Stadt erinnert mit beeindruckendem Gedenkbuch an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Dortmund 

Das Gedenkbuch für die ermordeten Juden ist fertig.
Das Gedenkbuch für die ermordeten Juden ist fertig.

Mehr als zehn Jahre hat sich Rolf Fischer schon mit dem Schicksal der Dortmunder Juden beschäftigt. „Die Lebensgeschichten sind fast immer auch Leidensgeschichten“, sagt er. Doch wenn es um Kinder geht, ist der Historiker noch immer tief bewegt. „Das ist teilweise so grausam. Da möchte man teilweise nicht weiterlesen. Aber das gehört dazu.“

Fast 2000 Dortmunder Juden wurden zwischen 1933 und 1945 von Nazis ermordet

Die alte Dortmunder Synagoge: Wilhelm Schmieding sprach bei der Einweihung im Jahr 1900 stolz von einer „Zierde für die Stadt“ und wünschte sie sich „für Jahrhunderte erbaut“.
Die Synagoge: Wilhelm Schmieding sprach bei der Einweihung im Jahr 1900 von einer „Zierde für die Stadt“ und wünschte sie sich „für Jahrhunderte erbaut“.

1965 jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Dortmund, Männer, Frauen und Kinder, fielen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer. Sie wurden nach Jahren der Verfolgung und des Leids fern der Heimat unter entsetzlichen Umständen ermordet und fanden keine Grabstätte.

Um die Erinnerung an sie wach zu halten und an künftige Generationen weiterzugeben, hat die Stadt Dortmund zum siebzigsten Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz jetzt ein Gedenkbuch vorgelegt.

Es konnte dank großzügiger finanzieller Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung, der Sparkasse Dortmund und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dortmund in einer sehr hochwertigen Form realisiert werden.

Das 400 Seiten starke, zahlreiche Abbildungen umfassende und in Leinen gebundene Buch ist ab Ende Januar zum Preis von 39,95 Euro im Buchhandel zu bekommen.

Der Auschwitz-Überlebende Hans Frankenthal gab 1999 Anstoß für das Dortmunder Vorhaben

Erinnerungsgang zum Holocaustgedenktag des Bündnis Dortmund gegen Rechts und des VVN
Erinnerungsgang zum Holocaustgedenktag des Bündnis Dortmund gegen Rechts und des VVN

Den Anstoß zu diesem Werk hatte kurz vor seinem Tod im Jahre 1999 Hans Frankenthal gegeben, selbst als Jugendlicher nach Auschwitz deportiert und später einer der prägenden Zeitzeugen zur Shoah im westlichen Westfalen.

Nach umfangreichen Recherchen im Stadtarchiv und anderswo begann dann im Jahr 2012 der Dortmunder Historiker und ausgewiesene Kenner der Materie, Rolf Fischer, die Lebens- und Leidensgeschichte der ermordeten Dortmunder Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens nachzuzeichnen.

Wichtige Vorarbeit hat der mittlerweile pensionierte Stadtarchivar Dieter Knippschild geleistet. Seit 1999 hat er an einer Gedenkkartei gearbeitet und über die Jahre mehr als 8000 Namen von Dortmunder Juden zusammengetragen und viele Schicksale recherchiert. Er ist beeindruckt von der nun vorgelegten Publikation.

Ziel des Gedenkbuchs: Die mörderischen Konsequenzen rassistischer Ideologie aufzeigen

Auf dem Platz der alten Synagoge legten die Stadt und die jüdische Kultusgemeinde Kränze nieder.
Auf dem Platz der alten Synagoge wird den jüdischen Opfern gedacht.

Das NS-Regime hat den Juden nicht nur das Lebensrecht abgesprochen und einen beispiellosen Vernichtungsfeldzug gegen sie geführt, es hat auch Maßnahmen ergriffen, jede Erinnerung an die Ermordeten auszulöschen und die Spuren des Verbrechens zu verwischen.

„Kein Buch, keine Opferliste, keine Geste kann das Leid der Opfer in ein milderes Licht tauchen oder ihnen ihre geraubte Menschenwürde zurückgeben. Doch indem wir ihre Namen nennen und von ihrem Leben und Leid erzählen, wird deutlich, wie es zu den unmenschlichen Greueltaten des NS-Terrorregimes kommen konnte“, betonte Oberbürgermeister Ullrich Sierau bei der Vorstellung des Buches.

„Im Aufzeigen und Begreifen der mörderischen Konsequenzen rassistischer Ideologie und Politik liegt ein wesentliches Moment der Erinnerung an die Ermordeten.“

Erinnern allein, so Sierau weiter, reiche allerdings nicht aus. Die Geschichte verpflichte auch zum Handeln gegen rechtsextremes Denken, gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz. Die heutige Generation und zukünftige Generationen trügen Verantwortung für die Gestaltung einer demokratischen und freien, sozialen und gerechten Gesellschaft.

Dokumente und Bilder zur Geschichte der antisemitischen Verfolgung

„Das Gedenkbuch enthält eine Liste, in der die Namen jener 1 965 Dortmunder Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens aufgeführt sind, die zwischen 1933 und 1945 in der Stadt lebten bzw. gemeldet waren und im Zuge der nationalsozialistischen Judenverfolgung ermordet wurden“, beschreibt Dr. Stefan Mühlhofer, Direktor des Stadtarchivs, den Inhalt und Aufbau des Buches.

„Zudem enthält die Liste die Namen von weiteren 108 Personen, die entweder 1938 nach Polen abgeschoben oder in den vier großen Deportationen aus Dortmund verschleppt wurden, die aber Ghettos, Lager und Krieg überlebt haben. Schließlich beschreibt das Buch mit vielen Dokumenten und Bildern die Geschichte der antisemitischen Verfolgung in Dortmund.“

Fassungslosigkeit und Verstörung spiegelt sich in der Gestaltung wider

Eine Gedenktafel am Südbahnhof Dortmund erinnert an die Deportation von Juden.
Eine Gedenktafel am Südbahnhof Dortmund erinnert an die Deportation von Juden.

Das Layout des Gedenkbuches, so Autor Rolf Fischer, weiche in mehrfacher Hinsicht von konventioneller Gestaltung ab: „Die Fassungslosigkeit und Verstörung, die viele Berichte, Dokumente und Fotos aus den Zentren des Mordens beim Leser und Betrachter hinterlassen, spiegeln sich in Ansätzen auch in der Gestaltung des Buches wieder.

Die Überschriften zeigen sich zerrissen, wie so viele Lebensläufe und Familien. Um Fotos von Opfern herum herrscht zuweilen Leere, die an die Einsamkeit in schwerster Zeit und in letzten Stunden erinnern mag.“

Diplomdesignerin Vera Schäper fasst es so zusammen: „Die Gestaltung des Buches drückt die Unzulänglichkeit aller Bemühungen aus, die grauenhaften Verbrechen und das unsagbare Leid der Opfer in angemessener Weise zu erfassen und darzustellen.“

Die bibliographischen Daten

Rolf Fischer: Verfolgung und Vernichtung. Die Dortmunder Opfer der Shoah. Essen: Klartext-Verlag, 2015. ISBN 978-3-8375-1228-1, 39,95 Euro

 

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