Mehr als vier Jahre nach der Räumung des Hannibal-Komplexes in Dortmund-Dorstfeld gab es vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen das lange erwartete gerichtliche Nachspiel. Mit Urteil vom vom 6.Oktober hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen der gegen die Räumung und Nutzungsuntersagung gerichteten Klage der früheren Eigentümerin (Lütticher 49 GmbH/ Intown-Gruppe) des in Dorstfeld gelegenen Wohnhochhauskomplexes teilweise stattgegeben. Die Art der Verfügung hätte differenzierter sein müssen und zwischen Mieter:innen und Eigentümerin unterscheiden. Aber die Räumung selbst – so zumindest die Lesart der Stadt – sei rechtmäßig und im Rahmen des Ermessens richtig gewesen. Man fühlt sich bei der Stadtverwaltung bestätigt, im Interesse der Sicherheit für die Bewohner:innen richtig gehandelt zu haben.
Frühere Eigentümerin klagt gegen die Stadt Dortmund und die Verfügungen
Das Grundstück in Dorstfeld ist mit acht aneinandergereihten Terrassenwohnhochhäusern mit bis zu 17 Geschossen bebaut. In dem Wohnkomplex befinden sich über 400 Wohnungen.
Nach einer von der beklagten Stadt Dortmund Ende August 2017 durchgeführten Brandschau und einer weiteren Begehung räumte die Stadt Dortmund am 21. September 2017 die Wohnhochhäuser wegen aus ihrer Sicht bestehender gravierender Brandschutzmängel.
Im Nachgang dazu erließ die Stadt Dortmund gegenüber der damaligen Eigentümerin des Wohnhochhauskomplexes am 11. Oktober 2017 eine schriftliche Nutzungsuntersagung für den Wohnkomplex. Die Klägerin hat das Grundstück im Mai 2021 veräußert.
Gericht beanstandet Räumung: die Eigentümerin bzw. Vermieterin sei nicht zuständig
Die gegen die Räumung gerichtete Klage hatte Erfolg. Die Stadt Dortmund habe nach der Bewertung des Gerichts mit der Klägerin als damalige Eigentümerin und Vermieterin die falsche Verantwortliche herangezogen.
Die von der Stadt getroffene Auswahl des Ordnungspflichtigen sei ermessensfehlerhaft gewesen, da eine Nutzungsuntersagung von vermieteten Räumlichkeiten regelmäßig an die unmittelbaren Nutzer, d.h. die Mieter:innen, zu richten sei.
„Dies folge insbesondere aus dem Gebot effektiver und schneller Gefahrenbeseitigung. Einem Eigentümer und Vermieter stehe mietrechtlich grundsätzlich keine Handhabe zu, einem Mieter umgehend die Nutzung der Wohnung zu verbieten“, heißt es vom Gericht. Dennoch sei – so zumindest die Lesart der Stadt – sieht man sich bestätigt, dass die Räumung notwendig gewesen sei.
Aufgrund der Gefahrenlage habe es keinen Ermessensspielraum gewesen. Zudem sei es nicht praktikabel gewesen, rund 420 Mieter:innen separat zu erreichen. Nach der Brandschau durch die Feuerwehr habe sofort gehandelt werden müssen – das sieht das Gericht offenbar auch so.
Fehlende Baugenehmigungen: Die Nutzungsuntersagung war laut Gericht richtig
Recht bekommen hat die Stadt Dortmund mit der Nutzungsuntersagung für die Immobilie: Damit war die Nutzung des Gebäudekomplexes und die (zukünftige) Überlassung der Wohnungen an Dritte untersagt. Die Stadt habe die Nutzungsuntersagung zu Recht gegenüber der ehemaligen Eigentümerin als Verantwortliche für den beanstandeten Gebäudezustand ausgesprochen, da die Nutzung der Wohnhochhäuser und der Tiefgarage nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt und damit formell illegal gewesen sei.
Seit Errichtung des Gebäudekomplexes in den Jahren 1973 bis 1977 seien mehrere genehmigungspflichtige Änderungen sowohl in den Wohnhochhäusern als auch in der Tiefgarage vorgenommen worden, für die Baugenehmigungen nicht eingeholt worden seien, befand das Gericht.
Die Stadt Dortmund habe zu Recht angenommen, dass die bauliche Anlage nicht mit den gegenwärtig geltenden bauordnungsrechtlichen Bestimmungen übereinstimme. Die Klägerin könne zudem keinen Bestandsschutz für sich in Anspruch nehmen. Dieser Missstand wurde allerdings zwischenzeitlich schon „geheilt“ .
Neue Baugenehmigungen für die erforderlichen Sanierungsarbeiten an der Wohnanlage hat die Stadt Ende 2020 erteilt. Zwei Monate nach Erhalt der Baugenehmigungen verkaufte die Lütticher 49 GmbH den Hannibal II weiter. Die neue Eigentümerin hatte nach dem Kauf angekündigt, die genehmigten Umbauten durchführen zu wollen. Eine Umsetzung der Baugenehmigungen würde die Gebäude zurückführen in die Legalität und brächte dem Wohnungsmarkt auf einen Schlag rund 400 Wohnungen zurück..
