Von Susanne Schulte
„Das Gutachten sagt: Der Turm ist richtig kaputt.“ Pfarrerin Birgit Worms-Nigmann von der evangelischen Lydiagemeinde hatte dieses Ergebnis nicht erhofft, aber befürchtet. Vor einigen Monaten bröckelten Steine vom Turm der Lutherkirche an der Flurstraße. Das Gelände wurde abgesperrt, das Glockengeläut abgestellt. Zeitweilig war auch der Zugang zum Lutherzentrum gesperrt und die Gottesdienste wurden verlegt. Die Gemeinde gab ein Gutachten in Auftrag. Das ist nun da – und löst keine Freude aus. Wie Worms-Nigmann aus dem Papier zitiert, sind die Zwischendecken-Stahlträger korrodiert, die Endhaken zum Teil vollständig aufgelöst.
Der Kirchenkreis muss überlegen, wie es mit dem Kirchturm weitergeht
Was auch die Pfarrerin und ihren Kollegen Ekkehard Brach überraschte: Der Turm besteht aus zwei Wänden. Die Innenwand ist aus Ziegelmauerwerk, die Außenwand aus Natursteinen gebaut. Diese beiden Wänden sind verbunden mit gespreizten Stahlverankerungen in Höhenabständen von 1,80 Meter.
Gerade an der Wetterseite sind die Fugen ausgewaschen, der Naturstein beult aus, hat wenig oder keinen Halt mehr und bröckelt. Die Reparatur würde laut dem Gutachten der Dortmunder Spezialfirma, das auch schon mehrere Tausend Euro gekostet hat, sehr teuer. 450 000 Euro hat das Unternehmen als Preis für die Arbeiten geschätzt.
Da das Lutherzentrum zum 1. Mai 2022 an den Kirchenkreis übergeben wird, muss der sich dann überlegen, wie es mit dem Turm weitergeht. Der Turm ist Teil des ursprünglichen Gotteshauses, das Anfang des 20. Jahrhundertes entlang der Hirtenstraße und der Lutherstraße entstand und 1907 am Kantate-Sonntag im Mai eingeweiht wurde.
Architekt war Ernst Marx aus Wetter an der Ruhr, Der Eingang lag zur Flurstraße, die Längsseite zog sich entlang der Hirtenstraße. Im zweiten Weltkrieg zerstört, blieb von der Kirche nur der Turm stehen.
Schon vor 115 Jahren prägte der Turm de Gotteshauses das Wohnviertel
Die neue Kirche wurde entlang der Flurstraße gebaut, ohne Turm. Denn der stand ja noch. Und in ihm die drei Glocken, die morgens und abends läutete sowie zu Gottesdiensten und Festtagen. In der Festschrift zum 25jährigen Bestehen der neuen Lutherkirche 1988 zitierte Pfarrer Groeger aus einer Dortmunder Tageszeitung von 1907.
„Inmitten der in der Industrie arbeitenden Bevölkerung und benachbart von Hochöfen und Schornsteinen des Eisen- und Stahlwerks Hoesch Westfalenhütte erhebt er sich als ragendes Zeichen des Evangeliums. Und in den Lärm der Maschinen und in das Dröhnen der Hämmer und in die Sorgen der Menschen rufen seine Glocken die freundliche Einladung Gottes, zu ihm zu kommen und die Arbeit des Alltags durchdringen zu lassen von seinen Gedanken.“
Auch heute prägt der Turm noch das Stadtbild westlich des Hoeschparks. Den Klang der Glocken vermissen die Anwohner*innen seit Monaten. Sie wurden vor 115 Jahren gegossen beim Bochumer Verein und von der Hoesch AG gestiftet. Der Wert im Jahr 1907 betrug laut der bereits genannten Festschrift 5000 Mark.
Alle Glocken tragen als Inschrift die ersten Worte aus Liedern von Kirchnamensgeber Martin Luther: So stehen auf der große Glocke die Worte „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“, auf der mittleren „Eine feste Burg ist unser Gott“ und auf der kleinen „Nun freut euch lieben Christengemein“.