Die Hochwasser-Lage hat sich entspannt, doch die Regenfluten zum Jahreswechsel haben einmal mehr deutlich gemacht: Die Folgen des Klimawandels mit einer Zunahme von Extremwetter sind in der Region angekommen. Ein Konzept, um Schäden von Dauer- und Starkregen abzumildern, ist die Schwammstadt. Den Umbau von Infrastruktur nach diesem Prinzip setzt die Zukunftsinitiative Klima.Werk von Emschergenossenschaft/Lippeverband und Kommunen um.
Zu viel Versiegelung – die Region muss saugfähig werden
Wenn es regnet, trifft der Niederschlag in den Städten der Emscher-Lippe-Region auf viele versiegelte Flächen und kann dort nicht versickern. Häufig funktioniert die Entwässerung noch so, wie es viele Jahrzehnte Standard war.
Das Regenwasser wird von Haus- und Grundstücksflächen, Straßen und Parkplätzen auf möglichst direktem Weg in die Kanalisation abgeleitet. Diese Bewirtschaftung hat Nachteile, denn zum einen fließt so sauberes Regenwasser zusammen mit Abwasser zu den Kläranlagen, wird unnötig gereinigt und fehlt zur Bewässerung und Kühlung in den Städten.
Hinzu kommt: Im Falle von Dauer- oder Starkregen ist die Kanalisation überlastet, die großen Niederschlagsmengen haben keinen Platz, können nicht versickern, Überflutungen drohen.
Stadtplanung und Wasserwirtschaft zusammen denken
„Wir müssen unsere Infrastrukturen anpassen, mehr Aufnahmekapazitäten, Speicher- und Rückhaltemöglichkeiten für Regenwasser in den Wohnquartieren schaffen, denn häufigeres Extremwetter ist eine unumkehrbare Folge des Klimawandels“, sagt Prof. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband.
Diesen Umbau der Region auf öffentlichen und privaten Flächen betreiben die Wasserwirtschaftsverbände zusammen mit Kommunen in der Zukunftsinitiative Klima.Werk.
„Dabei denken wir Stadtplanung und Wasserwirtschaft zusammen“, erklärt Andreas Giga, Leiter der Serviceorganisation des Klima.Werk. „Um Überflutungsschutz zu gewährleisten und weitere Folgen des Klimawandels wie Dürre und Hitze abzumildern. Mehr Grün und mehr Wasser in der Stadt bedeutet für Bürgerinnen und Bürger mehr Sicherheit, aber auch mehr Lebensqualität.“
Naturnahe Regenwasserbewirtschaftung bringt mehr Lebensqualität
Das Schwammstadt-Prinzip muss oberste Leitlinie in der Stadtplanung werden, fordern Uli Paetzel und Andreas Giga. Es ist einer von mehreren Bausteinen, um die Region klimarobust umzugestalten und Hochwasserschutz zu gewährleisten.
Beim wasserbewussten Stadtumbau nach dem Schwammstadt-Konzept ist die Rolle des Regewassers zentral. Es soll nicht mehr zusammen mit Schmutzwasser aus Haushalten oder von anderen Flächen in die Kanalisation und zur Kläranlage abgeleitet werden, sondern vor Ort gespeichert, aufgefangen oder versickert werden.
Diese naturnahe Regenwasserbewirtschaftung stärkt den natürlichen Wasserkreislauf und damit zum Beispiel Grundwasser oder Gewässer. Sie führt aber auch dazu, das Regenwasser verdunsten kann und so die Lufttemperatur kühlt oder zur Bewässerung von Pflanzen zur Verfügung steht.
Saugfähige Infrastruktur: Speichern, entsiegeln, abkoppeln
Je mehr Speicherkapazitäten und Ablaufflächen es für Niederschlag gibt, desto geringer ist auch das Gefährdungspotenzial von Stark- oder Dauerregen. Je mehr Grün und damit Verdunstungsflächen es gibt, desto besser funktionieren Kühlung und Frischluftzufuhr.
Verschiedene bauliche Veränderungen sind notwendig, um städtische und private Infrastruktur saugfähig zu machen:
Dach- und Fassadenbegrünungen, die Abkopplung der Niederschlags-Entwässerung von der Kanalisation, die Entsiegelung von Flächen, der Bau von unterirdischen Speichern (Rigolen), das Anlegen von Versickerungsmulden oder multifunktionalen Flächen.
