Die Verbindung zwischen rechtsextremer Musik und rechtem Terrorismus rückte in den letzten Jahren aufgrund der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch den Neonazi Stephan Ernst in den Fokus der Öffentlichkeit. Die RechtsRock-Band Erschießungskommando hatte das Szenario der Tat in einem ihrer Lieder exakt beschrieben: „Wenn es dunkel wird im Land | Bleibt der Killer unerkannt | Er schleicht sich lautlos an das Haus | […] | Bald da wird ein Leben enden | In den eigenen vier Wänden | […] | C18! Heil Combat 18!“. Combat 18 (Kampftruppe Adolf Hitler) ist der paramilitärische Arm von Blood & Honour (B&H), eines in Deutschland mittlerweile verbotenen rechtsextremen Netzwerkes, das sich die Koordination von RechtsRock-Konzerten und den Vertrieb neonazistischer Musik zur Aufgabe gemacht hat. Die Wurzeln von C18 reichen bis in das Jahr 1992 zurück, als die Kampftruppe zunächst als Saalschutz der rechtsextremen British National Party formiert wurde. Nur wenige Jahre später gründete sich in Dortmund die RechtsRock-Band Oidoxie, die im Laufe der nächsten Jahre zu dem deutschen Aushängeschild des Neonazi-Rock mit Verbindungen zum C18-Netzwerk werden sollte.
Die Anfänge: Oidoxie & ihre Streetfighter
Die Band Oidoxie wurde 1995 u.a. durch den Neonazi Marko G. gegründet, der viele Jahre Mitglied der Kameradschaft Dortmund um Siegfried Borchardt (‚SS-Siggi‘) war. Bereits auf dem ersten Album bekannte die Band ihre nationalsozialistische Gesinnung, etwa durch eine Hymne für Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, und stellte sich offen in die Tradition von Blood & Honour.
Auf einem Lied, welches dem B&H-Gründer Ian Stuart Donaldson gewidmet ist, heißt es entsprechend: „Ian Stuart, wir werden Deinen Weg weitergehen und uns in Walhalla wieder sehen“. Es folgten weitere Alben, in denen der Stolz auf die ‚weiße Rasse‘ (Albumtitel: Weiß & Rein) besungen, der deutschen Wehrmacht gehuldigt und von einem ‚weißen, reinrassigen‘ Deutschland geträumt wird. Um die Band bildete sich bereits ab 1996 eine Security-Gruppe, die sich Saalschutz Oidoxie nannte und zunächst einen losen Zusammenschluss neonazistischer RechtsRock-Fans darstellte.
Ab 2003 trat die Gruppe als Oidoxie Streetfighting Crew (OSC) in roten T-Shirts nach außen hin geschlossener auf und ab 2005 wurde die Gruppe schließlich von Marko G. neu organisiert. Neben der Security-Tätigkeit bei Konzerten beteiligte sich die Gruppe schließlich auch an der Organisation und Durchführung von neonazistischen Musikveranstaltungen. Das Selbstverständnis dieser Gruppe wurde in einem Oidoxie-Lied besungen: „Wir halten stets zusammen, Kameradschaft ist das, was uns verbindet […]. Wir sind nationale Sozialisten. Und stehen auch dazu – Oidoxie Streetfighting Crew“. Die Mitglieder der Crew kamen hauptsächlich aus Kassel und Dortmund, wobei die Dortmunder sich im Wesentlichen aus dem Umfeld der Kameradschaft Dortmund rekrutierten.
Die Band und ihre Entourage bewegten sich dabei einerseits international im Netzwerk Blood & Honour/Combat 18 – Oidoxie galt seit spätestens 2000 als C18-Band – andererseits waren sie eng in der lokalen Neonazi-Szene verankert. Die Bandmitglieder bzw. das Umfeld organisierten so auch Demonstrationen, bei denen u.a. Marko G. als Redner und Versammlungsleiter auftrat. Zudem war Oidoxie die erste Band, die auf einer Demonstration einen Live-Act spielte.
