Die Paulus-Kirche ist nun die letzte evangelische Kirche in der Nordstadt 

Ist der Abschied von der Markus-Kirche der Neuanfang für ein Sozial-Ökologisches Zentrum?

Begleitet den Abschied und den Neubeginn der Gemeindearbeit: Birgit Worms-Nigmann war 20 Jahre lang Pfarrerin in der Markus-Kirche. Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

In den Chorgesang mischen sich vereinzelt Raketengeräusche. Es ist Silvestergottesdienst in der Markus-Kirche und draußen wird bereits geböllert. Es ist der letzte Gottesdienst des Jahres und es ist zugleich der letzte Gottesdienst in dieser Kirche. Nach über 60 Jahren ist Schluss. 

Die letzte Predigt nach 20 Jahren

Für Birgit Worms-Nigmann ist es kein leichter Abend. Die letzte Feier mit ihrer Gemeinde, die letzte Predigt. 20 Jahre war sie in der Markus-Gemeinde Pfarrerin. Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, Chorproben, Mütterkreis, Jugendarbeit – all dies gehörte zu ihrem Leben und dem der Menschen, die sich dieser Gemeinde zugehörig fühlten.

Viele von ihnen sind heute gekommen, über 100 Menschen sitzen in den Bankreihen und wollen Abschied nehmen. Vom alten Jahr und von der Markus-Kirche. „Silvester wird die Zeit erlebbar“ sagt Worms-Nigmann in ihrer Ansprache. Am Ende eines Jahres sei es üblich Bilanz zu ziehen und zurück zu blicken. 

62 Jahre voller Leben in der „Turnhalle“ 

Blick in die Markus-Kirche, liebevoll die „Turnhalle“ genannt. Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Mit der Schließung der Markus-Kirche und ihres Gemeindezentrums endet eine Ära. 62 Jahre war die „Turnhalle“, wie einige den in den 60er Jahren eher nüchtern gestalteten Kirchenraum liebevoll nennen, voller Leben.

Für viele der Anwesenden ist sie auch Teil ihrer persönlichen Geschichte, denn hier wurden sie konfirmiert, hier haben sie geheiratet, ein Kind taufen lassen oder auch einen lieben Menschen verabschiedet.

Mit der Schließung verlieren sie nicht nur einen Ort der Begegnung, sondern es endet auch ein Kapitel in der eigenen Biografie. Dass dieses Ende abzusehen war, macht es nicht leichter. 

Negative Zahlen machen das Ende absehbar

Pauluskirche
Weit(er)e Wege: Die Pauluskirche in der Schützenstraße ist jetzt die letzte Ev. Kirche in der Nordstadt. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Bereits im Jahr 2000 stand für die Kirchenkreise fest: die Mitgliederzahlen in den Nordstadt-Gemeinden sind rückläufig, das Geld wird knapper und es können nicht alle Gemeindezentren und Kirchen weiterhin betrieben werden. Effizienzbestrebungen, sie machen offenbar auch vor Gotteshäusern nicht Halt.

Im Amtsdeutsch hieß das „Gebäudestrukturanalyse“ und die Analyst:innen behielten Recht. Nur noch knapp 5.500 Gemeindemitglieder sind es 2022, für die es nun nur noch eine evangelische Kirche in der Nordstadt geben wird: die Paulus-Kirche und ihr Gemeindezentrum an der Schützenstraße.

Finden alle wieder ihren Platz am neuen Ort?

Auch für die schönen Wandteppiche, die in den 60er Jahren Mitglieder der Gemeinde nach Entwürfen des Künstlers Egon Becker geknüpft haben, muss noch ein neuer Ort gefunden werden. Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Der Platz in der Kirche und im Zentrum reicht sicher – theoretisch. Denn was die Analyst:innen gern übersehen: der Weg von der Gut-Heil-Straße zur Schützenstraße kann weit sein, wenn man alt ist und nicht mehr so beweglich. Ganz abgesehen davon, dass ja vor einem Jahr bereits das Luther-Zentrum am Borsigplatz geschlossen wurde. Auch für die Gläubigen aus dem Borsigplatz-Quartier werden die Wege nun nochmals weiter.

Hannelore Walkenhorst, die sich seit fast 50 Jahren in der Markus-Gemeinde engagiert, weiß wie die Realität aussieht. Sie ist das, was einige hier als „Herz der Seniorenarbeit“ bezeichnen und sie wird sich auch weiter darum kümmern, dass es mit dem Mütter- oder dem Seniorenkreis weitergeht. Zunächst wurden Räume bei der AWO gemietet, gleich um die Ecke, in der Schumannstraße. Das müsste zu schaffen sein.

