Von Klaus Winter
An der Einmündung der Oestermärsch- in die Gronaustraße steht ein in Dortmund einmaliges, in wesentlichen Teilen stählernes Bauwerk: eine doppelstöckige Eisenbahnbrücke. Hier führte seit 1908 die Bahnstrecke Dortmund – Lünen /Hamm zwischen Straße und Brücke der ehemaligen Linie vom Ostbahnhof zum früheren Dortmund-Enscheder-Rangierbahnhof, der in Höhe des Eisen- und Stahlwerks Hoesch lag.
Es gab einen Vorgänger der bestehenden Brücke
Die große Eisenbahnbrückenanlage hatte einen Vorgänger. Dieser bestand nur aus der oberen der beiden heute noch erhaltenen Brücken. Ihre aktuelle Gestalt erhielt das Gesamtbauwerk erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die Doppelbrücke war notwendig geworden, weil im Rahmen des großen Bahnhofsumbaus die zum neuen Hauptbahnhof führenden Strecken auf Dämme gelegt und das Umfeld angepasst wurde.
Gronaustraße begann erst am Papengarten
Bei Beginn der Baumaßnahme war die Gronaustraße noch nicht mit der Weißenburgerstraße verbunden. Die Gronaustraße begann erst am Papengarten und führte von dort nach Norden.
In den Presseberichten über den Brückenbau ist deshalb auch nicht von einer Brücke über die Gronaustraße, sondern von der Brücke an der Papengartenstraße die Rede. (Die ehemalige Straße Papengarten ist heute nur noch ein Fußweg zwischen Gronau- und Bornstraße nördlich der Eisenbahngleise).
Brückenfundamente wurden ab Juli 1907 gelegt
Im Oktober 1906 hieß es, dass der Brückenbau am Papengarten von Anfang 1907 bis Mitte 1909 dauern würde. Mit dem Bau der Brückenfundamente am östlichen Ende des Papengarten und an der Kurve Oestermärsch /Bleichmärsch wurde im Juli 1907 begonnen.
Eine besondere Schwierigkeit wurde im September 1907 gemeistert: Der alte, mehr als zehn Meter hohe nördliche Brückenpfeiler der Dortmund-Enscheder Bahn musste um einen Meter abgetragen werden. Deshalb war es notwendig, zunächst die 1.000 Zentner schwere Brücke um etwa anderthalb Meter zu verlegen.
Brückenverschiebung geschah in einer Nacht
Diese schwierige Aufgabe wurde von der Firma Jucho unter der Leitung eines Regierungsbaumeisters in einer einzigen Nacht ausgeführt. Ein „elektrischer Beleuchtungswagen“ sorgte für „tageshelle“ Lichtverhältnisse an der Baustelle.
Die Aufgabe konnte planmäßig durchgeführt werden. Bereits am folgenden Tag durften Personenzüge wieder langsam über die verlegte Brücke fahren.
Baugerüst ließ nur wenig Platz für Fuhrwerke
Die Tiefbauarbeiten für den Bau der neuen, der unteren Brücke waren im Januar 1908 abgeschlossen. Sie hatten im Wesentlichen aus der Verlängerung der Gronaustraße vom Papengarten bis zur Weißenburger Straße bestanden.
Im Januar 1908 war auch das umfangreiche Gerüst, das für das Zusammensetzen der eigentlichen Eisenbahnbrücke notwendig war, aufgestellt worden. Diese Arbeit hatte das Dortmunder Baugeschäft Kaiser übernommen.
Für den Fuhrwerksverkehr wurde im Gerüst eine Öffnung gelassen, die aber nur bescheidene Ausmaße hatte. Die Durchfahrtshöhe betrug knapp über drei Meter, und sie war nur etwas mehr als zwei Meter breit.
Neuer Straßenabschnitt führte zur Erschließung von Bauland
Die Verlängerung der Gronaustraße bis zur Weißenburgerstraße konnte im April 1908 dem Verkehr übergeben werden. Es war die erste Nord-Süd-Verbindung im Bereich des weitläufigen Bahnhofsumbaus, auf der keine Schrankenanlage den Straßenverkehr störte. Die zeitraubenden Umwege über die Bornstraße oder über Oesterholz- und Enscheder Straße gehörten von nun ab der Vergangenheit an.