Der damalige Bassist der Band soll 1998 als erstes von Combat 18 in Dortmund gesprochen haben. Dies sagte zumindest Sebastian S. vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in NRW aus. S. war Mitglied der OSC und wurde vom Verfassungsschutz NRW in diesem Jahr mit Sprengstoff und Bombenbau in Verbindung gebracht. Außerdem soll er andere Neonazis im Bau von Sprengsätzen geschult haben.
Polizeilich erfasst wurden schließlich erste Aktionen in Bezug auf Combat 18 in Dortmund im Jahr 2000. Der Neonazi Michael Berger, der nachweislich mit mehreren C18-Sympathisant_innen in Kontakt stand, nahm gemeinsam mit Sebastian S. an Schießübungen teil. Dass diese Übungen nicht nur der eigenen Erheiterung dienten, zeigte sich im Juni diesen Jahres: Berger erschoss drei Polizisten und beging anschließend Suizid. Die Kameradschaft Dortmund feierte die Morde und bekannte sich öffentlich zu Berger, indem Flyer mit der Aufschrift „3:1 für Deutschland – Berger war ein Freund von uns“ im Dortmunder Stadtgebiet verteilt wurden.
Die nächste Aktion von C18-Sympathisanten folgte einige Monate später. Im September hängten zwei Neonazis Spannbettlaken mit den Aufschriften ‚Juden raus‘ und ‚Es geht los, Combat 18′ sowie einem Hakenkreuz an einer Autobahnbrücke auf. Die selbst ernannte Kampftruppe Adolf Hitlers war in Dortmunder Neonazi-Kreisen nun allgemein bekannt.
2005-2006: Bestrebungen zur Gründung einer C18-Zelle in Dortmund
In den Jahren 2005-2006 eskaliert die neonazistisch motivierte Gewalt in Dortmund endgültig. Den Auftakt bildete die Tötung Punker Thomas Schulz durch einen damals erst 17-Jährigen Neonazi. Die Dortmunder Neonazi-Szene feierte wie bereits bei den Berger-Morden den Tod politischer Gegner und gab die Parole ‚Dortmund ist unsere Stadt’ aus.
Auch die Mitglieder von Oidoxie und ihrer Streetfighting Crew versuchten in der Folge dieser Parole gerecht zu werden. Sie griffen etwa mit Schlagstöcken bewaffnet antifaschistische Protestierende an und beteiligten sich an einem Angriff auf die Gäste der linken Szene-Kneipe Hirsch-Q. Nicht zufällig häuften sich ab 2006 schließlich die Bekenntnisse von Oidoxie zur C18-Struktur.
In diesem Jahr veröffentlichte die Band das Album Terrormaschine auf dem Label W+B Medien des Neonazi-Multifunktionärs Thorsten Heise. Heise gilt bis heute als wichtiger Netzwerker in der deutschen C18-Struktur und als enger Freund des C18-Gründers und -Anführers William Browning.
Marko G. steht bereits seit mindestens 1999 in Kontakt zu Heise, als er gemeinsam mit Borchardt Heises Hochzeit besucht hatte. Dem RechtsRock-Experten Timo Büchner zufolge ist die Verbindung zwischen Marko G. und Heise „einer der Schlüssel, um das rechtsterroristische Potenzial der deutschen Neonazi-Szene verstehen zu können“.
Auf dem Album Terrormaschine befindet sich eine gleichnamige Hymne auf C18, in der es heißt: „Fighting for our Nation, fighting against the scum. If you see the hate in our face, you should better run. Fighting for better nations. We want our citys clean. This is the Terrormachine, this is Combat 18, […] hail to Combat 18, hail to the terrormachine.“ In den folgenden Jahren bestätigte Marko G. dieses Bekenntnis zu C18. So beendete er 2009 das Lied Ready for War mit der Frage „We are Combat 18, who the fuck are you?“ und veröffentlichte einen Tonträger „Hail C18“ mit seinem Projekt Straftat.
In den Jahren um 2005-2006 soll Marko G. versucht haben eine C18-Terrorzelle in Dortmund zu etablieren. Dies berichteten einhellig leitende Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sowie der damals Beteiligte Sebastian S., der zeitweise als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig war, vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Düsseldorf.
