laufe der Zeit durch Kenntnisse, die man auf anderem Wege erlangt hat, überschreiben und zu Pseudo-Erinnerungen werden“, erklärt Lisa Grüter, Anwältin der Familie Dramé.

Das es sich um einen Polizeieinsatz handelte, soll Dramé aus Sicht des befragten Beamten mitbekommen haben. Die Funksprüche seien über den ganzen Hof wahrnehmbar und auch die Uniformen seien klar ersichtlich gewesen. Trotzdem glaube er nicht, dass während des Einsatzgeschehens „Polizei“ gerufen wurde. Die Zivilkräfte seien nicht klar als Polizist:innen erkennbar gewesen.

Unmittelbar nach dem Pfefferspray-Einsatz hätten Beamt:innen „Messer weg“ gerufen und anschließend von ihrem Taser, auch DEIG (Distanzelektroimpulsgerät) genannt, Gebrauch gemacht. Eine Aufforderung des Einsatzleiters habe der Zeuge dazu nicht vernommen, allerdings gehöre dieser zur Standartausstattung, der benutzt werde, sobald sich ein:e Beamt:in bedroht fühle.

Nach Taser-Einsatz: Griff nach dem Messer oder Schmerzreaktion?

Ebenso wie beim Pfefferspray habe auch die zweimalige Anwendung des Tasers keine Wirkung gezeigt. Normalerweise beginne der Körper dann zu krampfen, berichtet der Polizist aus eigener Erfahrung. Er habe daraufhin seine Dienstwaffe ziehen wollen. Wäre der mutmaßliche Todesschütze ihm nicht zuvorgekommen, „hätte ich geschossen.“ Der Angeklagte habe kontrolliert geschossen, „wie man das in der Ausbildung lernt.“ Ein Gefühl, wieviel Zeit zwischen Taser- und Schussabgabe vergangen sei, habe er nicht.

Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Mouhamed Dramé sei dann mittig eines wenige Meter weiter geparkten PKWs zusammengesackt, wobei er noch versucht haben soll, sich am Fahrzeug abzustützen. Der Polizist sagte aus, dass Dramé sich mit dem Arm hochdrücken wollte, der angeklagte Einsatzleiter habe ihn dann mit seinem Fuß auf den Boden gedrückt, weil das mitgeführte Messer zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden worden sei.

Dramé versuchte anscheinend, sich unter seinen Bauch zu greifen, die Beamt:innen werteten dass nach einem Griff nach dem besagten Messer. Lisa Grüter gibt jedoch zu bedenken, dass es sich auch um eine Schmerzreaktion durch Schusswunden in Bauch und Penis handeln könne. Er sei wenige Meter gezogen, mit Handschellen fixiert und anschließend mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden. Zwei Polizist:innen hätten ihn dabei begleitet.

Zweite Zeugin: Sekunden nach Schussabgabe „tumultartig“

Als zweite Zeugin war am neunten Verhandlungstag die Leiterin des zivilen Einsatztrupps geladen. Mitglieder ihrer Einheit, die bereits in der letzten Woche ausgesagt haben, hätten von ihr die Anweisung erhalten, zum Tatort zu fahren. Kurze Zeit später sei sie mit einem Kollegen nachgerückt.

Anwalt Christoph Krekeler mit dem mutmaßlichen Todesschützen. Karsten Wickern | Nordstadtblogger

Zum Einsatzgeschehen konnte die Polizistin wenig sagen. So sei Mouhamed Dramé weder in ihrem Blickfeld gewesen, noch hätte sie die Einsatzbesprechung gehört. Um weitere Informationen zu erhalten, sprach sie mit Mitarbeitenden der Einrichtung, die aufgrund der kurzen Betreuungszeit nur wenige Erkenntnisse über den Jugendlichen liefern konnten, so die Zeugin.

Sie nahm mindestens fünf Knallgeräusche unmittelbar nacheinander wahr. Die folgenden Sekunden seien „tumultartig“ gewesen. Der Einsatzleiter habe zeitgleich bzw. kurz nach den Knallgeräuschen auf Englisch aufgefordert, das Messer weg zu legen. Sie sei nicht zu Dramé gelaufen, sondern habe nach dem Messer gesucht, das sei wenig später durch eine Kollegin unter dem Opfer gefunden und sichergestellt worden.

Anzeige gegen Mouhamed Dramé – nachdem der Jugendliche bereits verstorben war?

Am Tattag habe die Zeugin um 18.22 Uhr – wenige Stunden nach der Alarmierung – eine Anzeige wegen Bedrohung gegen Dramé gefertigt. Diese soll anhand des Einsatzprotokolls gefertigt und mit den zuständigen Kolleg:innen aus Recklinghausen abgesprochen gewesen sein, wie die Polizistin im Zeugenstand betont. Festgehalten wurden darin unter anderem, dass das Opfer oberkörperfrei gewesen sein soll.

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Ob Mouhamed Dramé zum Zeitpunkt der Erstellung bereits verstorben war, konnte die Zeugin nicht klar beantworten. Etwa eine Stunde nach Ankunft auf der Wache Nord habe sie die Todesmeldung erhalten.

„Ich wüsste nicht, dass man einen allgemeinen Grundsatz herleiten kann, dass man gegen erschossene Personen zwingend ein Strafverfahren einleiten müsste. Klar ist natürlich, dass der Sachverhalt rechtlich im Nachhinein durch andere Personen, nämlich durch die Staatsanwaltschaft, gewürdigt wird, aber das zwingt einen nicht dazu ein Ermittlungsverfahren gegen Personen einzuleiten“, erklärte Lisa Grüter.

Mit dem Einsatzleiter habe es auf der Wache noch Kontakt gegeben, allerdings sei es da nicht um die Wahrnehmung gegangen, sondern um die Dokumentierung der verwendeten Einsatzmittel der verschiedenen Beamt:innen. Auch die allgemeine Befindlichkeit nach dem Einsatz sei Thema gewesen.

Dramé-Anwältin Grüter: Neutralitätsgebot scheint durchweg nicht der Fall gewesen zu sein

Kritik am Neutralitätsverständnis kam von Anwältin Lisa Grüter. Der erste Zeuge wurde nach der Tat im Polizeipräsidium vernommen, die Zweite in der Wache Nord. Und auch die Anzeige wurde von einer Polizistin aus Dortmund gefertigt, ehe die Kolleg:innen der Mordkommission Recklinghausen übernommen haben.

Laut Grüter hätte die Anzeige sofort von der Polizeibehörde aus Recklinghausen geschrieben werden müssen: „Das wäre eine gute Idee gewesen, wenn man das mit der Neutralität ernst nehmen wollte, aber das scheint durchweg nicht der Fall gewesen zu sein.“


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Reader Comments

  1. Tobias

    Danke das ihr so ausführlich darüber berichtet, gewisse andere Dortmunder Medien verstecken ja alles hinter Bezahlschranke.

    Sobald ich die Kohle über habe gibt es Unterstützung.

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