Von Klaus Winter
Mit dem Neubau einer Herberge zur Heimat am Königshof, nahe dem Nordausgang des neuen Hauptbahnhofes wurde zügig begonnen. Im August 1908 war der Rohbau fertiggestellt. Nach Abschluss der Baumaßnahme sollte das Haus im Keller die Waschküche mit Bügelzimmer, die Heizungsanlage, einen Trockenraum, einen Baderaum und mehrere Vorratsräume erhalten. Im Erdgeschoss waren ein geräumiges Gast- /Fremdenzimmer, die Koch- und Spülküche, Bedürfnisanstalten sowie Personalräume vorgesehen und in den Obergeschossen 26 Fremdenzimmer, acht Schlafsäle und die Wohnung des Hausvaters. Schließlich sollten noch fünf Schlafsäle im Dachgeschoss eingerichtet werden. Die Fremdenzimmer wurden mit insgesamt 40 Betten, die Schlafsäle mit 130 Betten ausgestattet.
Neue Herberge wurde im Mai 1909 eröffnet
Die Herberge zur Heimat am Königshof, „ein stattlicher Bau“, wurde im Mai 1909 eröffnet. Sie stand wandernden Handwerksgesellen gegen geringes Geld offen. Nach wie vor bestand die Möglichkeit, durch Arbeit auf der Holzzerkleinerungsstätte des Wohltätigkeitsvereins Verpflegung und Unterkunft zu erarbeiten.
Den Umzug vom alten Standort Kapellenstraße 27 zum neuen, Königshof 39 machte der Hausvater Arnold Hempelmann noch mit. Ende Oktober 1908 hatte er für seine neue Wirtschaft auch die Genehmigung zum „unbeschränkten Betriebe der Gastwirtschaft“ jedoch mit Ausschluss des Branntweinverkaufs über die Straße erhalten.
Carl Munkenbeck war 28 Jahre Hausmeister
Hempelmann gab zum 1. August 1909 sein Amt auf. Nachfolger wurde Karl Herkelmann aus Schwerte. Er erhielt die Schankkonzession zum 1. September des Jahres. Herkelmann blieb nur wenige Monate. Bereits zum 1. April 1910 übernahm Heinrich Böhme die Restauration in der Herberge.
Eine weitere personelle Veränderung trat 1909 durch den Tod des 85jährigen Carl Munkenbeck ein. Er war 46 Jahre lang ehrenamtlicher Kirchmeister der Reinoldi-Gemeinde gewesen und 28 Jahre Hausmeister der Herberge zur Heimat.
Der Herberge wurde ein Wanderarbeitsstätte angeschlossen
Die Tradition der Weihnachtsfeiern wurde im neuen Haus fortgesetzt. Pfarrer Daub bat per Zeitungsinserat um kleine Freuden und praktische Handreichungen für diejenigen, „die heimatlos umherirren von Stadt zu Stadt, durch eigene Schuld oder durch des Schicksals Härte auf die Landstraße getrieben“.
Der Herberge zur Heimat wurde im Februar 1911 eine „Wanderarbeitsstätte“ angeschlossen. Diese in Westfalen neu eingeführte Einrichtung sollte mittellosen arbeitsfähigen Männern, die sich außerhalb ihres Wohnortes aufhielten, bei der Arbeitssuche unterstützen und gegen Arbeitsleistung Kost und Logis verschaffen. Ähnliches hatte der Dortmunder Wohltätigkeitsverein mit der Herberge zur Heimat bereits in der Vergangenheit geleistet und teilweise aus eigenen Mitteln finanziert. Die übrigen Kosten waren von der Stadt aus den Zinsüberschüssen der Sparkasse getragen worden.
Über den Verkehr am Königshof entstand Streit
Für die Herberge zur Heimat war am Nordausgang des Hauptbahnhofes ein Gebäude errichtet worden, das man durchaus als repräsentativ bezeichnen konnte. Das nächste Umfeld gereichte der Herberge jedoch nicht zur Ehre. Der Dortmunder Verschönerungsverein stellte 1912 fest, dass „die Umgebung der Herberge zur Heimat eine wenig einwandsfreie und die zahlreich herumlungernden arbeitslosen Besucher derselben eine unerfreuliche Erscheinung im Stadtbild seien.“
Die Klage hatte den Erfolg, dass „dank dem tätigen Vorgehen der Polizeiverwaltung eine Abnahme der unerfreulichen Erscheinungen im Straßenbild im Bereiche der Herberge zur Heimat“ bald festgestellt werden konnte. Die Wirkung der Polizeieinsätze verflog jedoch rasch, und die Kritik über sich wieder verschlechternde Verhältnisse am Königshof wurden harscher: „Die Herberge zur Heimat, im Volksmund nennt man sie schon Landstreicherkolonie, gewährt einem Janhagel und arbeitsscheuen Gesindel Aufnahme, wie es in den schmutzigsten und niedrigsten Kaschemmen im dunkelsten Berlin vergebens gesucht wird“, hieß es in einem Leserbrief im Januar 1913.