Zu dem Zeitpunkt sollen sich um G. sieben Personen versammelt haben, die über belgische Neonazis Zugang zu Schusswaffen hatten und unter denen der Roman The Turner Diaries („Die Turner Tagebücher“) verteilt wurde.
In dem Roman wird ein Szenario beschrieben, bei dem einzelne Anschläge einer rechtsterroristischen Zelle sich zu einem ‚Rassenkrieg‘ ausweiten, an deren Ende ein globaler Genozid an der nicht-weißen Weltbevölkerung steht. Das Buch gilt als maßgeblicher Auslöser für eine Reihe von rechtsterroristischen Anschlägen, in Deutschland sollen u.a. die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) den Roman gelesen haben.
Über die konkrete Bewaffnung der Zelle hat der ehemalige V-Mann Sebastian S. allerdings widersprüchliche Angaben gemacht: Im Jahr 2005 hatte er ausgesagt, dass er Schusswaffen an mindestens drei Neonazis verteilt habe, im Jahr 2011 dann, dass Marko G. Waffen von belgischen Neonazis verteilt hätte und beim NSU-Untersuchungsausschuss schließlich, dass er der einzige in der Gruppe mit Schusswaffen gewesen wäre.
Eindeutig ist hingegen, dass die Polizei zwischen 2005 und 2007 bei Durchsuchungen mehrerer Wohnungen funktionsfähige Schusswaffen gefunden hat, die von Sebastian S. dort gelagert wurden. Außerdem konnte erwiesen werden, dass die Gruppe für den bewaffneten Kampf trainierte und mehrfach zu Schießübungen in die Niederlande, nach Dänemark und nach Schweden gefahren ist.
Für das terroristische Potenzial der Zelle spricht weiterhin, dass Marko G. anlässlich eines Konzerts in Moskau Gespräche über die Möglichkeiten einer paramilitärischen Ausbildung führte und mit dem Leiter der B&H-Division in Polen ein paramilitärisches Training für Anfang 2006 vereinbart hatte.
Terrorzelle oder doch nur „Maulhelden“?
Obwohl es also eindeutig Bestrebungen zur Gründung einer C18-Zelle in Dortmund gab, sind sich verschiedene Expert_innen nicht darüber einig, inwiefern diese Bestrebungen tatsächlich in die Konstituierung einer terroristischen Gruppierung mündeten. Leitenden Angestellten des Verfassungsschutzes NRW zufolge hat es zu dem genannten Zeitpunkt keine C18-Struktur in NRW gegeben.
Dem damaligen Leiter Dr. Hartwig Möller fehlte hierfür vor allem der Schritt zu einer strukturierten Organisation, die öffentlich bekennt: „‚Wir heißen jetzt ‚Combat 18′, wir haben vielleicht sogar eine Satzung, und wir machen dies […] und gehen damit auch an die Öffentlichkeit‘.“ In der sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismus-Forschung wird allerdings darauf hingewiesen, dass solche Bekenntnisse für den Rechtsterrorismus nicht üblich sind, da die Taten für sich sprechen sollen.
Mit Möllers Begründung wäre schließlich auch der NSU keine rechtsterroristische Zelle gewesen bzw. erst nach ihrer Aufdeckung wären sie zu einer geworden. Die Gruppenleiterin der Referate Auswertung und Beschaffung im Bereich Rechtsextremismus Cornelia de la Chevallerie sekundierte ihrem Vorgesetzten, dass sich viele Personen dem Label Combat 18 bedient hätten, um Marketing für CD-Verkäufe zu betreiben und sich selbst als Kämpfer für die ‚weiße Rasse‘ aufzuwerten.
Eine wirkliche Terrorzelle hätte es hingegen nicht gegeben. Burkhardt Freier, aktueller Leiter des VS NRW, bezeichnete die Gruppe um Marko G. gar als „Maulhelden“, die zwar über Anschläge geredet und an Schießübungen teilgenommen hätten, aber nie tatsächlich terroristisch aktiv geworden wären.