Auch einen Bus gibt es ja eigentlich, damit könnten Gemeindemitglieder zur Paulus-Kirche gefahren werden. Nur Fahrer:innen, die gibt es nicht. Ein Wunsch für das neue Jahr wäre, dass sich das ändert und so vielleicht auch das Angebot des Frühstücks-Cafes erhalten bliebe.

Blick zurück und nach vorn: ein Erinnerungsschatz 

Auf Erinnerungsbögen werden die Geschichten der Gemeinde gesammelt. Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Birgit Worms-Nigmann ist dankbar für das Gemeindeleben und für das Engagement, das sie hier 20 Jahre lang erleben durfte. Doch bevor sie nach vorn sehen kann, sammelt sie noch Erinnerungen.

In der Kirche liegen auch am Silvesterabend die sogenannten Erinnerungsbögen aus, in denen die Menschen ihre Gedanken, Wünsche und Anekdoten festhalten können. Ein Buch ist geplant, das diesen „Erinnerungsschatz“ zusammenfassen und würdigen soll. Das gehöre einfach dazu, findet Worms-Nigmann.

Auch für die schönen Wandteppiche, die in den 60er Jahren Mitglieder der Gemeinde nach Entwürfen des Künstlers Egon Becker geknüpft haben, muss noch ein neuer Ort gefunden werden. Und dann ist da auch der Oster-Leuchter, gefertigt durch Azubis von Hoesch. Vielleicht kommt er ins Hoesch-Museum? Man wird sehen. 

Ein jegliches hat sein Zeit

Es ist eine Zeit des Übergangs, zwischen Abschied und Neuanfang und so wählt Worms-Nigmann schließlich für ihre letzte Predigt die Verse des Predigers Salomo: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit; Pflanzen hat seine Zeit, und Gepflanztes ausreißen hat seine Zeit“. Ihr Segen gilt auch denen, die hier in Zukunft ein- und ausgehen werden und dass es eine Zukunft geben wird, das ist zumindest gewiß und für sie ein Trost.

Sozial-Ökologisches Zentrum noch nicht beschlossen

Evangelische Lydia-Gemeinde, Markus-Kirche
Neue Nutzung in Sicht? Die Markus-Kirche könnte Heimat für das Sozial-Ökologische Zentrum werden, Klaus Hartmann | Nordstadtblogger

Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Markus-Zentrum vielleicht schon bald die neue Heimat für ein Sozial-Ökologische Zentrum werden könnte, nachdem der Plan, die ehemalige Grundschule in Derne dafür zu nutzen, geplatzt ist. Das Gebäude wurde erneut zur Unterbringung von Geflüchteten benötigt. Nun also die Markus-Kirche als SÖZ? Beschlossen ist das aber noch immer nicht.

„Wie es an der Gut-Heil-Straße weitergehen soll würden wir auch gerne wissen. Leider sind die nächsten Schritte nicht von uns zu tun“, erklärt Heike Proske, Superintendentin des Ev. Kirchenkreises. „Die Idee war und ist, hier ein Zentrum entstehen zu lassen, das bürgerschaftlich genutzt werden kann; in der Verantwortung einer unabhängigen, aber städtisch unterstützten Trägerschaft.“

Dies könne jedoch erst als gesichert gelten, wenn es eine über den Haushalt der Stadt Dortmund bestätigte, finanzielle Zusage gibt. „Einen entsprechenden Haushaltsbeschluss hat es nun leider nicht, wie gehofft, Anfang Dezember 2022 gegeben, sondern er wird erst im Jahr 2023 kommen. Diesen Beschluss müssen wir abwarten, sind aber zuversichtlich“, so Proske gegenüber der Nordstadtblogger-Redaktion.

Einladung zum Neujahrs-Empfang in der Pauluskirche

So bleibt es also zunächst beim Abschied vom Markus-Zentrum und einem ersten Zeichen des Neubeginns. Der traditionelle Neujahrsempfang der Markus-Gemeinde wird am 8. Januar 2023 um 11:30 Uhr erstmals in der Paulus-Kirche stattfinden. Es ist ein internationaler Gottesdienst.

Im Anschluss soll Zeit sein sich kennenzulernen und gemeinsam zu essen – Snacks vom Restaurant „Grüner Salon“ inklusive. Dann wird Birgit Worms-Nigmann ihre erste Predigt in der Paulus-Kirche übernehmen. Sie ist zuversichtlich: „Wir haben nur ein Haus verloren, die Gemeinde bleibt bestehen.“

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