Letztere sind so gestaltet, dass sie im Ernstfall überflutet werden können, ohne das größere Schäden entstehen, und Regenwasser aufnehmen können.
Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips seit fast 20 Jahren
Für solche Bauten gibt es in der Emscher-Lippe-Region viele Beispiele, seit fast 20 Jahren setzt die Emschergenossenschaft gemeinsam mit ihren Partner-Kommunen in der „Zukunftsvereinbarung Regenwasser“ oder der Zukunftsinitiative Klima.Werk das Schwammstadt-Prinzip um, im Lippeverbandsgebiet machen ebenfalls zunehmend Kommunen mit.
Ein Parkplatz in Herne, unter dem Speicher für Regenwasser verbaut sind. Schulhöfe, auf denen Versickerungsmöglichkeiten und Ableitungen in Gewässer geschaffen worden sind.
Eine multifunktionale Fläche wie die Freizeitanlage Hausacker in Bochum, die Regenwasser speichern und aufnehmen kann, begrünte Dächer in Oberhausen oder Essen, Siedlungen in Dorsten oder Holzwickede, die von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt sind:
Auf der Webseite klima-werk.de findet sich ein Ausschnitt der Projekte, die alle zusammen als kleine Bausteine die Region klimaresilient machen.
Alle müssen mitmachen: „Zukunftsvereinbarung Regenwasser“ bietet Fördermöglichkeiten
„Wir sind noch lange nicht am Ziel“, betont Uli Paetzel, „der Umbau von Bestandsflächen und -strukturen nach dem Schwammstadt-Prinzip ist eine aufwändige und teure Aufgabe für die Region. Dafür braucht es die Unterstützung und das Mitmachen von allen: Land, Kommunen, Politik, Wasserwirtschaft, aber auch von Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern.“
Die Zukunftsinitiative Klima.Werk kann für die Umsetzung sowohl Kommunen als auch Privaten Fördergelder zur Verfügung stellen: Über den Topf der „Zukunftsvereinbarung Regenwasser“ (ZVR) oder das Landesprogramm „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ (KRiS). Bis 2030 können allein über letzteres rund 250 Millionen Euro in den Umbau investiert werden.
„Es gilt, den Hochwasserschutz weiter zu stärken“, bekräftigt Dr. Frank Obenaus, Vorstand für Wassermanagement und Technik bei EGLV. Das nächste Extremwetter kommt mit Sicherheit – und damit einhergehend auch wieder steigende Wasserstände.
„Emscher-Auen“: Größtes Rückhaltebecken des EGLV
Mehr als fünf Millionen Kubikmeter an zusätzlichem Retentionsraum entstanden bereits zur Optimierung des Hochwasserschutzes im Emscher-Gebiet während des Emscher-Umbaus zwischen 1992 und 2021.
Vor allem am Oberlauf der Emscher entfalteten in den vergangenen Wochen die zahlreichen während des Emscher-Umbaus gebauten Hochwasserschutzanlagen ihre Wirkung und milderten die Folgen des Niederschlags im Gewässerbereich deutlich ab.
Allein im Raum Dortmund hatte die Emschergenossenschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten zahlreiche Hochwasserrückhaltebecken erstellt.
„Das Prinzip dabei ist ganz einfach: Wird die Hochwasserwelle an geeigneter Stelle zurückgehalten, steht weniger Wasser für die Überflutung vulnerabler Bereiche zur Verfügung – Schäden können gemindert oder gar ganz verhindert werden“, erklärt Obenaus.
An der Emscher sind bereits Bauarbeiten angelaufen, die seit längerer Zeit geplant waren: An der Stadtgrenze Castrop-Rauxel/Dortmund unterhält die Emschergenossenschaft das mit aktuell noch 900.000 Kubikmetern Fassungsvolumen größte Hochwasserrückhaltebecken des öffentlich-rechtlichen Wasserwirtschaftsverbandes – es ist sogar noch größer als der Phoenix See in Dortmund-Hörde (maximal 840.000 Kubikmeter).
