Wechsel an der Spitze der Dortmunder SPD: Nach sieben Jahren als Vorsitzende räumt Nadja Lüders als Vorsitzende ihren Posten. Die schwierige Aufgabe übernimmt Jens Peick. Ihm zur Seite stehen als Vize Anja Butschkau und OB Thomas Westphal. Schatzmeister bleibt Volkan Baran. Während die Partei mitgliedermäßig geschrumpft ist, ist der Vorstand gewachsen. 14 statt bisher zehn Beisitzer:innen gehören dem neu gewählten Gremium an. Damit soll die Arbeit auf mehr Schultern verteilt und auch die Arbeitsgemeinschaften sollen besser eingebunden werden.
Corona-Pandemie hatte die Neuwahl um 1,5 Jahre verzögert
Die Neuwahlen waren längst überfällig: Eigentlich hätte im März 2020 – also ein halbes Jahr vor der Kommunalwahl – der Vorstand neu gewählt werden müssen. Corona machte einen Strich durch die Rechnung. Nun – in der vierten Welle der Pandemie – wurde doch in Präsenz getagt. Der Grund: Bei einem Online-Parteitag hätte es anschließender Briefwahlen bedurft. Da aber zumindest bei den Wahlen für die Beisitzer:innen in der Regel zwei Wahlgänge benötigt werden, hätte sich dieses Verfahren bis März 2022 ziehen können, bis sich der neue Vorstand sich hätte konstituieren können.
So lange wollte man im größten SPD-Unterbezirk Deutschlands nicht mehr warten – das hätte auch über Gebühr das Demokratie-Verständnis strapaziert, betonte Lüders. Daher wurde der Parteitag zeitlich und thematisch gerafft: Der Parteitag fand – unter 3G-Bedingungen – inklusive zusätzlicher Tests und mit FFP2-Masken statt. Zudem wurden alle Gäste ausgeladen, auf Grußworte verzichtet und auch auf einen Großteil der Vorstellungen und Aussprachen.
Die Aspirant:innen stellten sich schriftlich vor. Zudem wurde die Antragsberatung in einen digitalen Beirat vertagt, weil es dort für Beschlüsse keiner Briefwahl bedarf. Abgestimmt wurde lediglich eine Satzungsänderung, mit der der Vorstand personell erweitert wurde.
Die Wahlen selbst – zumindest beim Geschäftsführenden Vorstand – waren wenig überraschend: Jens Peick erhielt 123 Ja-Stimmen bei fünf Nein und vier Enthaltungen. Nur seine Nachfolgerin als Partei-Vize – Anja Butschkau – kam auf ein ähnlich gutes Ergebnis. Sie bekam 122 Stimmen – sieben Delegierte stimmten gegen sie, drei enthielten sich. OB Thomas Westphal wurde als Vize bestätigt. Er bekam aber „nur“ 104 Ja-Stimmen – 19 Delegierten votierten gegen ihn, zehn enthielten sich. Gegenkandidat:innen gab es keine. Nur der Schatzmeister Volkan Baran hatte einen Gegenkandidaten. Doch das Ergebnis war eindeutig: 96 Stimmen entfielen auf Volkan Baran, 17 Stimmen auf Norbert Marschner.
Bei allen Querelen: Nadja Lüders blickt „mit Freunde auf die sieben Jahre“
Die scheidende Vorsitzende hielt daher auch keine Abschiedsrede: „Ich bin ja auch nicht weg. Ich bin Abgeordnete und bleibe Kandidatin“, betonte Nadja Lüders, die im kommenden Mai ihr Landtagsmandat verteidigen will. „Ich kann ja nur Danke sagen. Nicht jeder hat es mit mir leicht gehabt. Danke vor allem ans Team im Büro – es war eine tolle Zeit“, so Lüders.
Sie blickte „mit Freude auf die sieben Jahre“ – bei allen Querelen seien die Diskussionen immer fair und sachlich geführt worden. Doch nicht alle Genoss:innen blicken mit Begeisterung auf die vergangenen Jahre. Es gab massive Kritik am Unterbezirk, was die Präsenz, Erreichbarkeit und Organisationsfähigkeit anging. Viele Kandidat:innen fühlten sich bei der Bundestags- und der Kommunalwahl nur unzureichend unterstützt und eingebunden.
Doch diese Kritik wurde heute nicht (erneut) artikuliert und – das zeichnet die vergangenen Jahre aus – vor allem hinter geschlossenen Türen vorgetragen. Öffentlicher Streit wurde weitgehend vermieden. Man wollte Einheit und Geschlossenheit demonstrieren. Diese Strategie hatte weitgehend Erfolg, sagte Lüders mit Blick auf die Wahlen, die allesamt gewonnen werden konnten.
