In diesem Jahr jährt sich der Beginn der Ruhrbesetzung – auch „Ruhrkrise”, „Ruhreinmarsch” oder „Ruhrinvasion” genannt – zum 100. Mal. Ab dem 11. Januar 1923 wurden die bis dahin unbesetzten Teile des Ruhrgebiets durch Besatzungstruppen Frankreichs sowie Belgiens ab Anfang 1923 bis 1925 besetzt. Diesem bewegten Kapitel widmet sich ein von Werner Boschmann herausgegebenes Buch: „Ruhrbesetzung 1923. Ein Jahr spricht für sich.“
Höhepunkt des politisch-militärischen Konfliktes nach Versailles
Die Krise in der Zeit der Weimarer Republik markiert den Höhepunkt des politisch-militärischen Konfliktes um die Erfüllung der alliierten Reparationsforderungen nach dem Ersten Weltkrieg zwischen dem Deutschen Reich und den Siegermächten, besonders Frankreich.
Im nationalistischen Kontext wurden die Ruhrbesetzung und der primär zivile, aber auch teils militante deutsche Widerstand gegen die Besatzer häufig „Ruhrkampf“ genannt. Verlauf und Ausgang des Konflikts besaßen sowohl für die internationalen Beziehungen mit und zwischen den Siegermächten wie auch für die innenpolitischen Entwicklungen Deutschlands weitreichende Bedeutung.
Bis zu 100.000 Soldaten besetzten das Ruhrgebiet
Was war passiert? Ab dem 11. Januar 1923 besetzen französische und belgische Truppen, zunächst 60.000, später 100.000 Mann, große Teile des Ruhrgebiets, um die dortige Kohle- und Koksproduktion als „produktive Pfänder“ zur Erfüllung der Reparationsverpflichtungen aus dem Versailler Vertrag zu sichern. Woraufhin die Reichsregierung am 13. Januar die Bevölkerung zum „passiven Widerstand“ auffordert. Die französische Regierung reagiert hierauf mit dem Ausruf des „verschärften Belagerungszustandes“. Es kommt in der Folge zu Streiks, zu Anschlägen und zu Dienstverweigerungen, besonders innerhalb der Reichsbahn; auf Seiten der Besetzer kommt es zu mitunter tödlichen Übergriffen, zu Bestrafungen und zu Ausweisungen.
Während des passiven Widerstands werden die Löhne von etwa zwei Millionen Arbeitern im Ruhrgebiet vom Staat übernommen, was die Wirtschaftskrise verstärkt und zur Hyperinflation führt; es droht eine Hungersnot. Am 26. September 1923 wird von der Reichsregierung der Abbruch des passiven Widerstands verkündet, eine Währungsreform eingeleitet und am 15. November 1923 die Rentenmark als neues Zahlungsmittel ausgegeben.
Ab dem 23. November 1923 schließen große Unternehmen der Ruhrindustrie mit den Besetzern Lieferverträge. Mit dem „Dawes-Plan“ im April 1924, der von einer Einheit des deutschen Wirtschaftsraums ausgeht, beginnt die offizielle Lösung der „Ruhrkrise“. Die letzten französischen und belgischen Soldaten verlassen im August 1925 das Ruhrgebiet.
Das neue Buch richtet den Blickwinkel auf „die kleinen Leute“
Das von Werner Boschmann herausgegebene Buch widmet sich dieser Periode – aber aus einem anderen Blickwinkel: Vorrangig handelt es von dem, was den „kleinen Leuten“ in diesem Jahr widerfahren ist. Von der Erschießung des Lokomotivführers Fritz von der Höh und dem Verschwinden seiner Gedenktafel.
Von Hausmeister Liesenfeld, dem es gelang, deutsche Kriminalbeamte als Schüler zu deklarieren und ihnen hierdurch eine Verhaftung zu ersparen. Vom „Essener Blutsonntag“, der „Dortmunder Bartholomäus-Nacht“ und dem versöhnlichen „Dattelner Abendmahl“.
Diverse zeitgenössische Reiseberichte lassen erahnen, dass sich die Einschätzung der Region und ihrer Menschen in den letzten hundert Jahren wenig verändert hat. „Spielplatz der Gewalten zu sein, ist das Schicksal des Ruhrgebietes.“ (Journalist Kurt Lachmann, 1923) Als Kontrast zeigen 56 Postkarten – alle 1923 gelaufen – mit Abbildungen von Altenessen bis Zweckel eine wunderhübsche, farbenfrohe Region.
Weitere Informationen mit einer ausführlichen „Buch-Führung“ gibt es hier.
Reader Comments
Lo
Hätte man uns früher in der Schule Geschichte so lebhaft und verständlich vermittelt, wie man sie in diesem Buch nachlesen kann, erst recht Geschichte, die doch hier bei uns im Ruhrgebiet „umme Ecke“ stattgefunden hat, wäre das Fach sicher mehr geliebt worden.
Klare Leseempfehlung!
Lo.
„Dieser Mensch war ich“: Theatersolo von Uta Rotermund im Theater Fletch Bizzel (PM)
2023 jährt sich das Jahr 1923, das Jahr der Ruhrbesetzung durch die Franzosen zum 100.mal. Gewalt, Hunger und eine ungeheure Inflation bestimmen das Leben der Menschen.
Auch Dortmund steht 1923 unter französischer Besatzung. In der „Dortmunder Bartholomäusnacht“ werden Zivilisten wahllos von der französischen Besatzung erschossen, nachdem zwei französische Offiziere tot in der Kleinen Beurhausstr. aufgefunden wurden. Die Gräber der ermordeten Dortmunder Zivilisten finden sich noch heute im Westpark. Und so wird das Jahr 1923 auch in dem Solo „Dieser Mensch war ich“ benannt. Denn die Mutter der Ich-Erzählerin rennt in dieser Nacht um ihr Leben, um nicht von der französischen Besatzung erschossen zu werden.
In „Dieser Mensch war ich“ erzählt Uta Rotermund eine Geschichte, die sie aus vielen Geschichten zusammengefügt hat…und die so und auch anders hätten sein können. Die Idee dazu ist ihr gekommen, weil in ihrem Viertel viele hochbetagte Damen wohnen, die ihr immer mal wieder etwas aus ihrer Geschichte erzählten…und meist mit dem Nachsatz:“Wenn ich tot bin, ist das alles weg.“ und „Das interessiert ja doch keinen mehr.“ Uta Rotermund hat es interessiert und sie wollte nicht, dass es einfach weg ist. Denn eines Tages sind wir alle einfach weg.
Und so ist „Dieser Mensch war ich“ ein Solo über eine 90jährige geworden, die im Ruhrgebiet geboren und im Westen Dortmunds nahezu ihr gesamtes Leben verbracht hat. Jetzt blickt sie zurück auf fast das gesamte 20.Jahrhundert. Sie erzählt ihre persönliche Geschichte verwoben mit der Geschichte des Jahrhunderts. Sie geht durch ihr Leben und durch das Viertel … immer auch in der Erinnerung ihrer Kindheit.
„Dieser Mensch war ich“, Freitag, 31.März 2023, 19.00 Uhr im Theater Fletch Bizzel, Dortmund, Tickets unter 0231/ 14 25 25