Im Nebeneffekt war durch die Verbindung von Gronau- und Weißenburgerstraße auch Bauland westlich des neuen Straßenstücks erschlossen worden. Hier entstanden später die Vorgänger der noch heute dort angesiedelten Schulen.
Die neue war auch die längste Brücke im Bauprogramm
In der ersten Mai-Hälfte hatte die Essener Union die Arbeiten an der neuen Eisenbahnbrücke zwischen der Straße und der alten Hochbrücke abschließen können.
Innerhalb des Bauprogramms zum großen Bahnhofsumbau war die neue auch die längste Brücke. Der Brückenteil über der Gronaustraße hat eine Stützweite von 25,5 Metern, der über die Oestermärsch war mehr als doppelt so lang. Beide Teile waren in Fachwerkbauweise ausgeführt worden.
Der Verkehr floss einst auf allen Ebenen
Das Holzgerüst, das das Zusammenfügen der Brückenbauteile gestützt, aber den Straßenverkehr wegen seiner schmalen Öffnung noch stark behindert hatte, wurde kurzfristig entfernt. „Die Hauptverkehrsstraße nach dem nordöstlichen Stadtteile [ist] nunmehr für immer für den Fuhrwerksverkehr frei“, jubelte die Presse.
Und im November 1908 konnte man in Zeitung lesen: „Ein äußerst interessanter Punkt in dem Verkehrsnetze, das unsere Stadt umspannt […] ist bekanntlich die Stelle, wo sich die Gronaustraße mit dem Papengarten kreuzt, wo die Östermärsch- und Bleichmärschstraße ihren Anfang nehmen. Wenn es der Zufall will, so kann man Zeuge sein, wie hoch oben auf der obersten Brücke ächzend und schnaubend ein unendlich langer Güterzug dahinfährt, während unter ihr ratternd und wie der Blitz ein D-Zug der Strecke Köln – Minden – Berlin seine Spur kreuzt. Auf der Straße aber rasselt die Elektrische und läßt knarrend ihre Bremsen ertönen.“
Ein Restaurant mit passendem Namen
Die geschilderte Verkehrssituation wurde Motiv einer Ansichtskarte, mit der der Wirt Hermann Bergermann für sein Restaurant im spitzen Winkel von Oestermärsch und Bleichmärsch warb. Er hatte es sehr treffend „Zu den drei Brücken“ genannt.
Das Restaurant zu den drei Brücken gibt es nicht mehr. Das Haus, in dem es betrieben wurde, steht aber noch an seinem Platz. Auch der Brückenkomplex ist noch im Straßenbild vorhanden. Allerdings fährt kein Zug mehr über den ältesten, nämlich den obersten Teil.
Bringt man aber etwas Geduld mit, so lässt sich auch heute noch ein Zug von Lünen oder Hamm beobachten, der den 1908 fertiggestellten Brückenteil befährt, während unter ihm die Stadtbahn in Richtung Borsigplatz abbiegt.
Reader Comments
Thomas Parent
Gibt es eigentlich Überlegungen, die obere Brücke als Fahrradweg auszubauen?
Markus
Thomas, das wäre die Verlängerung vom Bananenweg. Da ist wohl erstmal ein Ausbau bis zur Weißenburger Straße geplant (also bis vor die Brücke), der sollte längst fertig sein aber verzögert sich endlos wie alle Radwege.
Ein Weiterbau über die Brücke Richtung Hornbach / Hoeschgelände wäre natürlich toll, dort sollen ja auch neue Parks und Wege entstehen. Soweit ich weiß ist das aber leider noch nicht konkret geplant.
Reinhard Raschke
Diesen interessanten Bericht sollte man mal der DEGES oder dem Eisenbahn-Bundesamt zusenden, um zu demonstrieren, wie schnell unsere Altvorderen bauen konnten. Wahnsinn!!
Ingo St.
Die Entwicklung der Brücken ist abhängig vom Ausbau des Dortmunder Hbf auf seiner Ostseite: Rhein-Ruhr-Express, S-Bahn bis Kamen etc.
Bei der ersten Planung RRX sollte eine weitere Brücke vom Hbf die obere Brücke „ersetzen“.