„Quaak, Quaak, ich möchte gern von deinem goldenen Tellerchen essen“, krächzt Jens Koller. „Nächster Halt Enscheder Straße“ steht auf dem Display in der U 44 auf dem Weg nach Marten. Die Tür geht auf. Vier junge Männer besteigen die Bahn. Mit einer schnellen Drehung wechselt Koller die Seite und in eine andere Rolle: als der Vater der Prinzessin aus dem „Märchen vom Froschkönig“. „Meine Tochter, was man versprochen hat, muss man auch halten“, erklingt eine sonore Stimme.
Von der Westfalenhütte zur Reinoldikirche und zurück. Spektakel erfreut das Zufalls-Publikum
Die neu zugestiegenen Fahrgäste schauen verdutzt, drücken sich an dem Schauspieler vorbei und setzten sich ein paar Reihen weiter auf die Polster.
In ihren Gesichtern ist Skepsis zu lesen. In der Kurve, kurz vor der Haltestelle „Geschwister-Scholl-Straße“ verschwinden ihre Bedenken und ein Schmunzeln ist zu erkennen. Die anderen „Besucher“ des Theaters U 44 haben schon länger Spaß an Jens Kollers Rollenspiel.
Der Frosch muss sich während der Kurvenfahrt ordentlich festhalten und äußert nun auch noch den Wunsch, mit in das Bettchen der Prinzessin zu wollen. „Nur noch eine Haltestelle“, ruft eine Begleiterin. „Oooohhh“ ruft Koller, jetzt Prinzessin, “da muss ich mich aber beeilen.“
Pünktlich an der Haltestelle „Reinoldikirche“ ist das Märchen an seinem Ende. Der Frosch wurde von der Prinzessin an die Wand geworfen und hat sich in einen schönen Prinzen verwandelt – frei nach den Gebrüdern Grimm. „Applaus, Applaus“, ein Mann aus den hinteren Reihen der U-Bahn bittet um Zugabe. „Die gibt es, allerdings nur in der Bahn, die zurück zur Westfalenhütte fährt“, antwortet der Akteur.
Vier Märchen der Gebrüder Grimm stehen dem Mitreisenden zur Auswahl
Schnell raus aus der Bahn, über den Bahnsteig gespurtet, denn da kommt schon die U 44 in die andere Richtung. Eine Frau schaut sich alle vier Märchen an, die der Schauspieler des Nordstadttheaters vorbereitet hat. Sie hat eine Monatskarte und Zeit.
„Rotkäppchen“, „Hänsel und Gretel“ und „Schneewittchen“ gibt es noch zur Auswahl. Mitreisende ziehen einen von den Umschlägen, die Koller ihnen präsentiert, und bestimmen so mit, welche Geschichte gespielt wird. Auf der Rückfahrt amüsieren sich zwei kleine Mädchen köstlich. Immer dann, wenn Koller die Hexe spricht, kichern sie vor Vergnügen.
„Hänsel und Gretel“ steht jetzt auf dem Programm. Und das ist sehr ambitioniert in der wackeligen Bahn mit ständig wechselndem Publikum. Die einen steigen mitten im Stück aus, andere steigen hinzu. Gerade mal sieben Minuten dauert die Fahrt zwischen Westfalenhütte und Reinoldikirche, wenig Zeit, um die Märchen zu spielen.
Die Aktion fand im Rahmen des Adventskalenders Borsigplatz statt
Eigentlich war eine Lesung in der Bahn angekündigt. Doch das Schauspiel von Jens Koller ist viel witziger. Der Mann gestikuliert und grimassiert zum Vergnügen der meisten Fahrgäste.
Die Aktion lebt von der Überraschung, dem Unerwarteten und ist für den Schauspieler eine Herausforderung. Zwischendurch läßt er auch mal eine Bahn aus, um zu verschnaufen. Ganze zwei Stunden dauert das Theater. Die U-Bahn-Vorführung ist die vorletzte von 24 Veranstaltungen im Rahmen des Adventskalenders Borsigplatz.
Neben viele anderen Akteuren gestaltet auch das Nordstadtheater das Programm für die Vorweihnachtszeit rund um das Viertel am Borsigplatz.
Jens Kollers Ensemble, das Nordstadttheater, bringt Kultfilme auf die Theaterbühne
Der Theaterverein, der im Roxy-Kino probt, ist bekannt für seine Theateradaptionen von Kultfilmen wie „Das Leben des Brian“, „Pulp Fiction“ oder zuletzt des Zombie-Streifens „Shaun of the Dead“.
Alle Ensemblemitglieder sind Laien und viele von ihnen wohnen in der Nordstadt. Im Sommer bringen die Laienschauspieler die deutsche Filmkomödie „Bang Boom Bang“ auf die Bühnenbretter. Premiere ist am 12 . Juni 2015 im Roxy in der Nordstadt.