„Sich um die Menschen zu kümmern ist das Beste, was die Sozialdemokratie beherrscht“
„Die SPD in Dortmund ist etwas besonderes. Wir sind das Team Dortmund – wir kämpfen zusammen“, beschwor die scheidende Vorsitzende das Verbindende. „Die Bedingungen für den Kommunalwahlkampf waren nicht einfach. Dass wir wieder stärkste Fraktion sind und den OB stellen, haben wir euch zu verdanken“, richtete sie ihre Worte und ihren Dank an die Delegierten, ohne darauf einzugehen, dass die SPD-Fraktion im neuen Rat stark Federn hatte lassen müssen.
„Mit viel Einfallsreichtum und interessanten Ideen haben wir einen Wahlkampf hingelegt, der seinesgleichen sucht“, betonte Lüders. „Wir sind trotz Corona mit den Wähler:innen in Kontakt gekommen, obwohl wir oft unsere Feste absagen mussten. Aber wir haben die Menschen im Kleinen erreicht und die Partei auch im Digitalen gut vorangebracht“, so Lüders.
Die Mitglieder engagierten sich online und offline: „Ihr beteiligt euch und macht klar, dass die SPD in Dortmund da ist und sich für die Stadt und die Menschen einsetzt. Sie ist ansprechbar und kümmert sich“, so Lüders. „Sich zu kümmern ist das Beste, was die Sozialdemokratie beherrscht. Das Tun, das zu den Menschen zu gehen und für sie das Leben besser zu machen. Das ist unser Gen, das tragen wir in uns und ist unsere Verpflichtung“, erinnerte sie an ihren Vor-Vorgänger Günter Wegmann.
Lüders zu den Wahlerfolgen: „Einer der besten Wahlkämpfer für uns war Armin Laschet“
Ihre siebenjährige Amtszeit fällt mit Blick auf die Wahlergebnisse auch deshalb positiv aus, weil alle Mandate in Bund, Land und Europa – teils gegen den Trend – verteidigt werden konnten. Zuletzt hatte Sabine Poschmann ihr Bundestagsmandat verteidigt und Jens Peick erstmals ein Mandat errungen – gegen den früheren Parteifreund und Mandatsinhaber Marco Bülow sowie stark auftrumpfende Grüne.
„Liebe Sabine, lieber Jens, ihr habt es mit euren Teams gerockt. Wir haben gesagt, dass wir die Wahl gewinnen zu einem Zeitpunkt, wo wir bei 15 Prozent in den Umfragen waren“, betonte Nadja Lüders. Allerdings habe das die SPD nicht nur aus eigener Kraft geschafft: „Einer der besten Wahlkämpfer für uns war Armin Laschet. Aber wir haben etwas gezeigt im Wahlkampf, was uns ausmacht: Geschlossenheit“, so die NRW-Generalsekretärin.
Die Geschlossenheit zum Spitzenkandidaten und die Klarheit in den Themen, „die wir wie eine Monstranz vor uns her getragen haben“, haben für Lüders den Ausschlag gegeben. „Wenn man konsequent und klar ist, vertrauen die Menschen einem.“
Jens Peick: „Es geht um soziale Politik für die Menschen vor Ort“
Doch damit ist es nicht getan: Nun muss die SPD liefern. Daran will der neue Vorsitzende Jens Peick tatkräftig mitwirken. Nach 19 Jahren im Vorstand – sieben Jahre davon als Vize – steht Peick in der ersten Reihe. Er räumte abermals mit dem Vorwurf auf, dass er ein „Karrierist“ und auf ein Mandat ausgewesen sei.
„Ich habe nie ein Mandat direkt angestrebt, darum ging es mir nie. Ich möchte Politik gestalten und verändern“, blickte er auf seine mehr als 20 Jahre ehrenamtliche Arbeit in der SPD zurück. „Doch es gibt Momente, wo man gefragt wird, ob man Verantwortung übernehmen will. Und ich möchte Verantwortung übernehmen für den schönsten Unterbezirk in der Republik“ betonte Peick.
Er schaffte es abermals, sich in die Herzen der Delegierten zu reden. Denn er erinnerte die Delegierten daran, wofür die SPD in Dortmund und im Ruhrgebiet steht: „Ich habe mich um ein Bundestagsmandat beworben, um sozialdemokratische Politik für Dortmund zu machen. Es geht um soziale Politik für die Menschen vor Ort.“
„Herzkammer bedeutet nicht, das uns das Vertrauen leichtfertig geschenkt wird“
Peick scheute sich nicht, Klartext zu reden und auch Fehler zu benennen: „Hartz IV war ein solcher Fehler, weil das keine sozialdemokratische Politik ist: Das war nicht auf Augenhöhe der Menschen“, so Peick. Diese Politik habe „nicht den Respekt für die Arbeit ausgedrückt“, den sie verdient habe. Daher gehe es darum, diese und andere Fehler anzupacken und zu korrigieren.
