2023 war das nasseste Jahr an Emscher und Lippe seit 1931

Lehre aus Hochwasser: „Schwammstadt-Prinzip“ muss oberste Leitlinie der Stadtplanung werden

So breit ist die Lippe bei Lünen (Aufnahme vom 28. Dezember 2023) normalerweise nicht...
So breit ist die Lippe bei Lünen (Aufnahme vom 28. Dezember 2023) normalerweise nicht… Foto: Andreas Fritsche

Emscher-Lippe-Region. Insgesamt betrachtet belegt das Kalenderjahr 2023 sowohl im Lippe-Gebiet als auch im Emscher-Gebiet Platz 1 der nassesten Jahre ab 1931! Die teils andauernden Niederschläge haben in den Verbandsgebieten von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) zu hohen Wasserständen in den Flüssen und Bächen geführt. Die Teams der beiden Verbände waren daher auch über die Feiertage im Einsatz – und sind es teilweise immer noch.

Es werden dringend mehr Flächen für Notpolder und Rückhalteräume benötigt

„Die aktuelle Niederschlags- und Hochwasserlage bestätigt unsere bereits vielfach geäußerte Prognose, dass wir in Folge des Klimawandels immer häufiger Regenereignisse erleben werden, deren Folgen wir heute kaum einschätzen können. Wir sehen uns darin bestätigt, dass wir bereits nach dem Juli-Hochwasser 2021 frühzeitig Planungen zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes an Emscher und Lippe begonnen haben und weiter fortführen müssen“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV).

„Um unsere Region klimarobust zu gestalten, benötigen wir jedoch dringend mehr Flächen für Notpolder und Rückhalteräume. Die Flächenverfügbarkeit ist aber nach wie vor ein Problem und muss in der nachfolgenden Debatte zur aktuellen Hochwasserlage dringend diskutiert werden. Das Prinzip der „Schwammstadt“ muss zudem oberste Leitlinie der Stadtplanung werden, wenn wir in Zukunft für die Folgen des Klimawandels gewappnet sein wollen“, so Paetzel.

Anpassung an Folgen des Klimawandels hat an Emscher und Lippe bereits begonnen

„An Emscher und Lippe hat die Anpassung an die Folgen des Klimawandels bereits begonnen – und sie hält weiter an: Die klimawandelbedingte Zunahme von Extremwetterereignissen erfordert die Notwendigkeit weiterer Planungen für zahlreiche Maßnahmen in den kommenden Jahren“, sagt Dr. Frank Obenaus, Technischer Vorstand der Emschergenossenschaft.

Die Emschergenossenschaft ist aktuell dabei, den geplanten Endzustand des Hochwasserrückhaltebeckens „Emscher-Auen“ herzustellen. Foto: Rupert Oberhäuser/EGLV

Mehr als fünf Millionen Kubikmeter an zusätzlichem Retentionsraum entstanden zur Optimierung des Hochwasserschutzes im Emscher-Gebiet während des Emscher-Umbaus zwischen 1992 und 2021. Vor allem am Oberlauf der Emscher entfalteten ganz aktuell die zahlreichen während des Emscher-Umbaus gebauten Hochwasserschutzanlagen ihre Wirkung und milderten die Folgen des Niederschlags im Gewässerbereich deutlich ab. Allein im Raum Dortmund hatte die Emschergenossenschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten zahlreiche Hochwasserrückhaltebecken erstellt.

An der Lippe wurden seit 2016 die Deiche im Bereich Haltern-Lippramsdorf und Marl zurückverlegt und neugebaut, der Fluss hat künftig deutlich mehr Raum zur Entfaltung. Auch bei Datteln und Olfen wurde der Flussverlauf der Lippe in den vergangenen Jahren auf sechs Kilometern Länge naturnah umgestaltet. Im Hochwasserfall bieten sich dem Fluss nun natürliche Überflutungsflächen, zudem wurde die Fließgeschwindigkeit der Lippe durch die Maßnahme verringert – was einen reißenden Strom nach größeren Niederschlägen unterbindet.

Auch beim Bau des Erlebensraumes Lippeauen in Hamm wurden Deiche zurückversetzt und Auenflächen geschaffen, was neben der Förderung der Artenvielfalt auch der Verbesserung des Hochwasserschutzes dient.