„Nur mit Glück ist der große Knall einer rechtsradikalen Gewaltorgie in Dortmund ausgeblieben.“
Zu einer anderen Einschätzung kommt der Journalist David Schraven, der sich einen tiefen Einblick in die Dortmunder Neonazi-Strukturen dieser Jahre verschafft hat. Er schreibt: „Nur mit Glück ist der große Knall einer rechtsradikalen Gewaltorgie in Dortmund ausgeblieben.“
Er betont in seiner Argumentation vor allem die Idee des führerlosen Widerstandes (leaderless resistance), die durch die Turner-Tagebücher auch in der Dortmunder Szene kursierte. Die Idee dahinter ist, dass Einzeltäter oder kleine Gruppen autark und unabhängig von größeren Strukturen agieren sollen, damit Aktionen durch Sicherheitsbehörden nicht verhindert werden können.
Damit die Zellen lange unentdeckt operieren können, sollen zudem keine Bekennerschreiben verfasst werden und es soll keine Kontakte zwischen den Zellen geben. Verstehen solle die Anschläge nur, wer die Strategie dahinter erkennt. Die einzelnen Zellen handeln also autark, sind aber zugleich eingebunden in eine international agierende Struktur, die durch konspirativ organisierte Versammlungen sowie durch RechtsRock-Konzerte miteinander vernetzt sind.
Und dass die Dortmunder um Marko G. Teil einer solchen Struktur waren, das bestreitet auch der Verfassungsschutz nicht. Intensiven Kontakt pflegten sie insbesondere zu einer belgischen Combat 18-Gruppe, mit denen sie gemeinsam an Schießübungen teilnahmen. Sebastian S. war zudem zeitweise mit gefälschtem Pass in Belgien untergetaucht. Im Herbst 2006 wurde die belgische C18-Zelle schließlich durch die Polizei aufgelöst, es wurden Sprengstoff und Gewehre beschlagnahmt und die Mitglieder der Zelle wurden u.a. wegen Leugnung des Holocausts, Waffenhandel und Gründung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
Einige Monate später überfiel Robin S., Mitglied der Dortmunder Gruppe, einen Supermarkt und schoss mehrmals auf einen Tunesier, der schwerverwundet überlebte. Die Tatwaffe hatte ihm Sebastian S. besorgt, beide erhielten langjährige Haftstrafen. Betrachtet man die Dortmunder Gruppe in dieser Zeit vor dem Hintergrund der Idee des führerlosen Widerstandes und der Turner-Tagebücher, wie David Schraven dies tut, dann spricht vieles dafür, sie als eine C18-Zelle einzuschätzen. Und dann war es eventuell auch kein Zufall, dass 2006 ein NSU-Mord in Dortmund stattfand.
Verbindung zu NSU-Morden in Dortmund & Kassel?
Durch den NSU-Prozess und die Untersuchungsausschüsse konnte eindeutig belegt werden, dass das NSU-Kerntrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bei seinen Taten von einem breiten Netzwerk unterstützt wurde. Das ganze Ausmaß dieses Unterstützungsnetzwerkes konnte allerdings bis heute nicht vollständig aufgeklärt werden. Insbesondere bleibt die Frage offen, inwiefern lokale Strukturen an der Auswahl der mindestens zehn Mordopfer beteiligt waren.
Diese Frage stellt sich auch für die Morde an Mehmet Kubaşık am 04.04.2006 in Dortmund und an Halit Yozgat am 06.04.2006 in Kassel. Es gibt Indizien für eine Verbindung zwischen den NSU-Morden und der Dortmunder Neonazi-Szene sowie der Band Oidoxie. Zunächst ist hierbei natürlich die zeitliche Nähe der beiden Morde zu nennen und, dass ein Großteil der Mitglieder der Oidoxie Streetfighting Crew sich aus Kassel und Dortmund rekrutierte.
