Mit Sorge blickt Pfarrer Ansgar Schocke auf die Zahl der Kirchenaustritte: In der katholischen Kirchengemeinde Heilige Dreikönige in der Nordstadt waren in den vergangenen Jahren 90 Austritte im Jahr traurige Normalität. In diesem Jahr waren es allerdings schon 162. Die Schuld dafür sieht der Priester neben den Skandalen im fehlenden Reformwillen in Teilen der Deutschen Bischofskonferenz sowie vor allem im Vatikan.
Auch Aktivposten gehen: Die Austritte gehen an die Substanz
Die Katholik:innen in der Nordstadt haben in den vergangenen Jahren schon einiges anders gemacht. Sie haben frühzeitig den Zusammenschluss gesucht, um sich der eigenen Stärken zu versichern, sich Gedanken um die Neunutzung und Aufgabe von Kirchengebäuden gemacht und sich auch für andere Gruppen geöffnet.
Doch die zahlreiche Missbrauchsskandale, der fragwürdige Umgang damit in großen Bistümern wie Köln, der fehlende Reformwille und der mehr oder weniger gescheiterte Synodale Weg lassen die Mitglieder in Scharen austreten. Im Jahr 2012 hatten die katholischen Gemeinden in der Nordstadt noch 12.900 Gemeindeglieder. Die fusionierte Gemeinde kommt – gut zehn Jahre später – nur noch auf 7900 Schäfchen.
Mittlerweile gehen nicht nur die, die sich von der Institution Kirche ohnehin entfremdet haben oder der Katholischen Kirche gleichgültig gegenüberstanden, sondern auch die Aktiven in den Kirchengemeinden. „Unter denen, die jetzt ausgetreten sind, sind auch die Menschen, die sich engagiert haben und aus der Mitte kommen“, berichtet Ansgar Schocke.
Gesprächsangebot trotz Austritt: „geblieben – gewackelt – gegangen“
„Das kann uns nicht gleichgültig sein. Wir müssen zeigen, dass es uns nicht egal ist – wir dürfen sie nicht einfach so gehen lassen“, betont der Priester. Das Ziel seiner Gemeinde: Sie wollen weiter mit den Menschen ins Gespräch kommen. Sie wollen wissen, was sich ändern muss und was sie vor Ort tun können – auch wenn sie das „Große Ganze“ kaum beeinflussen können.
Die Gemeinde „Heilige Dreikönige“ hat daher nun all die Menschen angeschrieben, die im vergangenen und in diesem Jahr ihren Austritt erklärt haben. Auch mit Plakaten, in den Pfarrnachrichten und den Veranstaltungen der Gemeinde laden sie zum Gespräch ein.
„geblieben – gewackelt – gegangen“ heißt die Veranstaltung. Wieso „gewackelt?“ Schocke möchte auch mit den Menschen ins Gespräch kommen, die über einen Austritt nachdenken. „Schätzungen gehen von 50 Prozent aus, die wackeln“, so der Nordstadt-Pfarrer.
Reformen: „Die Gläubigen wollen nicht von gutem Willen abhängig sein“
Das treibt den engagierten Pfarrer um – er macht aus seiner Unzufriedenheit keinen Hehl. Auch er beklagt den Umgang mit Skandalen und den fehlenden Willen zur Aufarbeitung. Dass die Aktiven gehen und es so viele „Wackelkandidaten“ gibt, schreibt er „den großen Tieren“ zu.
„Es gibt keinen echten Reformwillen von Seiten Roms und Teilen der Bischöfe. Sie nehmen den Synodalen Weg nicht ernst und blockieren. Vieles hat keine Chance in der Umsetzung“, bedauert der Nordstadt-Pfarrer. Das bekommt er vor allem von den engagierten Laien in seiner Gemeinde gespiegelt: „Sie merken, dass sich nichts mehr verändert.“
Während die Zufriedenheit mit der Umsetzung vor Ort noch relativ hoch ist, seien viele mit dem großen Ganzen unzufrieden. Beispiele dafür gibt es einige: So erhalten in Dortmunder Gemeinden auch Menschen die Kommunion oder dürfen als Lektor:innen oder Kommunionhelfer:innen mitarbeiten, die geschieden und wieder verheiratet sind oder in einer homosexuellen Beziehung leben.
„In Dortmund sind sich da alle sehr einig“, berichtet Schocke. Aber wenn sie in eine Gemeinde ins Sauerland wechselten, sei dies alles andere als selbstverständlich und das habe etwas von einem Glücksspiel für die Gläubigen: „Sie wollen nicht von gutem Willen abhängig sein, ob das für sie möglich ist oder nicht“.
„Viele sehen im kirchlichen Leben keine Heimat mehr“
Doch gerade ein pragmatischer Weg wie in Dortmund, wird von Konservativen kritisiert und als Grund für die Krise benannt. „Die Konservativen sagen, dass die Verunsicherung daher kommt, dass sich Priester über Regeln hinweg setzen“, weiß Schocke. Das klingt für Außenstehende wie „Täter-Opfer-Umkehr“ – ein Phänomen, das auch bei den Missbrauchsskandalen zu erleben war.
Allerdings gibt sich Schocke keinen Illusionen hin, dass viele Menschen eben keinen Bezug mehr zur Katholischen Kirche haben. „Sie sehen im kirchlichen Leben keine Heimat mehr.“ Das Gemeinschaftsgefühl gehe immer mehr verloren – die katholische Kirche habe oft nichts mehr mit dem Leben zu tun.
Das ist zumindest bei den ausländischen Missionen in der Nordstadt bzw. in Dortmund noch anders. Allein die kroatische Gemeinde hat an normalen Sonntagen 300 Gläubige im Gottesdienst sitzen – bei rund 500 Mitgliedern insgesamt. Dort ist es aber nicht nur die Verbundenheit zum Glauben, der mitunter deutlich tiefer verwurzelt ist als bei vielen deutschen Gemeindemitgliedern, sondern vor allem auch das Gemeinschaftsgefühl. Sie leben hier ihre Sprache, Kultur und ihre Traditionen aus.
Umso wichtiger ist es für Schocke, dass auch die deutschen Gemeinden wieder stärker auf ihre Mitglieder eingeht – dabei soll die Veranstaltung helfen. Trotz Austritten, Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Institution und der fehlenden Bedeutung für das eigene Leben, will Schocke zum Dialog einladen: „Die Menschen sollen wissen, dass wir trotzdem an ihrer Seite sind, wenn sie das wollen.“
Mehr Informationen:
- Die Veranstaltung „geblieben, gewackelt, gegangen“ findet am Freitag, 18. August, um 18 Uhr im Pfarrgarten St. Joseph (Heroldstraße 13a) statt – bei schlechtem Wetter im benachbarten Gemeindehaus (Münsterstraße 59).
Reader Comments
Ulrich Möller
Richtig!
Seit Jahrzehnten blockt die römische Kirchenleitung und spaltet sich von der Weltkirche ab, um tradierten weltlichen Voreingenommenheiten anzuhängen:
Ablehnung der Frauenordination
Zölibat
Absolutistischen Bevormundung
Sakramentenmißbrauch als Machtmittel. …