Lehren aus dem Juli-Hochwasser 2021 gezogen

Unmittelbar nach dem Juli-Hochwasser 2021 hatten Emschergenossenschaft und Lippeverband weitere Planungen erarbeitet, um zusätzliche Optimierungen des Hochwasserschutzes in der Region zu gewährleisten. Die in der „Roadmap Krisenhochwasser“ zusammengefassten Maßnahmen sehen die Schaffung zusätzlicher Retentionsräume sowie Deicherhöhungen vor: Werden Hochwasserwellen an geeigneter Stelle zurückgehalten, steht weniger Wasser für die Überflutung vulnerabler Bereiche zur Verfügung – Schäden können gemindert oder gar ganz verhindert werden.

Bauarbeiten in den Emscher-Auen. Foto: Rupert Oberhäuser/EGLV

Im Rahmen ihres Deichertüchtigungsprogramms wird die Emschergenossenschaft im Zuge der in den kommenden Jahren anstehenden Baumaßnahmen die Deiche um einen Klimafolgenzuschlag von 20 cm erhöhen. Bereits ausgebaut wurde das Pegel-Messnetz und die Hochwasservorhersage. Auf politischer Ebene setzen sich EGLV darüber hinaus für beschleunigte Genehmigungsverfahren ein, vor allem bei sogenannten No-Regret-Maßnahmen, die in jedem Fall Vorteile bringen.

Das Schwammstadt-Prinzip setzt die Emschergenossenschaft gemeinsam mit ihren Partner-Kommunen bereits seit fast 20 Jahren im Rahmen von Kooperationen wie der „Zukunftsvereinbarung Regenwasser“ oder der „Zukunftsinitiative Klima.Werk“ um. Zahlreiche Projekte zur Regenwasserabkopplung wurden bereits im gesamten Emscher-Gebiet umgesetzt. Das Prinzip dabei: Der Regen soll möglichst dort versickern bzw. verdunsten, wo er fällt. Kanalisationen und Kläranlagen werden dadurch entlastet, während die Grundwasserneubildung gefördert und Dürreperioden in heißen Sommermonaten vorgebeugt wird.

Die Regenwasserrückhaltung in sogenannten Notpolderflächen kann zudem Flüsse und Bäche sowohl bei Starkregen als auch bei anhaltenden Niederschlägen entlasten und Hochwasserwelle deutlich abmildern. Ein Problem hierbei ist jedoch nach wie vor die schwierige Verfügbarkeit von benötigten Flächen.

Das ist die Niederschlagsbilanz für Dezember und für 2023

Der Dezember 2023 setzte die Folge der zu nassen Monate deutlich fort. Im vergangenen Monat fielen im Schnitt im Emscher-Gebiet 155,8 mm Niederschlag. Damit ist der Dezember auf Platz 4 der nassesten Dezember ab 1931 und lag mehr als doppelt so hoch wie das 130-jährige Mittel von 73 mm. Im Lippe-Gebiet sind im Gebietsmittel 148,9 mm gefallen. Damit liegt der Dezember 2023 auch dort auf Platz 4 der nassesten ab 1931 und auch mehr als doppelt so hoch wie das 130-jährige Mittel von 68 mm. Lediglich sieben von 31 Tagen waren im Dezember niederschlagsfrei.

Seenlandschaft statt DJ-Picknick: Die Eröffnung der Summersounds fällt aus.
Seenlandschaft statt DJ-Picknick: Die Eröffnung der Summersounds 2023 fiel ins Wasser. Foto: Grünflächenamt der Stadt Dortmund

Das Kalenderjahr 2023 insgesamt schafft es sowohl im Lippe-Gebiet als auch im Emscher-Gebiet auf Platz 1 der nassesten Jahre ab 1931. Im Lippe-Gebiet fielen im vergangenen Kalenderjahr im Gebietsmittel 1130 mm. Das 130-jährige Mittel liegt bei 766 mm. Das sind 71 mm mehr als beim bisherigen Platz 1 von 1059 mm im Jahr 1965.