Gegen das Urteil kann die Zulassung der Berufung beantragt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet. Das Urteil wird in Kürze unter www.nrw.de abrufbar sein – Aktenzeichen: 10 K 10512/17. Unabhängig davon gehen die gerichtlichen Auseinandersetzungen noch weiter: In einem separaten Verfahren will frühere Eigentümerin den Mietausfall erstattet haben – und wehrt sich gegen die Kosten der Räumung von fast 500.000 Euro, die die Stadt von der früheren Eigentümerin haben will.
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Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigt Nutzungsverbot des Hannibal 2 // Keine Entscheidung über Ansprüche der Mieter (PM Mieterverein)
Vier Jahre nach der Räumung fällte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen am ersten Verhandlungstag am 06.10.2021 sein Urteil zur Nutzungsuntersagung der Wohnanlage Hannibal 2 mit über 400 Wohnungen in Dortmund-Dorstfeld. Die damalige Eigentümerin des Hannibal 2, die Lütticher 49 Properties GmbH, hatte gegen die Räumung und die Nutzungsuntersagung durch die Stadt Dortmund geklagt.
Das Gericht entschied im ersten Schritt, ob die Stadt Dortmund die Nutzung des Gebäudes untersagen durfte und im zweiten Schritt, ob sie die Kosten der Räumung der Lütticher 49 in Rechnung stellen durfte.
Massive Baumängel – Gefahr für Mieter musste abgewehrt werden
In der Pressemeldung vom 06.02.2021 erläutert das Verwaltungsgericht das Urteil:
„Die Stadt habe die Nutzungsuntersagung zu Recht gegenüber der ehemaligen Eigentümerin als Verantwortliche für den beanstandeten Gebäudezustand ausgesprochen, da die Nutzung der Wohnhochhäuser und der Tiefgarage nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt und damit formell illegal gewesen sei. Seit Errichtung des Gebäudekomplexes in den Jahren 1973 bis 1977 seien mehrere genehmigungspflichtige Änderungen sowohl in den Wohnhochhäusern als auch in der Tiefgarage vorgenommen worden, für die Baugenehmigungen nicht eingeholt worden seien. Die Stadt Dortmund habe zu Recht angenommen, dass die bauliche Anlage nicht mit den gegenwärtig geltenden bauordnungsrechtlichen Bestimmungen übereinstimme. Die Klägerin könne zudem keinen Bestandsschutz für sich in Anspruch nehmen“. Die Klage der Eigentümerin gegen die Nutzungsuntersagung der Stadt Dortmund war daher erfolglos.
„Das Gericht hat klargemacht, dass massive Baumängeln, insbesondere beim Brandschutz vorlagen. Die Mängel seien sogar größer als zuvor angenommen. Es habe eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der MieterInnen bestanden. Die Stadt habe keine andere Wahl gehabt, um die Gefahr abzuwehren. Das Gericht hat daher die Nutzungsunterlassung als zulässig erklärt“, so Tobias Scholz, Geschäftsführer des Mietervereins Dortmund an der Kampstraße, der den Prozess in Gelsenkirchen beobachtete.
Formelle Fehler an Räumung ändern nichts an Unbewohnbarkeit
Erfolgreich war die ehemalige Eigentümerin im zweiten Teil der Klage, in der sie sich gegen die Kosten der Räumung wehrte. Hier sah das Gericht einen formalen Fehler der Stadt Dortmund. Die Räumung selbst sei zwar zulässig gewesen, die Räumungsaufforderung hätte aber ausschließlich an die Mieterinnen und Mieter gerichtet werden müssen.
„Einem Eigentümer und Vermieter stehe mietrechtlich grundsätzlich keine Handhabe zu, einem Mieter umgehend die Nutzung der Wohnung zu verbieten.“ Die Mieterinnen und Mieter müssten als Adressaten einer Nutzungsuntersagung sein, so das Gericht. Daher könne die Stadt Dortmund auch keine Kosten für den Vollzug der Räumung von der Eigentümerin verlangen.
„Die formellen Fehler bei der Räumung sind wichtig für die Frage, ob die Stadt Dortmund die Kosten der Räumung der Eigentümerin in Rechnung stellen darf. Das Gericht hat nicht in Frage gestellt, dass die Räumung des Hannibal rechtmäßig war. Nach Meinung des Gerichts hätte die Stadt die spätere schriftliche Nutzungsuntersagung direkt und ausschließlich an die Mieterinnen und Mieter adressieren müssen. Das Ergebnis für die Mieter hätte sich dadurch aber nicht geändert“, sagt Tobias Scholz.