Zwei Wochen vor den Morden hatte das OSC-Führungsmitglied Stanley R. seinen Geburtstag mit Oidoxie gemeinsam in Kassel gefeiert. Mehrere dort anwesende Neonazis haben später bei polizeilichen Vernehmungen ausgesagt, dass auch Mundlos und Böhnhardt vor Ort gewesen sein sollen. Inwiefern dort Absprachen für die beiden kurz darauf folgenden Morde geführt wurden, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Der NSU-Untersuchungsausschuss sowie engagierte Journalist_innen versuchten weiterhin die Frage zu beantworten, wieso Mehmet Kubaşık als Opfer ausgewählt wurde. Es gibt Hinweise dafür, dass möglicherweise ortskundige Dortmunder Neonazis an der Auswahl des Tatzieles beteiligt gewesen sein könnten. So liegt der Kiosk, in dem Kubaşık erschossen wurde, zwischen den Gaststätten Deutscher Hof und Thüringer Hof, in denen sich damals regelmäßig Neonazis aus Dortmunder Kameradschaften trafen.
Die führenden Neonazis aus Dortmund wohnten zu diesem Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe des Kiosks, Borchardt sogar auf der gleichen Straße. Außerdem wurden bei den Mitgliedern des NSU nach dessen Enttarnung Stadtkarten aus Dortmund gefunden, in denen das Trio potenzielle Anschlagsziele verzeichnet hatte. Sie verfügten also scheinbar über genaue Kenntnisse der Stadt, wohlmöglich durch Hilfe von Ortskundigen.
Auf diesen Karten war u.a. auch ein türkisches Bildungszentrum markiert, auf das vier Tage vor dem Mord an Kubaşık ein Brandanschlag verübt wurde. Zudem ruft im NSU-Prozess die Zeugenaussage von Gamze Kubaşık Zweifel an der alleinigen Auswahl des Tatorts durch das NSU-Trio hervor: Im Kiosk ihres Vaters war sichtbar eine Videokamera installiert, welche jedoch ausgeschaltet war. Wissen, das eigentlich nur Ortskundige haben konnten.
Es gibt zudem Hinweise auf einen direkten Kontakt zwischen der Oidoxie-Gruppe und dem NSU-Umfeld. Marko G. etwa war Mitglied der rechtsextremen Gefangenenhilfe HNG und traf bei der Jahresversammlung der HNG 2001 auf eine bekannte NSU-Unterstützerin, die Beate Zschäpe nach deren Untertauchen ihren Pass zur Verfügung stellen wollte. Dortmunder C18-Sympathisant_innen sollen WAZ Recherchen zufolge zudem bereits 1995 an einem B&H-Treffen in Gera gemeinsam mit dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos teilgenommen haben.
Oidoxie ist zudem bereits in den 1990ern häufiger gemeinsam mit RechtsRock-Bands aufgetreten, die dem NSU-Unterstützer-Netzwerk zugerechnet werden, sowie bei Events, die von Personen aus dem Umfeld der Terrorzelle organisiert wurden. Im Januar 1998, einen Monat vor dem Abtauchen des Kerntrios, trat die Band im regelmäßigen Treffpunkt des Thüringer Heimatschutzes (THS) in Heilsberg auf. Die drei Hauptmitglieder des NSU waren bis zu ihrem Abtauchen Teil der Sektion Jena des THS.
Indes bleibt es bei solchen Indizien für einen persönlichen Kontakt und es gibt keine Belege dafür, dass Personen um Marko G. tatsächlich über die Existenz und die Morde des NSU Bescheid wussten. Ein direkter Kontakt zwischen den Dortmunder Neonazis und dem NSU konnte erst nach dessen Enttarnung nachgewiesen werden.
Im Frühjahr 2013 kam es zu einem ausführlichen Briefwechsel zwischen Beate Zschäpe und Robin S., der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls inhaftiert war. In den bis zu 26 Seiten langen Briefen soll Zschäpe tiefe Einblicke in ihr Seelenleben geben, der Ton soll vertraut sein. In den Briefen befinden sich zwar keine Hinweise auf gemeinsamen Aktionen oder Treffen, doch dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Briefe von den Sicherheitsbehörden gelesen wurden und die beiden Inhaftierten dies vermuten konnten.