Im Emscher-Gebiet waren es 1175 mm im Gebietsmittel. Das 130-jährige Mittel liegt bei 799 mm.  Das sind 103 mm mehr als beim bisherigen Platz 1 von 1072 mm im Jahr 1966. Damit beendet das Kalenderjahr 2023 die fünfjährige Serie der zu trockenen Kalenderjahre von 2018 bis 2022.

Im Lippe-Gebiet lagen alle Monate über oder genau auf dem 130-jährigen Mittel. Acht Monate lagen deutlich drüber. Fünf Monate erreichten einen Monatsniederschlag über 100 mm. Der größte Monatsniederschlag des Kalenderjahres 2023 wurde im Dezember mit knapp 149 mm erreicht.

Neun von zwölf Monaten in 2023 lagen im Emscher-Gebiet über dem 130-jährigen Mittel – sieben davon deutlich. Drei Monate lagen knapp unter dem 130-jährigen Mittel. Sechs Monate erreichten einen Monatsniederschlag über 100 mm. Der größte Monatsniederschlag des Kalenderjahres wurde im Dezember mit zirka 156 mm erreicht.

Hochwassereinsatz bei EGLV seit dem 23. Dezember

Der Hochwassereinsatz bei EGLV begann mit dem Erreichen der ersten Hochwassermarke in Dorsten am 23.12., während im östlichen Lippe-Gebiet am 24.12. die Hochwasser-Einsatzschwellen erreicht wurden. An den meisten Pegeln wurde der Scheitel am 27.12. aufgezeichnet.

Bezirkshochwasserzentralen richteten Emschergenossenschaft und Lippeverband an der Östlichen Lippe (Lünen), der Westlichen Lippe (Dorsten) und an der Westlichen Emscher (Dinslaken) ein – die an der Westlichen Lippe ist aufgrund der hohen Pegelstände immer noch besetzt und im Einsatz. Kurzzeitig wurde am 1. und 2. Weihnachtstag auch die übergeordnete Hochwasserzentrale in Essen einberufen.

Lagebesprechungen finden täglich statt, teilweise mehrfach am Tag. Während die Hydrolog*innen die Niederschlagssituation und die Entwicklung der Pegelstände permanent im Blick haben, kontrollieren die Betriebskolleg*innen vor Ort rund um die Uhr die Hochwasserschutzanlagen und beobachten die Gewässer genauestens, vor allem die Deichstrecken.

Mehr Informationen:

  • Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) sind öffentlich-rechtliche Wasserwirtschaftsunternehmen, die als Leitidee des eigenen Handelns das Genossenschaftsprinzip leben.
  • Die Aufgaben der 1899 gegründeten Emschergenossenschaft sind unter anderem die Unterhaltung der Emscher, die Abwasserentsorgung und -reinigung sowie der Hochwasserschutz.
  • Der 1926 gegründete Lippeverband bewirtschaftet das Flusseinzugsgebiet der Lippe im nördlichen Ruhrgebiet und baute unter anderem den Lippe-Zufluss Seseke naturnah um.
  • Gemeinsam haben Emschergenossenschaft und Lippeverband rund 1.700 Beschäftigte und sind Deutschlands größter Abwasserentsorger und Betreiber von Kläranlagen und Pumpwerken (rund 782 Kilometer Wasserläufe, rund 1533 Kilometer Abwasserkanäle, 546 Pumpwerke und 69 Kläranlagen).
  • eglv.de
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  1. SPD-Ratsfraktion setzt sich für mehr Hochwasserschutz in Dortmund ein (PM)

    „Die Starkregenereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, wie wichtig ein gut funktionierender Hochwasserschutz ist. Da die Häufigkeit und das Ausmaß der Starkregenereignisse durch den Klimawandel weiter zunehmen werden, wollen wir als SPD-Ratsfraktion, dass in den einzelnen Dortmunder Ortsteilen weitere Hochwasserrückhaltebecken geplant und errichtet werden“, erklärt die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Ratsfraktion Dortmund, Veronika Rudolf.

    Daher hat der Planungsausschuss auf Antrag der SPD-Ratsfraktion die Verwaltung beauftragt zu prüfen, wo in den Dortmunder Ortsteilen, in denen Gefahren durch Hochwasser bestehen, weitere Hochwasserrückhaltebecken realisiert werden können. Zudem wurde die Verwaltung gebeten, bei der Zusammenarbeit mit Emschergenossenschaft und Lippeverband im Bereich des Hochwasserschutzes bei der Planung verstärkt die Entsiegelung von Flächen in den Fokus zu nehmen.

