Gemeinsam wollen die Gewerkschaft NGG und die Fahrer:innen des Online-Bestelldienstes „Lieferando“ einen Tarifvertrag durchsetzen. Mit einem Warnstreik machten sie deshalb am Freitagabend in Dortmund Druck. Ein als ungerecht empfundenes Bonussystem soll weg und der normale Lohn stattdessen steigen. Für die gewerkschaftliche Organisation ist das System Lieferando eine Herausforderung.
Keine Reaktion auf Verhandlungseinladung der Gewerkschaft
Mächtig Lärm hörte man, wenn man am Freitagabend an der Dortmunder Station der Lieferplattform Lieferando vorbeikam. Parolen, Krachmacher-Ratschen und Pfeifen. Die Rider:innen, wie die Boten bei Lieferando genannt werden, sind entschlossen und auch etwas wütend. Im Februar hatte die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten Lieferando zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Doch eine Antwort des Unternehmens blieb aus. Es folgten Streiks der Rider:innen in Frankfurt, Köln und jetzt Dortmund.
Um 17 Uhr starteten die Beschäftigten ihren Streik vor dem Lieferando-Hub nahe dem Europabrunnen. Mit dabei auch Rider Gustav. Er mag seinen Job, doch die Bezahlung sei nicht akzeptabel. „Man kann es sich bei den aktuellen Preisen nicht mehr leisten diesen Job ohne Tarifvertrag zu machen“, erklärt er.
Aktuell erhalten die Rider:innen bei Lieferando den Mindestlohn. Der wird durch ein Bonussystem aufgestockt. So sind für mache auch mal 15 oder sogar 17 Euro drin. Doch wie viel Bonus gezahlt wird, das hängt von der Anzahl der selbst ausgelieferten Bestellungen ab. Der Einfluss der Rider:innen darauf ist begrenzt. Welche Bestellung sie ausliefern, bestimmt die Lieferando-App. Wie lange sie im Restaurant warten müssen, bis das Essen fertig ist, können sie nicht beeinflussen. „Das bedeutet im Prinzip , dass Lieferando ihr unternehmerisches Risiko auf die Fahrerinnen und Fahrer auslagert“, kritisiert Gustav.
Gemeinsam mit der NGG fordern sie deshalb, dass das Bonussystem abgeschafft und durch ein allgemein höheren Lohn ersetzt wird. So fordert die NGG mindestens 15 Euro pro Stunde garantiert und angemessene Zuschläge für Schichten am Abend sowie an Sonn- und Feiertagen. Weitere Forderungen sind die Zahlung eines 13. Monatsgehalts und die Bezahlung der letzten Fahrt nach Hause. Für die von Lieferando beschäftigten autofahrenden Lieferant:innen fordert die NGG 50 Cent Kilometerpauschale (netto) und eine faire Abrechnung der gefahrenen Strecke.
Einige Restaurants solidarisierten sich während des Streiks
Während des Streiks sind vereinzelt dennoch liefernde Rider:innen in der City zu sehen. Die Gewerkschaft hatte denen, die in der Probezeit sind, vom Streik abgeraten. Zu groß ist die Befürchtung, dass die Teilnahme am Streik das Arbeitsverhältnis beenden könnte. Die Gewerkschafter:innen haben sich aber etwas einfallen lassen, um die Wirkung des Streiks zu verstärken.
Sie kontaktierten Restaurants, die sonst über die Rider:innen ausliefern und baten sie, aus Solidarität, ihre Lieferando-Geräte während des Streiks abzuschalten. Ein Blick in die App zeigte am Freitagabend, dass tatsächlich viele Restaurants während des Streiks keine Lieferung anboten.
Jona vom Lieferando-Betriebsrat in Dortmund ist sich sicher, dass der Streik eine deutliche Wirkung auf die Bestellungen am Freitagabend hatte. Er selbst arbeitet seit fünf Jahren für das Unternehmen. Seit zwei Jahren ist er Betriebsrat und kennt den Umgang seines Arbeitgebers mit gewerkschaftlicher Organisation.
Er berichtet von einer Arbeitsanweisung, auf der den Mitarbeiter:innen erklärt wird, wie sie sich zu verhalten haben, wenn der Betriebsrat oder die Gewerkschaft kommt. Die Gewerkschaft solle auf gar keinen Fall in die Räumlichkeiten gelassen werden. Dass Lieferando auf die Einladung zu Verhandlungen nicht reagiert, überrascht die Streikenden da wenig. Demnächst steht auch eine Versammlung der Betriebsräte an. Doch schon im Vorfeld stehen die Zeichen nicht auf Dialog: „Wenn die Gewerkschaft kommt, komme ich nicht“, zitiert Betriebsrat Jona den Geschäftsführer von Lieferando.
Digitale Plattformen erschweren Gewerkschaftsarbeit
Für die Gewerkschaften ist Lieferando mit seinem digitalen Plattformmodell eine Herausforderung. Einfach in den Betrieb gehen, um die Arbeiter:innen zu organisieren, funktioniert nicht. Stattdessen müsse man die Rider:innen auf der Straße abfangen, erklärt NGG Gewerkschaftssekretär Samir Boudih. Ein Problem, welches nicht nur bei Lieferando besteht. Gewerkschaften und Betriebsräte fordern daher schon lange Zugang zu den digitalen Kommunikationsplattformen der immer digitaler organisierten Unternehmen.
Mit einem Demozug zogen die Streikenden am Freitagabend durch die Dortmunder Innenstadt. Auch aus anderen Ländern waren Lieferdienst-Aktivist:innen vor Ort. Denn das ganze sei ein globaler Kampf. Schließlich seien die Arbeitgeber auch global aktiv. Solidarität mit dem Streikenden bekundete auch Dortmunds DGB-Vorsitzende Jutta Reiter.
Auch Vertreter:innen von Grünen und Jusos zeigten sich bei der Demonstration solidarisch. Um 21 Uhr endete der Streik. Es soll nicht der letzte in Deutschland gewesen sein. Auch unbefristete Streiks stehen im Raum, wenn Lieferando nicht reagiert. „Mir ist es ehrlich gesagt etwas peinlich, mich für den Mindestlohn anfahren zu lassen“, bilanzierte ein Rider die aktuellen Umstände bei Lieferando.