Die Berufung wurde nicht zugelassen. Hiergegen können sich beide Seiten wehren. Inwieweit die Stadt Dortmund oder die Lütticher 49 vor dem Oberverwaltungsgericht gegen das Urteil vorgehen werden, wird sich nach Veröffentlichung der Urteilsbegründung und Bewertung durch die Klägerin und Beklagte entscheiden.
Folgen für MieterInnen noch offen
Die betroffenen MieterInnen waren nicht Teil des Verfahrens. Das Urteil ist allerdings entscheidend für die Frage, ob und gegen wen die MieterInnen Schadensersatzforderungen geltend machen können. Nach Vorliegen und Bewertung des Urteils wird auch der Mieterverein Stellung beziehen.
Aus Sicht des Mieterverein erhärtet sich Vermutung, dass der Eigentümer aufgrund von massiver Baumängel für die Räumung und Nutzungsuntersagung verantwortlich ist und damit für die entstandenen Schäden haften muss. „Es ist schwer nachzuvollziehen, dass ein Eigentümer nicht die Kosten einer Räumung tragen soll. Obwohl er die Verantwortung für die baulichen Mängel trägt“, erläutert Tobias Scholz.
Hannibal II in Dorstfeld wurde 2017 zurecht geräumt – Verwaltungsgericht bestätigt das Handeln der Stadt Dortmund in weiten Teilen (PM Stadt DO)
Mit seinem Urteil vom 6. Oktober 2021 hat das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen bestätigt, dass die Räumung des Hannibal II in Dorstfeld am 21. September 2017 ohne Alternative war.
„Wir sind zufrieden und froh, dass das Gericht unserer Handeln bestätigt hat“, sagt Dezernent Ludger Wilde, der 2017 den städtischen Krisenstab geleitet hat. „Das Gericht konnte die Feststellungen von Feuerwehr und Bauaufsicht zu 100 Prozent teilen und kam zu dem Schluss, dass wir handeln mussten. Denn es ging erkennbar um die Sicherheit von Leib und Leben der Menschen, die dort gewohnt haben.“
Die 2017 bei Ortsbesichtigungen festgestellten baulichen Mängel waren so gravierend, befand auch das Gericht, dass kurzfristig entschieden wurde, Häuser und Tiefgarage unverzüglich zu räumen, um der akuten Gefahr einzig wirksam zu begegnen. Der Hannibal II ist ein Gebäudekomplex, der aus acht Wohngebäuden und einer gemeinsamen Tiefgarage besteht. Die ehemalige Eigentümerin, die Lütticher 49 Properties GmbH, hatte die Stadt Dortmund verklagt, weil sie Räumung und Nutzungsuntersagung für unangemessen hielt.
Auch in einem weiteren Punkt folgen die Richter der Stadt Dortmund: Sie bestätigten die grundsätzliche Nutzungsuntersagung für das Gebäude und seine Wohnungen. Sie stellten fest, dass die im Laufe vieler Jahre vorgenommenen baulichen Veränderungen an dem Gebäudekomplex gravierend gewesen sind. Ohne Baugenehmigung hätten diese gar nicht durchgeführt werden dürfen.
Da dies trotzdem geschah und dafür keine Baugenehmigungen beantragt wurden, sind die Gebäude nach Ansicht des Gerichts illegal. Die Stadt Dortmund hat daher zu Recht angenommen, so das Gericht, dass die bauliche Anlage nicht mit den gegenwärtig geltenden bauordnungsrechtlichen Bestimmungen übereinstimmt. Bestandsschutz für die bauliche Anlage schloss das Gericht aus.
Das Verwaltungsgericht bemängelte allerdings, dass die Stadt die Vermieterin zur Räumung heran gezogen hatte. Es vertrat die Ansicht, dass die über 700 Nutzer*innen der mehr als 400 Wohnungen einzeln heran zu ziehen waren.
Welche Folgen sich aus dem Urteil ableiten und ob ein Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Münster gestellt wird, bedarf zunächst der gründlichen rechtlichen Prüfung und Analyse durch die Stadt. Hierzu muss jedoch erst einmal das Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung abgewartet werden. Dieser Weg steht auch der Lütticher 49 GmbH als Klägerin offen.
Über weitere Klagen vor dem Verwaltungsgericht, in denen es um eine Kosteninanspruchnahme der damaligen Vermieterin geht, wurde noch nicht entschieden.
Neue Baugenehmigungen für die erforderlichen Sanierungsarbeiten an der Wohnanlage hat die Stadt Ende 2020 erteilt. Zwei Monate nach Erhalt der Baugenehmigungen verkaufte die Lütticher 49 GmbH den Hannibal II weiter. Die neue Eigentümerin hatte nach dem Kauf angekündigt, die genehmigten Umbauten durchführen zu wollen. Eine Umsetzung der Baugenehmigungen würde die Gebäude zurückführen in die Legalität und brächte dem Wohnungsmarkt auf einen Schlag rund 400 Wohnungen zurück.