    „Die strategische Planung und Realisierung zusätzlicher Hochwasserschutzanlagen sind wichtige Bausteine des vorbeugenden Hochwasserschutzes“, erklärt Veronika Rudolf abschließend.

  2. CrowdWater-App: Bürger*innen sammeln Daten für die Forschung – Emschergenossenschaft und Lippeverband stärken Gewässer gegen die Folgen des Klimawandels (PM)

    Emscher-Lippe-Gebiet. Der Klimawandel macht den Gewässern im Emscher-Lippe-Gebiet zu schaffen. Langanhaltende Dürrephasen wechseln sich mit Starkregenereignissen ab. Diese Wetterextreme haben deutlich sichtbare Auswirkungen auf die Bäche und Flüsse der Region. Um diese Auswirkungen noch besser dokumentieren und wissenschaftlich untersuchen zu können, setzen Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) nun auch auf die Mithilfe der Bürgerinnen und Bürger. Mittels ihrer Smartphones und der App „CrowdWater“ können sie nun Pegelstände von Gewässern melden.

    Fünf Sommer in Folge fiel in der Emscher-Lippe-Region zu wenig Regen. Der Mangel an Wasser ließ den Grundwasserspiegel sinken und kleinere Nebengewässer austrocknen. Viele Bürgerinnen und Bürger riefen in diesen Sommern bei Emschergenossenschaft und Lippeverband an, weil sie sich Sorgen um die Bäche vor ihrer Haustür machten. 2023 dann der Umschwung: Im nassesten Jahr seit 1931 ließen starke Niederschläge kleine Bäche zu reißenden Strömen werden. Diese wechselnden Extreme haben nicht nur Auswirkungen auf die Natur, sondern auch für den Menschen. Hochwasser kann Schäden an Wegen, Brücken und Gebäuden verursachen. Ein Mangel an Wasser kann zu Problemen in der Trinkwasserversorgung, bei der Bewässerung von Äckern oder der industriellen Nutzung führen.

    Die Bürger*innen beobachten die Veränderungen des Wasserstandes bei Spaziergängen oder auf dem Weg zur Arbeit. Was den meisten dabei nicht klar ist: Diese alltäglichen Beobachtungen können wertvolle Daten sein. Daten, über welche die Forscher*innen bei EGLV Erkenntnisse über den Zustand der Gewässer und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Region erlangen. Deshalb rufen die beiden Wasserwirtschaftsverbände Menschen in der Region auf, mittels der von der Universität Zürich entwickelten CrowdWater-App, trockengefallene Bäche oder Veränderungen des Wasserstandes zu melden. Die Daten der Bürger*innen ergänzen die durch die EGLV-eigenen Pegelstationen erfassten Messdaten – besonders an den kleineren Zuflüssen zur Emscher und der Lippe, die häufig über ein weniger dichtes Pegelnetz verfügen.

    Die gesammelten Daten werden zum Beispiel verwendet zur Modellierung von Hochwasser- und Trockenheitsvorhersagen oder für Forschungsprojekte zu Anpassungen an den Klimawandel und zu Auswirkungen von Renaturierungen genutzt. Durch die aktive Teilhabe werden so aus Bürger*innen neue „Forscher-Kolleg*innen“. Zur deren Unterstützung bieten die Expert*innen von Emschergenossenschaft und Lippeverband ab dem Sommer Workshops und Führungen an den Gewässern an. Dabei erfahren die Teilnehmenden mehr über die Folgen des Klimawandels auf die örtlichen Fließgewässer und üben den Umgang mit der App.

    Die kostenlose CrowdWater-App wurde von der Universität Zürich entwickelt und kann in den gängigen App-Stores für Smartphones heruntergeladen werden. Weitere Informationen zum Projekt gibt es im Internet unter eglv.de/bachbeobachter. Bei Interesse an den geplanten Workshops und Führungen können sich Bürger*innen per Mail an crowdwater@eglv.de über die kommenden Termine informieren lassen.

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