Rückhalteraum für den Inhalt von sieben Millionen Badewannen
Nach der Beseitigung der Trenndämme, die seit der Befreiung der Emscher vom Abwasser nicht mehr benötigt werden, bestehen die sogenannten „Emscher-Auen“ ab spätestens Mitte 2025 aus einem einzigen Becken. Das Fassungsvolumen wird im Endausbauzustand ganze 1,1 Millionen Kubikmeter betragen.
Konkret entspricht das dem Inhalt von sieben Millionen Badewannen, die im Extremwetterfall in den Emscher-Auen zurückgehalten werden können – ein wichtiger Baustein für die weitere Verbesserung des Hochwasserschutzes an der Emscher und bedeutend für alle unterhalb an der Emscher gelegenen Städte wie Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herten, Herne, Gelsenkirchen, Essen, Bottrop, Oberhausen und Dinslaken. In Zeiten des fortschreitenden Klimawandels und zunehmender Extremwetterereignisse liefert diese Maßnahme einen wesentlichen Beitrag zur Klima-Resilienz der Region.
Notpolder und Deichausbauprogramm
Ergänzend zu der Schaffung rein wasserwirtschaftlich genutzter Retentionsräume ist die Ausweitung und Benennung von Flächen, die im Notfall geflutet werden können, von enormer Bedeutung.
Bei diesen Notpoldern handelt es sich um anders genutzte Flächen, z.B. landwirtschaftliche Äcker oder Bolzplätze, die nur im Notfall – daher der Begriff Notpolder – gezielt geflutet werden können, um vulnerablere Bereiche wie z.B. Wohnbebauung, Kritische Infrastruktur, Kindergärten oder Pflege- und Altenheime zu schützen.
Potenzielle Flächen haben die Verbände bereits identifiziert. Die Eigentümer, u.a. die Landwirtschaft, haben jedoch meist andere Pläne für diese Flächen, so dass bzgl. der Flächenverfügbarkeit ein Interessenskonflikt zu lösen ist.
Darüber hinaus machen sich Emschergenossenschaft und Lippeverband für ein umfassendes Deichausbauprogramm stark, ausgerichtet an den prognostizierten Anforderungen durch den Klimawandel. Für die Deichsanierung müssten seitens der Politik deutlich mehr finanzielle Mittel als bisher bereitgestellt werden.
Jeder in die Deichsanierung investierte Euro vermeidet deutlich höhere Schäden in den durch die Deiche geschützten Gebieten. Zudem müssen die aktuell sehr langen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich verschlankt werden, um Deichsanierungen flächendeckend vorantreiben zu können.
Weitere Informationen:
Hintergrund: Die Zukunftsinitiative Klima.Werk
In der Zukunftsinitiative Klima.Werk arbeiten Emschergenossenschaft und Lippeverband gemeinsam mit Städten der Emscher-Lippe-Region an einer wasserbewussten Stadt- und Raumentwicklung, um die Folgen des Klimawandels abzumildern und die Lebensqualität in den Quartieren zu steigern.
Der grün-blaue Umbau startete 2005 mit der Zukunftsvereinbarung Regenwasser (ZVR) von Emschergenossenschaft, Emscher-Kommunen und dem Land NRW und entwickelte sich 2014 zur Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ weiter, jetzt Zukunftsinitiative Klima.Werk.
Unter dem Dach des Klima.Werks wird das Ruhrkonferenz-Projekt „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ des Landes Nordrhein-Westfalen umgesetzt, an dem sich seit 2020 alle Wasserverbände der Region beteiligen.
Die Förderkulisse des Projekts umfasst das Gebiet des Regionalverbandes Ruhr (53 Städte und Gemeinden). In den klimafesten Wandel sollen bis 2030 rund 250 Millionen Euro investiert und in ausgewiesenen Gebieten 25 Prozent der befestigten Flächen abgekoppelt und die Verdunstungsrate um 10 Prozentpunkte gesteigert werden.
Die Serviceorganisation der Zukunftsinitiative bei Emschergenossenschaft und Lippeverband setzt mit den Städten die Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung um. Weitere Informationen (auch zu Förderung von Projekten) auf www.klima-werk.de.