Doch selbst wenn sie sich tatsächlich vorher nicht persönlich kannten, waren sie, wie NSU Watch zu Recht schreibt, verbunden „durch die Idee des ‚Leaderless Resistance‘ und durch die Netzwerke von Blood & Honour und Combat 18“.
Restrukturierung 2012
Die Verbindungen zwischen Oidoxie und ihrem Umfeld zum B&H/C18-Netzwerk bestehen bis heute. Als sich im März 2012 im Rahmen eines RechtsRock-Festivals in Schweden Neonazis aus Deutschland, England, den Niederlanden sowie aus den skandinavischen Ländern trafen und eine grundlegende Neustrukturierung von C18 beschlossen, war auch Oidoxie vor Ort. Bei dem Festival wurde u.a. auch eine autorisierte deutsche Division des weltweit agierenden Netzwerkes gegründet, die sich Combat 18 Deutschland nannte.
Die deutsche Sektion besaß regionale Schwerpunkte neben Dortmund und Kassel in Ostholstein (wo zwei Band-Mitglieder von Oidoxie leben) und Thüringen. Es gab eine feste Organisationsstruktur mitsamt einer Satzung, in der u.a. Aufnahme- und Ausschlusskriterien, Regeln und Pflichten für Mitglieder sowie Mitgliedsbeiträge festgelegt wurden. Die Oidoxie Streetfighting Crew kann dabei dem investigativen Recherche-Blog EXIF zufolge als eine Art Vorläufer der deutschen Sektion angesehen werden.
Nicht zufällig gingen die Beiträge monatlich auf das Konto von dem Führungsmitglied Stanley R., der bereits bei der Streetfighting Crew eine einflussreiche Position innehatte. Die besonders enge Verbindung zwischen ihm und Oidoxie-Sänger G. wird deutlich, wenn man das Cover der Straftat-CD betrachtet, auf dem die beiden in OSC-Shirts abgebildet sind. Die exponierte Stellung, die ehemalige OSC-Mitglieder bei der deutschen Division innehatten, zeigte sich auch bei der bisher einzigen öffentlichen Stellungnahme der Zelle.
Im Juni 2019 hatte Robin S. in einer Videoansprache im Namen von Combat 18 Deutschland ein Statement verlesen, in dem u.a. Journalist_innen bedroht wurden und man sich von einer Beteiligung an dem Mord an Walter Lübcke distanzierte. Oidoxie zeigt seine Verbundenheit zu dem Netzwerk, indem sie häufig bei Divisionen aus anderen Ländern spielen, von denen es mittlerweile weltweit 25 gibt. Im Rahmen eines solchen Konzerts in Italien soll die Bildung einer neuen C18-Zelle unterstützt worden sein.
Es ist zum Großteil journalistischen Recherchen zu verdanken, dass einige der C18-Mitglieder namentlich bekannt sind. Denn bei C18 handelt es sich um eine klandestin organisierte Struktur, bei der keine offiziellen Mitgliederlisten geführt werden. Die Mitglieder distanzieren sich in öffentlichen Statements häufig von dem Netzwerk. Sie geben dabei entweder an, sie würden über keine Kenntnisse über eine solche Struktur verfügen oder zumindest selbst nicht Teil von dieser sein.
Marko G., der einen Combat 18-Schriftzug auf seiner Brust tätowiert hat, bestreitet beispielsweise, ein Mitglied des Netzwerkes zu sein. Er klagte im letzten Jahr gegen die BILD-Zeitung, nachdem diese ihn in einem Artikel als einen Führungskader bezeichnet hatte.
In dem Verfahren behauptete er, dass er keine Führungsperson von C18 sein könne, da er gar kein Mitglied der Bruderschaft sei. Das Gericht urteilte, Marko G. sei zwar unbestritten ein international vernetzter Rechtsextremer, möglicherweise auch ein Repräsentant oder Sympathisant von C18, aber eine Führungsrolle könne nicht bewiesen werden.