Zwar sei Dortmund auch deshalb der schönste Unterbezirk, weil die SPD hier erfolgsverwöhnt ist. Seit 1946 stellt man nahezu ununterbrochen den Oberbürgermeister sowie alle direkt gewählten Abgeordneten für Land und Bund. Und die SPD-Fraktion sei auch seit der Nachkriegszeit (fast) immer die stärkste Fraktion im Rat gewesen. Doch ein Selbstläufer sei dies nicht.
„Herzkammer der Sozialdemokratie bedeutet nicht, das uns das Vertrauen leichtfertig geschenkt wird. Die Legende, dass man ein roten Besenstiel aufstellen könne und der wird dann gewählt, habe ich nicht geglaubt“, betonte der neue Vorsitzende. Es bedeute viel mehr, dass die SPD hier erfolgreich vermitteln könne, dass sie die Politik für die Menschen mache.
Große Herausforderungen: Faire Löhne, bezahlbarer Wohnraum und Klimaschutz
Das werde auch an den aktuellen Themen in den Koalitionsverhandlungen deutlich, wo es um gerechte Löhne, bezahlbaren Wohnraum und Familienpolitik gehe. „Das wir uns um die Menschen kümmern, das bedeutet Herzkammer“, sagte Peick unter dem Applaus der Delegierten. Schon in der GroKo sei die SPD der Treiber bei den sozialen Themen gewesen. Doch honoriert hätten dies die Wähler:innen lange nicht, sagte er mit Blick auf die Jahre, wo die SPD im Bund bei nur noch 15 Prozent Zustimmung dümpelte.
Durch klare Ansagen und Themensetzungen habe man nun im Bund den Weg an die Spitze und mit der „Ampel“ den ersten Aufbruch geschafft. „Mit der Ampel haben wir 16 Jahre CDU-geführte Regierung abgewählt. Drei KroKos liegen hinter uns. Und im Mai werden wir die CDU in NRW wieder auf die Oppositionsbank schicken. Wir haben in den letzten fünf Jahren erlebt, dass die CDU nicht gut für das Land ist“, so Jens Peick.
„Es macht einen Unterschied, ob die Sozialdemokratie regiert oder andere. Das müssen wir zeigen.“ Doch die Herausforderungen sind groß: Von fairen und armutsfesten Löhnen über bezahlbaren Wohnraum bis zum größten Thema – dem Klimaschutz. „Nur wir in Dortmund und im Ruhrgebiet sind in der Lage, den Weg sozial gerecht zu gestalten. Wir haben schon mal einen Strukturwandel geschafft, bei dem wir niemanden zurück gelassen haben“, betonte der neue SPD-Vorsitzende.
Auch beim Klima-Strukturwandel: Wir dürfen niemanden ins Bergfreie fallen lassen“
Oberstes Ziel müsse es sein, entschlossen die Klima-Auswirkungen zu bekämpfen – aber auch mit dem nötigen Augenmaß, „damit wir die Gesellschaft nicht verlieren. Corona zeigt, dass die Maßnahmen von einer breiten Mehrheit getragen werden. Aber es gibt einige Störer:innen die das System gefährden und uns die jetzige Situation bringen“ sagte er mit Blick auf die Ungeimpften, die dem Land die vierte Welle eingebracht haben.
„Das darf uns beim Klima nicht passieren. Wir dürfen niemanden ins Bergfreie fallen lassen – das galt beim letzten Strukturwandel und das gilt auch jetzt. Damit das klappt, trete ich für euch und mit euch an.“ Doch gelingen könne das – wie im Wahlkampf – nur gemeinsam. Das sei nicht nur eine Floskel, sondern erst gemeint, lud Peick zum Mitmachen ein. Er räumte zudem mit dem medial verbreiteten Vorurteil auf, dass sich niemand um den SPD-Vorsitz in Dortmund reiße: „Ich habe Bock drauf und reiße mich darum“, sagte er lachend. Die Delegierten folgten ihm und wählten ihn – ohne Gegenkandidaten – mit 96,1 Prozent der Stimmen.