Pfarrer Daub verteidigte die Herberge
Pfarrer Daub, Vorsitzender des Herbergsvereins, widersprach solcher Kritik postwendend: Störer der Hausordnung würden unverzüglich aus der Herberge verwiesen, Trunkenbolde erst gar nicht aufgenommen. Daub konnte auch auf die erfolgreiche Vermittlung von Arbeitsstellen verweisen – „im letzten Jahr allein 7.670“.
Der öffentliche Austausch der konträren Meinungen über die Herberge zur Heimat und ihr Umfeld schlug noch einige Wellen. Er endete mit einem Bericht über eine polizeiliche Untersuchung, durch die klar gestellt wurde, dass die Herbergsgäste keinerlei negativen Einfluss auf das Umfeld der ausübten und in der Herberge selber die Hausordnung strikt eingehalten würde.
Glücksspieler betrogen mit Kümmelblättchen
Im Winter 1923/24 – mitten während der Ruhrbesetzung – diente der Saal der Herberge zur Heimat als Wärmestube. Männliche Personen ab 16 Jahren konnten sich hier ohne Verzehrzwang aufhalten, sofern sie die Hausordnung beachteten.
Das bereits aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bekannte Problem, dass sich im Umkreis der Herberge allerlei fragwürdige Gestalten aufhielten, trat in den 1920er Jahren verstärkt auf, oft in Verbindung mit übermäßigem Alkoholgenuss und Glücksspiel. Besonders das Glücksspiel „Kümmelblättchen“, ein Kartenspiel, schien sehr verbreitet gewesen zu sein.
An Weihnachtsfeiertagen waren Unterkunft und Verpflegung kostenlos
Ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre lassen sich wieder die Weihnachtsfeiern in der Herberge für Wanderer, Arbeitslose und Heimatlose feststellen. Die Aufrufe an die Öffentlichkeit („Weihnachtsbitte“), etwas zu spenden, fanden sich regelmäßig ab November eines Jahres in den Zeitungen.
An der Weihnachtsfeier in der Herberge nahmen 1927 etwa 200 Männer teil. Sie versammelten sich in dem mit einem Christbaum geschmückten Saal und lauschten Gesang und Geigenvorträgen. Dann erhielten sie Kaffee und Christstollen und außerdem ein Paket gefüllt mit Nüssen und Süßigkeiten. Traditionell waren Unterkunft und Verpflegung an beiden Feiertagen kostenlos.
Neben den Weihnachtsfeiern scheint es zu Beginn der 1930er Jahre nur eine weitere regelmäßige Veranstaltung in der Herberge gegeben zu haben. Einmal im Monat veranstaltete der evangelische Jungmänner-Verein „Reinoldi“ dort eine liturgische Morgenfeier.
Der Nationalsozialismus schlich sich in die Herberge ein
Der den Herbergen zur Heimat seit ihrer Gründung innewohnende christliche Charakter wurde in den 1930er Jahren von der Durchsetzung der nationalsozialistischen Doktrin bedrängt und eingeschränkt. So wurde in der Dortmunder Herberge bei der Weihnachtsfeier 1933 nach dem Liede „Mach hoch die Tür“ das aus dem badischen Revolution 1848/49 stammende, martialische Gedicht „Wach auf mein Volk“ vorgetragen, und Pfarrer Daub sagte in seiner Ansprache: „Ein einiges Volk steht hinter seinem großen Führer“.
An der Feier nahmen mit 120 Personen vergleichsweise wenige „Tippelbrüder“ teil; sie waren vorwiegend schon älter. Die meisten jüngeren hatten „im Arbeitsdienst Beschäftigung und Pflege“ gefunden.
Am ersten Jahrestag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde die Herberge zur Heimat „ein Tempel des nationalsozialistischen Bekenntnisses. Herbergsleitung, Kirche, Partei und Jugend stellten sich in den Dienst der nationalen Volksgemeinschaft.“ So ergriff nach dem Vortrag des Posaunenchors und der Ansprache des Pfarrers auch der Ortsgruppenleiter der NSDAP das Wort.
Die Herberge zur Heimat wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört
Feiern in der Herberge zur Heimat konnten noch bis 1936 festgestellt werden. Danach verlieren sich die Spuren.
Das Haus Königshof 39, die Herberge zur Heimat, fiel im Verlauf des Zweiten Weltkriegs einem alliierten Bombenangriff zum Opfer und wurde nicht wieder aufgebaut. Heute ist die gesamte Situation um die ehemalige Straße Königshof völlig verändert, so dass nur schwer gezeigt werden kann, wo genau die Herberge gestanden hat.