Nach Recherchen von EXIF ist Marko G. jedenfalls mehr als ein Sympathisant. Er hat nach wie vor eine Gruppe um sich versammelt, die sich unmissverständlich zu C18 bekennt. Seit spätestens 2017 bezeichnet sich diese Gruppe als Brothers of Honour, seit 2019 treten die Mitglieder bei RechtsRock-Veranstaltungen mit schwarzen Lederwesten auf, auf denen sich Patches mit dem Code „28FF28“ („Blood & Honour Forever, Forever Blood & Honour“) und dem C18-Leitspruch „Whatever it takes“ befinden. Zudem spielte Oidoxie auch in den letzten Jahren öfter bei verschiedenen B&H/C18-Sektionen im In-und Ausland, die Mitglieder trugen Kleidung mit dem C18-Emblem (einem Drachen) und die Band posierte vor Fahnen mit eben jenem Logo.
Im Jahr 2020 wurde „Combat 18“ in Deutschland verboten
Am 23.01.2020 wurde die Vereinigung Combat 18 Deutschland nach dem Vereinsgesetz verboten, da sie mit dem „Nationalsozialismus wesensverwandt“ sei. Vielen Beobachter_innen zufolge viel zu spät – durch die monatelangen öffentlichen Debatten über ein mögliches Vereinsverbot seit dem Lübcke-Mord hatten die mutmaßlichen Terroristen genügend Zeit, um Waffen und Finanzunterlagen verschwinden zu lassen und ihre Kommunikation zu löschen.
Zudem, so der Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer, seien die Personen nach wie vor in der Szene und trotz Verbot weiterhin konspirativ organisiert. Doch nicht nur der Zeitpunkt der Verbotsverfügung sowie ihre allgemeine Sinnhaftigkeit wurden öffentlich kritisiert, sondern ebenfalls das Objekt des Verbots: wer also davon überhaupt betroffen ist und wer eben nicht. Das Verbot bezieht sich nämlich lediglich auf den Verein Combat 18 Deutschland, der dem Bundesinnenministerium zufolge aus lediglich 20 Personen bestehen soll.
Die Verbotsverfügung wurde ausschließlich Stanley R., Robin S. und fünf weiteren Rädelsführern zugestellt. Gemäß antifaschistischer Recherchen sollen sich allerdings in Deutschland um die 100 Personen dem Netzwerk Blood & Honour/Combat 18 zugehörig fühlen. Nicht betroffen von dem Verbot ist die Gruppe um Oidoxie bzw. Marko G., die Brothers of Honour.
Verbindungen zwischen „Combat 18“ und der Partei „Die Rechte“
Die C18-Repräsentanten in Dortmund sind keine isolierte Gruppe besonders radikaler Neonazis, sondern seit über 25 Jahren fester Bestandteil der örtlichen Kameradschaftsszene. Marko G. und später die Streetfighting Crew bewegten sich im Umfeld bzw. waren Teil der Kameradschaft Dortmund um Siegfried Borchardt. Bis heute beteiligen sich Personen aus diesen Strukturen an Demonstrationen und Kundgebungen der lokalen Neonazi-Szene.
Ein regelrechtes Schaulaufen internationaler Kader fand beispielsweise bei dem Tag der deutschen Zukunft in Dortmund 2016 statt, einer Demonstration die vom damaligen Dortmunder Ratsmitglied Michael Brück von Die Rechte (DR) angemeldet wurde. Neben einer Vielzahl der bekannten Divisions-Mitglieder aus Deutschland war sogar der C18-Gründer Browning aus England angereist, der auf der Demonstration u.a. von Heise, Marko G. und Robin S. begleitet wurde. Auch bei anderen Demonstrationen in Dortmund traten Personen mit C18-Insignien auf.
EXIF zufolge lässt sich durch die Analyse interner Mitteilungen eindeutig belegen, dass ausschließlich Mitglieder das C18-Label tragen und verbreiten dürfen. Insbesondere Robin S. nimmt seit seiner Haftentlassung neben internationalen Treffen von C18 auch an nahezu allen Demonstrationen und Kundgebungen der Partei Die Rechte teil.