Ein ähnlich gutes Ergebnis hatte nur seine Nachfolgerin als Parteivize: Anja Butschkau hatte erstmals für diese Position kandidiert. Sie hatte sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Denn als Landtagsabgeordnete sowie als AWO-Vorsitzende in Dortmund stv. AWO-Bezirksvorsitzende trage sie schon viel Verantwortung. Doch nun wolle sie sich auch in der Partei noch stärker einbringen, um das sozialpolitische Profil in Stadt, Land und Bund weiter zu schärfen.
SPD-Fraktion hat schon die zeitgleiche Bundestags- und Kommunalwahl 2025 im Blick
Jetzt ist Jens Peick gewählt – und die SPD im Bund vorne. Nun muss seine Partei liefern. Viel Zeit hat er nicht: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die Landtagswahlen stehen vor der Tür….Und nicht nur die: Schon jetzt gehe es darum, die Partei in Dortmund neu aufzustellen. Daran ließ die (nicht mehr ganz so) neue SPD-Fraktionsvorsitzende Carla Neumann-Lieven keinen Zweifel.
Anders als Nadja Lüders sprach sie mit Blick auf die Kommunalwahl Klartext: „Wir haben bei der Kommunalwahl Federn lassen müssen. Wir sind nicht mehr die dominierende Fraktion und müssen Kompromisse machen. Und es ist möglich, Mehrheiten an uns vorbei zu organisieren“, skizzierte sie die aktuellen Probleme – insbesondere mit Blick auf die grün-schwarze Projektpartnerschaft.
„Aber dennoch wollen wir sozialdemokratische Politik machen“, kündigte sie mit Blick auf das in der vergangenen Woche erarbeitete Antragspaket zum städtischen Haushalt für 2022. Dafür muss die neu zusammengesetzte und deutlich kleinere SPD-Fraktion nun Mehrheiten organisieren. Der Start war mehr als holprig: „Es hat geknirscht und gehakt. Die Fraktionsspitze wurde binnen eines Jahres zwei Mal ausgetauscht. Nun habe man sich zurecht geruckelt und die Mitglieder – die Hälfte ist neu im Rat – hätten ihre Rolle gefunden.
„Das ist kein leichtes Unterfangen. Damit müssen wir umgehen und das werden wir auch.“ Doch Carla Neumann-Lieven richtete den Blick nicht nur auf die Landtagswahl in einem halben Jahr, sondern schon auf die nächste Kommunalwahl 2025. „Bis dahin sollten wir schon mal überlegen, wie wir uns aufstellen wollen.Dann fallen Bundestagswahl und Kommunalwahl zusammen. Das müssen wir schön langfristig planen. Heute beginnen wir damit – gemeinsam, Seit` an Seit`“, schrieb die neue Fraktionsvorsitzende dem neuen Parteivorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Jens Peick gleich ins Stammbuch.
Auch die Beisitzer:innen wurden neu gewählt
Das sind die neu gewählten Beisitzer:innen im SPD-Unterbezirksvorstand: Fabian Erstfeld (94 Stimmen), Sandra Spitzner (89 Stimmen), Matthias Hechler (84 Stimmen), Michaela Krafft (72 Stimmen), Miriam Lämmert (69 Stimmen), Mahkam Safaei-Shahverdi (69 Stimmen), Oliver Stens (69 Stimmen), Ute Cüceoglu (68 Stimmen), Susanne Meyer (61 Stimmen), Erika Wehde (59 Stimmen), Bianca Herrmann (58 Stimmen), Dirk Franke (51 Stimmen), Michael Schröer (44 Stimmen) und Philipp Marten (42 Stimmen).
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Statement von Sabine Poschmann und Jens Peick zum Koalitionsvertrag (PM)
Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP ist da. Die beiden Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordneten Sabine Poschmann und Jens Peick zeigen sich mit dem Ergebnis zufrieden:
„Wir haben uns in wichtigen Punkten wie der Modernisierung unseres Sozialstaats, einer großen Offensive für mehr bezahlbaren Wohnraum und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege durchgesetzt. Es ist klar, dass der Vertrag bei drei Koalitionspartnern nicht zu 100 Prozent das SPD-Wahlprogramm widerspiegelt, aber die positiven Aspekte überwiegen eindeutig“, meint Jens Peick, der seit dem Wochenende auch neuer Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Dortmund ist.
Sabine Poschmann unterstreicht: „Von der Einführung eines Bürgergelds, einer Kindergrundsicherung oder einer Ausbildungsplatzgarantie werden beispielsweise auch viele Dortmunderinnen und Dortmunder profitieren. SPD, Grüne und FDP werden eine Fortschrittskoalition bilden, die einen zukunftsweisenden Aufbruch für unser Land ermöglicht. Ich freue mich, dass ich bei den Verhandlungen für den Bereich Wirtschaft meinen Teil beitragen konnte.“