Ferner engagierte er sich als Security bei dem Kampf der Nibelungen 2018, der von dem DR-Funktionär Alexander Deptolla maßgeblich organisiert wurde. Auch zu Oidoxie-Frontsänger Marko G. suchen ranghohe Vertreter von Die Rechte immer wieder die Nähe. Im Rahmen der Prozesse gegen die BILD waren u.a. Brück sowie der Bundesvorsitzende der Partei Sascha Krolzig in den Gerichten vor Ort, um ihren Kameraden zu unterstützen.
Die enge Verbindung zwischen hohen Parteifunktionären und der RechtsRock-Szene kommt dabei nicht von ungefähr. Oidoxie genießt ein hohes Ansehen, da ihre Musik bedeutende Funktionen für die Neonazi-Szene erfüllt. Der RechtsRock ist ebenso wichtig für die Rekrutierung neuer Mitglieder wie für die Stabilisierung der eigenen Szene, da er einen emotionalen Anknüpfungspunkt bietet und die Gemeinschaft stärkt. Über die Liedtexte können politische Inhalte verbreitet werden, die oftmals nachhaltiger politisieren als Vorträge oder Diskussionsveranstaltungen.
Schon der B&H-Gründer Ian Stuart Donaldson war der Meinung, dass Musik das ideale Mittel sei, um Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen. Nicht zu vernachlässigen ist ferner, dass durch CD-Verkäufe und Konzertveranstaltungen viel Geld in die Szene fließt und somit politische Aktionen finanziert werden können. So soll u.a. eine Lautsprecheranlage für die Kameradschaft Dortmund von den Einnahmen bei B&H/C18-Konzerten finanziert worden sein.
Es lässt sich nicht abschließend beantworten, inwiefern die Personen um die Dortmunder Band Oidoxie lediglich mit dem Label Combat 18 kokettieren, um Marketing für ihre Musik zu betreiben und sich als besonders gefährlich darzustellen, oder ob sie sich tatsächlich als rechtsterroristische Zelle verstehen.
Dies wird sich wohl auch erst endgültig zeigen, wenn die Szene zu dem Schluss kommt, der Tag X sei gekommen: Als Tag X kursiert in der Szene die Vorstellung, dass eines Tages ein revolutionärer Umsturz möglich sein wird und es dann nötig sei, zu den Waffen zu greifen. Die dargestellte Affinität zu Schusswaffen, das Ausüben von Wehrsportübungen und das Propagieren der Notwendigkeit eines Rassenkrieges in diversen Liedern lässt zumindest darauf schließen, dass ein beträchtliches Gefährdungspotenzial von diesem Personenspektrum ausgeht.
Doch selbst wenn die genannten Personen aktuell keine konkreten Umsturzpläne hegen, liefern ihre hasserfüllten Liedtexte den Soundtrack für rechtsterroristische Taten wie jenen des NSU oder des Lübcke-Mörders Stephan Ernst. Bei der Verbindung zwischen RechtsRock und Rechtsterrorismus spielt Dortmund durch die Band Oidoxie und ihrem Umfeld eine unrühmliche Rolle.
Mehr Informationen zur Broschüre:
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- Die Stadt Dortmund wurde in den letzten Jahrzehnten wiederholt mit rechtsextremen Gewalttaten konfrontiert, die zum Teil bis hin zum Mord führten. Daher ist neben der Beratungstätigkeit auch die Aufklärung über die Strukturen der rechtsextremen Szene notwendig und Teil des Schutzes prospektiver Opfer rechtsextremen Terrors.
- Aus diesem Grund informiert die vorliegende Broschüre des Projekts „U-Turn – Wege aus dem Rechtsextremismus und der Gewalt“ , die wir auf nordstadtblogger.de als Serie veröffentlichen – über Strukturen und aktuelle Entwicklungen des organisierten Neonazismus.
- Die Broschüre „Dortmund Rechtsaußen – eine Bestandsaufnahme“ kann kostenlos über info@u-turn-do.de bezogen werden.